Tönendes Denkmal
Der stimmgewaltige Bassbariton Hermann Bachmann

 

In der Stimmregion zwischen Bariton und Bass gab es um die Wende zum 20. Jahr- hundert eine Handvoll eindrucks- und ausdrucksvoller Fachvertreter von einem Format, das man sich heute, 125 Jahre später, nur schwärmend bewusst machen kann. Unter diesen war Hermann Bachmann als nicht nur stimmlich überragender, sondern auch dramatisch vielseitiger Bühnensänger einer der Großen der Epoche. Anders als beim transatlantisch renommierten Otto Goritz war sein Naturmaterial nicht primär „baritonal“ geprägt. Und anders als der Fachkollege ähnlicher Statur Theodor Bertram war  er kein ausgeprägter Vertreter der sogenannten Bayreuther Schule, also des primär artikulativ bestimmten, die Gebote von Legato und Belcanto missachtenden „Bayreuth Bark“. Dennoch gehörte er zu den ersten großen Prota-gonisten der Bayreuther Festspiele in zentralen Heldenbariton-Partien, als Nach- folger der Legenden Franz Betz (1876) und Carl Perron (1886).  Seit 1892 war er eine dominante Erscheinung auf dem Bayreuther Hügel. Zuvor war er in nur zwei Jahren vom Bühnendebüt zu einem der ersten Sängerdarsteller des Kaiserreichs avanciert.

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Hermann Bachmann - * 7.10.1864 Cottbus.  † 5.7.1937 Berlin.

Der in Lexika als „Bariton“ geführte, auf Tondokumenten mit der ersten Phrase
aber wie ein großvolumiger Schwarzbass tönende Sänger entstammte preußisch-urbanem Milieu, erlernte und praktizierte zunächst einen bürgerlichen Kaufmanns-beruf, ließ bei Geselligkeiten seine große, tiefdunkel gefärbte Naturstimme hören. Schließlich nahm er Gesangsunterricht, zur Hauptsache bei dem Pädagogen Gustav Schmidt in Berlin. In kaum mehr als einem Jahr erlangte er die Bühnenreife, konnte 1890 am renommierten Opernhaus Halle/Saale debütieren. Er blieb dort vier Jahre, erwarb außer solider Szenenpraxis das ganze gängige Repertoire für Bariton, mit Grenzüberschreitungen zum Bass. 1894 wechselte er für drei Spielzeiten ans Opern- haus Nürnberg. Schon weithin bekannt, wechselte er 1897 ins Starensemble der Kaiserlichen Hofoper Unter den Linden in Berlin – neben Lilli Lehmann, Thila Plaichinger, Marie Dietrich, Frieda Hempel, Emmy Destinn, Emilie Herzog, Marie Goetze, Marianne Brandt, Ernst Kraus, Wilhelm Grüning, Carl Jörn, Rudolf Berger, Baptist Hoffmann, Theodor Bertram, Paul Knüpfer, Carl Nebe bis Geraldine, Farrar und Hermann Jadlowker. 


Bachmann agierte bis 1918 in Hauptrollen, bis 1921 noch als Comprimario an
dem berühmten Berliner Haus, war dort seit 1910 auch als Regisseur tätig und
blieb dies bis 1927 – schied als wahre Berliner Institution. Doch schon ab 1892,
noch Mitglied seiner Debüt-Bühne in Halle, wurde er nach Bayreuth verpflichtet, gab dort zunächst den Heerrufer im Lohengrin, 1894 Kothner in den Meistersingern und Klingsor im Parsifal, 1896 Donner im Rheingold und Gunther in der Götter-dämmerung, schließlich alle drei Wotan/Wanderer-Partien. Sein weiteres Repertoire an Hofbühnen und in Musikmetropolen reichte aber viel weiter, wie damals in seinem Fach offenbar obligatorisch. Unter seinen Standardpartien waren Wagners Colonna, Holländer, Wolfram, Kurwenal und vor allem Sachs, Lortzings Zar, Eberbach und Kühleborn, Meyerbeers Nelusco, Verdis Simone, Amonasro und
Jago, Thomas’ Lothario, Gounods Valentin, Bizets Escamillo, Nicolais Herr Fluth, Marschners Heiling und Vampir, Spohrs Faust, Tshajkovskijs Graf Tomskij, Mascagnis Alfio, Leoncavallos Tonio, dazu eine Reihe von Männergestalten in damals populären Werken der Romantik und Spieloper, von Kreutzer bis Nessler.  Ähnlich (wenn auch nicht so extrem-expansiv) wie der Kollege Goritz bewältigte Bachmann ein Rollenspektrum vom Baritono Lirico bis zum „hohen Bass“, wie Wagner seine Heldenbaritone nannte.


An der Hofoper Berlin prägte er zwei Erstaufführungen von Werken Wilhelm Kienzls: Der Evangelimann (1895) und Don Quixote (1897), gehörte 1904 neben Destinn, Grüning, Hoffmann und Knüpfer zur Besetzung der legendären Urauf-führung von Leoncavallos Roland von Berlin, nahm weiter teil an den Uraufführun- gen von Mudarra (Fernand Le Borne / 1899) und Humperdincks Heirat wider Willen (1905). Er gastierte an den Hoftheatern von Dresden, München und Wiesbaden. Auftritte in Übersee sind nicht verbürgt – doch sein Ruhm erreichte europäische Dimensionen, nicht nur von Bayreuth ausgehend, sondern auch als Wirkung einer stattlichen Zahl von Tonaufnahmen, die des Sängers Stimmkraft und Klangpracht in vollem Glanz abbilden, überdies ebenfalls ein enormes Spektrum an Partien belegen.
Disko-historisch besonders bemerkenswert: Bachmann wirkte in einer der ganz frühen Opern-Gesamtaufnahmen mit: als Escamillo in Bizets Carmen, 1908 unter Bruno Seidler Winkler mit Emmy Destinn, Karl Jörn und Marie Dietrich.


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Bachmanns Tonaufnahmen datieren von 1907 bis 1909, entstanden also in rascher Folge auf dem Höhepunkt seiner stimmlichen und künstlerischen Leistungsfähig- keit, für G & T (Grammophon) und HMV, sämtlich in Berlin. Sie präsentieren eine große, voluminöse, breitströmend auf hoher Atemspannung, doch völlig souverän geführte – der Färbung nach eigentlich eine Basso-Stimme. Beachtlich, im Gegensatz zu den meisten dokumentierten Fachkollegen seiner Zeit, die ungeachtet einer groß- volumigen Klangproduktion sichere Legatobildung und gute Registerverblendung. Der Ton ist im Prinzip „vorn“ platziert, nutzt aber die gesamte Gaumenhöhle, dazu die Nasal- und Stirnräume zur Klangverstärkung. Wäre nicht die sicher zum F’’ und Fis’’geführte Höhe nach obligatorisch „deutscher“ Manier prinzipiell „gedeckt“, also um letzte Vibranz beschnitten, könnte man beinahe eine italienische  Schulung vermuten.

Dennoch belegen einige Aufnahmen, vor allem von Wagners Wotan und Sachs,
auch die Fähigkeit des Sängers zu – völlig integrierten, somit ganz natürlich wirken- den – Umfärbungen in eine maron-glänzende, zugleich metallische Tönung mit fast gleißender Höhe gegenüber seinem sonst eher anthrazit-farbenen Grundtimbre, mit dem der Sänger in Verwandtschaft zum Basso cantante-Bereich positioniert scheint. Sein Organ steht an Schallkraft und Gewicht ruhmbekränzten Großstimmen wie
denen von Bohnen, Nissen oder Hann nicht nach.


Ungeachtet der räumlichen Klangminderung aus früher Acoustic-Aufahmetechnik, vermitteln Bachmanns Einspielungen enorme Präsenz und Durchschlagskraft. Sein  Singen verkörpert Souveränität und Autorität: Ein tönendes Standbild, wie zum Nachweis einer verloren gegangenen Epoche gegossen. Ihn anzuhören, erzeugt sogleich Interesse und Entdeckerfreude. Eine Wirkung, die man nur wenigen frühen Tonzeugnissen von Vertretern des „dunklen Fachs“ attestieren kann.

Hermann Bachmann war ein bleibender Zeuge, ja Repräsentant der Kultur- und Musikszene der Jahrhundertwende und des ersten Jahrhundertviertels. Er verdient, zu den Großen seiner Ära gezählt zu werden.

                                                                                                          KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel