Tenore eroico lirico
Heldensänger zwischen den Opernfächern:
der deutsche Tenor Hans Hopf

Unter den vielen Vergleichsmomenten an Stimm-Material und Gesangs-weisen, die Sammlern immer wieder begegnen (wenn auch nicht immer sogleich bewusst werden), fällt eines besonders auf. Man kann es „Individualität“ nennen. Betrachten wir es
einmal am Beispiel der Stimmlage Tenor deutscher Provenienz.


Angesichts der überraschenden und erfreulichen Vielzahl neuer deutscher Tenöre im beginnenden 21. Jahrhundert bemerkt man: Über Fachzuordnungen hinaus lassen sich Timbres & Färbungen, Strukturen & Fakturen, Stile & Manieren, auch Singtechniken, und also Erkennbarkeiten unter den Sängerstimmen oft nur mehr mit detaillierter Einordnung von Nuancen wahrnehmen. Der vokale Eindruck von Sänger zu Sänger erscheint immer weniger eigenprofiliert. Zugespitzt: Die Klangeindrücke sind weithin ähnlich, häufig fast kongruent. Salopp gesagt: Aufs erste Hören klingt einer wie der andere. Und das sogar über Fachgrenzen hinaus.

Ein Breitspektrum an Individualisten

Vor 50-70 Jahren war das sehr anders. Man braucht nur eine Reihe für erstrangig geltender Tenöre von ca. 1935 bis 1975 zwischen Lirico, Spinto & Drammatico zusam-menzustellen und sich auf die jeweiligen Eigenschaften zu konzentrieren, Sänger für Sänger: auf Substanz & Gewicht. Timbre & Farbe, Tonbildung & Phrasierung – kurz,
auf Material und Instrumentarium. Man erkennt ein Höchstmaß stimmlicher wie gesanglicher Eigenschaften, zahllose Belege für Individualität, Charakteristik, Unver-wechselbarkeit, was zugleich bedeutet: für Sofort-Erkennbarkeit.


Zur Nachprüfung ein paar Namen, auf Deutschsprachler beschränkt, unsystematisch: Lirici wie Patzak, Taubmann, Ludwig, Dermota, Schock, Holm, Wilhelm, Terkal, Kmentt, Traxel, Wunderlich, Schreier. Spinti wie Roswaenge, Wittrisch, Friedrich, Anders, Fehenberger, Bensing, Windgassen, Geisler, Ritzmann. Drammatici & Eroici
wie Lorenz, Seider, Völker, Treptow, Aldenhoff, Suthaus, Feiersinger, Gruber, Beirer, Kozub. Auch Charaktertenöre wie Sattler, Melchert, Szemere, Witt, John, Liebl, Uhl.


Die Auswahl mag genügen, Überschneidungen und Fachwechsel sind hier unerheblich. Entscheidend ist: Keine Stimme gleicht oder ähnelt der anderen. Kein Sänger hat einen Wiedergänger. Jeder verkörpert einen eigenständigen Typus und damit sogleich erkenn- baren Klang. Nicht einmal die sog. Oratorien- oder Bach-Tenöre, deren instrumentale Ausrichtung den Werkvorlagen entsprach – vom späten Erb über Krebs bis Haefliger – sangen und klangen gleichartig oder gleichfarbig.

Man kann daraus folgern: Die heutige weltweite Vermarktung nach scheinbar gemein-gültigen Maßstäben wirkt sich stark nivellierend aus. Die technischen Manipulations-möglichkeiten tun ein Übriges dazu, dass Individualität selbst bei höchstbegabten Sängerinnen und Sängern in den Hintergrund tritt – und eigenständige Persönlichkeits-entwicklung keimfreier technischer Perfektion untergeordnet wird.

Bei der Einspielung von Werken aus Barock, Italo-Klassik und Belcanto mag Vorrang
für gesangstechnische Fähigkeiten sogar Bedingung sein. In Musikdrama und Litera-turoper, tragisch oder burlesk, sind Sängerpersönlichkeiten mit stimmlichem Kapital
und singdarstellerischen Ausdrucksfähigkeiten vonnöten: Personality, Face-in-the-voice, markantes Profil steigern die Glaubwürdigkeit der Interpretationen und die Prägekraft
der singenden Gestalter. Darum verkörpern große Sängerpersönlichkeiten stimmliche
und sängerische Individualität.


Reservat Dramatischer Tenor
Solches prägt sich besonders in den Charakterfächern und heroisch-dramatischen Opernpartien aus. Das lässt sich in Vergleichen von Tondokumenten nachweisen.
Bleiben wir beim dramatischen Tenor und in der Nachkriegsphase. Lorenz, Aldenhoff, Gruber, Beirer, Kozub waren mit metallischem Schmetterton ausgerüstete Nachfolger
der frühen Wagnertenor-Legenden von Kraus bis Althouse. Völker, Sattler, Windgassen und eine Reihe von italo-französischer Stilistik geprägter Kollegen, einschließlich dra- matischer Charaktertenöre, waren vom lyrischen ins dramatische Rollenfach gewachsen. Treptow, Seider, Ralf, Suthaus gehörten zu einer Handvoll Ausnahmesängern – baritonal, dunkel, füllig, schallkräftig tönend. Für sie verwendet man den Gattungsbegriff Tenore eroico – und betrachtet als  Maßgeber dafür den großen Dänen Lauritz Melchior.


Gleich welcher speziellen Richtung oder Strömung man einzelne Fachvertreter zuordnen mag – Individualisten waren sie alle. Die „Heroen“ sogar Solitäre, die als Gruppe gesangshistorisch nur im Weltmaßstab, also über deutsche Kulturraumgrenzen hinaus (z.B. mit Zanelli, del Monaco, Vinay, Guichandut, Vickers, McCracken) erfassbar sind.

Alleinständig-universell
Unter den deutschen dramatischen Tenören seit Ende der 1930er Jahre ragt ein Tenor hervor, der als Lirico, sogar mit Mozart, Donizetti, Auber, begann und eine 50 Jahre dauernde, beständig erfolgreiche Bühnenkarriere an ersten Häusern, international und
bei Festspielen, mit Hunderten Tonaufnahmen – aber vor allem: in stärkster Individualität absolvierte. Das war der dennoch universale HANS HOPF – geboren am 2.8.1916 in Nürnberg, verstorben am 25.6.1993 in München, Sächsischer und Bayerischer Kammersänger, Stimmathlet, Langstreckler, Radio-Years-Favorite, Bühnensaurier.


Was diesen Sänger, der medial im Wettbewerb mit den breitenwirksam-populären deutschen Tenören der Nachkriegsepoche stand, vom Gros seiner Konkurrenten unter-schied: Schon als Jüngling und rein lyrisch ausgerichteter Newcomer verfügte er über
das Naturmaterial eines kommenden Tenore eroico. Das ermöglichte ihm noch (oder schon) in jüngeren Jahren Auftritte in einem Repertoire schier ohne Grenzen, von Mozarts Don Ottavio und Aubers Fra Diavolo über Puccini- und Verismo-Parade-
partien bis zu Verdis Othello und Wagners Stolzing.


Frühe Universalität
Hans Hopf stammte aus einer Gastwirtsfamilie. Seine frühe Sozialisation profitierte
von der Musikliebe und Sangesfreude seines Vaters. Er lernte Importkaufmann, absol-vierte den im NS-Regime vorgeschriebenen Arbeitsdienst, übte kurzzeitig Amtsfunk-tionen als behördliche Schreibkraft aus, gelangte dadurch in musikliebende bürgerliche Kreise, die ihm zu professioneller Stimmbildung rieten und verhalfen. Auf Empfehlung des legendären Baritons Baptist Hoffmann
(HAfG.Acoustics 10547) konnte er ein Gesangsstudium bei dessen nicht weniger ruhmreichem Schüler, dem Jahrhundert-
Basso Paul Bender
(1875-1947), an der Münchner Akademie der Tonkunst aufnehmen. Hoffmann hatte den jungen Hopf als lyrischen Bariton eingestuft – das kann nach dem Hinweis im vorigen Textabsatz kaum überraschen.

Bender war eine Referenz. Nach kurzer Ausbildung war sein erst 22jähriger Schüler
reif für ein Debüt 1938 am Bayerischen Landestheater – mit Operette und als Linkerton in Puccinis Madame Butterfly. 1939 wurde er in sein erstes Engagement ans Stadttheater Augsburg, einen respektablen großstädtischen Opernbetrieb, verpflichtet, blieb dort
drei Spielzeiten, ersang sich ein Basisrepertoire. 1942 musste er den Kriegswirkungen Rechnung tragen und an das „Deutsche Theater“ im deutsch besetzten Oslo wechseln.
Er konnte diese – immerhin militärdienstbefreite – Zeit für weitere Studien bei dem norwegischen Stimmbildner Ragnvald Bjarne nutzen.


Nach Kriegsende erreichte Hopf einen Platz im völlig zerstörten Berlin, wo sich aus reduzierten Restensembles neuer Opernspielbetrieb bildete. 1947-1950 war er in Not- quartieren der früheren und künftigen Deutschen Staatsoper beschäftigt. Dabei baute er sein Rollenspektrum in Richtung Jugendlicher Heldentenor (= Lirico spinto) aus. Ab 1948 gehörte er auch dem Ensemble der Dresdner Oper an, wo bekannte Solisten unter namhaften Dirigenten wie Rudolf Kempe und Kurt Striegler ihn in die Riege deutscher Erstrang-Sänger „mitnahmen“: Berger, Goltz, Trötschel, Weidlich, Reichelt, Karén, Rott, Aldenhoff, Liebing, Unger, Schellenberg, Paul, Löbel, Schöffler, Frantz, Pflanzl, Böhme, Frick. Einige dieser Namen finden sich später auf den Besetzungslisten der Bayerischen, der Württembergischen und der Wiener Staatstheater wieder.

Schneller Aufstieg. Baldiger Ruhm
Nach den getrennten deutschen Staatsgründungen folgte auch Hans Hopf 1949 dem Trend nach Westen. Er wurde Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper München, die unter der Leitung von Georg Hartmann (Intendant) und Georg Solti (Musikdirektor) stand. Im selben Jahr schloss er auch einen Gastvertrag mit der Wiener Staatsoper.
Beide Häuser lagen noch in Trümmern und spielten in Ausweichquartieren: Prinz-regententheater und Volksoper.


Von diesen Bühnen aus entfaltete sich nun schnell und ruhmreich die Weltkarriere des Hans Hopf. 1951 trat er unter Herbert von Karajan als Stolzing in den Meistersingern
von Nürnberg
bei den erneuerten Bayreuther Festspielen auf, kam ans Royal Opera House London, gastierte am Teatro Colón Buenos Aires. Ab 1952 gehörte er zum Star-Roster der Metropolitan Opera New York. 1954 gab er bei den Salzburger Fest-  spielen unter Wilhelm Furtwängler den Max in Webers Freischütz. In der Festwoche
zur Wiedereröffnung der Wiener Oper 1955 sang er unter Karl Böhm den Kaiser in der Frau ohne Schatten und unter Rafael Kubelik den Radames in der Aida.1963 debütierte er an der Grand-Opéra Paris und an der Scala di Milano. In den 1960/70er Jahren war
er auch ständiger Gast der Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf-Duisburg).


Mehr als drei Jahrzehnte lang, bis zum Karriereschluss, blieb Hopf den Staatsopern von Wien und München mit Festverträgen verpflichtet. Sein Rollenspektrum wuchs ständig. Es schloss langfristig, sogar nach seinen Rollendebüts als Tristan und Siegfried, lyrische Partien ein, vor allem aus dem italienischen Lirico- und Spinto-Fach – von Puccinis Rodolfo und Cavaradossi bis zu Verdis Duca und Manrico, sogar von Mozarts Tamino
bis Strauss‘ Narraboth. Für das jugendlich-dramatische, also Lirico-spinto-Repertoire
gab es, mit kaum mehr zu zählenden Auftritten auf Bühnen aller Größenordnungen im deutschen Sprachraum, keinen öfter angefragten und präsenten deutschen Tenor im deutschen Sprachraum, außer vielleicht dem anderen Medienstar der 1950er: Rudolf Schock.


Während der traditionell fixierten Nachkriegsepoche, als auf deutschen Opernbühnen
auf Deutsch „jeder alles“ sang, wurden Hopfs Interpretationen solcher Repertoires auch in Rundfunk-Gesamtproduktionen und Schallplattenveröffentlichungen, dazu Live- Mitschnitten in erfreulicher Vielfalt dokumentiert. Der Sänger repräsentierte stilistisch und gesangstechnisch eine Art moderner Version der klassischen italienischen Schule
des Singens, allerdings ohne Spezialisierung auf die Grammatik des Canto fiorito; die Belcanto-Renaissance Nach-Callas-Zeit war noch nicht angebrochen.


Da wir von Eigenständigkeiten und Individualismen ausgingen: Am Aspekt Gesangs-technik und -stilistik lassen sich Parallelen aufzeigen. Hans Hopf war bei aller Indivi-dualität und Unverwechselbarkeit von Timbre, Faktur und Farbcharakteristik sängerisch ein Nachfahre oder Verwandter von Tino Pattiera, Helge Roswaenge, Torsten Ralf, Richard Tucker, Carlo Cossutta, Ludovic Spiess, also Sängern mit Stimmgewicht, Attacke, Stamina, Schallkraft, aber „italienischer“ Tonbildung, Dynamik, Expansion
und vor allem Stimmführung = Phrasierung con anima, mit Sforzato und Rinforzamento. Obwohl er ab 1960 neben Windgassen als der weltweit führende Siegfried-Sänger galt, hatte er nicht eigentlich eine Siegfried-Stimme, dazu fehlten ihm helles Schmettermetall und jugendliches Image, mithin die Attribute „siegenden Lichts“. Nach Stimmklang und Gewicht hatte er sich zum typengerechten Tannhäuser, Tristan, Siegmund entwickelt,
der mehr von Suthaus als von Lorenz hatte.

Zwischen den Fächern und Stilen
Neben der natürlichen Façon und Gestalt des stimmlichen Materials ist die Beherrschung der sängerischen Mittel mediterraner Schule ein Element für Variabilität, Belastbarkeit, Langlebigkeit einer Singstimme in dramatischem Einsatz. Vor allem für lyrisch verfasste Stimmen kann ihre bewusste, überlegte, konzentrierte Anwendung zur Basis von Wachs- tum und Intensitätsbildung auf dem Weg ins dramatische und heroische Fach werden. Hans Hopf verfügte über Ressourcen dafür im natürlichen Stimm-Material; man findet sie bereits in Tondokumenten des Mittzwanzigers angelegt. Hinter mustergültiger Voix- Mixte und flexibler Phrasierung ist da schon die Dynamik einer dramatischen, sogar heroischen Heldenstimme von morgen zu spüren.

Der Tenor mochte aber von seiner Liebe zur Cantilene, zum Sfumato und Sforzando
nicht lassen. Ähnlich wie sein amerikanischer Nachfolger James King liebte Hopf es,
als eine Art deutscher Tenore lirico oppure di grazia mit Blick auf di Stefano, Gedda, Corelli, Kraus, romantische Amanti und Appassionati von Donizetti, Verdi, Puccini, Thomas, Gounod, Tshajkovskij, Strauss, dazu Lehár & Kalmán zu singen. Beinahe typisch (wenn auch aus heutiger Sicht eher abwegig) der Münchner Mitschnitt von Richard Strauss‘ Daphne, wo Hopf nicht etwa als dramatischer Apollo (auf Tonträgern: Ralf, Svanholm, Friedrich, King, Goldberg, Botha), sondern in der Lirico-Partie des Leukippos besetzt ist, als dessen Interpreten sonst Dermota, Fehenberger, Wunderlich, Schreier, Wehofschitz, Schade zu hören sind. Fehenberger gibt neben dem Leukippos
von Hopf den Apollo. Kaum zu glauben, aber wohl ein Hinweis auf eines künftigen Tristans damalige Vorlieben.


Doch der weltweite Opernbetrieb wollte in deutschen Werken einen dramatischen
Tenor zwischen Lirico spinto und Drammatico hören. Man schaue in die Chroniken
der Wiener Oper, der Bayerischen Staatsoper, der Met und der Scala – dort sind Hopfs Schwerpunktpartien (ab ca. 1960 mit zunehmender Tendenz zum Eroico) aufzufinden: Florestan im Fidelio, Max im Freischütz, Don José in Carmen, Pedro im Tiefland, Grigorij im Boris Godunov, Andrej in Chovanshtshina, Kalaf in Turandot. Dann Richard Strauss mit Bachus in Ariadne und Kaiser in Frau ohne Schatten. Und Richard Wagner mit Erik im Fliegenden Holländer, den Titelpartien in Tannhäuser, Lohengrin, Tristan und Parsifal. Walther von Stolzing in den Meistersingern. Siegmund in der Walküre. Siegfried in Siegfried und Götterdämmerung. An der Met war Hopf ausschließlich in Wagner-Partien zu erleben. In Wien auch als Verdis Don Carlos & Radames, Puccinis Rodolfo & Cavaradossi, als Tamino, Florestan, Don José, Grigorij. Er war, nach dem
Tod oder Rückzug von Lorenz, Völker, Ralf, Treptow, Suthaus, neben Beirer zweifellos der führende deutschsprachige Verdi-Othello. Eine BR-Radioproduktion unter Eugen Jochum von 1955 liegt vor. Ihr folgte 1958 beim WDR eine zweite unter Georg Solti.


An seinem Münchner Stammhaus hatte Hopf bis Ende der 1950er zu den genannten Partien noch Mozarts Tamino, Edgardo in Lucia di Lammermoor, Herzog im Rigoletto, Alfred in La Traviata, Canio im Bajazzo, Henri in Puccinis Der Mantel, Narraboth in Salome, den Italienischen Sänger im Rosenkavalier, Paul in Korngolds Die tote Stadt gegeben. Dann, wie in aller Welt, die großen Wagner-Helden, doch auch den Alfred in der Fledermaus. Schließlich im Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz den Adam in Zellers Vogelhändler – all das angesichts der Welt- und Festspielkarriere des Helden-tenors kaum glaublich.

Principe medianico - Medienpräsenz
Für den damaligen Reichsrundfunk hatte der junge Hopf mit Sängerpartnern der führenden deutschen Opernhäuser unter Karl Elmendorff den Don Ottavio im Don Giovanni, den Rudolf in Luisa Miller und die Titelpartie im Fra Diavolo eingespielt; unter Artur Rother folgten seine ersten Platten-Turiddu und -Canio. Für den Nachkriegs-Rundfunk – BR, HR, NDR/WDR, RAI – erschien er in deutschsprachigen Opern-Gesamtproduktionen von einigem Repertoirewert: Unter Ferenc Fricsay als Manrico
im Troubadour. Unter Mario Rossi als Arrigo in Verdis Die sizilianische Vesper. Unter Richard Kraus als Cavaradossi in Tosca. Unter Otto Ackermann als Des Grieux in Manon Lescaut. Unter Georg Solti als Kalaf in Turandot. Unter André Cluytens als Don José in Carmen. Unter Wolfgang Sawallisch als Turiddu in Cavalleria Rusticana, als Canio im Bajazzo und in der Titelpartie von Giordanos André Chénier.


Und weiter mit Spinto und Drammatico-Partien: Unter Eugen Jochum als Grigorij im Boris Godunow. Unter Erich Kleiber als Florestan im Fidelio und als Max im Freischütz. Unter Keilberth als Bachus in Ariadne auf Naxos. Unter Zallinger erneut als Kaiser in
der Frau ohne Schatten. In heutigen Archivraritäten unter Hans Altmann als Montfort in Engelbert Humperdincks Heirat wider Willen und als Phoebus in Franz Schmidts Notre Dame. Dazu von Werner Egk als der Alte im Peer Gynt und als Ulysses in Circe. In Gottfried von Einems Bühnenerfolg Der Besuch der alten Dame nach Dürrenmatt unter Heinrich Hollreiser als Bürgermeister. Im BR war schon 1954 unter Werner Schmidt-Boelke Franz von Suppés Operette Banditenstreiche mit Hopf als Malandrino eingespielt worden. In Wien folgte 1955 Barinkay im Zigeunerbaron unter Robert Stolz.


Auf den „offiziellen“ Labels der Schallplattenindustrie erschien Hopf als Webers Max unter Otto Ackermann, als Wagners Stolzing (aus Bayreuth) unter Karajan, als d’Alberts Pedro unter Rudolf Moralt, als Tannhäuser unter Franz Konwitschny, als Strauss‘ Kaiser unter Karl Böhm und in Beethovens Sinfonie No. 9 unter Furtwängler. Dazu mehrere Live-Auftritte in Wagner-Partien in Bayreuth und New York – und ein Wagner-Recital, das den Sänger in Bestform, mit flexibler Phrasierung, dynamischen Aufschwüngen ins Höhenregister und strahlenden Spitzentönen präsentiert. Zahlreiche Opernsoli und -Querschnitte, beginnend mit Dresden 1943 und Berlin 1946, später bei EMI-Electrola, Philips und DG, ergänzen eine im Ganzen reichhaltige und vielfältige Diskographie.

Weltweit gefragt als Wagnersänger
Im August 1960 hatte Hans Hopf in Wolfgang Wagmners erster Ring-Produktion sein Bayreuther Rollendebüt als Siegfried, neben Nilsson, Uhde, Höffgen, O.Kraus, Stewart, Frick, Gr. Hoffman unter Rudolf Kempe. Danach war er weltweit mit Wagner-Partien gefragt, gab bald auch seine ersten Tristane - in München mit Birgit Nilsson unter Sawallisch, in Wien mit Catarina Ligendza unter Carlos Kleiber. Im letzten Abschnitt seiner langen Karriere übernahm er, erst in München & Wien, dann erneut international, dramatische Chraktertenorpartien, so Herodes und Aegysth, den Schweiker in der Feuersnot. Diese war wohl seine letzte neue Opernpartie.

Da wir mit dem Kriterium Individualität, mit Unverwechselbarkeit und Erkennbarkeit, eingestiegen waren: Was die Merkmale einer Spinto- und Eroico-Tenorstimme angeht, gehört Hans Hopf nicht nur in seiner Ära als Besitzer einer der charakteristischsten Tenorstimmen überhaupt. Er zählt nicht zu den in der Gesangshistorie zahlreichen hell-metallisch gefärbten, obertonreichen, in der Höhe gleißend-strahlend sich ent- faltenden, darum in der Klangwirkung immer „jugendlich-frisch“ anmutenden Tenori drammatici nach Art von Kraus, Dippel, Hensel, Vogelstrom, Sembach, Kirchner, Urlus, Knote, die als ideal geeignet für Erik, Lohengrin, Stolzing, Parsifal und Jung-Siegfried gelten. Er gehörte mit seiner stimmlichen Grundausrüstung auch (noch) nicht zu den raren Eroici nach dem Vorbild Melchior, wie Treptow, Suthaus, Vinay, Vickers.

Die noch junge Hopf-Stimme war ein natürlicher, flexibel und lyrisch geführter Spinto mit Schallkraft und durch Nutzung der vorderen Resonanzräume besonders klangreicher Entfaltung, in Nähe etwa von del Monaco oder Cossutta. Später senkte sich der Kerngrat der Tessitura, wodurch der Timbrecharakter immer mehr ins Baritonale wechselte, die Register nicht mehr so perfekt verblendet waren wie zuvor und die einst vibrante Höhe durch stärkere „Deckung“ bei gesteigerter Kraftentladung immer breiter, dunkler, auch fülliger wirkte. Das zwar kraftvoll, mitunter stämmig, an schwächeren Tagen sogar ein wenig holzig klingende Material war bei entspanntem Zustand und unverkrampftem, legatobewusstem Einsatz von einem beinahe samtigen Hauch umhüllt, aus dem der Sänger feine Mezzavoci erzeugen konnte.

Mit zunehmendem Alter wurde die Stimme schwergängig. Darunter litten Intonation
und Tonbildung, das gewichtiger gewordene Organ schwang nicht mehr blitzschnell
ein. Hopf berichtete selbstkritisch, dass er als Siegfried an der Met den voranstürmenden Prestissimo-Dirigenten Erich Leinsdorf stoppen und um Moderato bitten musste. Wir haben es mit einem ausgeprägt deutschen Heroen und dennoch einem lyrischen Tenore Eroico zu tun.


Im Streit der Hörgeschmäcker
Hörer-Reaktionen von Gesangsunkundigen wie von Kennern auf Hopfs Gesang weichen, vor allem vor Tondokumenten, namentlich aus Studioaufnahmen, weit voneinander ab. Live-Auftritte erzielen meist positivere Resonanz. Es gibt wahrhafte Fans, die Hans
Hopf (wörtliches Zitat:) für den „herrlichsten Siegfried-Sänger aller Zeiten“ halten.
Und es gibt Rezipienten, die sein Stimmtimbre „einfach nicht mögen“. In der Tat entspricht der spezifische Farbklang der Hopf-Stimme nicht den weithin geltenden Idealvorstellungen von einer „bella voce“. Ablehnende Kommentare verwenden dafür Begriffe wie „sauer“ oder „grob“, „rustikal“, „kehlig-kloßig“. Der als Gesangspapst geltende Fachautor Jürgen Kesting bemängelt auch das gesangliche Können des Tenors, attestiert ihm „gepresste Tongebung mit üblen Tremolo-Folgen“, „hässlichen Knödel-Klang“ und „besorgniserregenden Druck“ in der Tonproduktion. Der ebenso kompetent urteilende Jens Malte Fischer folgt solchen Wahrnehmungen nicht, stellt aber auf wechselnde Qualität je nach Tagesform und auf Live/Studio-Unterschiede ab. Und der ausgewiesene Heldentenor-Experte Einhard Luther ordnet Hopf als „authentischen Vertreter des heute wohl endgültig ausgestorbenen Stimmfachs“ ein.

Der Autor dieser Zeilen bekennt, ebenfalls lange Zeit Probleme mit dem „Tropfen
Essig“ in Hopfs Stimmfärbung gehabt zu haben, tendiert aber im Gesamtrückblick zu einem mehr auf sängerische Aspekte und gestalterische, vermittlungsorientierte Fähig-keiten gegründeten Urteil: Wenn Hans Hopf in ausgeruhter Verfassung, im Vollbesitz seiner vokalen wie technischen Fähigkeiten, vor allem live im Raum, noch dazu unter guten Dirigenten zu hören ist, tritt der in der Tat ein wenig „saure“ Beiklang seines Timbres zurück, entfaltet sich die Schallkraft einer volltönend-großen Stimme zu einiger Klangpracht, die vor allem in weiten Melos-Bögen, etwa bei Wagner und Strauss, sogar überwältigen kann.

Hans Hopf verkörpert ein besonders individuelles Beispiel für vielleicht letzte Echos einer großen Epoche, eines Golden Age of Heroic Tenors. Er war auch ein Künstler von Rang und Profil. Nach ihm (und einer Handvoll Zeitgenossen) kamen vorzugsweise Pseudo- und Ersatzlösungen, allesamt minimierend, oft fingierend. Das HAfG widmet dem bedeutenden deutschen Tenor anlässlich seines 100. Geburtstags eine große Edition. Sie soll als Hommage verstanden werden.

                                                                                                           
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© Klaus Ulrich Spiegel