Goldglanz und Schallkraft
Ernst Kozub: Eine früh verstummte Jahrhundertstimme
Kaum eine Disziplin im Kosmos der Musik bezieht ihre Faszination so sehr aus personaler Individualität wie das
Singen als Kunst. Viel stärker als in der instrumentalen, orchestralen, dirigentischen Interpretation: Kein Vokalist hat einen Wiedergänger. Keine Stimme gleicht der anderen. Keine
Sängerpersönlichkeit ist den übrigen kongruent. Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit sind Kennzeichen professionellen Singens, und genauso Entwicklung, Gefährdung, Wandel. Die Gesangshistorie ist
voller Belege dafür. Wir kennen Beispiele hochkünstlerischer Vokalisierung und ergreifender Vermittlungsmacht bei bescheidenster Stimmausstattung – und umgekehrt grob-dümmliche Kraftmeierei mit
überrumpelnd-attraktiven, glanzvollen Naturstimmen. Am Ende ist es der Sieg des Künstlerischen über noch so grandiose Materie, aus dem der Aufstieg zum Parnass, die Verklärung zur Sängerlegende
erwächst. Doch auch davon gibt es wieder Ausnahmen in Einzelerscheinungen.
Ruhm zwischen Rang und Rätsel
Zum kleinen Kreis solcher Ausnahmen scheint der Sänger zu gehören, dem diese CD-Edition gewidmet ist: Der durch
Stimmtypus und Tonbildung prädestinierte Wagnertenor und zugleich Tenore spinto italiano deutscher Zunge und zugleich dramatische Charaktertenor und zugleich bezwingende Operettenheld und zugleich
universelle Alles-Sänger Ernst Kozub. In solchen nicht ganz einfach bestimmbaren Kategorisierungen und in dem Wort „scheint“ drückt sich eine spezielle Ungeklärtheit seiner
künstlerischen Existenz und seiner Hinterlassenschaft, somit auch seines Nachruhms aus.
Ernst Kozub ist ein Solitär unter den Tenören der 1950+60er Jahre, der so spannenden und an Talenten reich
beschenkten Nachkriegsära. Seine Naturausstattung, sein Stimmtyp, sein Potential, seine Entwicklung, nicht zuletzt seine Qualifikation für ein stets dünn besetztes Fach zwischen „Lyrisch-Jugendlichem
Helden“ und Tenore drammatico hätten ihn zum Festival-, Platten- und Medienstar machen müssen. Fallweise war er auch auf dem Weg dahin. Doch wenn man über die als wichtig geltenden, die bekannten und
präsenten Tenöre der Epoche spricht, werden zunächst bis zu einem Dutzend anderer Namen genannt. Wieso das?
Soweit uns Tondokumente unterrichten, war Ernst Kozub vom Debüt an ein ausgereifter, mit stimmlich reichen Gaben und
sängerisch soliden Fähigkeiten ausgestatteter Tenor des lyrischen und dramatischen Fachs. Die metallische, später fast stählerne, doch warme, füllige, dabei leuchtende, zu lyrischer
Phrasierung wie zu ekstatischer Steigerung taugliche Stimme demonstriert fundierte Ganzheitsausbildung: Legato und Registerausgleich, Atemstütze und -führung, geschlossenes Klangbild,
bruchlos-souveränen Aufstieg zur C’’-Höhe, ausladend-baritonales Tiefenregister – all das fundiert den markanten Ausdruck einer zwischen Messing und Kupfergold changierenden Timbrefärbung, ideal in
der Mitte der Stimmtypologie gelagert. In Summe nahezu das Idealmaß für eine Tenorlaufbahn in einem so varianten wie umfassenden Repertoire und Rollenspektrum. In manchen seiner Tondokumente klingt
ein prädestinierter Nachfolger des Wagnerheroen Max Lorenz an.
Konkurrenz für Tenorlegenden
Versuchen wir eine vergleichende Reihung: Kozubs Tamino hat die Noblesse und Valeurs des Fritz Wunderlich – klingt
aber noch reicher und gereifter. Sein Florestan hat Stamina, Höhenglanz und Intensität wie Helge Rosvaenge – bietet aber ausgeglichenere, rundere, wärmere Tonbildung. Sein Lohengrin hat verwandte
Farbe und Faktur eines Jess Thomas – aber mehr Flexibilität und Varianz. Sein Tannhäuser ist in der Gewichtsklasse von Vinay oder Vickers – phrasiert aber reiner, klarer, freier. Sein Bachus hat
Strahl und Emphase wie Schock oder Hopf – aber mehr Leuchtkraft, Fülle, Adel. Sein Siegmund entfaltet Attitüde und Reserven wie Lorenz, Treptow, King – kleidet den Tragiker aber zusätzlich in goldene
Klangpracht.
Wann immer Kozub im dramatischen Fach auftritt, besteht er die Konkurrenz mit Jahrhundertsängern – stimmlich,
technisch, meist auch sängerisch. Er verfügt über ein Material wie die Großen dieser Tenorkategorie, etwa Urlus, Knote, Kirchhoff, Oehmann, Laubenthal. Er hat eine gewichtigere, klangvollere
Materialausstattung als etwa Windgassen, Liebl, Uhl; das reizvollere, bezwingendere Timbre als etwa Seider, Gruber, Beirer; die ausgeglichenere Tonproduktion, Phrasierung und Legatobildung als eine
ganze Generation nach ihm kommender Heldentenor-Kompromisse, dazu mehr sängerische Phantasie und Suggestivität als die meisten von diesen. Nur hinter spezifischen Wagner-Interpreten in Drammatico-
und Eroico-Version der Mit- und Nach-Melchior-Epoche wie Althouse, Carron, Laholm, Svanholm, Aldenhoff, Suthaus steht er jeweils um spezifische Charakteristik-Nuancen (weniger stimmtechnischer als
musikalischer oder interpretatorischer Art) zurück.
Bemerkenswert ist die Orientierung von Kozubs Gesangstechnik und Gesangsstil. Mit der vokalen Ausstattung – Substanz
und Färbung – eines dramatischen deutschen Tenors arbeitet er nach der Grammatik der klassischen, italienisch beeinflussten Schule. Das zeigt sich vor allem beim Umgang mit Atemreservoir,
Atemführung, Atemspannung. Lange Phrasen zur Höhe werden auf einem Atem gesponnen, Zielnoten mit perfekter Stärkedynamisierung entfaltet, Tonfolgen in höchster Tessitura mit Leichtigkeit durchmessen.
Es gibt Momente und Passagen, die ein flexibler Tenore di grazia nicht souveräner ausgestalten könnte.
Erstrangig in der „zweiten Reihe“
Kozub ist in zwei Studio-Arienrecitals mit italofranzösischem Mischprogramm, einer Duett-LP, einigen
Opernquerschnitten, zwei (besser eins+1/10) „offiziellen“ Opern-Studio-Gesamtaufnahmen (Erik, Melot), zwei TV-Opern, mehreren Übernahmen von Radioproduktionen (herausragend Tamino), einer
Vinyl-Single mit Operettenausschnitten, auch Volks- und Unterhaltungsmusik-Medleys auf Tonträger gekommen. Er erscheint in lange verschollen gewesenen oder spät entdeckten Rundfunkaufnahmen vom
Berliner und Leipziger Sender, SFB, HR, WDR, NDR, SWF, RAI Roma und Torino.
Seine Klasse belegen aber vor allem private oder halboffizielle, unter Sammlern kreisende Live-Mitschnitte aus
Opernaufführungen an bedeutenden europäischen Häusern wie Royal Opera House London, Opera di Roma, La Fenice Venedig, Bayerische und vor allem Hamburgische Staatsoper, Deutsche Oper und Komische Oper
Berlin, Deutsche Oper am Rhein, Kölner und Frankfurter Oper
Warum also rangiert Ernst Kozub nicht unter den berühmten, omnipräsenten, in Live- und Studioproduktionen, Recitals,
Portraits, TV- und Filmaufzeichnungen dokumentierten Starsängern? Weshalb haben Anders, Patzak, Fehenberger, Schock, Hopf, Windgassen, Kónya, Wunderlich, Schreier (von als bedeutend vermarkteten
Nachgängern wie Kollo, Hofmann, Jerusalem nicht zu reden) so viel mehr mediale Präsenz erreicht?
Ohne eine belastbar-abschließende Erklärung für Kozubs begrenzte Nachwirkung fixieren zu können: Hört man vor allem
die für Philips und DG eingespielten Studio-Soli und Opernquerschnitte kritisch, kommt man einer Antwort ein wenig näher. Diese (mehrheitlich nicht mehr auf CD gekommenen) Aufnahmen bringen den Tenor
vor allem im italienischen und französischen Genre, durchwegs als Zwischenfachtenor und Lyriker, von Rodolfo und Faust bis Kalaf und Radames. Lange waren sie die meistverbreiteten Zeugnisse von
Kozubs Tätigkeit und Wirkung.
Der Sänger wartet dort mit schöner oder doch imponierender Stimmpracht und Klangentfaltung auf – aber über weite
Teile der (allzu) bekannten Stücke auch mit fast beiläufiger Gleichgültigkeit gegenüber dem Gesungenen. Er artikuliert fehlerlos, phrasiert sauber, demonstriert professionelle Stimmbeherrschung in
Details, meisterlich etwa beim Aufstieg in die tenorale Höhensphäre. Aber er bleibt vielfach unbeteiligt, distanziert, „neben“ einer Interpretation, die gut Gesungenes auch beeindruckend darstellt
und erlebbar macht. So kommt es zu eher äußerlichen anmutenden Vorträgen, wo musikalische Umsetzung und interpretatorische Vermittlung erwartet werden. Interessanterweise stellen sich gerade in
diesen Aufnahmen auch flache, mitunter plärrende Töne und steife, schwingungsarme Phrasen ein. Das von studiotechnischen Retuschen unbeeinträchtigte Aufnahmemikrophon ist eine gnadenlose akustische
Lupe, die solche Abweichungen vom künstlerischen Standard des sonst oft sensationell wirkenden Sängers offenlegt und überliefert. In nahezu allen Live-Dokumenten Kozubs ist von solchen Defiziten
nichts zu hören – doch die waren nicht im Handel.
Ein Siegfried-Fiasko
Ein anderes, inzwischen historisiertes und in die Fachliteratur eingegangenes Ereignis, das man unter „Kozubs
Versagen“ eingeordnet findet, hat der legendäre Tonmeister John Culshaw, Producer der Gesamteinspielung von Wagners Ring des Nibelungen 1959-65 mit Sir Georg Solti für Decca, in seinen
Memoiren überliefert. Solti, der den bezwingenden Tamino der Frankfurter Zauberflöte von 1955 hoch schätzte und in seinem Covent-Garden-Ring als Weltrang-Siegmund herausstellte,
hatte Ernst Kozub als Träger beider Siegfried-Partien verpflichten lassen. Es wäre der Durchbruch des Tenors zum Weltstar gewesen.
Die Produktionsplanung für Siegfried war auf die Stunde austariert, die Sophiensäle in Wien genauestens
vorbereitet. Die Wiener Philharmoniker und ein Starensemble mit Nilsson, Hotter, Stolze, Neidlinger, Höffgen, Sutherland standen bereit. Doch dann gab es ein Desaster: Der Siegfried-Darsteller
bewältigte seinen Part nicht, „wasn’t able to master the task“. Kein dirigentisches Supervising konnte helfen. Die Produktion drohte zu platzen. In einer Über-Nacht-Aktion gelang es, den ubiquitären
Siegfriedsänger jener Jahre ins Studio zu holen: Wolfgang Windgassen, weltweit erfahren und routiniert, allerdings auf einem halben Dutzend Mitschnitten längst dokumentiert und schon in der Spätphase
seiner Karriere, also bei weitem nicht so jugendfrisch wie Soltis Wunsch-Siegfried Kozub. Er kam, zog den Mantel aus, griff sich die Noten und sang die Partie ohne Probenaufwand so unbeeindruckt
sicher wie seit zwei Jahrzehnten auf den Opernbühnen der Welt – und ist nun ein weiteres Mal auch im Studio-Jahrhundert-Ring zu hören, ein Eventum Classicum der
Tonträger-Geschichte.
Ernst Kozub war damit um die Eröffnung einer Weltkarriere, den definitiven Aufstieg zum Olymp der Opernwelt
gebracht. Natürlich kam die Chance nicht wieder. Culshaws Schilderung ist nicht denunziatorisch, nur sachlich berichtend. Wir wissen nicht, ob Kozub in bedrängter seelischer Verfassung stand oder
krank war – oder ob er schlicht die Partie musikalisch nicht beherrschte. Gegen diese Annahme spricht die Mitteilung eines Sängerportraits von Mitte der 1960er Jahre
im FonoForum, wo von umfassender Musikalität, meisterlicher Korrepetitionsfähgkeit, sogar schlafwandlerischer Vom-Blatt-Sicherheit des Sängers berichtet wurde. Der Fall wird kaum mehr
geklärt werden. Er schränkte die längst weltweit terminierte Sängerlaufbahn nicht ein. Doch er bildet sicherlich die entscheidende Zäsur zwischen Weltrang und Weltruf, Gefragtsein und
Starstatus.
Rascher Aufstieg. Atemlose Karriere.
Ernst Kozub (* 24.1.1924) hatte nur begrenzte Zeit für eine große Sängerlaufbahn. Nicht einmal zwei Jahrzehnte waren
ihm dafür geschenkt, die Erprobungsphase eingeschlossen. Sein Lebenslenz ist auch ein Stück bezeichnender deutscher Nachkriegsgeschichte. Er stammte aus dem Industriezentrum Duisburg-Hamborn am
Niederrhein. Der kaum 20jährige Zwangssoldat wurde an der Ostfront verwundet, behielt nach dem Lazarett eine Behinderung am Schultergelenk zurück, wurde deshalb in eine Art Freigängerstatus hinter
den Kampflinien im südthüringischen Probstzella versetzt. Dort kaufte er in einem familienbetriebenen Ladengeschäft ein, lernte die Tochter des Hauses kennen und lieben. Nach Kriegsende heirateten
die beiden, und Kozub blieb am Ort, nunmehr in der russischen Besatzungszone und späteren DDR. Er erlernte einen Kaufmannsberuf, sang zur eigenen Freude und im Freundeskreis, wo seine tragfähige
Naturstimme rasch Aufsehen machte. Er gab vielfachen Drängen zu einer Gesangsausbildung nach, sang Lehrern vor, wurde in die Musikhochschule Weimar aufgenommen.
Zu den heute wenig gewürdigten Leistungen des zweiten deutschen Staates gehörte von Anbeginn ein staatlich
gesichertes Kulturleben mit flächendeckender Infrastruktur, zentral koordinierten Institutionen und informationeller Transparenz. Der von Natur richtig eingestellte, sich rasch perfektionierende
junge Sänger machte bald von sich reden – und gelangte zu einem Bühnendebüt gleich am dritten wichtigen Opernhaus Berlins: 1951 als Marquis de Chateauneuf an Walter
Felsensteins Komischer Oper Berlin.
Der Debütant machte Effekt, rangierte rasch neben den Ostberliner Erstfach-Tenören Witte, Ritzmann, Nocker, Neumann,
Hülgert, Stracke. Beim Berliner Rundfunk konnte er in Lortzings Vormärz-Oper Regina mitwirken. Zugleich wurde er von führenden Dirigenten in zeitgenössischen (d.h. zum staatlich geförderten
Genre des „Sozialistischen Realismus“ gehörigen, nachbrahmsischen Stilrichtungen verpflichteten) Chorwerken herausgestellt. Die Stücke, durchaus hörenswert, im Kalten Krieg tabuisiert, dann
historisiert, bieten Gelegenheit, die schön phrasierte strahlende Tenorstimme des jungen Kozub zu hören – qualitativ überboten nur durch seinen wunderbar flexiblen, leuchtenden Tamino in Soltis
Frankfurter „Zauberflöte“.
An der Komischen Oper Berlin entwickelte sich Kozub in nur zwei Spielzeiten vom Tenore lirico ins Spinto- und
Heldenfach, wurde früh zu Gastspielen, auch außerhalb der Staatsgrenzen, eingeladen. Ausreisen und Übersiedlungen waren noch kein Problem. So wechselte der Sänger ab 1954 als Ensemblemitglied ans
Opernhaus Frankfurt/M., eine der führenden westdeutschen Musikbühnen, damals mit dem GMD Georg Solti. Der kommende Stardirigent eröffnete dem Sänger eine gesteuerte Orientierung aufs dramatische
Fach, ließ ihm auch Raum für Gastspiele.
Ab 1962 konnte Kozub seine Verpflichtungen in internationalem Radius ausdehnen. Er wirkte neben Frankfurt mit
Festverträgen an der Hamburgischen Staatsoper und der Deutschen Oper Berlin, bald auch an großen europäischen Opernhäusern: der Staatsoper Wien (Bachus, Florestan, Siegmund), der Mailänder Scala
(Wagner-Partien), der Grand-Opera Paris (Tannhäuser und Siegmund), am Sao Carlos Lissabon (Erik und Tannhäuser), am Liceo Barcelona (Lohengrin), am Teatro Comunale und Maggio Musicale Fiorentino
(Florestan, Tannhäuser, Stolzing, Siegmund, Parsifal, Bachus) – mit dramatischem und Spinto-Repertoire im italienischen, französischen, slawischen Fach: Don Carlo, Manrico, Alvaro, Radames, Grigorij,
Hermann, José, Kalaf, schließlich Otello, international vor allem mit Florestan, Max, Wagner- und Strauss-Partien, so am Sadler’s Wells London, am La Monnaie Brüssel, in Straßburg, Zürich, Venedig,
Neapel, Parma, Palermo, Monte Carlo, Budapest, dann auch am Colón Buenos Aires, in Montevideo und Kairo, beim Edinburgh Festival und den Salzburger Festspielen. Unter Sir Georg Soltis Leitung errang
er größte Erfolge am Covent Garden London; sein Siegmund im dortigen „Ring“ gehört zu den wichtigen Portraits dieser Gestalt in der jüngeren Operngeschichte. 1970 trat er endlich als Stolzing auch in
Bayreuth auf. Seine Stammhäuser mit regelmäßigen Auftritten neben London blieben Hamburg und München.
Wen Götter lieben ...
Für diese wahrhaft beeindruckende interkontinentale Karriere blieben dem Sänger, der nie durch die Opernprovinz
musste, nach kurzem Beginn gleich ins Heroenfach wechseln konnte und darin dann Spitzenleistungen erbrachte, gerade zehn Jahre, monatelang noch unterbrochen von den Folgen eines schweren Autounfalls
1968. Mit eisernem Willen schaffte er eine Rückkehr auf die Bühne, wieder an großen europäischen Häusern, mit Deutschland und Frankreich im Zentrum. Eine lebenslanges Herzleiden machte ihm zunehmend
zu schaffen, zwang ihn zu Arztkonsultationen und Klinikbesuchen. 1971 war er mit physisch fordernden Partien wie Tannhäuser und Kaiser in der Frau ohne Schatten zwischen Berlin und Marseille
aktiv. Nach einem zufriedenstellenden ärztlichen Testat in Bad Soden ereilte ihn am 27. Dezember 1971 dort der Herztod, wie man so sagt: „plötzlich und unerwartet“. Er war noch nicht 48 Jahre
alt.
Seine Stimme hatte in den Jahren seit 1965 an Volumen und Stamina gewonnen. Die Substanz war schwerer, das Timbre
dunkler geworden. Er war dabei, sich zum Tenore eroico nach dem Muster der Melchior, Treptow, Suthaus zu entwickeln. Die nach allgemeiner Einschätzung extreme Tenorpartie schlechthin, den Tannhäuser,
hatte er jahrelang in aller Welt problemlos bewältigt, Tristan (und ein neues Siegfried-Projekt?) dürften angestanden haben. Vielleicht hätten weitere Jahre in Form und Wirkung seiner
letzten Erfolge in den Heroenpartien, mit erneuten Bayreuth-Auftritten, Plattenprojekten wie dem EMI-Holländer unter Klemperer, auch angesichts der bald manifesten Wagnertenor-Krise, seinen
Ruhm gemehrt, seine Position in der Gesangsgeschichte erhöht. Es sollte nicht sein. Eine Jahrhundertstimme und ihr in vielem aufregend-eindrucksvoller Träger wurden Opfer gnadenlos kurzer
Zeitabläufe, fehlender Gelegenheiten und – vielleicht – kleiner Missgriffe.
Gottlob gibt es versunkene und unentdeckte Schätze an Tondokumenten – dazu das Engagement einer erinnerungsfreudigen
Generation von Opernfreunden, Gesangsenthusiasten, Sammlern, entschlossen zur Wiederbelebung einer großen und reichen, medial sträflich vernachlässigten Kultur-Ära. Ernst Kozub gehört zu ihren
Repräsentanten. Sein Erbe sollte beachtet werden.
KUS