Paul Hindemith (1895 – 1963)


Mathis der Maler

 

Oper in sieben Bildern
Text vom Komponisten
Uraufführung: 23. Mai 1938, Zürich

Deutsche Erstaufführung im Staatstheater Stuttgart
r. live 13.12.1946

Leitung: Bertil Wetzelsberger

 

Kardinal Albrecht von Brandenburg Anton John
Mathis, sein Hofmaler Engelbert Czubok
Lorenz von Pommersfelden, Dechant Otto von Rohr
Wolfgang Capito, Rat des Kardinals Hubert Buchta
Riedinger, lutherischer Mainzer Bürger Walter Hagner
Ursula, Riedingers Tochter Emmy Stoll
Hans Schwalb, Bauernführer Wolfgang Windgassen
Regina, Schwalbs Tochter Lore Wissmann
Gräfin Helfenstein Res Fischer
Truchsess von Waldburg, Heerführer Kurt Berger
Sylvester von Schaumberg, Offizier Fritz Barth
Helfensteins Pfeifer Toni Schabo

 

Chor des Württembergischen Staatstheaters
Württembergisches Staatsorchester

 



Die Handlung

 

Ort und Zeit: Großraum Mainz und Odenwald, 16. Jahrhundert zur Zeit der Bauernkriege

 

 

Erstes Bild — Der Klosterhof des Antoniter-Ordens

Mathis bemalt die Wände des Kreuzgangs. Da stürzt Hans Schwalb, der Führer der aufständischen Bauern, herein. Ihm folgt seine Tochter Regina. Um Schwalb vor seinen Verfolgern zu retten, gibt ihm Mathis sein Pferd. Als die Häscher eintreffen, bekennt sich Mathis zu seiner Tat.

 

Zweites Bild — Ein Saal in der Martinsburg zu Mainz

Zur Begrüßung Kardinal Albrechts, des Bischofs von Mainz, hat sich eine Abordnung von Bürgern eingefunden. Der Offizier Sylvester von Schaumburg erkennt in Mathis den Mann, der Schwalb die Flucht ermöglicht hatte. In einer leidenschaftlichen Rede bekennt Mathis seine Sympathie für die Bauern. Daraufhin entlässt ihn der Kardinal aus seinen Diensten.
 

Drittes Bild — Der Marktplatz in Mainz

Die Bücher der Lutheraner sollen verbrannt werden. Viele Bürger empören sich darüber. Um sie zu beruhigen, verliest Capito, ein Vertrauter Albrechts, ein Schreiben Luthers, in dem dieser den Kardinal ersucht, den neuen Glauben anzunehmen und zu heiraten. Capito, der eine Eheschließung seines Herrn mit einem reichen Bürgermädchen als Akt der Vernunft ansieht, will Albrecht bewegen, Luthers Bitte zu entsprechen. Ursula, die Tochter des angesehenen Mainzer Bürgers Riedinger, will sich dafür hergeben, obwohl sie seit Jugendtagen den Maler Mathis liebt. Doch Mathis will das Mädchen nicht an sich binden — zum einen wegen des großen Altersunterschieds, zum anderen, weil er ihm keine gesicherte Existenz bieten kann.

 

Viertes Bild — Das zerstörte Königshöfen

Die Bauern haben Königshöfen erobert und großenteils zerstört. Sie führen den Grafen Helfenstein zum Tod. Währenddessen muss dessen Frau die Bauern bedienen. Mathis steht der Gräfin bei. Dafür wird er mißhandelt und niedergeschlagen. Schwalb agitiert die rebellischen Bauern zu neuem Kampf. Doch in der folgenden Schlacht erleiden sie eine schwere Niederlage. Schwalb fällt vor den Augen seiner Tochter. Mathis soll hingerichtet werden. Auf Fürsprache der nun verwitweten Gräfin Helfenstein verschont man ihn.

 

Fünftes Bild — Arbeitszimmer des Kardinals

Ursula Riedinger, ihr Vater und Capito bemühen sich, den Kardinal zur Heirat zu bewegen. Der weigert sich, er will seinem alten Glauben treu bleiben.

 

Sechstes Bild — Im Odenwald

Mathis und Regina sind auf der Flucht. Das Mädchen ist über ihres Vaters Tod tief betrübt. Während die beiden im Odenwald rasten, erzählt Mathis von einer Vision musizierender Engel. Regina schlummert ein. Wirklichkeit und Traum beschwören Bilder des Isenheimer Altars herauf: Die Versuchung des heiligen Antonius und Antonius in der Einsiedelei. Kardinal Albrecht erscheint in Gestalt des heiligen Petrus und befiehlt Mathis: Gehe hin — und bilde!

 

Siebentes Bild — Mathis’ Atelier in Mainz

Mathis hat den wunderbaren Altar geschaffen. Seine Kräfte haben sich dabei aufgezehrt. Regina, von Ursula liebevoll gepflegt, stirbt in Mathis’ Werkstatt. Albrecht kommt ein letztes Mal zu Mathis und bittet ihn, er möge in seiner Nähe bleiben. Doch Mathis will sein Leben einsam beschließen. In einer Truhe deponiert er Dokumente, die über sein Leben und Wirken berichten, dazu einen Maßstab, einen Zirkel, Farben und Pinsel. Er sehnt sich nach ewiger Ruhe.
 

 


 

    Paul Hindemith: Der Klassiker der Moderne

 

Paul Hindemith (∗ 16. November 1895 in Hanau, † 28. Dezember 1963 Frankfurt/M.), namhafter Bratschist, später international gefeierter Dirigent,
war eine der zentralen Schöpfergestalten der Musik des 20. Jahrhunderts. Obwohl sein Schaffen ganz in der Kontinuität der deutschen Klassik steht und vor allem Bach verpflichtet ist, wurde er als Bürgerschreck und, trotz entschie-dener Förderung durch wichtige Musiker, unter der NS-Herrschaft sogar als entartet diffamiert, zensiert, ausgegrenzt. Eine Reihe seiner Werke gehören heute zum Bestand der klassischen Moderne und sind ins Repertoire einge-gangen: Sinfonien, Konzerte, Kammermusik, nicht zuletzt drei — sehr unter-schiedliche — Opern: Cardillac (1926), Mathis der Maler (1938) und Die Harmonie der Welt (1957).

    Hindemith entstammte einer Arbeiterfamilie. Seine Kindheit verbrachte er
in Hessen, dann in Schlesien, schließlich in Mühlheim/Main. Seit dem sechsten Lebensjahr erhielt er Geigen- und Viola-Unterricht. Schon als Kinder waren die beiden hochmusikalischen Brüder Paul und Rudolf ein Aushängeschild der Familie Hindemith. Sie musizierten gemeinsam im Amar-Quartett, einem der führenden Ensembles der Moderne. Der Cellist Rudolf wechselte später zum
Jazz und zur U-Musik, war auch als Dirigent tätig. Paul besuchte das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt, erhielt bei Arnold Mendelssohn und Bernhard Sekles auch eine Dirigenten- und Komponisten-Ausbildung. Von 1915 bis 1923 übte er die Funktion des Konzertmeisters an der Frankfurter Oper aus. 1918 wurde er
als Militärmusiker noch zum Kriegsdienst eingezogen und in Belgien und Frankreich stationiert.

 

      Aufstieg zu internationaler Beachtung

   Im 1922 gegründeten Frankfurter Amar-Quartett spielte Hindemith erst 2. Violine, später Bratsche. 1923 erfüllte er den Wunsch des kriegsversehrten Pianisten Paul Wittgenstein nach einem Klavierkonzert für die linke Hand. Der Pianist führte das Werk jedoch nicht auf. Erst über 80 Jahre später folgte nach
der überraschenden Entdeckung der Partitur 2004 mit Leon Fleisher unter Sir Simon Rattle die Uraufführung bei den Berliner Philharmonikern.

    Hindemith komponierte seit den 1920er Jahren berühmt gewordene Kam-
mermusiken. 1924 heiratete er Gertrud, die Tochter des Frankfurter Dirigenten Ludwig Rottenberg. Auf Initiative seines Schwagers Hans Flesch, damals Leiter des Frankfurter Radiosenders, schuf er diverse Auftragswerke, die ihm Ruhm einbrachten, darunter (mit Bert Brecht und Kurt Weill) das Hörbild Der Flug der Lindbergs. 1927 berief ihn die Berliner Hochschule für Musik zum Professor für Komposition. Ab 1927 war er zugleich Dozent an der Musikschule Neuköln.

    Mehrere Hindemith-Werke wurden bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Mit kaum dreißig Lebensjahren avancierte er so zu einem der einflussreichsten und respektiertesten Komponisten Europas. Er vor allem machte als Mitglied der Festspielleitung dieses Festival zum wichtigsten Forum zeitgenössischer Musik überhaupt. Seine Produktivität schien keine Grenzen zu kennen. Teile davon (so etwa fast 100 Klavierlieder) sind bis heute noch nicht völlig erschlossen.

 

      Diffamierung und Ächtung

   In den 1930er Jahren verlagerte Hindemith seine Aktivitäten als Bratscher zunehmend ins europäische Ausland. Konzertreisen führten ihn auch in die USA. Von der in Deutschland herrschenden NSDAP aber wurde sein Wirken mehr und mehr behindert. Die Nazi-Kulturverwalter bezweifelten nicht sein musikalisches Können, agitierten jedoch gegen seine untragbare Gesinnung. Hitler hatte sich schon 1929 über Hindemiths Oper Neues vom Tage empört. Nun wurden Teile seines Schaffens als Kulturbolschewismus und entartet aus den Programmen entfernt. Der zuständige Propagandaminister Goebbels bezeichnete den Komponisten öffentlich als atonalen Geräuschemacher.

   1934 erhielten Hindemiths Werke im deutschen Rundfunk Sendeverbot. Deutschlands berühmtester Dirigent Wilhelm Furtwängler setzte sich für ihn ein, erntete aber offiziell nur Hohn. 1935 wurde Hindemith unter Protest seiner Studenten in die Türkei abgeschoben, um dort in Ankara ein Konservatorium aufzubauen. 1936 wurde die Aufführung seiner Werke im Reich gänzlich verboten. In der Schandausstellung Entartete Musik wurde 1938 auf die jüdische Abstammung seiner Ehefrau Gertrud verwiesen.

 

     Ausgrenzung, Rückkehr und Triumph

   1938 gingen die Eheleute Hindemith ins Exil, erst in die Schweiz, dann in die USA. Sie zogen nach New Haven (Connecticut). Hindemith nahm einen Lehr-auftrag der Yale University wahr. 1946 erhielt er die US-amerikanische Staats-bürgerschaft. Seit den 1940er Jahren machte er Karriere als Dirigent klassischer Musik. Weltweite Tourneen führten ihn — u. a. mit den Berliner und den Wiener Philharmonikern — in die Musikzentren der Welt, in Rundfunk- und Platten-studios. So ist er auch als Interpret für die Nachwelt gut dokumentiert.

    1950 erhielt Hindemith die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin und wurde Ehrenmitglied der Wiener Konzerthausgesellschaft. 1953 siedelte er zurück in die Schweiz und lebte in der Villa La Chance am Genfer See. Im Wechsel mit Yale lehrte er ab 1951 auch in Zürich Komposition an einem eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl. Seit 1957 wirkte nur noch als Komponist und Dirigent, gefeiert auf Tourneen in ganz Europa, USA und Asien. 1951 erhielt Hindemith den Hamburger Bach-Preis, 1955 die Frankfurter Goetheplatte,
1962 den Balzan-Preis für Musik. 1963 starb er in Frankfurt am Main.

 



Ein exemplarisches Meisterwerk

 

    Hindemiths Oper Mathis der Maler ist mehr als eine musikalische Bühnen-adaption von Vorgängen in einer fast mythischen Epoche deutscher Geschichte. Selten in der Opernliteratur dürften Handlung, Titelfigur, Entstehungszeit und Botschaft so sehr wie hier mit der Biographie und dem Selbstverständnis ihres Schöpfers korrespondieren. Schon die Schauplätze der Handlung greifen die kulturelle Szenerie von Hindemiths Heimat auf: Der Komponist fühlte sich als Frankfurter, als Hesse. Zeitlebens sprach er unverfälschtes Frankfurterisch. Das nahe gelegene Mainz war stets eines der großen geistlichen Zentren nördlich
der Alpen — und ist bis heute der Sitz seines Musikverlags.

    Bevor sich Hindemith für den Mathis-Stoff entschied, beschäftigte ihn das Konzept einer Johannes-Gutenberg-Oper, die natürlich ebenfalls hauptsächlich in Mainz gespielt hätte. Der Ort der Handlung ist also wohl keine bloße Äußerlichkeit.

    Auch der zentrale Inhaltsaspekt des Werks — Auseinandersetzungen um die rechte Art zu glauben — spiegelt sich in Hindemiths Leben. Als Angehöriger der evangelischer Konfession geboren und aufgewachsen, fühlte sich der Kom-ponist in den frühen 1930er Jahren stark zum Katholizismus hingezogen.
Unabhängig von möglichen Motiven dafür drückt sich solches innere Ringen in seinem musikalischen Schaffen aus. Vorrangig in der Oper, doch auch im später entstandenen Tanzspiel Nobilissima Visione, in dessen Mittelpunkt die Gestalt Franz von Assisis steht, geht es um Visionen, die den rechten Weg weisen und dem Handelnden die Erkenntnis seiner Bestimmung vermitteln.

    In den zeitgenössischen Kontexten der 1930er — Naziterror, kulturelle Bevormundung und Ächtung, rassistische Bedrohungen — vor der Erfahrung von entarteter Kunst und Bücherverbrennungen gewinnt der Stoff von Hindemiths Mathis beklemmende Aktualität. Die Bedeutung der Kunst und die Rolle des Künstlers, daraus erwachsend die Versuchung zu Entsagung und (auch geistiger) Emigration — das sind die Wirkkräfte, denen sich der Künstler Mathis in den Spannungen und Umbrüchen seiner Zeit stellen muss. Mathis und sein Auftraggeber Kardinal Albrecht werden in Hindemiths Opernwerk zur Notwen-digkeit von Pflichterfüllung geführt. Der Erkenntniswert weist über die Oper hinaus.

 

    Authentizität und Zeitkolorit

   Für die Komposition verwendete Hindemith Originalzitate aus dem Alt-deutschen Liederbuch von 1877 (hg. Franz Magnus Boehme) und auf den Hoch-barock zugreifende musikalische Formen wie Chaconne und Concerto grosso. Mit einem Vorspiel, das den Titel Engelskonzert trägt, beginnt das Werk. Mit dieser bewussten Anlehnung an die bekannte zweite Schauseite des Isenheimer Altars korrespondiert das alte Lied Es sungen drei Engel ein’ süßen Gesang, dessen Melodie Hindemith im Vorspiel erstmals aufnimmt. Es durchzieht als großes Thema in Wort und Musik die ganze Oper.

    Hindemith folgt mit seiner Komposition dem seit Cardillac für ihn typischen Prinzip der Stilisierung. Die Musik-Abschnitte sind durchkomponierte Szenen. Sie werden von diversen einheitlichen Passagen durchzogen: Liedern und Gesängen, Duetten, Ensembles, Chorsätzen, viele davon rezitativisch angelegt. Auffällig ist das durchwegs transparente, gut durchhörbare Klangbild. Paul Hindemith suggeriert meisterlich eine mittelalterliche, nahezu mystische Atmosphäre. Die Gesangslinie wirkt vielfach konzertant, doch dominiert vor allem eine wortbezogene Ausdrucksintensität.

 

    Premiere im Exil

   Nachdem mdehrere Versuche mit bekannten Schriftstellern gescheitert waren, entwickelte Hindemith das Libretto selbst. Die Gestalt des Mathis ist direkt auf den Meister Matthias Grünewald bezogen, dessen berühmter Isenheimer Altar die hauptsächliche Anregung zur Befassung mit dem Stoff bildete. Die Dichtung handelt von der Entstehungsgeschichte des legendären Meisterwerks und vom Leben seines rätselvollen Schöpfers, von dessen Leben und Werken fast nichts überliefert ist. Lt. Kloiber identifiziert Hindemith Grünewald mit dem um 1480 in Aschaffenburg erwähnten Maler Mathis, der seit 1511 Hofmaler und Baumeister des Mainzer Erzbischofs war.

    Im September 1933 beendete Hindemith den ersten Libretto-Entwurf. Zunächst komponierte er die Vor- und Zwischenspiele; und diese wurden 1934 als Symphonie Mathis der Maler in Berlin unter Wilhelm Furtwänglers Leitung uraufgeführt (und sogleich vom NS-Regime verboten). Nach Umarbeitungen
am Libretto beendete der Komponist im Juli 1935 die Partitur der Oper.

    Die Uraufführung der ganzen Oper fand am 28. Mai 1938 unter Leitung von Robert Denzler im Opernhaus Zürich statt. Die Hauptpartien waren mit Judith Hellwig, Emmy Funk, Georgine von Milinkovic, Asger Stig, Peter Baxevanos, Albert Emmerich, Marko Rothmüller besetzt. Die aus politisch-zeitgeschicht-lichen Umständen verspätete deutsche Erstaufführung erklang am 13.12.1946 im weitgehend unzerstörten großen Haus der Württembergischen Staatsoper, ein beinahe mirakulös frühes Kulturereignis zwischen Trümmern und Ruinen. Unter den ohnehin viel zu wenigen Aufnahmen des in jeder Hinsicht wichtigen zentralen Opernwerks des 20. Jahrhunderts ist unser Live-Mitschnitt ein unschätzbares Tondokument.

 



Nach dem Inferno:
Renaissance mit großer Kunst

   Bertil Wetzelsberger (∗ 1888 ‑ † 1962) war ursprünglich Kunstwissenschaftler mit Staatsexamen und Promotion, dann Kompositions- und Dirigierschüler bei Franz Schalk & Arnold Schönberg. Stark beeinflusst war er durch Begegnungen mit Karl Kraus, Adolf Loos, Oskar Kokoschka.
    Nach ersten Gelegenheits-Dirigaten (als Engelbert W.) gelangte der Anfänger durch einen Ruf Bruno Walters an die Münchner Oper. Ab 1921 arbeitete er als Solokorrepetitor und Assistent von Richard Strauss an der Wiener Staatsoper. Der junge Dirigent setzte sich engagiert für die Musik von Pfitzner, Strauss, Strawinsky, Bartók, Hindemith, Weil und Krenek ein.
    1921 wird er als Bart W. Kapellmeister am Landestheater Salzburg. 1923
geht er ans Opernhaus Düsseldorf, 1926 ans Stadttheater Nürnberg. 1933 avan-ciert er zum Opernchef und Leiter der Museumskonzerte in Frankfurt/M., wenig später auch zum Leiter des dortigen Hoch’schen Konservatoriums. 1937 leitet er in Frankfurt die Uraufführung von Carl Orffs Jahrhundertwerk Carmina Burana, 1940 in München die Uraufführung von Werner Egks Ballett Joan von Zarissa. Zugleich übernimmt er neben Clemens Krauss eine Kapellmeisterstelle in München, geht 1939 ganz an die Bayerische Staatsoper, wirkt nach Kriegsende maßgeblich bei der Wiederaufnahme des Opernbetriebs im Prinzregententheater mit.
   Zur Saison 1946/47 wird er als Musikdirektor und Intendant an die Württem- bergische Staatsoper berufen. Dort bringt er in deutschen Erstaufführungen Strawinskys Geschichte vom Soldaten, Orffs Agnes Bernauer & Hindemiths Mathis der Maler heraus. Er leitet den Aufbau des Repertoires mit einem Ensemble aus alten und neuen Kräften, dirigiert vielfältiges Repertoire von Entführung über Rigoletto bis Verkaufte Braut. Er hat diese Position bis 1949/50 inne.
    Danach arbeitet er nur noch als Gastdirigent, vor allem bei europäischen Klangkörpern, mit denen auch Tonaufnahmen entstehen, bei Rundfunkorche-stern, schließlich auch als TV-Moderator. Sein lebenslanger Einsatz für die Werke aus Spätromantik und Moderne setzte Marksteine der neueren Musikgeschichte. Das Grab des bedeutenden Musikers liegt auf dem Stuttgarter Pragfriedhof. Es ist kaum glaublich, dass sich Wetzelsbergers Spur in der heutigen Fachpublizistik und in den Tonträgerverzeichnissen kaum mehr findet. Umso wichtiger das vorliegende Tondokument.

 

Engelbert Czubok (∗ 1902 ‑ † 1967) war eine der dominanten Sängergestalten
der Stuttgarter Oper. Dreieinhalb Jahrzehnte lang stand er im Mittelpunkt des Ensembles, während dreier Phasen der Geschichte des bedeutenden Hauses, vergleichbar nur dem ähnlich herausragenden Heldenbariton Max Roth, seinem Zeitkollegen für mehr als 20 Jahre. Czubok war der universelle Charakterbariton, neben Richard Bitterauf vor allem im italienischen Fach, vorrangig in Verdi-Partien, aber auch in Werken der Klassik, Romantik und Moderne. Er stammte aus Mähren, begann seine Sängerlaufbahn 1924 am Deutschen Theater in Prag als Chorist, konnte aber schon 1925/26 als Solist auftreten. 1927 kam er ans Opernhaus Breslau (Wroclav), wo er 1928 in der Titelrolle von Weinbergers Schwanda der Dudelsackpfeifer einen Triumph feiern konnte. 1930 folgte er einem Ruf der Stuttgarter Staatsoper. Er wurde schnell zu einem der Stars des Hauses und Publikumsliebling. Er wirkte in den Ur- und Erstaufführungen von Hinde-miths Mathis der Maler, Cileas Arlesiana und Hermann Reutters Don Juan und Faust mit. Sein Repertoire reichte von Papageno bis Amonasro, mit Almaviva, Don Giovanni, Guglielmo, Graf Eberbach, Zar Peter, Rigoletto, Luna, Germont, Posa, Carlos di Vargas, Malatesta, Marcel, Sharpless, Mandryka, Morrone und Arcesius in d’Alberts Toten Augen. Mit dem Mathis gastierte er auch im Ausland. Erst 1965 nahm er seinen Bühnenabschied, bleib dem Stuttgarter Haus bis zu seinem Tod weiter als Gast verbunden. Seine Tondokumente sind rar oder zu spät aufgenommen. Unser Mitschnitt präsentiert den vielseitigen Sänger noch
in der Frische und Kraft seiner Glanzzeit.

 

Anton John (∗ 1910 ‑ † 1967) war einer der interessantesten Tenöre der 1940er bis 1960er Jahre — kaum medial vermittelt, doch von spezifischem Profil und oft faszinierender Wirkung. In Stuttgart war er der Vertreter eines Fachspektrums, in das sich später drei Erstrang-Tenöre — Windgassen, Traxel, Tobin — teilten, als eine Art jugendlich-dramatischer Charakter- und Alles-Sänger. Sein Aufstieg vollzog sich zögerlich. Nach ganz kurzer Ausbildung begann er 1933 als Chorist am Pfalztheater Kaiserslautern, war dann Mitglied der Opernchöre in Augsburg und Kassel. Nach weiterer Ausbildung wurde er dort 1939/40 als Solist engagiert. 1940 – 1942 war er als lyrischer Tenor am damaligen Stadttheater Hanau, danach am Nationaltheater Mannheim. 1943 gelang ihm der Sprung als Erstfach-Tenor mit universellen Aufgaben an die Württembergische Staatsoper, wo er bis 1950 unter Vertrag blieb. Danach war er Ensemblemitglied an den Opernhäusern von Gelsenkirchen und Augsburg, hatte dazu einen Gastvertrag mit dem Opernhaus Bern, gastierte an zahlreichen deutschen Opernbühnen. 1963 beendete er seine Laufbahn in Augsburg als Erik im Fliegenden Holländer, immer noch frisch und kraftvoll bei Stimme und universell einsetzbar in lyrischen, jugendlichen, Spinto- und Charakterpartien: Tamino, Florestan, Max, Siegmund, Parsifal, Radames, Canio, Hermann, Bachus, Pedro, Palestrina, sogar Othello. Seine tönende Hinterlassenschaft ist äußerst schmal, sein Brandenburg somit eine veritable Fundsache.

 

Otto von Rohr (∗ 1914 ‑ † 1982) war der führende Bassist der Württembergi-schen Staatsoper und ein gefeierter Favorit des Stuttgarter Publikums, zugleich ein international geachteter Protagonist vor allem im deutschen Repertoire. Er hatte bei Hermann Weißenborn (dem späteren Lehrer Fischer-Dieskaus) studiert, debütierte 1938 als Sarastro in Duisburg, wurde dort als Nachfolger Robert von der Lindes als 1. Bass verpflichtet. Schon 1941 holte ihn die Stuttgarter Staats-oper, die bis zu seinem Bühnenabschied sein Stammhaus blieb. Seit 1946 hatte
er auch einen Gastvertrag am Opernhaus Frankfurt/M. Infolge dieser Präsenzen kam er zu vielen Solo- und Gesamtwerk-Aufnahmen aus unterschiedlichen Repertoires beim Südfunk und beim Hessischen Rundfunk. Im Fach des Basso profodo war er bald weltweit gefragt: Scala di Milano, Grand-Opéra Paris, Staatsoper Wien, San Carlo Lissabon, Maggio Musicale di Firenze, Teatro Colón Buenos Aires, San Francisco, Rio de Janeiro, die führenden Opernhäuser in Deutschland (Berlin, Hamburg, München), Schweiz (Zürich, Basel), Italien (Bologna, Genova, Torino, Napoli), Frankreich (Marseille, Strasbourgh). Er sang das gesamte Serioso-Repertoire, von Händel bis Strawinsky, dazu Oratorien, Lieder, Balladen. Sein Wirken ist, namentlich bei Rundfunkanstalten und in
Live-Mitschnitten, breit dokumentiert. Das Hamburger Archiv hat ihm eine
CD-Edition gewidmet.

 

Emmy Stoll (∗ 1913 – ?) gehörte zu den einst hochrangigen, dann aber nahezu vergessenen deutschen Erstfach-Sopranistinnen. Ihre Anfänge sind nicht mehr feststellbar, Bilder nicht zu finden. Sie debütierte 1936 am Pfalztheater Kaisers-lautern, kam dann über Augsburg 1938 an die kurzlebige Volksoper Berlin, war danach 1943 – 1944 am Stadttheater Essen, nach Kriegsende schließlich an der neu erstehenden Württembergische Staatsoper, wo sie bis 1949 zum Ensemble gehörte. Danach verlieren sich ihre Spuren. In Berlin war sie die Titelheldin in der deutschen Erstaufführung von Verdis Giovanna d’Arco. Die Ursula in der heute als spektakulär geltenden Erstaufführung von Hindemiths Mathis der
Maler
ist ihr wohl wichtigster Beitrag zur neueren Opernhistorie. Sie tendierte offenbar bald ins dramatische Fach — nach Verdis Luisa mit Aida, Tosca, Turandot. Sie war mit dem Bassbariton Herbert Gosebruch verheiratet, der in Berlin und Essen sang und im Bayreuth der frühen 1940er in kleinen Partien auftrat. Es scheint, als sei der Stuttgarter Mathis Emmy Stolls heute einzig verfügbares Tondokument.

 

Wolfgang Windgassen (∗ 1914 ‑ † 1974) war der zentrale Bayreuther Tenor der Wieland-Ära, sang dort nahezu alle Wagner-Tenorpartien, von Erik über Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, Stolzing, Froh, Loge, Siegmund, die Siegfriede bis Parsifal. Er kam aus einer prominenten Sängerfamilie mit den Schwestern von der Osten und dem gefeierten Stuttgarter Heldentenor Fritz Windgassen, seinem Vater. Er begann im lyrischen und Charakterfach, wuchs zum univer-salen Spinto und Dramatico heran, debütierte in Bayreuth in der Wiedereröff-nungs-Inszenierung 1951 als Parsifal, stieg zum wohl populärsten Wagner-
Tenor Europas in der Nachkriegszeit auf. Neben Varnay, Mödl, Rysanek, Nilsson, Hotter, Weber, Greindl, Uhde, Neidlinger war er eine zentrale Figur
des neuen Bayreuth — als moderner Sängerdarsteller, Mitdenker und Mitge-stalter des Wielandschen Musiktheaters. Als solcher erreichte er Weltruhm. Windgassen galt als Idealverkörperung einer neuen, psychologisch fundierten Sicht der großen Tenorpartien Wagners. Dies, obwohl er keineswegs über eine großformatige, schallkräftig-stentorale Heroenstimme à la Melchior, Lorenz, Seider, Suthaus verfügte. Universale Musikalität, Dispositionskunst und Ver-mittlungsgenie prägten seine Interpretationen. In der Erstaufführung des athis erleben wir ihn, am Anfang seiner Laufbahn, noch als Charakter-Lyriker.

 

Lore Wissmann (∗ 1922 – 2007) wurde ab 1939 an der Musikhochschule Stuttgart ausgebildet und konnte drei Jahre darauf im Soubrettenfach als Kordula in Lortzings Hans Sachs an der Stuttgarter Staatsoper debütieren. Man übertrug ihr zunächst kleine Partien. 1946 erreichte sie die Position eines ersten Lyrischen Soprans — mit Partien im deutschen, italienischen, französischen und slawischen Repertoire. Im Lauf ihrer Karriere erweiterte sie ihr Rollenspektrum ins jugendlich-dramatische Fach. Zugleich wurde sie als Interpretin der Moderne eingesetzt, so in Werken von Hindemith, Strawinsky, Orff, Cikker. Bald war sie auch international als Gast gefragt, so am Opernhaus Zürich, den Staatsopern München, Hamburg, Wien, an der Grand-Opéra de Paris, dem Teatro dell’Opera Rom, dem Sao Carlos Lissabon, dem Maggio Musicale Fiorentino und vielen süd- und mitteleuropäischen Opernhäusern. Typische Partien ihres Repertoires waren Cherubino, Pamina, Fiordilligi, Margiana, Frau Fluth, Baronin Freymann, Undine, Micaela, Antonia, Marie, Mimi, Liù, Zdenka, dann auch Agathe, Desdemona, Manon Lescaut, Lisa, Jenufa, sogar Donna Anna, Minnie und Octavian. Auch im zeitgenössischen Repertoire war sie erfolgreich, so mit Hindemiths Regina, Strawinskys Ann Truelove und Egks Ninabella. Sie gehörte zu den Solisten der Bayreuther Festspiele 1951-1956, u. a. als Eva in den Meistersingern. Dem Ensemble der Württembergischen Staatsoper gehörte sie 30 Jahre lang an — als eine der beim Publikum beliebtesten Sängerinnen des Hauses.

 

Hubert Buchta (∗ 1899 ‑ † 1986) - ein Urgestein der Stuttgarter Theaterszene. Der Wiener Tenorbuffo war ein Komödiant von Graden — wendig, waschecht, witzig. Er hatte 1926 in Mährisch-Ostrau als Operettensänger debütiert, kurz in Teplitz-Schönau reüssiert, dann einen Gastauftritt in Stuttgart wahrgenommen
— und war sogleich ans Württembergische Staatstheater engagiert worden. Dort blieb er Ensemblemitglied für 45 Spielzeiten, erst als Lyrischer und Buffotenor, später als Komiker und Comprimario ohne Grenzen. In gut 5600 Vorstellungen sang und spielte er über 120 Rollen. 1965 wurde der Württembergische Kammer-sänger zum Ehrenmitglied des Hauses ernannt. Neben einer praktisch lücken-losen Reihe klassischer Tenorino- und Buffopartien (so Pedrillo, Monostatos, Iwanov, Veit, Georg, Wenzel, Goro, Valzacchi bis zu David und Mime) brillierte er auch als Operettenbuffo vom Dienst und als Charaktertenor, etwa mit der Hexe in Humperdincks Hänsel und Gretel oder Altoum in Puccinis Turandot. Er trat auch in Werken der Moderne auf, so in Erst- oder Uraufführungen von Hindemith, Orff und Egk.

 

Walter Hagner (∗ 1900 ‑ † 1987) hatte bereits eine 25‑jährige Laufbahn an deutschen Opernbühnen absolviert, als er 1946 an die Württembergische Staats-oper verpflichtet wurde. Er stammte aus Oberbayern, wurde in München aus-gebildet, debütierte 1921 in Freiburg, war 1923 – 1926 am Landestheater Darm-stadt, 1927 – 1931 an den Vereinigten Bühnen Eberfeld-Barmen (Wuppertal), dann ein Jahrzehnt am Opernhaus Düsseldorf. Dort sang er 1933 neben Erna Schlüter in der Uraufführung von Winfried Zilligs Der Rossknecht und 1937 in Fritz von Borries’ Magnus Fahlander. 1941 trat er am Teatro Comunale di Bologna auf, kam 1941 – 1944 ans Opernhaus Straßburg, wurde schließlich 1946 ans Stutt-garter Haus verpflichtet. Dort blieb er bis 1961, gastierte dann noch als freier Sänger an europäischen Bühnen, so in Dresden, Antwerpen, Rom, Neapel, Venedig, Florenz und an westdeutschen Opernhäusern. Seine zentralen Partien waren u. a. Leporello, Osmin, van Bett, Plumkett, Daland, Marke, Kothner, Hunding, Hagen, Gurnemanz, Pater Guardian, Alvise, Crespel, Lothario bis
zum Ochs auf Lerchenau. Schon 1927 hatte er in der deutschen Erstaufführung von Janáceks Schlauem Füchslein mitgewirkt. Auch als Konzertsänger war er gefragt. Noch 1968 ist er als Titurel in Venedig aufgetreten.

 

Res Fischer (∗ 1896 ‑ † 1974) war eine Institution der deutschen Opernland-schaft im Allgemeinen und des Opernstandorts Stuttgart im Besonderen. Sie verkörperte die Tradition des Contralto deutscher Provenienz, war eine Bühnenerscheinung von intensiver Ausstrahlung und wie gemeißelter Optik, geschaffen für archaische oder skurrile Frauengestalten wie Erda, Quickly, Ulrica, Knusperhexe, Herodias, Klythämnestra, Amme, Jokasta. Sie studierte in Berlin, Prag, Stuttgart, war auch Schülerin der legendären Lilli Lehmann. 1927 debütierte sie in Basel, blieb dort bis 1935, ging dann bis 1941 ans Opernhaus Frankfurt/M., war danach für 22 Jahre Ensemblemitglied der Württembergischen Staatsoper. Von dort gastierte sie an den großen Häusern in Wien, München, Hamburg, Milano, Rom, Florenz, Paris, Brüssel, Amsterdam, London, Buenos Aires und in Osteuropa. Sie wirkte in Ur- und Erstaufführungen von Pfitzner, Weingartner, Toch, Hindemith, Wagner-Régeny, Orff mit. Gefeiert waren ihre Auftritte als Orpheus, Ortrud, Fricka, Waltraute, Eboli, Amneris, Gräfin in Pique Dame und Küsterin in Jenůfa. 1942 gab sie die Marcellina in Mozarts Figaro bei den Salzburger Festspielen, 1959 – 1961 die Mary im Fliegenden Holländer in Bayreuth. 1965 wurde sie zum Ehrenmitglied der Württembergischen Staatstheater ernannt.
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