Giuseppe Verdi (1813 ‑ 1901)

Falstaff

 

Lyrische Komödie in drei Akten von Arrigo Boitò
nach William Shakespeares The Merry Wifes Of Windsor und Henry IV.
Uraufführung: 9. Februar 1893 Milano, Teatro alla Scala

Radioproduktion Westdeutscher Rundfunk
r. Januar 1966

Leitung: Mario Rossi

 

Sir John Falstaff Dietrich Fischer-Dieskau
Ford, Alices Gatte Marcel Cordes
Fenton, verliebt in Nannetta Horst Wilhelm
Dr. Cajus Eberhard Katz
Mrs. Alice Ford Wilma Lipp
Nannetta, ihre Tochter Lily Sauter
Mrs. Quickly, Alices Freundin Grace Hoffman
Meg Page, Nachbarin Elisabeth Schärtel
Bardolph, in Falstaffs Dienst Martin Häusler
Pistol, ebenso Heiner Horn

 

Kölner Rundfunkchor
Rundfunk-Sinfonieorchester Köln

 


 

Die Handlung

 

Ort und Zeit: Windsor (Berkshire) in England, um 1400

 

1. Akt — 1. Bild — Das Wirtshaus Zum Hosenband

 

In den Schankraum, wo der dicke Sir John Falstaff seine Tage verbringt, dringt Dr. Cajus ein. Er klagt den Ritter an, eines seiner Pferde zuschanden geritten und einen Diebeszug der Diener Bardolph und Pistol ermöglicht zu haben. Falstaff räumt den Vorfall ein; doch die Diener leugnen. Da Cajus keine Beweise vorlegen kann, erklärt Falstaff die Klage für abgewiesen. Cajus schwört, künftig Falstaffs Gesellschaft meiden zu wollen. Da kommt der Wirt mit der Rechnung, muss aber erkennen, dass sein Dauergast pleite ist. Dieser sucht auf dreiste Art wieder zu Geld zu kommen: An die Bürgersgattinnen Alice Ford und Meg Page hat er Liebesbriefe gleichen Wortlauts geschrieben. Sie könnten ihm die Kassen ihrer Ehemänner öffnen. Falstaffs Diener sollen die Schreiben überbringen. Doch sie weigern sich: Solches Ansinnen gehe ihnen gegen die Ehre. Falstaff verhöhnt ihr Getue: Die Ehre sei nur eine Schimäre, eine Floskel, inhaltsleer und vergänglich. Er jagt die Spitzbuben hinaus und beauftragt den Pagen Robin.

 

 

1. Akt — 2. Bild — Der Garten des Hauses Ford

 

Beide Damen haben Falstaffs Briefe erhalten. Sie lesen einander daraus vor und bemerken die Identität des Wortlauts. Empört und zugleich amüsiert beschließen sie, dem frechen Ritter eine Lehre zu erteilen. Die gemeinsame Freundin Mrs. Quickly, eine Frau mit Schalk und Esprit, wird ihm einen Brief von Alice überbringen, der ihn zum Stelldichein einlädt. Dabei soll er dann wegen seiner Lüsternheit und Dreistigkeit zum allgemeinen Gespött gemacht werden. Währenddessen ist auch der Hausherr Ford von Bardolph und Pistol über die Absichten ihres Herrn unterrichtet worden. Zornig fasst er einen Plan: Er will Falstaff mit Geld ködern, in sein Haus locken und mit der ungetreuen Gattin in flagranti erwischen. Dazu spricht er sich mit Nachbarn ab. Die Intrigantenzirkel beraten. Fenton und Fords Tochter Nannetta schwören einander Liebe und Treue.

 

 

2. Akt — 1. Bild — Das Wirtshaus Zum Hosenband

 

Falstaffs Diener beteuern Reue und ersuchen um Wiederaufnahme in des Ritters Dienste. Da bringt die Quickly Alices Einladung. Heute zwischen 2 und 3 Uhr soll der Ritter ihr einen Besuch abstatten. Falstaff frohlockt, alles scheint gut für ihn zu laufen. Noch dazu wird ihm ein Morgentrunk serviert — ein Herr ersuche darum, ihm aufwarten zu dürfen: Falstaff empfängt den Spender gern. Ford erscheint und stellt sich als Mr. Fontana vor. Er gesteht, bis zum Wahnsinn in Alice Ford verliebt zu sein, die ihn jedoch immer abweise. Wenn es dem für seine Unwiderstehlichkeit bekannten Ritter gelänge, sie zu verführen, werde sie sicher auch Fontanas Werben nachgeben. Dafür stelle er eine Menge Geld bereit. Der ebenso geschmeichelte wie auf Reibach versessene Falstaff protzt, bereits eine amouröse Verabredung mit der Dame zu haben. Als er abgeht, um sich in Staat zu werfen, bricht aus Ford-Fontana Eifersucht und Wut hervor. Um sein Spiel nicht zu gefährden, beherrscht er sich. Arm in Arm machen sich die beiden auf den Weg.

 

 

2. Akt — 2. Bild — Im Hause Ford

 

Alice ist bereit für Falstaffs Besuch. Quickly kündigt sein Kommen an. Nannetta ist betrübt, weil der Vater sie an Dr. Cajus versprochen habe. Sie wird von Alice getröstet. Falstaff tritt auf; er präsentiert sich mit Madrigalgesang. Als er Alice umarmen will, stürzt Quickly herein: Die eifersüchtige Meg dränge ins Haus. Falstaff taucht hinter einem Paravent ab. Doch schon kommt Quickly wieder: Ford sei mit Nachbarn im Anmarsch, schäumend vor Wut. Falstaff flüchtet in einen Waschkorb. Die Männer durchsuchen das ganze Haus. Auch Fenton ist gekommen, er huscht mit Nanetta hinter den Paravent. Als Ford dort Geräusche hört, formiert er seinen Trupp zum Angriff auf den dahinter vermuteten Falstaff, findet aber nur das Liebespaar. Das steigert seine Wut. Während die Suche in anderen Teilen des Hauses weitergeht, befiehlt Alice ihrem Gesinde, den Waschkorb hinauszutragen und in die Themse zu entleeren. Unter lautem Gejohle aller versinkt Falstaff mit der Wäsche im Fluss.

 

 

3. Akt — 1. Bild — Vor dem Gasthaus

 

Durchnässt und verfroren beklagt Falstaff die Schlechtigkeit der Welt. Eine Kanne Glühwein belebt seine Lebensgeister. Als die Quickly erscheint, um ihn zu einem neuen Rendezvous bei Alice zu animieren, lehnt er brüsk ab. Doch die gerissene Intrigantin schafft es, ihn durch ein romantisches Szenario zu motivieren: Als Schwarzer Ritter kostümiert, mit Hirschgeweih gekrönt, soll er um Mitternacht im Park von Windsor an der Eiche des sagenhafter Ritters Herne erscheinen. Was Falstaff nicht ahnt: Dort soll er bloßgestellt, verprügelt und verspottet werden. Ford plant, im Dunkel der Nacht Nannetta mit dem als Mönch verkleideten Dr. Cajus zu vereinen. Doch Quickly hat diese Verabredung belauscht; sie sorgt dafür, dass auch Fenton als Mönch kommen wird.

 

 

3. Akt — 2. Bild — Im Park von Windsor

 

Im Mondschein besingt Fenton seine Liebe. Falstaff erscheint an der Herne-Eiche. Er entdeckt Alice, drängt stürmisch auf sie ein. Da treten Nannetta und die Bürgerstöchter von Windsor als Feenzug auf. Falstaff versteckt sich, wird aber bald gefunden und von einem wilden Heer von Spukmasken bedrängt, gezwackt, gepiesackt. Als er unter den Geistern seine beiden Bediensteten entdeckt, beginnt er das Spiel zu begreifen. Als Höhepunkt der großen Maskerade sollen nun die Heiraten stattfinden. Ford lässt zwei verkleidete Paare trauen. Als die Masken fallen, muss er erkennen, dass Nannetta mit Fenton, Dr. Cajus aber mit Bardolph verheiratet wurde. Falstaff und Ford zeigen sich angesichts des allseits belachten Täuschungsspiels versöhnlich. In einer großen Finalfuge gibt der Ritter die lebenskluge Erkenntnis aus: Alles ist Spaß auf Erden.

 


Musikdrama als Kammerspiel:
Verdis genialisch-heiterer Schwanengesang

 

Nach einem langen, mit dramatischen Werken reich gefüllten Schöpferleben wendet sich Giuseppe Verdi als Achtzigjähriger der klassischen Komödie zu. Ein an Kreativität und Meisterschaft gleichrangiger Librettist, Arrigo Boitò, selbst bedeutender Musikdramatiker, der schon den Otello grandios für die Opernbühne eingerichtet hatte, liefert ihm in diskursiver Kooperation die Dichtung, adaptiert dafür meisterlich Szenen und Motive aus des Stratforder Meisters Merry Wifes und Henry IV. Verdi, der in La Forza del Destino die letzte seiner zahllosen Cavatinen und Caballetten präsentiert hatte, war einen langen Weg gegangen — vom Blut- und Rachestück zur säkularen Literaturoper, vom Belcanto-Genre zum durchkomponierten Musikdrama. Im Falstaff vereinen sich, summierend und kulminierend, kompositorisches Genie auf dem Gipfel, ungebrochene, doch gelassene Schöpferkraft und eine Fülle packender und beglückender Momente, Belege effektstarker, geistvoller, gelöster Meisterschaft.

Zentrales Merkmal der Falstaff-Partitur ist souveräne Einfachheit. Sie äußert sich schon in der Wahl von Tonarten ohne Vorzeichen und in einer transparenten, unkomplizierten Harmonik. Der im Otello erreichte Stil der Vollreife (R. Kloiber) wird mit gänzlich veränderter Tonsprache voll ironischen Flairs bekräftigt und vertieft. Die formale Struktur, auch die ariosen Phrasen sind von den dichterischen Gliederungsvorgaben geprägt, so im Ehre-Monolog, im Pagen-Couplet, im großen Ford-Monolog.

 

Das ganze Werk ist durchkomponiert und wird von flüssigem Parlandostil beherrscht. Die großen, weitschwingenden Gesangslinien der typischen Verdi-Oper sind von kurzgliedriger Themensetzung verdrängt. Nur an wenigen Ruhepunkten werden blühende lyrische Kantilenen gleichsam eingestreut — so die Duette der Liebenden, Fentons Serenade, Nannettas Elfenlied. Die Satztechnik ist polyphon; ihre artifiziellen Schwerpunkte erreicht sie in den großen Ensembles und in der gewaltigen Schlussfuge.

 

Bewunderungswürdig ist die virtuos-differenzierte Charakterzeichnung der Personen, auch in den Ensembles, exemplarisch im Finale des 2. Akts in der Parallelität des Quartetts der Damen (graziös-tänzerisch im 6/8-Takt) im Kontrast zum polternden Stakkato des Männerquintetts. Meisterhaft auch die Instrumentation: Ein diffiziles, filigranes Orchestergeflecht untermalt in beschwingtem Buffastil diskret die Handlungsabläufe, offeriert zugleich eine Fülle witziger Instrumentaleffekte. Wir erleben das Phänomen einer De-facto-Kammeroper mit Mitteln eines großbesetzten, vielfältig brillierenden Orchesterapparats. Falstaff ist ein alleinständiges Meisterwerk, mit dem sich ein musikdramatischer Genius an der Jahrhundertschwelle in unverwechselbar-persönlicher Weise auf dem Musik-Parnass eingetragen hat.

 

 

Brillant, geistvoll, ironisch:
Ein Repertoirejuwel für Kenner

 

Im Gegensatz zu den ewigen Repertoire-Highlights aus Verdis Feder, etwa seiner mittleren Periode (Rigoletto, Trovatore, Traviata) oder späteren Musikdramen (Aida, Otello), war Falstaff nie ein Werk mit Breitenpopularität und Wunschkonzert-Appeal. Die differenzierte, mit delikaten Effekten und musikalischen Raffinements gespickte Partitur, geistvoll-charmant und kauzig-burlesk, enthält keine typische Verdi-Canzone; sie war stets ein Gustostück für Anspruchsvolle, Ästheten, Kenner.

 

Ähnlich stand es stets um den Sondercharakter der Aufführungspraxis — eher ein Anlass‑ als ein Repertoirewerk. Ungeachtet des stürmischen Erfolgs der Weltpremiere 1893 in der Mailänder Scala, mit dem Dirigenten Edoardo Mascheroni und einem Spitzenensemble um die beiden Weltrang-Protagonisten Victor Maurel (Titelpartie) und Antonio Pini-Corsi (Ford) griffen die Weltbühnen eher zögernd zu, nahmen nur wenige Dirigier- und Sängerstars es in ihr Repertoire auf. Verdis effektreiches Alterswerk, schon als Shakespeare-Komödie eigentlich ein Fressen für Sängerdarsteller, blieb auch interpretatorisch eine Art Liebhaberobjekt, Spezialistenaufgabe, Geheimtipp. Die Uraufführungssänger Stehle, Guerrini, Garbin, Pini-Corsi, Arimondi und natürlich Maurel haben Tondokumente der frühen Acoustic-Ära hinterlassen — doch nur Maurel, italofranzösischer dunkel timbrierter Charakterbariton-Star des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Uraufführungssänger der Zweitfassung des Simone Boccanegra und des Tonio in Pagliacci, ist mit einem Falstaff-Auftritt dokumentiert.

 

Der Blick auf die Gesangshistorie bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckt uns nur eine Handvoll Titelrollenträger von bleibender Berühmtheit: Antonio Scotti, Giacomo Rimini, Mariano Stabile, Lawrence Tibbett bis Leonard Warren, Tito Gobbi, Giuseppe Taddei. Mit der von Arturo Toscanini veranlassten Titelverkörperung durch den eigentlich lyrischen Bariton Mariano Stabile, einen vielseitigen Mozart- und Verismo-Sänger, verbindet sich die Re-Animation des Werks fürs Weltrepertoire im zweiten Golden Age an der Scala, bei den Salzburger Festspielen der 1930er Jahre und bei Stagioni und Tourneen in Europa. Stabile sang die Partie mehr als 30 Jahre lang; noch der über 60‑Jährige hinterließ nach Schellack-Singles und zwei Live-Mitschnitten eine Radio-Einspielung. Seine Interpretation wurde stilbildend, obwohl die Partie eigentlich für einen Heldenbariton oder Basso-Baritono ausgelegt ist.

 

Unter den wenigen Sängern des deutschen Sprachraums, die sich mit Falstaff und Ford in die Bühnengeschichte eingesungen oder sogar mit Tondokumenten erinnerlich gemacht haben, finden sich interessante Duos wie Hann & Rehkemper, Prohaska & Domgraf-Faßbaender, Edelmann & Poell, Hotter & Schellenberg, Reinmar & Peter; insgesamt nur eine Handvoll Produktionen. Auch die Ausbeute an Tonaufnahmen ist verschwindend gering. Das änderte sich seit der von Carl Ebert initiierten Produktion der Städtischen Oper Berlin (der heutigen DOB).

 

Dem Premierenabend am 22.12.1957 waren wochenlange Vorberichts-Spekulationen vorausgegangen, das Ereignis selbst mit Spannung erwartet worden. Denn Ebert hatte — wohl animiert durch die jahrzehntelange Rollenidentität mit Mariano Stabile — den jungen, als Lied- und Oratoriensänger, auch als Darsteller lyrischer Baritongestalten (wie Almaviva, Wolfram, Valentin) zu frühem Ruhm gelangten Dietrich Fischer-Dieskau mit der Titelpartie des schwergewichtig-verlotterten Ritters betraut. FiDi, allseits eher als introvertierter, ernst und gemessen auftretender Serioso erlebt, nun als burlesk-komische, noch dazu prallfette, lüsterne, saufselige Komödiantenfigur — das war zunächst niemandem vorstellbar, weder stimmlich, noch stilistisch, noch gar bühnenfigürlich.

 

Schon diese Titelrollenbesetzung war also auf Furore angelegt. Doch auch das übrige Ensemble verkörperte mit Elfriede Trötschel, Lisa Otto, Horst Wilhelm, Sieglinde Wagner deutsches Topniveau. Dazu stand mit Marcel Cordes, dem neben Josef Metternich führenden deutschen Italo/Verdi-Bariton und universalen Sängerstar der Bayerischen Staatsoper, ein weiterer neuer und gerade als Antipode der überraschend besetzten Titelpartie gespannt erwarteter Ford auf dem Programmzettel. Der Abend wurde, unter Alberto Eredes kompetentem Dirigat, ein Sensationserfolg. Fischer-Dieskaus darstellerisch pralle, umwerfend komische, sängerisch virtuos-grandiose Darstellung war das Zeitgespräch unter Opernfreunden allerwegen, die Paarung FiDi & Cordes ein maßstabsetzendes Ereignis, das umgehend Nachspiel-Serien in Berlin, dann eine weitere Neuinszenierung für die Münchner Opernfestspiele bewirkte.

 

Fischer-Dieskau galt ab sofort als die deutsche Inkarnation der Falstaff-Partie, konnte gleich die Monologe und mit ihnen eine Verdi-Arien-LP aufnehmen. Cordes wiederum erhielt Angebote für neue Falstaff-Produktionen überall im deutschen Sprachraum, mit und ohne FiDi, so in München, Stuttgart, Köln, Düsseldorf/Duisburg, Hamburg. Auf seinem übervollen Terminkalender war Ford neben Rigoletto und René bald die häufigste Partie. Er kommentierte: Ich bin der Bundesford.

 

Die damalige Situation der Opern- und Gesangsszene war eine an Stimmen, Ensembles, Häusern, Produktionen überaus reichhaltige und hochkarätige, selbst im Weltvergleich. Leider entsprach ihr keine Dokumentation in Tonaufnahmen und Mitschnitten. Die deutschen Industrie-Labels, meist Tochtergesellschaften internationaler Konzerne, produzierten für regionale Märkte, durchwegs Standardrepertoire und Bestselling-Pieces, mit wenigen festen Vertragskünstlern. So kam es, außer Fischer-Dieskaus Falstaff-Monologen, weder zu einer Werkaufnahme noch zu Quer- oder Ausschnitteinspielungen des Werks. Hätten nicht die deutschsprachigen Rundfunkanstalten mit regionalen Kräften und sendereigenen Chören und Orchestern eine reiche, breite (wenn auch oft in den Werkumfängen stark beschnittene) Aufnahmetätigkeit entfaltet, zahllose wichtige und wertvolle künstlerische Leistungen wären verloren gewesen; es sind ohnehin allzu wenige geblieben.

 

Doch eben dieser Situation verdanken wir die Existenz der hier vorliegenden Dokumentation von Falstaff in deutscher Sprache mit einer hochkarätigen Besetzung und der Paarung Falstaff & Ford mit Dietrich Fischer-Dieskau und Marcel Cordes — in einer Radioproduktion des Westdeutschen Rundfunks aus 1966, fast 10 Jahre nach dem so folgenreichen Berliner Ereignis. Sie bringt uns den Liedsänger des Jahrhunderts und den Italienischen Bariton deutscher Zunge in bester stimmlich-sängerischer Verfassung und ungebrochen-frischer Spiellaune. FiDi sang den Falstaff in den 70er Jahren noch in einer weiteren Münchner Inszenierung unter Wolfgang Sawallisch, auch in einer internationalen Wiener Produktion in der Originalsprache unter Leonard Bernstein (mit Rolando Panerai), die als Gesamtaufnahme auf LP/CD herauskam.

 

Neben den beiden deutschen Klassebaritonen (beide bis heute ohne adäquate Nachfolger) hören wir eine unter Leitung des in Deutschland populären, mit Italo-Oper arrivierten Mario Rossi eine die Kölner Opernressourcen nutzende, mit formidablen Gästen kombinierte Rangbesetzung, darin die Wiener Coloratrice und Lirica Wilma Lipp, die Stuttgarter/Bayreuther Mezzo-Heroine Grace Hoffman, den Berliner/Hamburger Lirico Horst Wilhelm. Die Aufnahme ist auch eine willkommene Reverenza zum 90. Geburtstag des skandalös unterdokumentierten Verdi-Sängers Marcel Cordes am 11. März 2010.

 


Deutsches Aufführungsniveau mit Italo-Impulsen

 

Musikalischer Leiter der Kölner Falstaff-Produktion war der Römer Mario Rossi (1902 ‑ 1992), ein idealtypischer Repräsentant der vom 19. Jahrhundert geprägten italienischen Tradition. Er hatte bis 1925 an der Accademia di Santa Cecilia seiner Heimatstadt studiert. Seine wichtigsten Lehrer waren die Komponisten Ottorino Respighi und Giacomo Setaccioli. 1926 wurde Rossi sogleich 2. Kapellmeister mit universellem Repertoire am Teatro Augusteo in Rom, dem zweiten Opernhaus am Platze, damals geleitet von Bernardino Molinari. Ab 1936 war der Dirigent dann ein arrivierter Mann: Er erhielt er die Leitung des Festivals Maggio Musicale Fiorentino, die er bis 1944 ausübte. Danach hatte er bis 1969 die Chefposition beim Orchestra Sinfonica der RAI Radio Italiana di Torino inne.

 

Von dort prägte er maßgeblich das italienische Musikleben der Nachkriegzeit. Schließlich übernahm er eine Professur am Conservatorio von Turin. Rossi war nicht nur ein vielseitiger Interpret des gesamten italienischen Musikrepertoires (er veranlasste in der ersten Rundfunkproduktion von Rossinis Guglielmo Tell 1951 bei der RAI die Besetzung der Titelpartie mit dem kaum 25jährigen Dietrich Fischer-Dieskau) — sondern auch ein Vorkämpfer zeitgenössischen Musikschaffens inkl. der in Italien nur schwer durchsetzbaren Neuen Wiener Schule und der Zwölftonmusik. Er realisierte zahlreiche Opern- und Sinfonie-Uraufführungen, so von Gian Francesco Malipiero, Goffredo Petrassi oder Nino Rota. Für sein oft bahnberechendes Wirken wurde ihm der Arnold-Schoenberg-Preis verliehen. Rossi war ein häufiger Gast bei deutschen Orchestern und Rundfunkanstalten. Vor allem beim WDR entstanden mehrere Gesamteinspielungen italienischer Opernwerke.

 

Dietrich Fischer-Dieskau (∗ 1926 Berlin ‑ † 2012 Berg/Starnberg), eine Legende schon zu Lebzeiten, gilt als wichtigster und wirkungsmächtigster deutscher Sänger der zweiten Jahrhunderthälfte. Er war Schüler des legendären Gesangspädagogen Hermann Weißenborn. Seine Bedeutung wurde so oft und umfassend beschrieben wie seine Biographie und sein Künstlertum und ist darum weithin als bekannt vorauszusetzen. Kein anderer Sänger hat ein so universales Repertoire aller Kategorien, Sparten, Epochen gemeistert wie er. Frühen und dauernden Weltruhm errang er als Liedsänger, gleichsam Wiederbegründer der Repertoiresparte Liederabend, und als systematischer Dokumentarist des abendländischen Liedrepertoires vom Frühbarock bis zur Moderne. Fast noch als Anfänger erregte er Aufsehen bei internationalen Konzertauftritten mit Jahrhundert-Dirigenten. Auf der Opernbühne konnte er nach Anfangsjahren als Lyrischer Bariton (Debüt gleich in Berlin) ausschließlich Partien seiner Wahl darstellen, durchwegs dominante Charakter- und Heldenpartien, wie Don Giovanni, Conte Almaviva, Don Alfonso, Orest, Wolfram, Amfortas, Macbeth, Germont, Renato, Posa, Jago, Amonasro, Falstaff, Onegin, Jochanaan, Barak, Mandryka, Cardillac, Mathis, Mitterhofer, Lear, François d’Assise bis zum Hans Sachs. Er war lange Mitglied der Westberliner und Münchner Oper, gastierte an den wichtigsten Opernhäusern, in allen Musikzentren und bei allen Weltfestivals. Er ist der Sänger mit den meisten Uraufführungen und Werkwidmungen seiner Epoche, so von Britten, Hartmann, Einem, Fortner, Henze, Messiaen, Tippett, Yun, Reimann. Und der Künstler mit den meisten Ehrungen und Auszeichnungen, weltweit.

 

Und der Musiker mit den meisten Tonaufnahmen — sein Recording Catalogue füllt ein ganzes Buch, darin neben unzähligen Lied‑, Arien‑, Oratorien‑, Kantaten‑, Orchester‑ und Kammermusik-Aufnahmen auch eine Fülle von Opernpartien, die er nicht auf der Bühne darstellte, aus einem unglaublichen Spektrum vom Spielbariton über Belcanto und Verismo, Verdi und Wagner, deutschem, französischem und slawischem Repertoire, Raritäten und Spezialitäten, bis weit in die Gegenwart. Seine über 40‑jährige Karriere absolvierte er rund um den Erdball, mit den größten Dirigenten, Instrumentalisten, Sängern. Liedpartner waren u. a. Hertha Klust, Hermann Reutter, Gerald Moore, Karl Engel, Jörg Demus, Wolfgang Sawallisch, Daniel Barenboim, Alfred Brendel bis Svjatoslav Richter und sogar Vladimir Horowitz. Fischer-Dieskau wirkte über seine zentrale Stellung als Jahrhundertsänger hinaus auch als Dirigent, Rezitator, Pädagoge, Schriftsteller, Maler, Sammler, Herausgeber, Dokumentarist. Er wurde selbst Gegenstand vieler biographischer und analytischer Monographien. Unter den Sängern des 20. Jahrhunderts dürfte er die eigentliche Verkörperung des Ideals vom Wissenden Sänger (Martienzen & Lohmann) sein.

 

Marcel Cordes (∗ 1920 Stelzenberg/Pfalz ‑ † 1992 Wörgl/Tirol); eigentlich Kurt Schumacher. Absolvent der Musikhochschulen von Kaiserslautern und Mannheim, Schüler von Richard Schubert und Fritz Krauss, studierte Tenor- und Baritonpartien. Debütierte als Bariton, begann aber als Tenor im Lirico-Spinto-Fach, kam über Kaiserslautern ans Nationaltheater Mannheim, studierte um und begann ab 1951 am Staatstheater Karlsruhe eine zweite Karriere als Bariton. Sie führte ihn schnell an die ersten Häuser des deutschen Sprachraums, ab 1954 als Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper München, von dort mit Teilverträgen an die Musikbühnen in Berlin, Düsseldorf/Duisburg, Stuttgart, Köln, Zürich, mit Gastspielen auch in Hamburg und Wien, schließlich auch an die großen europäischen Häuser wie Staatsoper Wien, Scala di Milano, San Carlo Neapel, La Monnaie Brüssel, Grand-Théâtre de Genève, Opéra de Paris, zuletzt mit einem weiteren Vertrag an der Volksoper Wien. In Hunderten von Einzelauftritten wurde er als deutscher Bariton von Weltrang berühmt — namentlich als Interpret von Verdi-Partien, mit Rigoletto, Nabucco, Renato, Simone Boccanegra, Posa und Ford im Mittelpunkt. Doch auch mit Werken des Belcanto, Verismo, deutscher Spieloper und Spätromantik, schließlich von Richard Wagner und Richard Strauss konnte er sich nachdrücklich profilieren.

 

1962 ‑ 1964 sang er bei den Bayreuther Festspielen Donner und Gunther.

Einer Einladung an die New Yorker Metropolitan Opera konnte er 1956 wegen Terminproblemen nicht folgen. Er war auch im Konzertsaal präsent, mit großen Orchestern unter bedeutenden Dirigenten wie Knappertsbusch, Jochum, Kempe, Leitner, Keilberth, Kubelik, auch als Liedsänger mit Pianisten wie Raucheisen, Altmann. Reimann. Ab 1956 entstanden Schallplatten, seit 1955 noch weit mehr Rundfunkeinspielungen aus allen Genres, Fächern und Stilen, dazu Operngesamtaufnahmen und TV-Auftritte. Zu den neben Verdi dominanten Opernrollen des Sängers gehörten: Wolfram, Figaro, Papageno, Fluth, Enrico, Malatesta, die Hoffmann-Bösewichter, Tonio, Alfio, Marcel, Schichi, Rangoni, Shaklovitij, Fürst Jeletzki. Cordes galt auch als Spezialist für Opernpartien des 20. Jahrhunderts — so in R. Strauss‘ Feuersnot, Pfitzners Rose vom Liebesgarten, Orffs Carmina Burana und Die Kluge, Egks Zaubergeige, Strawinskys Oedipus Rex, Sutermeisters Titus Feuerfuchs. Die zunehmende Ertaubung eines Gehörgangs steigerte seine Stressbelastungen in einer exzessiven Bühnenpraxis. Mitte der 1960er wurde eine Diabetes-Erkrankung diagnostiziert. Als er diese 1969/70 nicht mehr ignorieren konnte, zog er sich im Vollbesitz seiner Mittel von der Bühne zurück. Er lebte bis zu seinem Tod in Tirol. Ein Sängerstipendium In memoriam Marcel Cordes bei der Tiroler Academia Vocalis erinnert an den außerordentlichen Sänger.

 

Seine Tonaufnahmen wurden mit Ende der LP-Ära zunehmend ignoriert, drohten in Vergessenheit zu fallen. Eine große CD-Edition beim HAfG und zahlreiche Wiederveröffentlichungen von Rundfunkaufnahmen beleben die Erinnerung an ihn seit 2009 aufs Neue.

 

Wilma Lipp (∗ 1925 Wien) gehörte zu den Spitzenkräften des berühmten Wiener Mozartensembles und zu den Sängerlegenden der Wiener Staatsoper von den 1940er bis in die 1990er Jahre. Sie war seit ihrem 11. Lebensjahr auf den Sängerinnenberuf vorbereitet worden, u. a. als Schülerin von Anna von Mildenburg und Toti dal Monte. Mit 17 Jahren debütierte sie in Wien in einer Liebhaber-Freilichtaufführung als Rosina in Rossinis Barbier, wurde dann 1945 von der Wiener Oper als Elevin angenommen und in Comprimaria-Partien eingesetzt. Ihre erste größere Bühnenaufgabe war die Adele in der Fledermaus. 1948 konnte sie, angekündigt als Papagena, am Wiener Haus in der Zauberflöte-Premiere unter Josef Krips einspringend die Königin der Nacht übernehmen. Damit war eine neue Koloraturprimadonna gemacht — sie stieg umgehend zu internationalem Ruhm auf, in Paris, München, Berlin, London, dann bei den Salzburger und Bregenzer Festspielen. 1951 war sie der Waldvogel in Wieland Wagners erstem Ring bei der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele. Lange galt sie als Idealbesetzung für Gestalten des Lyrischen Fachs und Koloraturpartien, wie Konstanze, Servilia, Ilia, Frau Fluth, Violetta, Susanna, Marzelline, Gilda, Oscar, Nannetta, Adina, Manon, Olympia, Nedda, Musetta, Sophie, Zerbinetta. Ihr Stammhaus blieb die Wiener Staatsoper, doch sie gastierte an vielen großen Opernhäusern Europas (so in Milano, Brüssel, Zürich) und in Übersee (Met-NYC, San Francisco, Buenos Aires), war vor allem in Deutschland für Opern-Gesamtaufnahmen bei Rundfunkanstalten gefragt.

 

Ihre frühe Glanzpartie der sternflammenden Königin ist in zwei Opernaufnahmen unter Karajan und Böhm dokumentiert. Ab den 1960er Jahren baute die Sängerin ihr Repertoire ins große Lyrische und sogar Jugendliche Fach aus, mit Pamina, Contessa, Donna Elvira, Euridice, Marguerite, Antonia, Alice Ford, Marenka, Rosalinde. Ihr spezifisches, als Koloratursopran nicht zwirnig-klingelig, sondern warm und substanzvoll klingendes Timbre war prädestiniert für Frauengestalten mit jugendlichem, doch fraulichen Flair. Darum war sie auch eine vielgeliebte Operettendiva, auf Bühne und Schallplatte. Wilma Lipp hatte eine lange, von Krisen unbeeinträchtigte Karriere. Auch im Konzertsaal war sie mit Werken von Bach, Händel, Beethoven, Verdi bis zur Moderne eine gefragte Besetzung. Zuletzt übernahm sie wieder Nebenpartien. Erst 1998 beendete sie ihre Laufbahn. Zahlreiche Schallplatten halten ihr Ansehen lebendig.

 

Grace Hoffman (∗ 1921 Cleveland/Ohio ‑ † 2008 Stuttgart) zählte ein Dritteljahrhundert lang zu den international führenden dramatischen Mezzosopranen der Opernbühne. Sie studierte in USA zunächst englische Literatur und Musikwissenschaft. Ihre erste Gesangsausbildung erhielt sie bei der Sopranistin Lila Robeson, dann bei dem Jahrhundertbariton Friedrich Schorr. Bei Giuseppe Gentile und Mario Basiola in Rom setzte sie ihre Studien fort. 1951 gewann sie den Gesangswettbewerb von Radio Lausanne. Im selben Jahr konnte sie, schon 30‑jährig, bei der US Touring Company in der kleinen Partie der Mama Lucia in Cavalleria Rusticana ihr Bühnendebüt geben. Der Erfolg von Lausanne wirkte sich aus: Wenig später erhielt sie die Rolle der Priesterin in Verdis Aida beim Maggio Musicale Fiorentino.


Nach wenigen Gastauftritten gelang ihr 1952 der entscheidende Karrieresprung mit einem Engagement ans Opernhaus Zürich (Einstieg als Azucena in Verdis Trovatore). 1955 wechselte sie mit einem langfristigen Vertrag an die Württembergische Staatsoper Stuttgart (Debüt als Amneris in Aida). Fast 40 Jahre lang blieb sie dem berühmten Haus verbunden, sang dort das gesamte Repertoire für Mezzo und Alt, in Aufgaben jeder Provenienz und Epoche, bald auch Wagner-Partien in den historischen Produktionen unter Wieland Wagners Regie. Solistisch und mit dem Stuttgarter Ensemble gab sie Gastspiele in ganz Europa, so 1955 an der Scala di Milano und 1955 ‑ 1966 in Covent Garden London. Gastauftritte hatte sie an der Münchner Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin, der Deutschen Oper am Rhein, den Staatsopern Hamburg und Dresden, der Grand-Opéra Paris, am LaMonnaie Brüssel, der New York City Opera, dem Colón Buenos Aires, der Wiener Staatsoper, in Bologna, Venedig, Neapel, Brüssel, Amsterdam, Kopenhagen, Barcelona, Philadelphia, San Francisco. 1958 trat sie an der Metropolitan Opera New York auf, 1964 auch in der New Yorker Carnegie Hall. Ab 1957 bis 1970 gehörte Grace Hoffman zu den Protagonistinnen der Bayreuther Festspiele; erst als Brangäne im Tristan, dann als Waltraute, Siegrune, 2. Norn im Ring, später auch als Ortrud im Lohengrin. 1978 übernahm sie eine Professur an der Musikhochschule Stuttgart. Ihre Bühnen‑ und Konzertlaufbahn beendete sie am Stuttgarter Haus mit der Mary im Fliegenden Holländer. Ihren Lebensabend verbachte sie in Nürtingen. Ihr Grab fand sie in ihrer Heimat Cleveland. Grace Hoffmann ist der Nachwelt präsent in markanten Opern-Studioproduktionen und zahlreichen Bühnen- wie Festspiel-Mitschnitten, vornehmlich als Wagner-Sängerin. Die Mrs. Quickly im Falstaff ist darum ein besonders schätzenswertes Tondokument.

 

Horst Wilhelm (∗ 1927 Berlin) gehörte zur kleinen Gruppe namhafter lyrischer Tenöre von überregionaler Bedeutung im Nachkriegs-Deutschland. Er war vor allem in Berlin beim Publikum äußerst beliebt ob seiner sympathischen Bühnenerscheinung und Ausstrahlung, des silbrigen, ein wenig körnigen Timbres und der flexiblen Phrasierung seiner mittelgroßen Tenorstimme. Schon als Kind hatte er in Kirchenchören, später im Jugendchor des Berliner Rundfunks gesungen. Nach Krieg und Gefangenschaft studierte er ab 1947 an der Berliner Musikhochschule. Mit dem Attest der Bühnenreife wurde er 1951 sofort an die Westberliner Oper (die heutige DOB) verpflichtet, wo er das gesamte Lirico-Fach, von Mozart und Spieloper bis zu Cassio, Fenton, Stewa sang. 1956 ging er ans Staatstheater Kassel, blieb aber mit Berlin verbunden. 1962 ‑ 1973 war er Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper. Schwerpunkte seiner regen Gasttätigkeit waren die Bayerische Staatsoper München und die Münchner Opernfestspiele, die Staatsoper Berlin und das Staatstheater Hannover, später auch das Théâtre de LaMonaie Brüssel. 1962/63 trat er in Bayreuth als Froh im Ring, 1963/64 beim Glyndebourne Festival als Flamand in R. Strauss’ Capriccio auf. In Hamburg wirkte Wilhelm unter der Intendanz von Rolf Liebermann in mehreren Opern-Uraufführungen mit, u. a. Křeneks Der goldene Bock, Goehrs Arden muss sterben, Wagner-Regenys Prometheus, Pendereckis Die Teufel von Loudon. Geschätzt war er als Konzert- und Oratoriensänger, auch als Operettentenor und Rundfunksolist. Ab 1973 nahm er eine Gesangsprofessur an der Musikhochschule Lübeck wahr. Zahlreiche Schallplatten- und Radioaufnahmen erhalten die Erinnerung an seine Kunst.

 

Lily Sauter (∗ 1934 Zürich) war in den 1960/70er Jahren eine der beliebtesten Vertreterinnen des Soubretten‑ und Lirica-Fachs. Nach umfassender Ausbildung nach den Kriterien der Alten Schule am Züricher Konservatorium und bei Rosina Sasso-Francesconi in Milano hatte sie ihr Bühnendebüt 1961 gleich an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg. Drei Jahre blieb sie dort im Festvertrag, gastierte bereits an zahlreichen deutschen Bühnen. 1964 wurde sie als Nachfolgerin für Friederike Sailer Ensemblemitglied der Württembergischen Staatsoper Stuttgart und blieb dort bis 1982. 1965 ‑ 1966 war sie auch am Opernhaus Zürich engagiert. Ihre Karriere erreichte rasch europäische Dimensionen — durch zahlreiche Gastspiele an führenden Opernbühnen wie der DOB Berlin, der Hamburgischen Staatsoper, dem Opernhaus Frankfurt/M., dem Teatro de Liceo in Barcelona, Nouvo in Milano, dem LaFenice in Venedig, in Genua und Treviso und mit Auftritten bei den Edinburgh Festivals, den Schwetzinger und Münchner Festspielen, 1966 ‑ 1968 auch als Hirt im Tannhäuser und als Blumenmädchen im Parsifal in Bayreuth. Besonders gerühmt wurde sie 1962 als Belisa in Fortners Don Perlimplin und als Regina in Hindemiths Mathis der Maler. Sauters Repertoire war konzentriert auf Leggiero- und Coloratrice-Partien: Blondchen in der Entführung, Susanna in Nozze di Figaro, Rosina im Barbiere, Lady in Martha, Norina im Don Pasquale, Adina im Elisir d’amore, Marzelline im Fidelio, Gretchen im Wildschütz, Marie in Zar und Zimmermann, Musetta in La Bohème, Nannetta im Falstaff, Adele in der Fledermaus. Ihre Hinterlassenschaft an Tonaufnahmen ist gering; zahlreicher waren ihre Auftritte in Radio und TV.

 

Elisabeth Schärtel (∗ 1919 Weiden – † 2012 Weiden). Auch sie war — nach einer Basisausbildung bei Helma Rüdiger und Wilma Kaiser — Schülerin der legendären Anna von Mildenburg. Später nahm sie noch Unterricht bei der Konzertsängerin Henny Wolff in Hamburg. Sie debütierte 1942 in Gießen, begab sich dann auf eine solide Laufbahn: 1943 ‑ 1944 Trier, 1946 ‑ 1950 Regensburg, 1950 ‑ 1951 Freiburg, 1951 ‑ 1957 Braunschweig, schließlich 1957 ‑ 1959 Nürnberg. Dort angelangt, hatte sie schon deutschlandweites Ansehen erworben. Das drückte sich aus in Engagements zu den Bayreuther Festspielen: schon seit 1954 bis 1967 als Mary im Holländer, als Wellgunde, Floßhilde, Siegrune, Grimgerde, dann Erda und Waltraute im Ring, als Magdalene in den Meistersingern, als Knappe und Blume im Parsifal. 1959 wurde sie als erste Altistin ans Opernhaus Köln verpflichtet. Dort wuchs sie vor allem in der Ära Sawallisch-Schuh zur dominanten Repräsentantin des Hauses heran, so als Fricka im Wieland-Wagner-Ring neben London, Varnay, Schachtschneider, Kelemen, Hopf, Nienstedt. Dazu gastierte sie in vielen Opernzentren Europas: Paris, Bordeaux, Zürich, Florenz, Lissabon, Wien und an die großen Häusern des deutschen Sprachraums. Ihr Spektrum reichte vom Spielfach wie Nancy und Marcellina bis zu Wagner-Heroinen wie Ortrud, Brangäne, Kundry und interessanten Partien wie R. Strauss’ Adelaide oder Janáceks Küsterin. Auch als Czipra im Zigeunerbaron machte sie Effekt. In die Opernhistorie ging sie ein durch Mitwirkung in der Uraufführung von B. A. Zimmermanns Soldaten. Im Konzertsaal trat sie noch bis 1973 auf. Zuetzt wirkte sie als Pädagogin an der Musikhochschule Nürnberg.

 

Eberhard Katz (∗ 1928 Krombach ‑ † 2002 Köln) war einer der interessantesten Exponenten des Kölner Sängerensembles in den 1960/70er Jahren. Für mehrere Jahre stieg er zum Spinto- und Heldentenor auf, dem eine internationale Karriere vorbestimmt schien. Seine Erfolgslaufbahn war aber kurz; später war er auch als Comprimario in universellen Aufgaben diverser Fachrichtungen eingesetzt. Er stammte aus Südwestfalen, wurde zunächst Braumeister (Krombacher). Der prominente Kölner Gesangsprofessor Clemens Glettenberg, Lehrer vieler berühmter Sänger, übernahm seine Ausbildung, und der weltberühmte Glettenberg-Schüler Josef Metternich setzte sie fort. Mit schon 35 Jahren konnte der Tenor schließlich an der Kölner Oper debütieren — als Erik im Fliegenden Holländer. Rasch wurde er bekannt und vor allem als Wagnersänger gefragt. Er gastierte mit wachsendem Erfolg an führenden Opernbühnen: der Deutschen Oper Berlin, den Staatsopern München, Stuttgart, Hamburg, der Deutschen Oper am Rhein, den Staatstheatern Wiesbaden und Hannover, bald auch in Covent Garden London, dem LaMonnaie Brüssel, der Wiener Volksoper, weiter in Frankfurt/M., Essen, Nürnberg, Wuppertal, in Nizza, Lyon, Aix, Rouen, Kapstadt, Tel Aviv. Besonders verbunden war er dem Dortmunder Opernhaus unter seinem GMD Wilhelm Schüchter. Unter seinen jugendlichen, Helden- und Charakterpartien dominierten Florestan, Pedro, Max, Turiddu, Janek, Herodes, Shujskij und Wagner-Heroen wie Tannhäuser, Lohengrin, Siegmund, Parsifal, sogar Tristan. Für Dr. Cajus ist er eine wahre Luxusbesetzung, wie man hören kann.

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© Klaus Ulrich Spiegel