Tenore luminoso

Josef Traxel – Universalist und Solitär

Wirken und Wirkung des deutschen Tenors Josef Traxel hatten ihre große Zeit
in den 1950ern und der ersten Hälfte der 1960er Jahre. Damals stand er in der vordersten Reihe namhafter Sänger und war als ein Spitzentenor seiner Epoche bei Kennern so angesehen (wenn auch nicht unbedingt gleich breitenpopulär) wie die berühmtesten deutschsprachigen Fachkollegen, also etwa Anders, Schock, Dermota, Windgassen, Hopf, Haefliger, Kmentt, Wunderlich.


Stärkste Präsenz erreichte Traxel spätestens nach seinen Auftritten bei den Salzburger, dann – ausdauernder – den Bayreuther Festspielen und durch seine führende Stellung an der Württembergischen Staatsoper Stuttgart. Nach ersten Rundfunkaufnahmen und sogar einer Telefunken-Schellack hatte er ab Mitte der 1950er einen Schallplattenvertrag mit EMI-Electrola, die den Sänger in schneller Folge mit Arien-Einzelaufnahmen, dann in Opernquerschnitten, Oratorien, Kantaten, Konzertstücken, auch Lied-Recitals herausbrachte. In der europäischen Musikszene hielt Traxel eine so dominante wie eigenprofilierte Position. Eine Fülle von Radioübertragungen erweiterte das Spektrum seiner Interpretationen und ihrer Verbreitung – als Protagonist in Opern und Oratorien, darunter vielen Raritäten, teils Ausgrabungen, teils Novitäten. Damit avancierte der Sänger zu einer Art „Spezialist für alles“, zum Tenor ohne Fachgrenzen.


Verlorener Nachruhm?
Seit Traxels Rückzug von Bühne, Podium und Studio, dem eine beachtliche Laufbahn als Gesangspädagoge der ersten Reihe zu folgen schien, spätestens seit seinem überraschend frühen Tod 1975 verlor sich sein tönendes Vermächtnis jedoch rasch im Brunnen der Vergangenheit. Rund 40 Jahre nach Traxels Haupt-wirkungszeit und drei Jahrzehnte nach dem Verblassen seines Ruhms schien ausgerechnet dieser in mancher Hinsicht interessanteste, weil vielseitigste und zugleich stilsicherste deutsche Tenor seiner Epoche zum bloßen Namen histo-risiert, im Gegensatz zu einzelnen Vorgängern und Zeitgenossen. Manche Nachkriegskarriere erlitt ein ähnliches Schicksal

Der Trend ins Vergessen wurde ab den 1960ern noch verstärkt: Einmal durch
die Auflösung lange etablierter Strukturen der deutschen Musik- und Opern-szene. Und, als Folge und Begleiterscheinung, durch gravierende Veränderungen des Tonträger-Marketings. Die Einspielungen „gut verkäuflicher“ Musiker wurden nunmehr international vermarktet. Die Single-Schallplatte verschwand zugunsten der Recital-LP, dann der handlichen, besser nutzbaren, longplay-fähigen CD. Deutsche Gesangsaufnahmen galten auf dem Weltmarkt nur noch dann als erlösfähig, wenn das gesungene Deutsch als Originalsprache deutscher Werke obligatorisch war, so in Werken von Wagner, Strauss, aus Romantik, Spieloper, Kunstlied oder Neuer Musik.


Ein anderer Grund für Traxels Abgang in die Kulturhistorie aber liegt wohl in seiner Persönlichkeit und seiner Kunst selbst. Erstaunlicher- oder bezeichnen-derweise in Eigenschaften und Fähigkeiten, die sich ein paar Jahrzehnte später wohl als Garanten dauerhaften Ruhms erwiesen hätten. Vielleicht wird sich ein solcher mit der Edition des Hamburger Archivs neu aufbauen.


Unterschätzte Meisterschaft
Josef Traxel war kein Rampentenor, kein Star für den Boulevard, kein Bravado mit FFF-Appeal. Mit seiner Künstlerschaft verbinden sich weder außermusika-lische Effekte noch mediale Ausbeutbarkeiten. Seine sängerische Existenz war
im besten Sinne seriös, ernsthaft, gründlich, technisch versiert, interpretatorisch (oftmals: leider) zurückhaltend. Der Glamour des sprichwörtlichen Tenors als Ladies’Man und Herzensbrecher, mit Träne im Knopfloch und Rattenfänger-charme, fehlte ihm völlig. Seine Lebensbahn bietet, im Gegensatz etwa zu
Anders und Wunderlich, auch keinen Stoff für Legende, Tragik, Sentiment.


Traxels Bedeutung wurzelt in primär musikalisch bestimmten Eigenschaften –
vor allem in einer seinerzeit fast anachronistischen Orientierung an der (im „Verismo“ weitgehend verlorenen) klassischen Kunst des Legato, Passagio, Abbellimento, der Cantilena, des Canto fiorito. Insofern ist Traxel, der Univer-salist, zugleich ein Solitär. Und auch ein Vorläufer: Die für ihn bestimmenden Kriterien erlangten neue Aktualität und neue Verbindlichkeit erst, nachdem er selbst aus dem öffentlichen Bewusstsein fast geschwunden war. Heute stehen sie wieder in Blüte, nach der „Krise der Gesangskunst“ in einer Renaissance von Barock und Belcanto.

 

Voce isolata
Traxel war dafür mit einem individuell timbrierten, anpassungs- und expan-sionsfähigen Instrument ausgestattet: Einem Tenore lirico von heller Klangfarbe, einheitlicher Tönung und Dynamik, trotz sensibler Führung offenbar von enormer Belastbarkeit. Der häufig auch auf ihn angewendete (ohnehin allzu inflationär gebrauchte) Begriff „strahlender Tenor“ beschreibt Traxels Organ nicht wirklich – „leuchtend“ wäre das genauere Attribut.

Orientiert man sich an Assoziationen, mit denen berühmte Stimmen oft charak-terisiert wurden (McCormack mit „flüssiges Silber“ / Caruso mit „Kupfer“ / Melchior mit „Bronze“ / Lorenz mit „Messing“ / Ruffo mit „Lava“ / Journet mit „dunkelroter Rubin“ / Gigli mit „Milch und Honig“ / Tagliavini mit „Marzipan“) – dann könnte man bei Traxels Tenorstimme an sonnenbeschienenes Mattgold denken, oder an Sonnenlicht, das durch Morgendunst schimmert. Bei physischer Ermüdung konnte sich dieser Goldglanz leicht mehlig verfärben. Doch zumeist entfaltet sich das weißgelbe Timbre klangschön, obertonreich, mit samtenem, oft fast keuschem Reiz.

“A Singer’s Singer“
Wie kaum ein anderer deutscher Tenor seiner Epoche war Josef Traxel den  sängerischen Standards, der Belcanto-Tradition verpflichtet, wie sie etwa von
De Lucia, Bonci, Giorgini und den Ténors lyriques à la Clément oder Muratore vertreten wurde. Er besaß kein dramatisches, charakteristisches Material, wie Pattiera und Rosvaenge es hatten oder wie es in der Grundausstattung von Anders angelegt war. Doch seine Stimme hatte ein feines, modulationsfähiges Gepräge – und sie wurde konsequent nach dem Ideal des Legato geführt. Die Tondokumente zeigen durchgängig: Alle Gesangstöne sind in einheitlicher Phonation in die Gesangslinie integriert, spannungsvoll im vorderen Resonanz-bereich placiert und über alle Register von dosiertem Atemfluß auf fester Atem-stütze getragen. Man erkennt keine Intonationsprobleme. Die Stimme schwingt blitzschnell ein. Stupende Technik führt den Sänger leicht und sicher aufs „Do
di petto“ und darüber. Die Register sind gut ausgeglichen. Selbst auf extremer Höhe fällt kein Ton aus der Linie.


Freilich hat das einen Preis: Traxels vor allem in der höheren Lage hochkonzen-trierte Tonbildung geht mitunter zulasten atmender, schwingender, vibranter Phrasierung, jenes wünschenswerten Vibratos, das dem Gesang Lebendigkeit und Hall verleiht. Dann kann der Tonansatz steif, nicht völlig frei, instrumental wirken.


Dass dieser Eindruck aber keineswegs ein Spezifikum Traxels benennt, beweisen wunderbar reiche, sogar sinnlich-irdisch wirkende Phrasen, auch in der hohen Tessitura der Barock-Tenorsoli, so in Bachs Weihnachtsoratorium und Händels  Messias. Umgekehrt hört man in Aufnahmen italienischer und französischer Opernauszüge weiß und schwingungsarm klingende Passagen, vereinzelt sogar in Traxels sonst beispielhaften Mozart-Aufnahmen. Auch gibt es Momente selt-samer Ausdruckspassivität, fast phlegmatischer Beiläufigkeit.

Zumeist aber offeriert der Sänger Beispiele lehrbuchgerechten Singens in klassi-scher Manier, von erfüllter Wärme, weithin unbeeinflusst von veristischer „Aus-drucks“-Gestik. In keiner Aufnahme hört man außermusikalische Mittel – kein Schluchzen, Seufzen, Stöhnen, Ächzen, keine Überartikulation, kein Schreien. Traxel ist immer Herr der Linie und der Phrase, integrierter Tongebung und Suggestion aus dem Klang. Seine Wortbehandlung ist vorbildlich. Der Verzicht auf jede Überzeichnung reduziert nicht den dramatischen Gehalt, es evoziert ihn aus dem Geist der Musik. „A Singer’s Singer“, wie es in der englischsprachigen Szene heißt, wenn ein Sänger für Kenner und Spezialisten gemeint ist.


Vielfalt, Fülle, Eigenprofil
Kraft einer faszinierenden Fülle vokaler Ressourcen und sängerischer Souverä-nität vermag sich Traxel regelmäßig über noch so bezwingende Auftritte seiner Zeitgenossen zu erheben. Nur Fritz Wunderlich ist ihm auf einigen primär lyrischen Feldern an Präzision und Ausgewogenheit voraus. Neben dem Arien-Repertoire, das jeder Tenor, der zu Recital-Ehren kommt, einzuspielen hat (weil phantasielose und risikoscheue Produzenten dem Käuferpublikum nichts darüber Hinausweisendes zuzutrauen scheinen), also den allgegenwärtigen Tenor-„Highlights“ aus Rigoletto, Traviata, Trovatore, Martha, Elisir, Bohème, Tosca, Turandot, Carmen etc.etc., finden sich in Traxels Aufnahmenkatalog auch Rari-täten und Herrlichkeiten, die von anderen Tenören gemieden bzw. nicht in Betracht gezogen werden. So etwa Ausschnitte aus Mozarts Clemenza di Tito, Webers Euryanthe und Oberon, Donizettis FavoritaLucia di Lammermoor, Don Pasquale, Ponchiellis Gioconda, Maillards Dragon de Villars, Boieldieus Dame Blanche, (leider fast alles auf Deutsch), dazu Beispiele aus dem dramatischen Fach bis zu Wagner-Heroen.

Josef Traxels Position als Universalist, als fast unbegrenzt wirkungsfähiger Vermittler diverser Musikepochen, Werkkategorien, Fächer und Stile, lässt sich aus seiner breiten (dennoch lückenhaften) Diskographie belegen. Sie stellt den Sänger vom Bach-Evangelisten bis zum dramatischen Charaktertenor, dazu als eine Art belcantesken Drammatico vor. Erst der Siegmund in Wagners Walküre, eigentlich eine Eroico-Partie, zeigt ihn momentweise außerhalb seiner Fach-grenzen.

Seine stilistische Versiertheit und Flexibilität sind auch in einem breiten Kon-zertrepertoire von Bach und Händel, Schumann und Bruckner bis Strawinsky und Orff nachweisbar. Jedesmal gewinnt man den Eindruck: Traxel ist stets in seinem angestammten oder speziellen Fach tätig – ungeachtet aller Gegensätz-lichkeiten werkgerecht, oft meisterlich. Drei Beispiele mögen das belegen.

Zum Ersten:
Traxels Bravourstück bei Soloauftritten war das Postillon-Lied aus Adolphe Adams Le Postillon de Lonjumeau, eine Pièce, die gern von Tenören mit bravou-röser Höhe vorgetragen wird – ausschließlich wegen des hohen D’’ im Finale. Auch Rudolf Schock, nur in seiner Frühzeit Besitzer eines sicheren C’’, hat eine Aufnahme vorgelegt, der beim selben EMI-Label bald die Version Traxels folgte. Der Vergleich ist vielsagend.


Schock rettet sich ins Fingieren. Er produziert ein federleicht wirkendes D’’ mit reiner Falsett-Technik, perfekt gestützt, aber ohne eine Spur von Brustresonanz. Traxel formt einen Legatobogen mit linearem Aufstieg auf ein perfekt sitzendes, sicher gestütztes, leuchtendes D’’: ganz nach dem Ideal der Alten Schule, wonach der Gesangston mit jeder höheren Note einen Hauch mehr kopfresonante Bei-mischung als die vorherige tiefere haben, aber stets einen Restanteil von Brust-resonanz aufweisen soll. Es ist völlig klar, wer der bessere Sänger ist. Doch Schock, ein Routinier des tenoralen Affekts, nimmt die finalen Takte mit emotio-nalem Schwung und der Einlage einer gebundenen Vier-Ton-Figur (absteigendes Gruppetto): „Lo-hohohoho-hongggschümo“, also mit vorschriftswidrig aspirier-ten Vokalen. Aber das hat Verve, macht Laune. Josef Traxel singt eine sauber intonierte, notentexttreue Schlusszeile. Den Gruppetto verlegt er – korrekt gebunden – in den Schlusschor. Er kann so die Wirkung seines Spitzentons nicht doppeln. Der bessere Sänger unterliegt im Wettbewerb ums tenorale Brio. Aber sein D’’ ist ein Traum.

Zum Zweiten:
Kein deutscher Tenor der Nachkriegszeit bis heute (auch Wunderlich nicht)
hat die Kunst des Trillers, des mehrfachen, blitzschnellen Wechsels zwischen benachbarten Haupt- und Nebentönen, auf Tonträger vorgeführt. Deutsche Interpretationen aus dem Belcanto-Repertoire fallen oft zwar wohlklingend, affektiv oder elegisch-verführerisch aus, je nach Stimmfarbe und Ausdrucks-kunst. Doch durchwegs fehlt die Prise Italianità in Form belebender, verzieren-der Nuancierungen. Als Folgewirkung des wagnerischen musikdramatischen Ideals waren sie lange Zeit grundsätzlich verpönt. Gesangstechnische Grenzen, ergo sängerisches Unvermögen, ließen sich so gleichsam ideologisch kaschieren. Das ist heute anders, war aber zu Traxels Zeiten normal, ja sogar normierend.


Nahezu alle deutschsprachigen Tenöre singen den Ohrwurm-Hit Una furtiva lagrima aus Donizettis Elisir d’amore, auch auf ihren Schallplatten, als melancho-lisches Lento-Stück in Form einer konzertanten Romanze. Josef Traxel, der es ausnahmsweise im italienischen Original darbietet, entfaltet nicht nur dezent mit dem Takt atmende Portamento-Phrasierung, er bildet beim Übergang von der Schluss-Kadenz zum finalen Akkord auch einen schwingenden, ausdrucks-vollen, wieder ganz in die Linie integrierten Triller, wie bei den besten Tenori di grazia. Das ist im weiten Umkreis deutscher Vergleichsaufnahmen alleinständig.

Zum Dritten:
Nur wenig aus dem Liedrepertoire des europaweit geschätzten Konzertsängers Traxel ist auf Tonträger gekommen. Und das Verfügbare wird Liedkenner und -liebhaber nicht zur Gänze entzücken, wenn ihre Maßstäbe von Fischer-Dieskau, Haefliger, Schreier bestimmt wurden. Befremdlich scheint, dass Josef Traxel nicht etwa Schumann und Brahms aufnehmen konnte, die seiner Stimmprägung und Persönlichkeit wohl besonders entsprochen hätten. Sondern (neben Schubert und Beethoven) ausgerechnet Balladen von Carl Loewe, also primär rhapsodisch-szenisch angelegte Mini-Dramen, denen am besten mit der Suggestivität von Rezitation und Farbvaleurs, dazu bardenhaft dunklem Stimmgepräge beizukom-men ist. Traxel beschränkt sich bei einer Reihe dieser Stücke denn auch auf nur notengetreuen Vortrag und schönen Ton.

Doch dann liefert er ein sängerisches Meisterstück. In der ausgreifenden, roman-tisch-skurrilen Ballade „Der Nöck“ nach Kopisch, einem naturnahen Stimmungs-bild mit rauschender Begleit-Klaviatur, muss der Sänger dreimal ein weit aus-schwingendes, endlos erscheinendes, mit Triolen und Vorhaltnoten verziertes Melisma bewältigen, beim drittenmal möglichst noch emphatisch gesteigert. Das soll idealerweise cavatinenartig auf einem Atem gesponnen werden, vergleichbar dem langen Melisma bei Il mio tesoro in Mozarts Don Giovanni. Es gibt (mit der Ausnahme Fischer-Dieskau & Demus) keine Nachkriegsaufnahme, die der teuf-lischen Anforderung an einen Atemartisten gerecht wird; nahezu alle Sänger, inklusive prominenter Lied-Interpreten wie Prey und Quasthoff, zerlegen die extrem lange Phrase zum Atemfassen in zwei oder sogar drei Teile.

Josef Traxel liefert die volltönende, klangreiche Alternative. Er singt die Phrase dreimal zwar schnell, doch souverän auf einem Atem durch, muss nichts fin-gieren, verfügt über die Ressourcen für strömenden, ausgeglichenen, sicher gestützen Gesangsfluss ohne Frakturen. Der Ton ist wie immer ganz ins Legato gebettet. Selbst die Schlussfermate reißt nicht ab, sondern schwingt kurz aus.


Vor einem Revival?
Drei Beispiele nur – unter Dutzenden, die sich in der tönenden Hinterlassen-schaft des singenden Künstlers Josef Traxel auffinden lassen. Als Beweise für eine in ihrer Zeit nahezu unzeitgemäße Sängerpersönlichkeit, die (bei wenigen Einschränkungen) maßstäbliche Gesangskunst vorführte – und zugleich ein scheinbar grenzenloses Feld gesangskünstlerischer Betätigung beherrschte.

Vielleicht kann man von einer Wiederentdeckung dieses bedeutenden deutschen Tenors sprechen. Ähnlich wie bei der Callas-Renaissance seit den 1980ern sollte sie sich dann in gesangshistorischer Einordnung, nach primär sängerischen Kriterien vollziehen. Gerade deshalb wird sie dann beeindrucken, in vielen Momenten begeistern.
                                                                                                                 
KUS

Josef Friedrich Traxel / Tenor

* 29. September 1916 in Mainz / † 8. Oktober 1975 in Stuttgart

Gesang stand zunächst nicht auf seinem Lebensprogramm: Als er ein Studium an der Musikhochschule Darmstadt begann, belegte er Komposition und Diri-gieren. Zu einer eigentlichen Gesangsausbildung kam es nicht – Traxel war Autodidakt, was um so mehr erstaunt, da er sich als einer der ganz wenigen deutschsprachigen Vertreter der klassischen Gesangsschule erwies.

Ungeplant debütierte der Weltkriegssoldat, während eines Lazarettaufenthalts als Einspringer „abkommandiert“, als Don Ottavio in Mozarts
Don Giovanni.
Erst nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft begann er seine eigentliche Sängerlaufbahn 1946/47 als bereits 30jähriger am Stadttheater Nürn-berg. Schon ab 1948 war er an Radioproduktionen beteiligt. 1952 wurde er inter-national bekannt durch seine Mitwirkung als Merkur in der offiziellen Urauf-führung von Richard Strauss’ Die Liebe der Danae bei den Salzburger Festspielen. Im selben Jahr berief ihn die
Staatsoper Stuttgart, der er bis zu seinem Bühnen-abschied fest angehörte. Schon 1954 wurde er dort zum Kammersänger ernannt.

Kaum ein anderer Tenor verfügte über ein Spektrum wie Traxel: Von lyrischen Partien in Mozart-Opern, im italienischen & französischen Repertoire (Belcanto und Verismo) bis zum heldischen Fach in Verdi-, Wagner- und Strauss-Opern reichten seine Bühnenrollen. Sein Spektrum umfasste ferner Tenorpartien in Bach-Passionen und -Kantaten, Händel- und
Haydn-Oratorien, Chorwerken der Spätromantik, klassischem Kunstlied, Werken der Moderne (Hindemith, Strawinsky, Orff) bis zu Ausflügen ins Land der Operette.

Gastspiele und Tourneen führten Josef Traxel an wichtige Opernhäuser Europas (inkl. Staatsoper Wien und Scala di Milano) und in die USA, wo er 1964 bei der New York Concert Opera Association als Leicester in Donizettis Maria Stuarda auch als Interpret von Belcanto-Partien überzeugt. Seit 1954 trat er bei den Bayreuther Festspielen auf: als Steuermann und Erik, Walther, Junger Seemann, Froh, Kunz Vogelgesang und Stolzing. Ab 1963 übernahm er eine Gesangs-professur an der Stuttgarter Musikhochschule

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Ein ausführlicher Lebenslauf unter www.josef-traxel.de

Von Belmonte zu Siegmund

Gleich die erste CD der Josef-Traxel-Edition führt den Sänger mit Beispielen aus seinem Kernrepertoire vor. Er war ein prädestinierter Mozart-Interpret. Dafür standen sein mattgolden-schimmerndes individuelles Timbre, seine Legato-Kunst, seine sängerisch-technische Sicherheit. Vor allem die Einzelaufnahmen der EMI zwischen 1956 und 1958 zeigen Traxel in offenbar auch physisch bester Verfassung.

Traxel – der Mozartsänger
Das Prinzip, dem vokalen Klang einbettend Worte zuzuführen (statt umgekehrt der Textartikulation Töne beizugeben), lässt sich exemplarisch beobachten in Nur ihrem Frieden, Der Odem der Liebe und der Flötenarie aus der Zauberflöte. Wie Traxel dort dem Ton Volumen und Farbe gibt, ohne je aus der Linie zu geraten, ist maß-stäblich. In O wie ängstlich und Ich baue ganz auf deine Stärke, dem selten gesunge-nen, meist gestrichenen Belmonte-Solo, können wir die virtuose Koloraturen-Sicherheit, im bruchlos-fließend durchmessenen langen Melisma von Folget der Heißgeliebten des Don Ottavio (bei breitem Tempo des Dirigenten) die beeindruk-kenden Atemreserven des technisch versierten Sängers hören. Stimmlich wie stilistisch steht er so führenden Mozart-Tenören seiner Epoche, etwa Simoneau und Dermota, nicht nach. Ein paar steifere Tonansätze in der hohen Lage fallen da kaum ins Gewicht.

Die seinerzeit als „Rarität“ vermarktete Arie mit Rezitativ Weh mir / Hoffnung,
du Hauch
mit der Quellenangabe Titus ist in Wirklichkeit die berühmte Kon-zertarie Misero! O sogno K.431, die auch als  Einlage in La Clemenza di Tito ver-wendet worden sein mag. Ein diskographisch seltsames Verfahren. Und schade, dass dieses Stück wie auch die Soli aus Giovanni und Così der Zeit entsprechend nur auf Deutsch eingespielt wurden.


Traxel im dramatischen Fach
Wer lyrischen Duktus und Phrasierungskunst Josef Traxels mit Mozart im Ohr hat, wird Gastspiele des Tenors in dramatischen Partien mit Skepsis erwarten. Der Vorbehalt weicht rasch der Faszination. Schon im rezitativischen Entrée von Florestans Klage Gott! Welch Dunkel hier (in beiden Versionen der Komposition) offenbart Traxels Fähigkeit zur Evokation tragischer Konstellationen mit rein musikalischen Mitteln. Der schmerzvolle Intervallsprung auf Gottes Wille, mehr noch die zur Vollhöhe aufsteigende Vision vom himmlischen Reich im Finale, machen die gestemmten Heroentöne mancher Kollegen aus dem „schweren“ Fach zu bloßen Kraftakten. Phrasierte Linie und dosierte Tongebung obsiegen.

Dieses Beispiel und ebenso die Ausschnitte aus Rienzi, Lohengrin, Meistersinger offenbaren, wie belastbar und dabei flexibel Traxels Material, wie unbeschädigt sein weich-samtiges Timbre blieb, gleich was er sang. Ein sicheres Indiz für aufs Primat des Musikalischen orientiertes Singen. Den vielleicht überzeugendsten Nachweis liefert Erik in Wagners Holländer (live aus Bayreuth), als ganz unhero-isch konzipierte Figur, an deren „italienischer“  Tessitura mancher Tenor-Recke gescheitert ist.

Traxels Anverwandlung ausdrucksintensiver Partien beweist sich jenseits sängerfreundlicher Studiotechnik auch auf offener Szene – so mit sehr jugend-lichen, dennoch gewichtigen Gestaltungen von Lohengrin und Walter von Stolzing. Selbst die tiefer liegende Heldenpartie des Siegmund (ebenfalls live) bewältigt der Tenorlyriker mit schön schwingendem, baritonalem Register, vor allem konsequent sängerischen Mitteln, ohne Drücker und Sprechgebell. Manch-mal gibt es – wenig taugliche – Versuche, Vokale durch Umfärbung „schwerer“ zu machen. Und die Wälse-Rufe, atemtechnisch kein Problem für Traxel, ent-behren doch der Klangdimension, die echte Tenori eroici wie Melchior, Suthaus, Vinay entfalteten.


Fabelhaft, formidabel hingegen - kein Ausdruck ist zu stark: Traxels Portraits
der Weber-Helden Hüon und Adolar. Wie sich da stupende Höhensicherheit mit Legatokunst und Klanginstinkt verbinden, das hat bis heute nur in Nicolai Gedda Konkurrenz, ist unter deutschen Fachkollegen einzig geblieben.

Legatokunst, Glanz und Clairté

Die Tonträger-Industrie präsentierte deutsche Sänger bis Mitte der 1970er Jahre meist auf deutsch gesungenen Einzelaufnahmen (Schellacks, später 45er-Singles) – mit Populärem aus gängigem Repertoire. Man produzierte für den deutschen Markt. Solche Tondokumente sind heute gerade noch in Sängerportraits histori-scher Reihen verkäuflich. Die künstlerischen Ergebnisse können nur selten als Spitzen- oder Muster-Beiträge zur Gesangshistorie gelten; sie demonstrieren regionale, manchmal provinzielle Standards.

Traxel all’Opera italiana
Josef Traxel war einer der letzten Repräsentanten jener bis an die 70 Jahre lang dauernden Epoche. Natürlich kam er zuerst mit Arien aus dem italienischen und französischen Fach heraus, stand somit wie alle anderen im Vergleich mit Gigli, di Stefano, Bergonzi oder Thill, Jobin, Vanzo. Und wie deutsche Tenöre vor und nach ihm konnte er darin international nicht konkurrieren. Oder doch? Die damaligen Solo-Platten bieten aufschlussreiches Material.

Traxel überzeugt, auch in historischem und mondialem Vergleich, frappierend als Belcantist, namentlich bei Donizetti. Die deutsch gesungenen Stücke aus Don Pasquale halten historische Vergleiche aus, kommen sogar in Schipa-Nähe. Ähnlich überzeugend in Phrasierung, Tönung, Figuration die Final-Szenen aus Lucia di Lammermoor, im diskographischen Spitzenfeld mehr noch Spirto gentil und Una furtiva lagrima, wundervoll in Timbre und Phrasierung, souverän in Atemführung und Verzierungskunst. In Händels Largo setzt er in der Reprise integrierte Fiorituren, von einem deutschen Tenor eine Rarität. Traxel beweist sich hier als Tenore tedesco di grazia. Schade, dass er wohl nichts von Rossini und Bellini einspielen konnte.

Auch in den Arien aus Verdis Rigoletto und Traviata sind vorzügliche Phrasie-rung, atmendes Legato, leuchtender Ton zu hören. Nicht auf gleicher Höhe stehen die Ausschnitte aus Foscari und Forza, sie informieren über den Standard an deutschen Staatstheatern. Ein verismo-kompatibler Tenor war Traxel auch nicht, da findet sich kaum idiomatisch-atmosphärischer Bezug. Umso beachtli-cher sein prachtvoll aus der Linie entwickeltes C’’ im eiskalten Händchen – das hebt ihn wieder über selbst prominente Kollegen.


Traxel à l’opéra français
Die folgende CD präsentiert Ausschnitte aus dem bunten Strauß der ab 1956
bei EMI erschienenen Einzelaufnahmen – europäische Oper mit ungewöhnlich breitem Schwerpunkt im französischen Repertoire. Wir hören die gleiche Timbrefärbung, Intonations- und Phrasierungskunst wie in den Beispielen aus deutschen und italienischen Werken. Doch erscheint Traxel besonders hier in einer ihm affinen Werke-Welt. In den Beispielen aus Joseph, Africaine, Carmen,
Fra Diavolo, Dame blanche
sind Linienführung, Colorierung und Voix-mixte-Einsatz in vorbildlicher Ausprägung zu vernehmen. Auch wenn (bei einem der Belcanto-Tradition verpflichteten Sänger nicht überraschend) Morendo- und Sfumato-Effekte fehlen: Die „Atmosphäre“ des Chant français ist getroffen, die Dynamik der Textdeutung aus der Musik selbst vermittelt.


Das gilt beinahe noch mehr und dann wieder nur eingeschränkt für stilistisch verwandte Beispiele: Triumphal das finale D’’ im Postillon-Lied, berückend das Mezzavoce-Legato in Des Grieux’ Traumerzählung aus Massenets Manon. Andererseits, nach Traxels Beethoven /Wagner-Aufnahmen überraschend: In
den Auszügen aus Meyerbeers Prophète und Berlioz’ Troyens – Partien für
Ténor héroique – ist der Lyriker an seinen Grenzen, genrefremd, hörbar „vom Blatt“ und muss sich momentweise sogar mühen.


Eine Trouvaille für die Traxel-Diskographie: Die ersten kommerziellen Opern-ausschnitt-Veröffentlichungen von DG 1955 mit Margarete und Die Perlenfischer. Wir erleben den Sänger in Bestform, mit in höchster Lage perfekter Intonation und wundervoller Phrasierung, mühelos und ausdrucksvoll, mit einer ganz aus der Legato-Linie gebildeten, herrlich schwingenden C’’-Fermate in der Faust-Cavatine. Zwei Referenzaufnahmen und Sammlerstücke.

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Erkundungen in gegensätzlichen Welten

Im Großangebot der Opernromantik

Mit für lyrische Tenöre deutscher Herkunft obligatorischen (und deshalb auch ständigem Marktwettbewerb ausgesetzten) Einspiel-Trumpfstücken beginnt diese dritte Box der Josef-Traxel-Edition. Sie sind seit Erfindung der Tonauf-zeichnung von so vielen Sängern unterschiedlicher Fachrichtung, Stimmaus-stattung, Timbre- und Klangfarbe (von Schul- und Stilfragen nicht zu reden) aufgenommen worden, dass es kaum mehr möglich scheint, gerade dabei noch Eigenakzente zu setzen. Traxel erzeugt sie dennoch – im Vergleich etwa zum Farbraffinement von Tauber, zur Bravado-Attitüde von Rosvaenge oder Kiepura, zum Sonnenstrahltimbre des jüngeren Peter Anders, dem Ruhrpott-Sfumato des Universalisten Schock und Dutzender anderer aus drei Generationen.

Wie immer „macht“ Josef Traxel kaum etwas, verzichtet konsequent auf jeden außermusikalischen Effekt, bietet gelassen strömenden Stimmeinsatz, ist vor allem dem Klang und dem bruchlosen Legatofluss verpflichtet. So in Rimskijs Hindu-Lied, Nicolais Serenade Horch, die Lerche, Tschaikovskys elegischem Lenskij-Monolog, vor allem im Di rigori armato, der Arie des Sängers aus dem Rosenkavalier. Diese Stücke gehören, ungeachtet stärkster Konkurrenz, auf den Parnass der Sängeraufnahmen. In solchen Beispielen für lehrbuchgerechtes Singen ohne äußerlichen Effekt ist der Tenor Traxel vielleicht am meisten er selbst.

Damit nicht genug: In souveräner Grenzüberschreitung zwischen Lirico- und Spintofach beeindrucken besonders Traxels mit primär musikalischen (also stimmlichen und sängerischen) Mitteln profilierten Gestalten aus Janácek-Werken: Laca in Jenufa, Luka im Totenhaus und Zivny im Osud. Die offenbare starke Affinität des Tenors zu slawischer Musik prägt sich ein, ist mancher als authentisch geltenden, häufig ganz auf textbezogene Charakterisierung ange-legten Interpretation durch osteuropäische Tenöre an Farbe und Phrasierung überlegen.

Von Musikdramatik bis Moderne
Die Folge von Opernausschnitten aus Werken des 20. Jahrhunderts, von Strauss bis Henze, kann als eine der interessantesten und anregendsten Kompilationen von Traxel-Dokumenten gelten. Außer Di rigori armato war keines der Stücke und Szenen in „offiziellen“ Einspielungen der Plattenindustrie greifbar. Man bringt dies musikalische Spektrum auch nicht sogleich mit dem Sänger in Verbindung, wenn man ihn nur aus Medien kannte. Zeitzeugen, die ihn bei Auftritten auf Bühne und Podium erlebten, erinnern sich auch an einen Meisterinterpreten varianter Charakterpartien in Werken der Moderne. Was deren Kategorien, Stile, Profile betrifft, scheint Traxel tatsächlich kaum Grenzen gekannt zu haben.

Gerade in solchen Tondokumenten überrascht uns der – nicht zu vergessen: klassischer Belcanto-Schule verpflichtete – Sänger mit ans Unglaubliche gren-zender Variabilität von Stimmfärbung, Charakterisierung, Dynamik. Er kann sein Sonnentimbre je nach Musik- & Rollencharakter glätten, körnen, mattieren, verdünnen oder verdichten. Er vermittelt Epheben und Kerle, Liebende und Leidende, Sinnlichkeit und Askese, orgiastischen wie drakonischen Ausdruck.

Frappierend die Anverwandlung der gegensätzlichen Göttertenöre in Richard Strauss’ spätem Opernschaffen: der heroische Apollo in Daphne, eine Spinto-Partie, in der als rollenddeckend etwa Torsten Ralf, James King, Reiner Goldberg dokumentiert sind. Und der nahe bei Mozart angesiedelte ironisch-süffig parlie-rende Merkur in der Danae, für den Traxel in der Uraufführung 1952 das Maß setzte: belcantesk, lyrisch-aufgehellt, flexibel, silbrig im Klang. Grandios dann die stimmliche wie rhetorische Suggestion im hochdramatischen Diskurs von Orffs Tiresias: Der Antigonae-Uraufführungs-Sänger Ernst Haefliger verankerte mit drei Aufnahmen dafür den Standard, Traxel steht ihm nicht nach, mit Voll-Einsatz, ohne vokale Einbußen.


Fremdeln im populären Genre
“Der Tenor und seine Lieder“ – das war in den 1950ern ein beliebter Titel für
LPs mit Tenorschlagern. Im Rückgriff auf Tauber, Schmidt, Kiepura, Rosvaenge erreichte dieses Genre mit dem (auch) Tonfilmstar Rudolf Schock eine neue Popularitätswelle. Fritz Wunderlich und allenfalls Kollo dürften die letzten „ernsten“ deutschen Künstler gewesen sein, die sich per TV/FFF/TT noch derart vermarkten ließen. Traxel hingegen ist im Feld der sogenannten Leichten Muse kaum hervorgetreten. Im Radio-Interview 1962 hat er sich dazu geäußert: Hoch-leistung in Vielfältigkeit erfordere Konzentration auf klassische Schule und Metiers, allenfalls mal ein Studio-Abstecher zur Operette sei zumutbar. Und daran hat er sich gehalten.


So ertönen in unserer Edition großenteils Fundsachen. Die Schellacks von 1949 sind neben dem Fenton in Nicolais Lustigen Weibern (BR 1949) wohl die ersten Tondokumente des Tenors überhaupt. Man hört es: Die Stimme ist noch ganz lyrisch-leicht, wird ohne jede Bonvivant-Attitüde eingesetzt. Obwohl Traxels Samttimbre für Figuren wie Rosillon, Edwin, Niki, Koltay, Tassilo, frische Burschen und schmachtende Liebhaber, geeignet gewesen wäre – ihm stand wohl der Sinn nicht danach. Um so interessantester die schmale Hinterlassen-schaft. Auch hier hält er natürlich Niveau, ohne Schmalz und Schmäh, Outrage oder gar Crooning. Von der Rose von Stambul über die Rosen in Tirol bis zu den kosenden Wellen hören wir fein changierendes, sauber intoniertes, legatosicheres, ergo: geschmackvolles Singen. Ein „Strahler“-Effekt hoher Schmettertöne wird nicht angestrebt. Große Melodiebögen sind kunstvoll dosiert und phrasiert, wie bei Mozart oder Gounod. Man erfährt auch, wie exzellent Traxel sich dynamisch und klangfärbend auf Sopranpartnerinnen einzustellen wusste.

Nur ausgerechnet beim No amoi des Vogelhändler-Ahn’l kommt der Tenorlyriker ein wenig schwerfällig daher – im Gegensatz zu fließend, schimmernd, geatmet erklingenden Phrasen bei Fall, Lehár, Künneke. Ob es der Dokumentation von Mittagskonzertreißern wie denen des Caprifischer-Urhebers G. Winkler bedurfte, mag Geschmacksache bleiben. Traxels grundseriöse Künstlerschaft kann es nicht tangieren. Doch warum auch nicht? Joschi (oder auch Jupp), wie ihn Freunde und Fans nannten, behauptet sich auch in solchem Metier.

Josef Traxel in Concert

Die Inhalte von Box 4 der Josef-Traxel-Edition gehören zum Faszinierendsten, was uns die Diskographie des Sängers zu bieten hat. Das gilt vor allem für seine Mitwirkung in Gesamtaufnahmen geistlicher Chorwerke. Gerade diese ist ja, ungeachtet sonstigen Vergessenwerdens, durch fast fünf Jahrzehnte auf Tonträ-gern präsent geblieben. Auf kaum einem anderen Feld behauptet sich Traxels Kunst im Weltmaßstab bis heute gegen die Konkurrenz.

Gleich, welches Beispiel von Bach, Händel, Haydn, Rossini, Bruckner man heranzieht: Stets hören wir eine eigenständig-charakteristische und werkgerecht-ideale Darstellung. Traxel färbt sein vielseitig nutzbares Tenormaterial hell, schlank, weich, setzt es vibratoarm ein – man mag an den legendären Karl Erb denken. Allerdings hat Traxel nicht dessen Atmungsprobleme, im Gegenteil: Er demonstriert Flexibilität, Gewandtheit, Koloratursicherheit mit langem, ruhigem Atemfluss. Ein leicht pulsierendes, ausgewogenes Mezzavoce dominiert. Into-nation und Legato sind präzise kontrolliert, die Register völlig ausgeglichen. Lange Koloraturketten durchmisst der Sänger mit beinahe stoisch-gelassener Sicherheit.

Dennoch haben wir nie den Eindruck emotionsloser Distanz und androgyner Nicht-Persönlichkeit, wie sie für viele Oratorienspezialisten (vornehmlich briti-scher Schule) typisch sind. Vielmehr scheint die Sonne des Timbres besonders leuchtend und warm, auch bei Akzentuierungen. So im Deposuit von Bachs Magnificat, in Händels Messias-Arien, in Haydns Würd'  und Hoheit. Ob im erzählenden, verkündenden Rezitativ oder im Melosfluss der gemessen schrei-tenden Arien – immer hören wir ausgewogenes Maß, runden und warmen Ton, leuchtenden Klang, kurz: Musterinterpretation.

Triumphal die in einem Legato-Lauf aufs Des’’ genommene Schlusshrase im Cuius animam in Rossinis Stabat Mater – die Aufnahme war ein LP-Hit. Hier kann Traxel sogar neben Spitzenreitern der Diskographie wie Björling und Pavarotti bestehen; unter deutschen Kollegen kommt ihm wohl keiner gleich.


Traxel – weithin unbekannt als Liedsänger
Dass Josef Traxel, etwa im westeuropäischen Ausland, ein geschätzter Liedinter-pret war, wird durch seine wenigen offiziellen Veröffentlichungen nicht voll bestätigt. Die von EMI herausgebrachte LP mit Beethoven-Liedern und Schuberts Heine-Vertonungen aus D.957 fand als einzige Beachtung bei der Fachkritik, allerdings keine nur positive. In beiden damals führenden Fachblättern erschie-nen sehr zurückhaltende Rezensionen. Man warf dem in Oper, Konzert, Orato-rium hochgelobten Sänger „wenig interpretativen Ausdruck“ und „bemühtes Vomblattsingen“, sogar „gelangweilte Distanz“ vor. Die LP mit Loewe-Balladen wurde vertiefter Besprechung gar nicht erst für wert befunden.

Fünf Jahrzehnte später wird der Nachvollzug durch heutige Hörer zur Erkun-dung. Man bedenke: Seit den 1950ern stand Liedgesang im Bann der universalen Dominanz Fischer-Dieskaus. Als bedeutend galten tiefe Männerstimmen wie Kipnis und Hotter, Soprane wie Schwarzkopf und Seefried, Tenöre wie Ludwig und Haefliger – sämtlich Vertreter intensiver Textausdeutung, Akzentuierung, Inszenierung. Das mit Blick auf Hüsch und Schlusnus propagierte Ideal der „schlichten Vermittlung des Musikalischen“ schien unzeitgemäß. Eben dem scheint sich Traxel zugewandt zu haben. Seine Liedvorträge sind Beispiele bewusster (?) Zurücknahme des Komponierten hinter die Komposition. Ausbrüche, Valeurs, Szenarien verschmäht er, konzentriert auf Melos und schönen Ton. Manches Lied wirkt recht beiläufig, manche Phrase steif, mancher Ton ein wenig sauer. Dem steht schöne tenorale Poesie gegenüber, in Adelaide, Abendlied, Fischermädchen, Der Musensohn.

Was der Liedsänger Traxel wirklich konnte, zeigen die beiden R.Strauss-Orchesterlieder und die (wiedergabetechnisch defizitären) Probebeispiele mit Brahms-Liedern. Da ist der Tenor ganz bei seiner Kunst – in gelöster Proben-atmosphäre mit wunderbarer Mezzavoce, changierend und atmend, blando-fascinoso. So hätte es auf seinen Platten klingen sollen.


Neutraler Balladensang – faszinierender Schubert
Gleichartig erlebt man auch Traxels Interpretation von Loewe-Balladen: Wieder ist der erste Eindruck der einer approximativen, etwas leichtfüßigen Wiedergabe, die an der Ausdeutung der Text- und Inhaltsvorlagen wenig interessiert scheint. Alles ist auf schönes Legato, atmenden Melodiefluss, ausgeglichene Tongebung angelegt. Mitunter schimmert ein Lächeln durch. Eine Umsetzung der teils skur-rilen, teils schauerlichen Inhalte wird kaum angestrebt. Wir hören die Tenorlyrik freier, entspannter als bei Beethoven und Schubert. Doch den Rhapsoden, der berichtend Szenarien entrollt, erleben wir kaum.

Das kann im Einzelfall enttäuschen – so etwa im Erlkönig, wo Traxel exzellent singt, aber weder den Kontrast der alternierenden Stimmen noch die makabre Stimmung evoziert. Noch beiläufiger das heute antiquiert, fast parodistisch wirkende Fridericus Rex, dem überhaupt nur mit bramarbasierender Ironie, mithin einem knarrenden Bassbariton beizukommen ist (man höre die Referenz-aufnahme von Hans Hermann Nissen). Traxel bietet da ein fröhliches Strophen-lied – man fragt sich: wozu? Der Kontrast folgt wenige Tracks später: Ein zau-berhaft introvertiertes Süßes Begräbnis, umwerfende Melismakunst in Der Nöck, perfekt intoniertes und vokalisiertes Parlando im Hochzeitslied, wundersam-elegische Farbvaleurs im Töchterlein. Er konnte es eben doch.

Wie er es konnte, lässt sich wieder am (akustisch schwachen) Privatmitschnitt eines Probenmeetings erkennen. Traxel studiert Schuberts Schöne Müllerin, singt eine Reihe von Nummern daraus leggiero durch, noch nicht völlig sicher, mit ein paar Ungenauigkeiten, aber fabelhafter Tongebung und Klangfärbung – und wir erleben einen berufenen Schubert-Sänger, musikalisch wie Patzak, tonschön wie Anders, suggestiv wie Haefliger. Was für eine LP hätte das ergeben können!

Josef Traxel speciale: Rara & Funde
 

Ecco un artista!
Dieses CD-Programm will als Ergänzung zur großen CD-Edition Josef Traxel
des Hamburger Archivs verstanden werden. Es bietet einige im Konzertbetrieb rare, weithin sogar unbekannte Stücken deutscher Klassik und Spätromantik: Mozart, Schubert, Bruckner, Mahler. Ungeachtet ihres außerordentlichen Repertoirewerts präsentieren sie charakteristische Beispiele für Josef Traxels klassisch geschulten, hochmusikalischen Vokalstil.


Bei selten aufgeführten Stücken zwischen Klassik und Romantik von Mozart
und Schubert lässt der Tenor sein goldenes Organ ganz entspannt, doch voll im Ton schwingen, atmen, schimmern. Erhellend ist der Vergleich: Unter den wenigen Sängern, die Mozarts Freimaurer-Musiken aufgenommen haben, ist Anton Dermota (mit nur einem dokumentierten Stück, der Weltall-Kantate KV 619 von 1791) wohl der wichtigste – und Traxel hält in seiner Live-Darbietung dessen Standard, mit berückender Mezzavoce und ins Legato gebettetem Ton.


Zauberhaft auch die Evokation des Romantischen in der Klanglegierung mit Männerstimmen bei Schuberts atmosphärevollen Liedperlen. Eine veritable Überraschung dann Bruckners oratorisches Stimmungsbild Mitternacht. In beidem kann man (wie bei den Operetten-Ausschnitten in der Edition) Traxels geradezu instinkthafte Fähigkeit erleben, sich mitsingenden Stimmen farblich und dynamisch anzugleichen – und doch spezifischen Eigenklang zu wahren.

Am ehesten hat man ihn in Mahlers Lied von der Erde erwartet. Dessen Tenor-Sätze stellen extreme Forderungen an Stimmeinsatz und Ausdruckskunst. Wunderlich (unter Klemperer) und Araiza (unter Giulini) gelten als Favoriten der neueren Diskographie, mit mehr Metallsound als etwa Patzak, Dermota, Haefliger. Auch Drammatici wie Vickers, King, Heppner, Seiffert sind dominant vertreten. Traxel wurde von der Plattenindustrie nicht berücksichtigt. Sein Live-Mitschnitt beweist, dass er erste Wahl gewesen wäre. Zwar zeigt das schöne Timbre, so beim Trinklied, 1963 im Forte-Einsatz erste Risse, doch sängerische und musikalische Tugenden sind evident. Meisterlich die Textbehandlung in 
Von der Jugend, bezwingend die Sanguinität des Trunkenen. Traxel kommt dem Spitzeninterpreten der 1920/30er Jahre Charles Kullman (unter Bruno Walter) wohl am nächsten.


Kurzum: Diese kleine Sammlung erweitert das schier grenzenlos erscheinende Spektrum des Sängers und Interpreten Traxel noch einmal um eine Nuance. Sie macht zugleich mit Nischen klassischer und romantischer Vokalkunst bekannt, denen der Musikfreund heute kaum mehr begegnet. Welch ein schöner Tribut
an einen universalen Sänger zur Rekonstruktion und Wiederbelebung seiner tönenden Hinterlassenschaft!

                     
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© Klaus Ulrich Spiegel