“Sängen sie heute, wären sie, besonders im italienischen Fach, Weltstars: ... Josef
Metternich und der fünf Jahre jüngere Marcel Cordes. Zur Zeit gibt es, was das stimmliche Potential angeht, wenn überhaupt, nur wenige Baritone, die an diese beiden deutschen Ensemblestars
heranreichen. ... Marcel Cordes war, nicht zuletzt wegen seiner feineren Halbstimme, der noch bessere Italiener-Bariton als Metternich, ohne dass er auf Schallplatten entsprechend eingesetzt worden
wäre. Seine klangschöne und in der Höhe schier grenzenlose Stimme ist in überragenden Orff-Aufnahmen zu hören. ... Ein zu wenig bekannter, vorzüglicher Sänger.“
Jürgen Kesting in „Die großen Sänger“
(1993)
“Gebt eine Maske
mir“
Marcel Cordes – Stimmphänomen, Meistersänger,
Komödiant.
Als der Verfasser des deutschen Kompendiums zur Gesangsgeschichte sein Statement über „Zwei deutsche
Italiener“ notierte, lag nicht nur die Ära der Opernstar-Ensembles lange zurück. Auch die Zeit der Vinyl-Schallplatte mit 33/45 Upm war vorbei, der neue Longtime-Tonträger CD in schneller Ausbreitung
begriffen. Ganze Rubriken hörenswerter Einzelaufnahmen wichtiger Klassiksolisten versanken im Keller der Vergessenheit, zu schweigen von Heerscharen wichtiger Sänger/innen der Nachkriegszeit, die
kaum je auf Tonträger gelangt waren.
Der deutsche Bariton Marcel Cordes war ein Jahr vor seiner Würdigung in Kestings Standardwerk verstorben. 22 Jahre zuvor hatte er sich im Vollbesitz seiner künstlerischen, stimmlichen und
sängerischen Mittel krankheitsbedingt von Bühne und Podium zurückgezogen. Schon in der Endphase der LP-Ära war seine tönende Hinterlassenschaft ins mediale Abseits gefallen; weder Tonträger-industrie
noch Rundfunkstationen hielten es für angezeigt, dieses Erbe zu pflegen. Als mit der Einführung der CD eine Renaissance populär gewesener Sängerinnen und Sänger der 1950/60er Jahre in Wiederauflagen
und Portrait-Recitals einsetzte, fehlten einige Namen – und zwar ausgerechnet zentrale Künstler ihrer Zeit mit maßstäblichen, unverzichtbaren Aufnahmen. Die wohl skandalösesten Fälle: der dem Maßstab
der „Alten Schule“ vielleicht am nächsten gekommene Tenor Josef Traxel und eben der „Italienische Bariton deutscher Zunge“ Marcel Cordes.
Kritische Hinweise auf Versäumnisse wie diese ließen deren Verursacher kalt: „Keine
Marktrelevanz!“ Es gibt aber eine historisch und qualitativ begründete kulturelle Verpflichtung. Die vorliegende CD-Edition Marcel Cordes versucht, ihr gerecht zu werden. Sie
ermöglicht eine Fülle von Wiederbegegnungen und Entdeckungen: Außer verloren geglaubten Industrieaufnahmen auch Erstver-öffentlichungen aus Radio-, Theater- und Privatarchiven, Live-Mitschnitte, dazu
gänzlich unbekannt gewesene Rarissima und Trouvaillen. Es ist die erste Edition dieser Art und Breite, die dem bedeutenden Bariton zuteil wird.
Voce immensa
Marcel Cordes war für kaum 18 Jahre eine dominante Erscheinung der Opernszene in Mitteleuropa. In diese Zeit
presste er, nach Auftritten gerechnet, eine nahezu 30-Jahre-Karriere rast- und schonungslosen Einsatzes an großen Opernhäusern, Konzertpodien, in Ton- und TV-Studios – faszinierend nach
allen Kriterien zur Beurteilung einer Sängerpersönlichkeit: Stimmressourcen, Gesangskunst und -technik, Ausdrucksfülle und Vermittlungskraft, dazu Bühnenpräsenz, Musikalität,
Universalität.
Daran gemessen, ragte dieser Sänger über Vorgänger und Zeitgenossen, mehr noch über etwaige Nachfolger hinaus,
erreichte auf seinem engeren Fachgebiet „Lyrisch-dramatischer Opernbariton“ internationalen Rang, der sich auch im Maß kritisch betrachteter Gesangshistorie als nachweisbar und haltbar
erweist.
Dem Kollegen Metternich stand er, ungeachtet dessen früher einsetzender, effizienter vermarkteter, zeitweise auch
interkontinentaler Karriere, in vokaler Faszination, sängerischer Qualität nicht nach. Allerdings: Er war ein gänzlich anderer Sänger. Wo der ältere mit metallisch-kernigem, schmetterndem Ton,
glanzvoller Entfaltung großen Ressourcen und vibrantem Höhenstrahl zu überrumpeln wusste, bot der jüngere eine in der Substanz nicht weniger gewichtige, doch weichere, reichere, farbigere, zwischen
sanft und sonor chan- gierende Tonproduktion, nach klassischer Regel gedeckten Legatofluss und fabulöse, grenzenlos anmutende, selbst im exzessiven Einsatz füllig-gerundete Höhen. Seine dynamisch
schwingenden und dramatisch-explosiven Akzentu-ierungen auf G’, Gis’, bis übers System aufs A’mussten nicht fingiert oder mit Falsett-Beihilfen erzeugt werden – sie waren als
schulgerechte Mischtöne ohne Registerbruch verfügbar; mehr noch: selbst in vollem Stimmeinsatz modulierbar.
Repertoire ohne Grenzen
Marcel Cordes war Stimmphänomen und Meistersänger. Er verkörperte diesen Begriff im traditionellen Sinn, also
nicht als „akademisch-kalkuliert“ singender Musiker (ähnlich manchen Liedinterpreten jüngerer Zeit). Sondern als drama-tischer Sängerdarsteller und interpretierender Gesangskünstler –
mit groß dimensioniertem Material plus universellen vokalen Vermittlungsfähigkeiten. Vergleicht man sein aktiv durchmessenes Stücke- und Partien-Repertoire mit dem anderer Baritone
der Jahrhundertmitte, findet man (außer unter wenigen Bassbaritonen wie Jerger oder Schöffler) kein Vergleichsbeispiel für seine Universalität. Selbst Metternich, der wichtigste Antipode, kann kaum
zum Vergleich dienen – er hatte ein Zusatzrepertoire nahe dem hochdramatischen Fach, ließ dafür aber ganze Fachfelder und Stilepochen aus.
Bei genauerer Rezeption erweist sich Marcel Cordes keineswegs allein als deutschsprachiger Italienerbariton, wie
die begrenzte Zahl „offizieller“ Einzel-Plattenaufnahmen nahelegen könnte. Er war auch, wenn nicht gar vorrangig: ein Universalist. Seine tönende Hinter-lassenschaft belegt es. Er sang Mozart, Haydn,
Cherubini. Und Weber, Nicolai, Lortzing. Belcanto und Verismo. Sehr viel Verdi, doch auch Wagner. Und (fallweise konkurrenzlos) Richard Strauss. Auch klassische Operette. Und, geradezu
exemplarisch, die arrivierte Moderne mit Strawinsky, Hindemith, Braunfels, Egk, Orff. Dazu ein breites Neben-repertoire von Offenbach bis Janácek, Tschaikowsky bis Ravel. Schließlich, leider in nur
begrenztem Umfang, klassisches wie zeitgenössisches Liedrepertoire. Freilich: Eine Handvoll Bravour- und Charakterpartien mit Schwerpunkt Verdi waren seine gefragtesten Gastspielrollen. Und gastiert
hat er nahezu ohne Limit.
Doch nicht einmal in dieser Universalität liegt seine zentrale Bedeutung in der Ära vor dem Worldwide Opera
Marketing. Sie ist vielmehr begründet durch außergewöhnliche Befähigung als singender Tragöde und Komödiant, als bewegender, erregender, oft erschütternder Charakterdarsteller der
Musikbühne.
“Un Ruffo
tedesco?“
Dafür verfügte der Sänger über eine Stimmausstattung von eigenem Klang-
profil und universeller Verwendbarkeit. Einen im Prinzip lyrisch angelegten, aber unglaublich expansionsfähigen, zugleich klangvariablen Bariton mit bis
ins Tenorale hinaufreichendem Höhenregister. Dass sich die auf den ersten Eindruck weiche, warme, zwischen Karamell und Mokka changierende Stimme als so wandelbar erwies, mit jedem Tondokument
varianter, flexibler, facettierter wirkt, kommt aus einer raren Verbindung von sängerischer Kunst und darstelle-rischem Genius. Es charakterisiert neben dem Sänger stets auch den
Künstler, den Instinkt, die Persönlichkeit.
Wenn man versucht, die Charakteristik von Stimme und Sängertypus des
Marcel Cordes durch Vergleich zu beschreiben, drängen sich große Namen der Gesangshistorie auf, die in der Tat im italienischen Fach beheimatet waren. Dott. Giancarlo Bongiovanni, der Bologneser
Musikverleger, platzte beim Hören der Cordes-Aufnahmen aus Verdis Rigoletto heraus: „Però! Un Ruffo tedesco!“ Das kennzeichnet die umwerfende Wirkung der wohl
eindrucksvollsten deutschen Rigoletto-Interpretation seit Joseph Schwarz nach der Intensität des gesungenen Charakterportraits, das dem Vergleich mit dem großen dramatischen Italo-Bariton tatsächlich
standhält. Zum Vergleich von Timbre und Tonproduktion bieten sich hingegen Sänger wie Sándor Sved und Giuseppe Taddei an, für Legatobildung, Phrasierung, Stil (ohne Timbre-Ähnlichkeit) auch Galeffi,
Danise, Franci, Tagliabue. Insofern kann man Cordes’ sängerische Eigenschaften pauschal als „italienisch“ bezeichnen. Doch er war weit mehr als
ein Interpret der italienischen Oper.
Charaktermime und Detailmaler
Auf Basis der klassischen Schule verfügte Marcel Cordes über Fähigkeiten, die sein
Singen exemplarisch machen. Im Gegensatz zu Metternich nutzte er eine breite Scala von Tonfällen und Klangfarben. Sein Spektrum reichte vom substanzvollen Flüsterpiano bis zum dröhnenden Fortissimo.
Den natürlichen Stimmklang wusste er durch perfekte Nutzung der Resonanzräume des Stirn-höhlen- und Vordergaumen-Bereichs zu erweitern, so wie man es von Caruso, Ruffo, Amato, Journet kennt.
Unvergleichlich seine Mezzavoce – samtig und schwingend, mit dosierter Schallkraft füllig, jeder Ausdrucksnuance mächtig. Nicht minder erregend, oft berauschend die Klangentfaltung in weit
schwin-genden Melosbögen, etwa bei spätromantischer, großorchestral ausgelegter Musik von Liszt, Strauss oder Pfitzner.
Wenn Cordes mit der, wie Kesting sagt: Halbstimme, dialogisch-korrespondie- rende
Szenen gestaltet, beispielhaft in Goetz’ Der Widerspenstigen Zähmung oder Braunfels’ Kuckuck von Theben (Rollen, die man sich kaum mehr in anderer Version
vorstellen mag), dann zeigt sich der explosiv-großtonige Verdi-Bariton als virtuoser Kammerspieler, Meister der Wort/Ton-Integration, Magier der Detailzeichnung. In solchen Momenten steht er
gleichrangig auf dem Vermitt-lungsniveau eines Fischer-Dieskau.
Und Schwächen? Gemessen an stimmpflegerischen Grundsätzen, hat Cordes
viel zu viel, zu oft, zu verschleißend gesungen. Aufnahmen, die während massiver Stressbelastungen entstanden, zeigen gelegentlich eine kehlige Auf- rauung des Stimmklangs bei Spitzentönen – die
einzige Beeinträchtigung des offenbar hochrobusten Materials. Mitunter lässt sich nicht überhören, wie Cordes, etwa bei expressiven Ausbrüchen, die dezidierte Wortbehandlung außer Acht lässt und
Konsonanten schleift, auch Endungen auf „n“ im Nasalklang der Kopfresonanz aufgehen lässt. Das kann formstörend oder auch mal nachlässig wirken. Andererseits bringt kaum ein anderer Fachkollege das Kunststück fertig,
selbst bei emphatischer Singgestik mit fast überartikulierter Wortdeutlichkeit konsequent in der Legatolinie zu bleiben.
Im Rückblick – ein Olympier
Wenn Cordes ganz bei sich war, unbelastet, ausgeruht, im Optimum von stimmlicher
Gelöstheit und wachem Klanginstinkt, dann vermochte er ein Arsenal sängerdarstellerischer Nuancen, Akzente, Valeurs zu mobilisieren. Die exakte akustische Abbildung via Mikrophon dokumentiert es,
gerade in Phasen und Phrasen szenischer Evokation und charakterlicher Profilierung durch Klang: Hell, flexibel, elegant als Spielbariton. Mit verhaltenem, sinnlich
schimmerndem Glamour als Lirico. Mit viriler Tönung und strömender Dramatik als Spinto italiano. Mit scharfer Akzentuierung und zynischem Gestus als Verismo-Sängerdarsteller. Mit voluminöser, dunkler
Klangpracht als Charakterbariton. Dazu und darin eine Fülle musikalisch-sängerisch gezeichneter Typen und Individualitäten, stets portraitiert mit rein vokalen
Mitteln.
Marcel Cordes war ein Bühnenereignis. Hört man sich detailbewusst und
rezeptionsbereit durch die Vielfalt der Tondokumente, die diese Edition zusammentragen konnte – dann wird der Eindruck einer Sängerpersönlichkeit lebendig, die in der Fülle ihrer Leistungen und
Wirkungen Zeitenrang einnimmt. Wie Jürgen Kesting feststellt: Wirkte er heute, wäre er Weltstar. Was er unter
den Bedingungen seiner Ära tatsächlich war und bot, begründet einen Platz
auf dem Parnass.
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MARCEL CORDES (Bariton)
* 11. März 1920 Stelzenberg (Rheinpfalz)
† 26. November 1992 Angerberg (Wörgl/Tirol)
Leben und Laufbahn des Sängers sind in Fachmedien und Nachschlagewerken durch Legenden verzeichnet, die der
Richtigstellung bedürfen.
Als Kurt Schumacher kam er zur Welt, wuchs er auf, begann er seine
Laufbahn. Das musikfreundliche Elternhaus förderte seinen frühen Drang zu Kunst und Bühne. „Schon als Bub hatte ich eine unbezähmbare Lust, den Kasperl zu spielen. Bald drängte es mich, mit
wechselnden Masken Charaktere vorzuführen, von komisch bis tragisch. Wäre ich nicht früh der Musik verfallen, ich hätte wohl Schauspieler werden wollen“.
Gleich mit dem Stimmwechsel entdeckt er seine Singstimme – beweglich, leicht, hellfarben, zwischen Bariton- und
Tenorlage. Mit 16 schon erlangt er einen Platz am Konservatorium Kaiserslautern. Dort findet er glückhaft Lehrer, die eine von Natur gut platzierte Stimme nach klassischer Schule zu formen wissen.
Nach drei Jahren Studium empfehlen sie ihn 1938 als Stipendiaten an die Musikhoch-schule Mannheim. Dort leitete der berühmte Wagnertenor Richard Schubert die Opernschule. Er glaubt einen zukünftigen
Tenore eroico zu diagnostizieren,
ermutigt ihn, Tenorpartien zu studieren. Eine Privataufnahme 1941 der „Holden Aida“ lässt eine korrekt geführte Tenorstimme mittleren Volumens hören, sängerisch etwa an Helge Rosvaenge orientiert,
doch mit extremer Anspannung in der Tonbildung.
Bühnendebüt in Böhmen
Der Appeal einer Tenorkarriere motiviert den jungen Sänger. Er probiert Partien beider Stimmlagen. Bereitwillig singt er
bei privaten und halböffentlichen Gelegenheiten, auch im Militärdienst, zu dem er seit 1940 eingezogen ist. Seine Einheit wird kreuz und quer zu mehreren Kriegsschauplätzen verlegt, 1941 nach Cheb
(Eger) in Böhmen. Dort zieht die Rede vom Rekruten mit „Gold in der Kehle“ bald Kreise. Als das deutschsprachige Stadttheater eine Baritonvakanz schließen muss, holt (oder kommandiert) man ihn zum
Bühnendebüt als Bariton: Luna in Verdis Troubadour und Liebenau in Lortzings Waffenschmied. Aus der Rezension im Lokalblatt: „Seine gutgeschulte, biegsame Stimme schwebt immer
wohlklingend ... Gewicht legt er auf Tonschönheit und Legatolinie, auf deutliche Aussprache und inniges Mitempfinden. Sein in Gefühlsmomenten belebtes Spiel fesselt...“ Spezifische Kennzeichen
des späteren Sängerdarstellers sind bereits
im Kern benannt.
Die Soldatenzeit dauert für Kurt Schumacher lange. Erst 1947 kommt er aus französischer Gefangenschaft heim. Während des
Studiums in Mannheim hatte er die Pianistin, Chorleiterin und Pädagogin Marliese Erbig kennengelernt, die
er im Krieg heiratete. Sie wird ihm in künstlerischen und beruflichen Fragen zur wichtigen Stütze. Noch schwankend zwischen den Fachoptionen, setzt er seine Studien autodidaktisch
fort.
Dann entscheidet erneut das Schicksal für ihn: Am Pfalztheater Kaiserslautern wird ein Einspringer gebraucht, diesmal ein
Tenor. Kurt Schumacher tritt an,
hat als Canio im Bajazzo sein Tenor-Debüt – offenbar so erfolgreich, dass er ein Festengagement erhält, sodann quer durchs Landestheater-Repertoire Partien des Lirico- und Spinto-Fachs singt
– ohne je über ein C“ zu verfügen (doch das hatten Tauber oder Anders auch nicht).
Karriere-Umweg als Tenor
Der unversehens eingeschlagene Weg scheint zunächst als professionell richtig. Denn nach zwei Spielzeiten in
Kaiserslautern verpflichtet 1949 das National-theater Mannheim, seit je eine führende deutsche Opernbühne, den Tenor.
GMD in Mannheim sind Eugen Szenkar, später Chef der Deutschen Oper am Rhein, dann Fritz Rieger, später Chef der Münchner Philharmoniker. Unter beider Leitung wird der angehende Heldentenor Kurt
Schumacher jetzt aber über- wiegend als Tenore di grazia eingesetzt – als Belmonte, Almaviva, Fenton, Alfred, Steuermann bis zum Sänger im Rosenkavalier. Live-Funde aus dieser
Zeit (s. CD 12) beweisen: Wenn hohe und höchste Lage zu meistern war, sang der Tenor zwar tonschön, aber angespannt, vibratoarm, voll mit der Tonbildung beschäftigt. Kaum lag die Tessitura um
einen Ganz- oder Halbton niedriger,
floss die Stimme locker, frei, schwingend.
Eine und eine halbe Spielzeit lang geht der InAlto-Stress gut, doch dann kollabiert die Stimme auf offener Bühne. Der
Sänger muss sich krank melden, dann ganz aus dem Vertrag scheiden. Er lässt sich laryngologisch beraten, intensiviert ein Stimm-Mastering /Controlling bei dem legendären, in seiner Ära universell
bewährten Tenor Fritz Krauss – und studiert mit Hilfe seiner Frau ein Basisrepertoire an Baritonpartien ein. Ein Halbjahr später nimmt er, solide aufs Baritonfach vorbereitet, wieder Kontakt mit
Agenten auf.
Der Neueinstieg verläuft nicht einfach. Zunächst will niemand einen „gescheiterten Tenor“ zum Vorsingen laden.
Schließlich ergibt sich ein Kontakt zum Intendanten des Staatstheaters Karlsruhe, Heinz Wolfgang Wolff. Der lässt den neuen Bariton ein Mammutprogramm an Arien diverser Fächer vorsingen, holt dann
den GMD herbei: Otto Matzerat, später Chefdirigent des Hessischen Rundfunks. Nach mehrstündiger Extremprüfung des Sängers bieten die Herren ein Engagement zur bevorstehenden Spielzeit 1951/52.
Freilich: Unter dem bisherigen Tenornamen sei das nicht machbar, Mannheim liege kaum 80 km entfernt. Wolff blättert sein Adressbüchlein durch, wird darin fündig, schlägt das Pseudonym „Cordes“ vor.
Schumacher setzt den Maler in La Bohème dazu: MARCEL CORDES hieß ab sofort das neue Karlsruher Ensemblemitglied. Dass der damals
zweitwichtigste deutsche Bundespolitiker Kurt Schumacher heißt, erleichtert den Namenswechsel. Dass es einen durchaus arrivierten Bassbuffo tschechischer Herkunft namens Marcello Cortis
gibt, ist den drei Zukunftsplanern nicht bewusst.
Aus der Krise in den Ruhm
Für drei Spielzeiten ist Marcel Cordes am Badischen Staatstheater Protagonist als lyrisch-dramatischer Bariton. Er
debütiert im September 1951 als Wolfram im Tannhäuser, eine seiner bleibenden Glanzpartien. Es folgen im deutschen Fach Graf Eberbach, Zar Peter, Kühleborn, Besenbinder.
Im Italorepertoire Guglielmo, René, Germont, Silvio, Luna, Ford, Egbert in Verdis Aroldo.
Dazu Rara wie Tobias Wunderlich im gleichnamigen Werk von Joseph Haas. Der Erfolg kommt rasch; Cordes wird zum lokalen
Publikumsliebling. Von Anbeginn der Bariton-laufbahn ist er auch als Gastsänger gefragt, so in Frankfurter Rundfunkproduk-tionen, in Orchesterkonzerten und mit Liederabenden. Ab 1953 erreicht er
gastierend und einspringend führende Häuser des deutschen Sprachraums, München, Frankfurt, Köln, Stuttgart, sogar Wien.
Nach einem bejubelten Gastspiel bei Rudolf Kempe als Wolfram im Münchner Prinzregententheater wird Marcel Cordes ab 1954/55 an die Bayerische Staats- oper verpflichtet, die bis 1965 sein Stammhaus sein wird. Seinen Abschied in Karlsruhe gibt er im
Juli 1954 als Luna im Troubadour, dann mit Schuberts Winterreise. Rühmende Pressekommentare betonen den Wert des Sängers für
die Badische Metropole und prophezeihen ihm eine große Laufbahn.
In München tritt Cordes eine Art Nachfolge für den immer öfter abwesenden Starbariton Josef Metternich an, übernimmt auch
Partien der früheren Haus- protagonisten Reinmar, Kronenberg und Schmitt-Walter. Sein Einsatzfeld kennt bald keine Grenzen. Zu weiterem Verdi mit Rigoletto, Nabucco, Boccanegra addieren sich
Belcantisten, vor allem Donizetti (mit Don Pasquale, Liebestrank, Lucia), Rossinis Barbier, dann Puccini mit Marcel, Sharpless, Schicchi, dann Wagners Heerrufer, Thomas’ Lothario,
Tschaikowskys Onegin, Mussorgskijs Rangoni und Shaklovitij, Strauss’ Faninal und Musiklehrer, die Veristen mit Tonio, Silvio, Alfio, auch französisches und viel deutsches Fach – dazu ein Repertoire
neben dem Mainstream von R.Strauss bis Orff und Egk. Seine Musikchefs sind Knappertsbusch, Kempe, Fricsay, Jochum, Rieger, später Keilberth und Kubelik.
In München steigt Marcel Cordes auch in eine Sonderrolle unter deutschen Baritonen auf: Als Alleininhaber oder
No.1-Interpret spezieller Charakterpartien, namentlich in Werken der Jahrhundertwende und der Moderne. Er feiert einen Triumph als Kunrad in R.Strauss’ Frühwerk Feuersnot, einer Partie, die
der legendäre Karl Scheidemantel kreiert hatte; Cordes bleibt ihr Referenz-Interpret, dokumentiert in drei Gesamtaufnahmen. Bei den Münchner Opernfestspielen 1957 gibt er, neben Metternich als
Kepler, den Tansur in der Uraufführung von Paul Hindemiths Die Harmonie der Welt. Mit deren europaweiter Radioüber-tragung erreicht er kontinentale Bekanntheit. Zur Idealbesetzung avanciert
er in den schillernd-grotesken Partien des Kaspar in Werner Egks Zaubergeige und des Königs in Carl Orffs Die Kluge. Im Konzertsaal erwirbt er europaweit Ansehen in Oratorien und
Orchesterliedern von Liszt, Mahler, Haas, Bartók, Janácek, Zillig, aber auch als Christus in Bachs Matthäus-Passion unter Karl Richter und im Deutschen Requiem von
Brahms.
Der Bayerische Rundfunk stellt ihn in einer Vielzahl seiner populären Sonntagskonzerte heraus. Nach unglaublich kurzer
Zeit – schon in der Saison 1956/57 – wird er zum Bayerischen Kammersänger ernannt.
Gastspielstar in den Metropolen
Schon in seiner ersten Münchner Opernsaison erhält Cordes Einladungen großer Opernhäuser. Die wichtigste kommt aus
Berlin: Intendant Carl Ebert bietet ihm nach wenigen Auftritten am West-Berliner Haus (der heutigen Deutschen Oper Berlin) einen langjährigen Gastvertrag an. Er greift zu. Rudolf Hartmann, der
Münchner Opernchef, versucht dies vergeblich zu verhindern, das wird Folgen haben. In Berlin singt Cordes vor allem Verdi-Partien, am 22.12.1957, neben Fischer-Dieskaus Debüt in der Titelrolle, unter
Alberto Erede den Ford im Falstaff – ein Abendtriumph mit Langzeitwirkung: Für ein Jahrzehnt ist dieses Bariton-doppel ein Event auf führenden Bühnen, im Rundfunk, bei Gastspielen. Als Ford
ist Cordes bald deutschlandweit exklusiv gebucht. Er kommentiert: „Ich bin der Bundesford“.
Nun kann Marcel Cordes gastieren, wo er will. Mit Karl Böhm gibt er in Napoli sein erstes Italien-Gastspiel. Vor allem
als Rigoletto und Ford, auch als Luna, Germont, Posa, René, Boccanegra, Carlos di Vargas tritt er an Dutzenden namhaften Häusern auf. Als René und Marcel an der
Wiener Staatsoper, als
Ford an der Hamburgischen, in Donizettis Lucia und Maria Stuarda an der Württembergischen Staatsoper. 1958 erhält er seinen dritten großen Gastvertrag an die Deutsche Oper am Rhein,
Düsseldorf-Duisburg, 1960/61 folgt das eben eröffnete Opernhaus Köln, dessen Führungs-Tandem Schuh + Sawallisch den prominenten Bariton mit den Bösewichtern in Hoffmanns Erzählungen neben
den Titelhelden Rudolf Schock stellt. Fast gleichzeitig bindet ihn Intendant Walter Erich Schäfer mit einen Gastvertrag an Stuttgart. Schließlich nötigt ihm der von Köln abgewanderte Oskar Fritz
Schuh noch einen 15-Abende-Kontrakt ans Opernhaus Zürich ab.
Immer wieder reizen den universellen Sänger-Mimen darstellerisch ergiebige Partien, von Buffa bis Moderne. In Basel
präsentiert er Sutermeisters Titus Feuerfuchs, in Stuttgart Kreon in Strawinskys Oedipus Rex, beim ORF einen virtuosen Enrico in Donizettis Il Campanello. Er gastiert im
ganzen deutschen Sprachraum, in Frankreich, England, Italien, Spanien, Portugal, Schweiz, Belgien. Internationale Sängerstars wie Schwarzkopf, Kupper, Trötschel, Grümmer, Schech, Mödl, Rysanek,
Moffo, Lorengar, Nilsson, Bjoner, Watson, Köth, Töpper, Ludwig, Peerce, Kraus, Raimondi, Hopf, Windgassen, Kónya, Thomas, King, Wunderlich, Frantz, Hotter, Frick sind seine
Partner.
1956 fragt der Münchner Agent Horst Taubmann (ehemals Tenorstar der Münchner Oper, Uraufführungssänger des Flamand in
Capriccio) als Rechercheur für Rudolf Bing an, ob Marcel Cordes als Metternich-Nachfolger fürs Deutsche Fach an die Metropolitan Opera kommen wolle – Debüt als Mandryka. Der selbstkritische,
sich stets ironisch infrage stellende Sänger, der Mandryka beim Südfunk ideal-rollendeckend gesungen hatte, haderte (lebenslang) mit seiner maximal mittelgroßen, untersetzten, zur Fülle neigenden
Erscheinung:
„Mandryka ist wie Don Giovanni, das kann nur ein großer, schlanker, schöner Mensch machen“
– und zögert die Zusage so lange hinaus, bis der Zugriff auf eine Weltkarriere vertan ist. Ungeklärt bleibt, ob sein
ausgebuchter Auftrittskalender den Schritt nach USA überhaupt zugelassen hätte.
Das tönende Erbe
1955 beginnt EMI Electrola, Schallplatteneinspielungen mit dem international erfolgreichen Wolfgang Sawallisch zu
realisieren. Dabei stehen Carl Orffs Carmina Burana (Köln 1956) und Die Kluge (London 1956) auf dem Programm. Der Dirigent holt Marcel Cordes. Die Aufnahmen haben bis heute
Referenzrang. Cordes ist in grandioser Form. So entschließt sich die EMI, Soloaufnahmen für 45er-Singles mit ihm zu machen. Anfang 1957 erscheint seine erste Soloplatte: Champagnerarie und Serenade
aus Mozarts Don Giovanni. Es folgen Standard- und Bravourarien, auch Duette und Szenen von Verdi, Rossini, Donizetti, Leoncavallo, Puccini, Offenbach, Giordano, Tschaikowsky Lortzing,
Joh.Strauß, dazu ein paar Lieder, Romanzen, Canzonen. Nach den spektakulären Orff- Einspielungen kommen Silvio in einem deutschsprachigen Bajazzo unter Horst Stein und Krushina in Rudolf
Kempes deutscher Spitzenaufnahme von Smetanas Verkaufter Braut. Danach ein paar Opernquerschnitte. Und damit ist die Platten-karriere fast beendet; es folgen noch Gelegenheitsaufnahmen für
DG und Eurodisc.
Weit größer ist die Fülle von Studio- und Live-Aufnahmen bei Rundfunk-anstalten wie HR, Südfunk, WDR, RIAS, SFB, vor
allem BR München – Einzelstücke und Gesamteinspielungen, darunter viele Partien, die Cordes nicht auf der Bühne gesungen hat (wie Riccardo Forth, Alfonso XI, Monforte, Scarpia, Michele, Mandryka).
Die meisten bleiben, einmal gesendet, in den Archiven. Auch TV-Auftritte werden realisiert, darunter Opernpartien komplett: Carlos di Vargas in Die Macht des Schicksals, Tonio im
Bajazzo und (mit Günter Rennert) Marcel in Puccinis Der Mantel. Nahezu unentdeckt ist die Radio-Hinterlassen-schaft mit Konzertstücken und Kunstliedern – einem Feld, das lange kaum
mit Cordes in Verbindung gebracht wird. Zu seinen Klavierpartnern zählen Größen wie Michael Raucheisen, Hans Altmann, Aribert Reimann.
Chancen und Gefahren
Ab Beginn der 1960er Jahre ist Marcel Cordes mit Auftritten in ganz Europa derartig
ausgelastet, dass er praktisch „für keinen unbezahlten Ton mehr Zeit“
hat, Neuheiten nur langfristig einplanen kann. Er tritt mehrmals pro Woche
in diversen Städten und Ländern auf, rast von Termin zu Termin, lebt phasen- weise nurmehr in Hotels und zwischen Flughäfen, treibt Raubbau bis über
seine Grenzen. Da erfährt er von seiner Diabetes-Erkrankung. Ärzte raten ihm, Belastungen zu mindern. Ständige exzessive Bühnenarbeit mit regelmäßigen Erschöpfungen könnten ihn früh in Todesgefahr
bringen. Er schafft es nicht, dem Rat zu folgen, bleibt in der Auftrittsmühle – so als sei ihm von der abgebroche- nen Tenorlaufbahn ein Krisentrauma geblieben, das ihn ans Jetzt fesselt und rastlos
treibt. Er rationalisiert es: „Acht Jahre Krieg, Gefangenschaft, drei Anfänge – so viel Zeit, die ich reinholen muss!“
1960 kommt in Bayreuth erstmals ein Ring des Nibelungen in der Regie von Wolfgang Wagner heraus. Dirigent ist Rudolf Kempe – sein Bayreuth-Debüt.
Die Partien des Donner und Gunther sind mit dem später international arrivierten Thomas Stewart besetzt. Der wechselt bald in dominantere Wagner-Partien. Als Nachfolger holt Kempe den von ihm
hochgeschätzten Marcel Cordes, der damit am (damals noch) weltweit wichtigsten Wagner-Spielort als dramatischer Charaktersänger vorgestellt wird. Er verkörpert die beiden Ring- Partien während dreier
Festspielsommer, 1962-64. Die weltweit über- tragenen Aufführungen liegen als Tondokumente vor; sie belegen eine bemerkenswerte Stimmentwicklung des ehemaligen Tenore di grazia zu dunklerer
baritonaler Fülle und Färbung; eine Tendenz, die sich auswirken wird.
Im Frühjahr 1965 fordert Rudolf Hartmann, immer noch Münchner
Staatsopern-Intendant, Cordes auf, bis zum Spielzeitwechsel alle seine italienischen Partien auf die Originalsprache umzustellen; sonst müsse er sie an den neu verpflich- teten Amerikaner Thomas
Tipton abgeben. „Er wusste genau, dass ich dafür kaum Zeit hatte, setzte bewusst eine so kurze Frist, die mich gezwungen hätte, Dutzende feststehender Auftritte abzusagen. Das war seine
späte Revanche für meine Berliner Bindung“, kommentiert der Sänger. Er lässt den Münchner Vertrag fahren. Ein Vertragsangebot der Volksoper Wien bietet die Alternative. Cordes unterschreibt umso lieber, als sich das Wiener Haus, lange hauptsächlich Operetten- und Musical-Spielstätte, damals in bester Niveaukonkurrenz zeigt; mit einer Reihe
arrivierter Sänger und Dirigenten, Regisseure, Spielplan-Alternativen und also Rollen-Optionen ins „schwerere“ Fach.
Marcel Cordes überträgt seine Münchner Termine auf Wien. Er etabliert sich
teils in Alleinstellung, alterniert aber auch mit Wiener Institutionen wie dem soliden Ernst Gutstein und dem Schnellaufsteiger Eberhard Waechter. Das Rollenspektrum ist variant und herausfordernd:
Da sind die vertrauten Verdi-Partien mit Nabucco, Rigoletto, Luna. Doch auch der exponierte Fürst Ottokar
im Freischütz. Der burleske Spielbariton Fluth in den Lustigen Weibern. Der elegante Charakterbariton Jeletzkij in Pique Dame. Italiener von Enrico
in Lucia
bis Sharpless in Madame Butterfly. Die Moderne mit dem Kaiser in Strawinskys Nachtigall und Gomez in Ravels Spanischer Stunde. Die Wiener Historie mit
Johannes im Evangelimann. Dazu, eigens für Cordes, noch einmal Kunrad in Feuersnot. Ein letzter neuer Verdi präsentiert Marcel Cordes in extremem Stimmeinsatz und
aufwühlender Darstellung als grandiosen Franz Moor in Verdis Die Räuber. Den optionalen Wechsel in ein schwereres Fach annonciert Sebastiano in d’Alberts
Verismo-Reißer Tiefland. Sogar eine Bassbuffo-Partie
wird mit köstlicher Komik gemeistert: Doktor Fabrizio in Wolf-Ferraris Il Campiello in Otto Schenks Regie. Hans Sachs soll im Gespräch gewesen sein.
Noch in München hat der Kammersänger ab 1963 eine Einladung des dortigen
Richard-Strauss-Konservatoriums zur Übernahme einer Gesangsklasse angenommen – ein Engagement im Blick auf eine etwaige Karriere nach der Karriere. Mit Beginn des Wiener Vertrags 1965/66 fehlen ihm
die Präsenz-möglichkeiten; er legt die Pädagogenrolle wieder zurück. Zu seinen Schülern zählen die später bekannten Heide Rabal (Mezzo/Alt in Klagenfurt), Rudolf Wiesböck (Bariton in Wien) und Werner
Gröschel (1. Bassist in Zürich).
Uscita di scena
Um 1970 ist Marcel Cordes an der Grenze seiner Belastbarkeit angelangt.
Neben seinen Wiener Auftritten hat er sich an seinen Vertragsbühnen und bei Gastspielen unentwegt weiter gefordert. Stimme und Sängerkönnen sind intakt. Doch die Krankheit eskaliert, schwächt seine
Physis, veranlasst die Ärzte zu drastischen Prognosen. Zusätzlich macht ihm ein altes Gehörleiden, Folge allzu ausgedehnten Tieftauchens im Bodensee, zu schaffen. Er erlebt ängstigende
Körperreaktionen und -signale. So entschließt er sich, seine Laufbahn zu beenden.
Bei Wörgl/Tirol hatte er einen Landsitz bezogen. Mit 50 Jahren verlegt er seinen
Lebensmittelpunkt dorthin. Er lernt, sich zu entspannen, ländlich zu leben, bewirtet Gäste, holt Lektüre nach, reitet, befasst sich mit Tierhaltung, steuert einen Kutschenschlitten. Mit den Jahren
vergällt ihm die Krankheit Dasein und Lebenslust. Er schottet sich weiter ab, kappt Kontakte, wird zum Einsiedler. Im November 1992 ereilt ihn der Tod. Er geht mit 72 Jahren – nach einem hoch
aufregenden, von Brüchen begleiteten, an Herausforderungen, Wagnissen und Überwältigungen reichen und doch zu kurzen Künstlerleben.
In Angath bei Wörgl ist er beigesetzt. Ein Sängerstipendium „In Memoriam
Marcel Cordes“ zur Tiroler Academia
Vocalis, gestiftet von seiner Tochter Barbara, ist der
Erinnerung an den außerordentlichen Sänger gewidmet. Wer ihn erleben konnte, weiß keinen wirklich gleichrangigen Nachfolger zu benennen. Er war ein Solitär, ein Maßstab. Es ist höchste Zeit für seine
Wiederentdeckung.
KUS