Eleganz und Stilbewusstsein: Der Bariton Fritz Feinhals
„Wagner-Gesang zum
Träumen.“
Jürgen Kesting über Fritz Feinhals
als Wagners Holländer (in „Die großen Sänger“)
Lückenlos erfasst und scheuklappenfrei beurteilt, widerlegen die Archivbestände mit früh tondokumentiertem dramatischem Gesang den verbreiteten Eindruck, solche Exempla classica eines scheinbar authentischen Wagner-Singens seien ganz und gar durch Bayreuther Maßstäbe geprägt. Mancher Sammler wird diesen Anschein im eigenen Denken bestätigt finden: dass nämlich die im Bayreuther Festspielhaus tätig gewesenen Sängerinnen und Sänger der Cosima-Ära (bis etwa Mitte der 1920er) vorherrschend auch in den Tondokumenten dieser Zeit hörbar geworden seien – und dass sie damit unser Bild vom damaligen stimmlichen Prototypus und sängerischen Interpretationsstil bestimmen, fast sprichwörtlich als „Bayreuth Bark“: mit groß- volumigem Klangbild, stößiger Tonbildung, konsonanten-dominierter Phrasierung, martialischer Ausdrucksintensität vor Vokalkunst.
In der Tat: Es sind meist die Repräsentanten dieser „Bayreuther Schule“, deren Namen fallen, wenn die Rede auf angebliche
Golden Times of Wagner kommt, das sich in den noch unvollkommenen Tonaufnahmen offenbare. Mit Heroinen wie Wittich, Fleischer- Edel, Senger-Bettaque, Reuß-Belce, Gadski, Larsén-Todsen. Oder
Hellmetall-Heroen wie Grüning, Burgstaller, Kraus, Schmedes, von Bary. Und vor allem Sonor-Recken wie Perron, Bachmann, Bertram, Soomer, Braun. Weniger dominant steht in der Erinnerung die
beachtliche Zahl vor allem sängerisch der klassischen Schule verpflichtet gewesener Rollenträger, die wir heute als Jahrhundertgrößen werten und Meistersänger nennen, ohne dass uns ihre
gleichrangige Bayreuth-Präsenz immer bewusst ist.
Zum Beleg nur eine Kurzauswahl: Die Soprane Lilli Lehmann, Ellen Gulbranson,
Emmy Destinn, der hochdramatische Mezzo Edith Walker, die säkulare Altistin Ernestine Schumann-Heink – Charaktersängerin und Virtuosa, die Tenöre Heinrich Hensel, Jacques Urlus, Ernest
van Dyck, Walter Kirchhoff, die Baritone/Bässe Joseph (Giuseppe) Kaschmann, Karl Scheidemantel, Leopold Demuth, Anton van Rooy, Clarence Whitehill, Hermann Weil, Richard Mayr, Paul Bender. Mit der
Übernahme
der Festspielleitung durch Cosimas Sohn Siegfried Wagner gewann das Kriterium Gesangskunst schrittweise Vorrang zurück und gipfelte ausgerechnet in den (erst reaktionär, dann NS-geprägten)
1920-40er Jahren, so als seien Richard Wagners Prämissen von idealem Wagner-Gesang erst dann zu ihrem Ursprung gekommen.
Großer Gesang im Musikdrama
Wozu diese ausgreifende Introduktion? Weil schon mit der Gegenüberstellung zweier Interpretations-Richtungen/-Schulen
deutlich wird, dass das frühe Bayreuth zwar in vordergründiger Rede, doch keineswegs in weltweiter Praxis die alleinige Wertsetzung für musikdramatisch gültigen Bühnengesang abgab, in diesem Aspekt
also mehr Mythos als Maßstab war. Auch anderswo an internationalen Brennpunkten des Musiklebens wurde großes Wagner-Theater aufgeführt, gespielt, gesungen; so in Wien, Berlin, Dresden, London, mit
Einschränkungen (von denen etwa der Dirigent Felix Mottl ernüchtert Niederschmetterndes notierte): auch an der Metropolitan Opera New York. Ein weiterer Festspielplatz für großen Wagner-Gesang
entstand mit dem Waldoper-Festival in Zoppot, dem „Bayreuth des Nordens“.
Und nicht nur dort. In Berlin etwa, wo ein Weltklasse-Ensemble versammelt war, wirkten die musikalischen
Qualitätskriterien aus den Zeiten von Weber, Meyerbeer, Spontini bis Muck, Weingartner, Blech weiter. In Wien zeitigte Gustav Mahlers Direktion Langzeitwirkungen, nicht zuletzt auf ein illustres
Sänger-Reservoir. Und in München, am Wirkungsort großer Wagner-Interpreten wie Hermann Levi, dem Uraufführungsleiter des Parsifal, Richard Strauss und Felix Mottl (hoch engagierte
Bayreuthianer alle drei), entstand mit den Münchner Opernfestspielen seit 1901 eine künstlerisch gleichrangige Konkurrenz zu Bayreuth. Das wurde in Wahnfried durchaus so
empfunden.
Auch deshalb erschien eine Reihe großer Sängerpersönlichkeiten von diesen Plätzen
nie in Bayreuth: etwa Sophie Sedlmair, Melanie Kurt, Zdenka Faßbender, Berta Morena, Maude Fay, Andreas Dippel, Joseph Mann, Leo Slezak, Hermann Jadlowker, Heinrich Knote, Karl Erb, Baptist Hoffmann,
Friedrich Weidemann, Emil Schipper, Leo und Gustav Schützendorf, Friedrich Brodersen, Vilem Hesch ....
Einer in diesem Kreise, dessen Nicht-Erscheinen in Bayreuth besonders erstaunen kann (oder eben gerade nicht!)
war jener Heldenbariton vor Schorr, Bockelmann, Nissen, dessen stimmliche und vor allem sängerische Ausstattung am ehesten dem klassischen Ideal entsprach und im Klangcharakter dem ersten Bayreuther
Holländer und meist-gefeierten Wotan seiner Epoche – Anton van Rooy – vielleicht am nächsten kam: Fritz Feinhals – Sachs, Wotan, Telramund, Holländer, Wolfram, Amfortas, Don
Giovanni, Tell, Heiling, Amonasro, Jago, Scarpia, Jochanaan in München, Wien, London, New York.
Fritz Feinhals (Bariton)
* 14. Dezember 1869 Köln – † 30. August 1940 München
Er stammte aus Köln, geboren in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Er
konnte
die Bildungsprivilegien des gehobenen Kulturbürgertums nutzen. Am Polytechnikum
in Berlin studierte er zunächst Ingenieurwissenschaften, nahm zur eigenen Freude zugleich private Gesangstunden, wechselte schließlich 1893 mit professioneller Ziel- setzung in ein umfassendes
Bühnenstudium am Conservatorio Musicale nach Milano. Sein Stimmbildner war dort Alberto Giovannini, der unter anderen die legendäre Primadonna Gemma Bellincioni (Cavalleria-Santuzza der
Uraufführung) ausgebildet hatte. Feinhals nahm dazu noch Bühnendarstellungs-Unterricht bei Alberto Selva in Padova. 1895 erhielt er am Städtischen Opernhaus der Ruhrmetropole Essen Gelegen- heit zum
Bühnendebüt: als Silvio im Bajazzo. Ein Zweijahres-Vertrag war die Folge.
Bis 1897 sang der mit 28 Jahren schon gereifte Künstler im Essener Ensemble, wie
damals obligatorisch: das ganze Haus-Repertoire für Bariton, von Lortzing bis Verdi. 1898 ging er für eine Spielzeit ans Opernhaus Mainz. Dann – nach nur drei Jahren Bühnenpraxis - engagierte ihn die
Münchner Hofoper, damals noch unter der Leitung des legendären Hermann Levi. 28 Spielzeiten blieb Feinhals diesem Haus, einer der führenden Musikbühnen des deutschen Sprachraums, verbunden. Seinen
Bühnen-abschied gab er im Münchner Nationaltheater 1927 als Scarpia in Puccinis Tosca.
Baritono eroico confezionato
In München vollzog der Sänger einen Wechsel zu dramatischen Charakter-, dann
Heldenbariton-Partien. Damit half er der Company, eine große Lücke zu schließen –
als direkter Fachnachfolger des großen Eugen Gura. Feinhals war sich seiner Natur-anlagen bewusst: Er kam nicht aus Bassregionen ins Repertoire eines deutschen Basso cantante. Sein Material war
belastbar, von nicht allzu dunkler, maroner Tönung und leicht körnigem, doch in besten Momenten samtenem Klanggepräge, mit einem Hauch nasaler Beifärbung. Obwohl ihm die breitströmende, sonore Tiefe
eines naturalen Basso fehlte, sind seine Tonaufnahmen durchwegs frei von Drückern und Kaschierungen (wenn auch nicht von beiläufigen kleinen Schlampigkeiten, zeittypisch). Ein Bariton mit expansiven
Optionen. Seine erste Heroenpartie war Wagners Holländer.
Die Münchner Opernfestspiele im Prinzregententheater, dessen Bauweise am Bayreuther
Festspielhaus orientiert ist, konzentrierten sich auf die Werke Wagners als ständiges Kernrepertoire. Feinhals fand dabei die adäquaten Aufgaben für eine Karriere als Heldenbariton. Hier gab er seine
Rollendebüts als Hans Sachs, als Wotan und Wanderer, als Kurwenal und Amfortas – jedesmal mit großem Erfolg. Er war auch Münchens erster Jochanaan in R.
Strauss‘ Salome.
Ein Platz in der Opernhistorie
Von Anbeginn seines München-Engagements gab er Gastspiele an nahezu allen wichtigen
Opernbühnen Europas: So 1898 als Don Pizarro im Fidelio am Covent Garden London, später dort auch als Wolfram, Kurwenal, Sachs und Wotan. Ab 1905 an der Wiener Oper mit seinen
Wagner-Partien, weiter als Mozarts Don Giovanni, Marschners Hans Heiling, Rossinis Wilhelm Tell, Verdis Rigoletto, Puccinis Scarpia, R. Strauss‘ Joachanaan.
Mit gemischter Rollenauswahl, dabei stets auch in Wagner-Werken, gastierte der bald
prominente Sänger seit 1907 in Zürich, Frankfurt/M., Leipzig, Prag, Amsterdam, Brüssel, Budapest, an den Hoftheatern von Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim. Dauerhafte Gastverpflichtungen absolvierte er
an den Berliner Opernhäusern, mit der Königlichen Lindenoper im Zentrum. 1908 und 1909 war er an der Met in New York engagiert (Antrittspartie Wotan), trat bei einer kontinentalen Tournee in mehreren
Großstädten auf, debütierte dort als Amonasro in Verdis Aida und Sebastiano in d’Alberts Tiefland. Nach dem Urteil des berühmten Kritikers Henderson habe Feinhals als
Wotan in New York eine „gloriose Stimme“ präsentiert.
Als den Tag, mit dem sich der europaweit populäre Bariton in die Operngeschichte
einschrieb, kann man den 12. Juni 1917 vermerken. An diesem Abend fand im Münchner Prinzregententheater die Uraufführung von Hans Pfitzners vergleichslosem Werk Palestrina statt.
Fritz Feinhals gab darin den Kurienkardinal Carlo Borromeo, die zweite zentrale Partie neben der Titelrolle, die von der Tenorlegende Karl Erb verkör- pert wurde. Unter der Leitung von Bruno Walter
waren weiter dabei: Paul Bender (Papst Pius), Friedrich Brodersen (Morone), Paul Kuhn (Novagerio), Maria Ivogün (Ighino), Emmy Krüger (Silla) ,Gustav Schützendorf (Luna). Borromeo, eine
stimmlich und rhetorisch an Wagners Sachs zu messende Aufgabe, ist – auch angesichts der nur sporadischen Aufführungen – ein Gipfelstück für große Heldenbaritone, in den Aufführungsannalen
beispielhaft vertreten etwa durch Emil Schipper, Alfred Jerger, Rudolf Bockelmann, Hans Hotter, Paul Schöffler, Otto Wiener, auf Tonträger auch Dietrich Fischer-Dieskau. Wenn man sonst nichts über
Fritz Feinhals weiß – dies
gehört zum Basiswissen zur Gesangshistorie.
Lyrische Prägung. Rhetorische Emphase
Zitat Jürgen Kesting: „ … eine kräftige, aber lyrische Stimme, nicht immer
ganz intonationssicher. Die Höhe wird sehr gerade und schwingungsarm gebildet, oft mit zu scharfer Intonation. Am besten gelungen sind die lyrischen Partien und die liedhaften Passagen dramatischer
Rollen …“
In der Tat hat die Feinhals-Stimme vom Tonträger einen rein baritonalen Klang,
etwa
in der Färbung von Josef Metternich oder Tom Krause, ohne die Pracht und Sinnlichkeit der Tongebung etwa eines Joseph Schwarz. Auch fehlt dem Organ die Bronze- oder Ebenholzfärbung berühmter
Fachkollegen mit Basso-Fundament. Hin und wieder wird der
Versuch, Spitzentöne durch Platzierung am harten Gaumen in der mittleren Mundhöhle zu vergrößern, mit einer Reduzierung des natürlichen Vibratos erkauft; dann verändert sich das schöne kernige Timbre
ein wenig ins Fahle. Der helden-baritonale Charakter von Struktur und Farben aber entfaltet sich vor allem in der Mittellage prächtig, liegt dann nahe bei Hermann Weil, mitunter sogar bei Rudolf
Bockelmann. Die stärksten Eindrücke, da kann man Kestings Urteil nur unterstreichen, vermitteln die vokalen Mittel in gesanglichen (nicht nur lyrisch-liedhaften) Passagen,
so im Holländer-Duett mit der fabelhaften Melanie Kurt, in Wolframs Gesängen und Sachsens Monologen.
Großen Eindruck macht das expansive Narrativ „Auf wolkigen Höh’n wohnen die Götter“
aus Wagners Siegfried, mit überraschend schlankem, doch metallischem Ton, endlich einmal nicht gebrüllt, sondern mit konzentrierter Emphase vorgetragen. Von ausgewogener rhetorischer
Umsetzung und stellenweise herrlicher Phrasierung bestimmt: Amonasros Auftritt im 3. Aida-Akt mit Morena und Knote. Zustimmend
sei nochmals Kesting zitiert: „In der mittleren und hohen Lage klingt (die Stimme) durch
gute Mischung der Funktionen ungewöhnlich schön – und geschmeidiger als die der meisten zeitgenössischen Rivalen.“
Feinhals war bis zu deren Tod 1924 mit der seinerzeit prominenten Altistin Elise
Feinhals verheiratet, die an führenden deutschen Bühnen und an der Met in New York auftrat. Das Paar hatte vier Kinder, es wohnte in Feldafing am Starnberger See. Mit seiner zweiten Ehefrau Rose
lebte der bayerische Kammersänger nach seinem Bühnen-abschied als gefragter Gesangspädagoge in München, wo er 1940 verstarb. Er wurde in der Familiengruft auf dem Melaten-Friedhof seiner Geburtsstadt Köln beigesetzt. In
München ist seit 1964 eine Straße nach ihm benannt.
Fritz Feinhals war ein in seiner Ära nicht konkurrenzloser, aber führender Sänger
fürs dramatische Fach. In der heutigen Angebots-Einöde an Wagner-Heldenbaritonen wäre er nicht nur in Bayreuth, sondern auch auf den Weltbühnen wieder erste Wahl.
KUS