Wagner-Forum Bayreuth / Tamino-Klassikforum Wien
Januar-März 2010 – Einträge zu Wolfgang Wagner
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Bezug:
Wolfgang Wagner zum 90. Geburtstag
Antwort-Beitrag zu einem Halbdutzend Lobpreisern
 

Ja, soll man, oder soll man nicht?

Über den Jubilar-Status jenseits der Mündigkeits- und Verantwortlich-keitsgrenze: Nil nisi bene? Und außerdem ist ja sowieso alles subjektiv, die Geschmacks- und sonstigen Urteilskriterien ohnehin, und wenn dann noch ausgeprägte, zugleich massen-mainstreamige Wahrnehmungs- oder Kenntnisnahme-Subjektivität dazu kommt ...

Und außerdem haben die servilen, mitläuferischen, uns herdenmäßig begleitenden Presse- und Rezensions-Opportunisten in FAZ, SZ, StZ, FR,
DIE WELT, DIE ZEIT bis BILD und LOCUS, von Prof. Kaiser bis Bruig und Brembeck ja sämtlich das Ihre getan, um über der normativen Kraft des Faktischen – nämlich vertraglich abgesicherter Unabsetzbarkeit, also auch Aussitz- und Erpressungsbefugnis – affirmativen Lobpreissülz auszugießen.


Man beachte die Doppelbedeutung des Begriffs „Verdienste“.

Bloß in den Diskursforen zu Musikkultur und Musikbetrieb hatte ich derlei derart nicht erwartet. So sei’s drum. Ich halte den ewigen Wolfgang, Hügel-verweser in des Wortes umfassender Bedeutung, für eine der negativen Erscheinungen der Kulturszene des letzten Halbjahrhunderts. Ein hochbefähig-ter Betriebsführer, Organisator, Wirtschafter, Beschaffer, Drahtzieher, Wellen-macher – also Meister all dessen, was einen Impresario auszeichnet, sogar in der Realisiation spektakulärer (mitunter künstlerisch-bedeutsamer) Engagements
für Regie, Bühne/Szene, teilweise Dirigier- und Sing-Besetzungen von Professio-nalität und Instinkt, keineswegs immer, aber immerhin. Bloß ein bedeutender Künstler, Schöpfer, Konzeptdenker, gar Geistesmensch, das war er nicht.

Dazu nur ein paar Stichworte, jedes einer ganzen Abhandlung voller Belege
und Beweise trächtig, wenn man hier den Platz dafür hätte.


1.
Der suboptimale Künstler
. Im Vergleich mit dem übermächtigen – zu
WoWas Vielfachglück allzu früh verstorbenen – Bruder ein Provinzler der Kategorie 1930/40er Jahre, phantasielos, assoziationsarm, eklektisch, artikula-tionsschwach
(freier Rede kaum verfolgbar mächtig), bürokratisch, koofmichhaft; falls doch mal erträglich, dann brav, kaum über Stadttheater-niveau. Man kann praktisch jeden namhaften Opernregisseur seit 1950, nicht nur den großen Wieland, auflisten, um den Abstand selbst vom guten Standard zu belegen –
von Rennert und Schuh über Ponelle und die Italiener bis zu Chéreau, Kupfer oder Carsen (und das behauptet hier ein geschworener Verächter des  „Zeitge-nössischen Regietheaters“, damit kein Missverständnis aufkommt).


2.
Der typische „zweite Mann“
. Wer Jahre auf dem Buckel hat, um Zeitzeuge
zu sein, wird sich der mondialen, immer neu faszinierenden, vielfältig Impulse setzenden, ja entzündenden Wirkung Neu-Bayreuths 1951-ca.1970 erinnern, solange es künstlerisch von Wieland bestimmt wurde und WoWa auf die Rolle des Organisations- und Finanz-(beschaffungs)-Chefs festgelegt war, auch brave Abbild-Inszenierungen beisteuernd, gleichsam aus der „zweiten Reihe“ – grau, karg, unsinnlich wie Lohengrin, Holländer, Tristan. Der RING 1960 ff. hatte da wenigstens einen überzeugenden Zentralgedanken.


3.
Die niedrige Persönlichkeit.
Kaum, dass der übergroße Künstlerbruder verstorben war und der Alleinerbe den Hort greifen konnte, hagelte des Abrechnung und Inthronisation durch Demütigungen und Verweise:

*   die gesamte Wieland-Familie vom Hügel verbannt.

*   die eigenständigen (und an der Seite der verstoßenen Mutter
     optierenden) eigenen Kinder mit Hausverbot belegt.


*   die nahezu gesamte Dokumentation der künstlerischen Hinter-
    lassenschaft des Bruders aus Villa Wahnfried und Richard-Wagner-
   
Gedenkstätte verschwunden. Wer heute dahin kommt, findet im Keller
    aus Wielands Arbeit noch zwei Bühnenmodelle, im Treppenhaus
    einen zur Deko vergrößerten Fotoausschnitt – é tutto!

    Keine Spur sollte bleiben. So kennzeichnet und brandmarkt sich ein
  Ausmaß von Missgunst, Ranküne und Inferiorität, das allein reichen sollte,
  um von Preisungen, gar Verklärungen Abstand zu nehmen.


4.
Der Niveau-Absenker.
Wie gesagt: Geschmack und Subjektivität bilden streitfähige Wertsetzungen. Mag sein, dass der, von imposanten Gestalten wie Stein, Boulez, Solti, Sinopoli abgesehen, immense Qualitätsverlust bei Dirigenten und Sängersolisten und die, von Könnern wie Chéreau, auch Everding, abge- sehen, beliebig-opportunistische, vor allem PR-gesteuerte Regisseure-Auswahl am Hügel über die Endlosstrecke seit Ende der 1960er Jahre hin auch einer weltweiten Allgemeinentwicklung geschuldet ist. Doch dass, um nur mal das Zentralthema Tenöre herauszugreifen, nach Aldenhoff, Windgassen, Vinay, Hopf, Suthaus, Kónya, Thomas, King ein derartiger Niveausturz wie der zu Kollo, Hofmann, Jerusalem, Jung, Krämer, Pell usw. unausweichlich gewesen wäre, glaubt doch nichtmal der jüngste Nichtwisser. Und so kann man die Reihe abwärts von Knappertsbusch, Keilberth, Krauss, Kempe, Böhm oder von Varnay, Mödl, Rysanek, Borkh, Schwarzkopf, della Casa, Nilsson oder von Malaniuk, Siewert, Madeira, Resnik oder von  London, Bjoerling, Hotter, Uhde, Neidlinger, Weber, Dalberg, Greindl, Frick ... generationsumfassend in allen Fächern und Funktionen verlängern.

Das lässt sich übers letzte Vierteljahrhundert hin nachweisen – Ausnahmen
wie Meier oder Domingo wandten sich nicht grundlos nach kurzen Präsenzen definitiv von WoWas Bayreuth ab. Über all dies wäre ein Buch zu schreiben,
was sag ich: mit Wertungszitaten Betroffener und Beteiligter zu füllen..


5.
Die Austreibung des Geistes.
Mit Wieland mussten Träger und Garanten
für geistigen Background und intellektuelle Sinnstiftung vom Hügel weichen. Statt Bloch, Adorno, Mayer, Dahlhaus, Wapnewski, Gregor-Dellin, erhielten im Gefolge der ewigen WoWa-Ära Repräsentanten des Rechtsextremismus und
der Nazi-Nostalgie die Ehre, unter ihnen im Freundesstatus die Göring- und Hess-Sippschaften, ansonsten der rechte Politikflügel von Angie-Mom bis Westerwelle, dazu in wachsender Menge TV- und Gigi-Prominenzen von
M. Werner über „Kaiser Franz“ und „Fürstin“ Gloria bis Th. Gottschalk. Entsprechend gestaltete sich die begleitende Publizistik – vom Kulturressort
ins Vermischte.


Wollen wir dann noch über das grauenvolle, peinliche, entwürdigende,
im Ergebnis die Niveausicherung auf Unterlevel garantierende Finale streiten? Lieber nicht. Für mich heißt die Bilanz: Ein Halbjahrhundert Kultur- und Bedeutungsverlust vom zukunftsoffenen, kreativen, animierenden Weltfestival zum
Provinz- und Boulevard-Event – und das auf Dauer abgesichert.

Dessen soll ich respektvoll, gar verehrend gedenken? Nö, eher nicht.

* * *


dazu: Antwort an Anonymus 1: „Pieter“
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Brauner Ungeist ...

Lieber Pieter! Ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Wieland war der Ältere – aber wie WoWa eben Sohn der grässlichen Nazi-Jule, lebenslangen "Onkel Wolf"-Verehrerin + 88erin Winifred, also unter NS-Kuratell der eigentliche Prätendent. Nach dem frühen Tod des Vaters Siegfried (sehr Konservativer, aber kein Brauner) waren die Buben dem Pakt der, außer Friedelind, kollektiv mit der Hitlerei und Herrenmenschenbewegung verklüngelten Familie voll ausgeliefert, wurden also in ihrer entscheidenden Sozialisationsphase umfassend zwangs-geprägt. Wielands erste Schritte als Maler+Bühnenbildner, dann Regie-Eleve, wurden in die herrschende Richtung geleitet, von Tietjen betreut, von der Mutternorne im Zwang gehalten – bis zum bitteren Ende, das für die zwangs-abgedankte Hügelherrin bekanntlich keines war. Was es dazu zu wissen gibt, findet man umfassend in der bislang einzigen Wieland-Biographie: Berndt W. Wessling Der Enkel.

Für unsere Diskussion hier ist entscheidend:

Wieland hat auf dem intellektuellen Weg von der Adoleszenz zur Mannbarkeit nicht nur den Wahnweg der Auslieferung des Wagner-Werks an die braune Pest der Völkermörder erkannt, sondern auch gründlich aufgearbeitet, daraus vielfältige Schlüsse für Geisteswelt, Interpretation, Kontexte gezogen, diese mit seinem genialen Sinn für Farben, Formen, Lichtvisionen in neue Sichten aus dem Werk auf das Werk umgesetzt und dabei vitalen Wissendrang aktiviert. Dieser führte ihn Spielzeit für Spielzeit zu erweiterten Auf- und Ansichten, mit immer sich steigernder Fähigkeit zu kreativer Werkerkundung und Werkerschließung. Klar, dass dabei wie dem voraus eine gründliche Neuverfassung seiner geistigen Grundlagen und Denkwege und Projekte und Kreationen ging. Das alles in hochkomprimierter Abfolge – durch Wegbeschreitung wegweisend. Also auch als Faszinosum für Repräsentanten des anderen, besseren, gerechtfertigten Deutschlands – von nicht mehr Verfügbaren wie Newman, Einstein, Reich, Benjamin, Thomas Mann bis zu für aktiven Diskurs bereitstehenden Köpfen wie Bloch, Adorno, Horkheimer, Marcuse & Community.

Eben darum war der Rückschlag ins Ungeistige, Popelige, Mediokre in
der nicht endenwollenden Wirkungsphase des so ganz anders gestrickten, ausschließlich funktional begabten Bruders ein solches Verhängnis für Bayreuth – speziell und für die Wagner
-Interpretation allgemein. Mit den Folgen haben wir seit langem und (in Gestalt der affirmativ-ausbeutbaren Töchter) für noch lange umzugehen. Die veröffentlichte Meinung und ihre Erzeuger wie Träger buckeln sich immer den herrschenden Verhältnissen zu. Davon profitiert der WoWa-Klüngel – offenbar noch für lange.

Also, Vorsicht mit Gerüchten zu Wieland. Er ist gerade in Zeiten der Werkverhunzung durch „Regietheater“ der Wiederentdeckung wert.


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Antworten auf KUS:

Anonymus 2: „operus“

Wolfgang Wagner zum 90. Geburtstag

Lieber KUS!

Warum denn der Protest? Du hast zu Wolfgang Wagner Deine Meinung, die
Du fundiert begründest. Ich habe in Teilen eine andere. Also lasse uns diese austauschen, das ist ja der Sinn unserer Tamino-Diskussionen.

Gewiss Bayreuth und die Familie Wagner tragen durch die Verstrickungen in der unseligen Zeit des dritten Reiches eine Erblast und Erbschuld. Beide Wagner-Enkel bemühten sich, diese Belastungen abzubauen und aufzuarbeiten.

Mir geht es jedoch an seinem 90. Geburtstag um die Würdigung der Lebens-leistung von Wolfgang Wagner. Er war ein - auch im Vergleich zum künstlerisch genialeren Bruder Wieland - ein sehr ernstzunehmender, ausgezeichneter Regisseur. Als Beleg dafür nehme ich nur seine erste Ringinszenierung von 1960 - 1964. Als erster hatte er hier die geniale Idee der Scheibe als durchgehende Spielfläche des ganzen Rings. Während Wieland mehr vom Bildhaften her her inszenierte, war Wolfgang der muskalischere Spielleiter.

Seine größten Verdienste hat er jedoch dadurch, dass er Bayreuth jahrzehntelang durch alle Stürme geführt hat und als Gralshüter blöd-sinnigen Vorschlägen, wie ganzjährig spielen und andere Komponisten auf dem Hügel aufzuführen, standhaft widerstanden hat.

Nahezu genial waren seine unterschätzten oft verlachten Schachzüge und sein Stehvermögen, um das Wagnersche Erbe im Sinne der Familientradition an seine Töchter weiterzureichen. Würde man in die Streitereien im Wagner-Clan ein-steigen, dann ließen sich gewiss ebenfalls zahlreiche Beispiele für die Gegner-schaft von Wieland zu Wolfgang finden.

Ich wehre mich dagegen, wenn die beiden Brüder gegeneinander ausgespielt werden. Jeder sollte seinen Verdiensten entsprechend gewürdigt werden, das
hat besonders Wolfgang für seine Lebensleistung am 90. Geburtstag verdient.

Kritisch untersucht werden sollte tatsächlich der Niedergang des Qualitätsniveaus in Bayreuth besonders bei den sängerischen Leistungen. Ist dieses Phänomen allerdings nicht allgemein und überall zu beklagen? Ich meine auch, bei den neuen "Herrinnen" von Bayreuth gute Ansätze für die Weiterentwicklung und Erneuerung des Wagnerschen-Erbes festgestellt zu haben.

Herzlichst Operus


(Anm.: „Operus“ ist Hans A. Hey)
 

Anonymus 3: „Mr. Joho“

Volle Zustimmung

Lieber KUS!

Ich bin Ihnen für Ihre kritische Würdigung von WoWa ausserordentlich dankbar, der
ich zu 100% zustimmen möchte. Diese Meinung wird heute kaum mehr ausgesprochen und offensichtlich als nicht salonfähig betrachtet. Es wird offenbar in weiten Kreisen schon als Leistung betrachtet, Wolfgang
s Alter erreicht, bzw. sich so viele Jahre an seinem Stuhl festgeklammert zu haben.


Was ich Wolfgang wirklich am meisten übelnehme, ist nicht der künstlerische Stillstand und Rückgang während seiner Intendanz, sondern der bedenkliche Umgang mit den Leistungen seines genialen Bruders, bzw. mit dessen Familie. Dies alles nur um seine eigene Mittelmässigkeit nicht einem Vergleich auszu- setzen zu müssen und seine Machtposition zu festigen. Kleingeistiger geht es wohl kaum.

Wie würden wir beispielsweise heute dankbar sein, wenn Wielands Tannhäuser 1967 (wie von im noch in die Wege geleitet) in Farbe verfilmt worden wäre.
Niemand anderer als Wolfgang hat es gestoppt.


Dass Tristan und Walküre von Osaka in guter Qualität offiziell herauskommen, scheitert bis heute an Bayreuth; die Meistersinger-Schusterstube liegt seit der Erstaustrahlung unter Verschluss beim BR-Fernsehen (warum wohl?).


Dass Wolfgang 1970 jeweils die Tristan-Bühnenbilder und Dekorationen nach
der letzten Vorstellung nach jedem Akt hinter dem Festspielhaus verbrennen liess, wie Birgit Nilsson in ihren Erinnerungen erzählt rundet dieses peinliche Bild nur noch ab.


Ihr JoHo

(Anm.: „Joho“ = Prof. Joachim Hofmann, Uni Mainz)

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Antworten darauf von KUS


Lieber operus! Lieber M. Joho!

Dank & Reverenza ob der Toleranz- und Diskurs-Bekundung!
Aus einem anderen Net-Circle namens "Wagner-Forum" waren mir 1998-2000 extrem andere Haltungen in affektiver Ausformung bekannt.


Zur Sache nur ein Insistment:

"Beide Wagner-Enkel bemühten sich, diese Belastungen abzubauen
und aufzuarbeiten."
- Eben das bestreite ich bezüglich Wolfgang entschieden!

Ansonsten Dank für Ergänzungen und Lernhinweise.

Grüße, KUS


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Antwort KUS an Anonymus 4 „Joseph II“:

Ach Gott - nein!

Noch einen Widerspruch muss ich anmelden. Wegen Themenbegrenzung hier nur als pauschales Statement, in einem anderen Spazio ggf. breiter auszuführen: Zu meinem Leide kann ich auch im Wirken der "neuen Herrinen" keine guten Ansätze "für die Weiterentwicklung und Erneuerung des Wagnerschen-Erbes" erkennen.

Wobei noch zu diskutieren wäre, wieso denn ein grandioses, epochales, Jahrhunderte prägendes Künstlergeniewerk "erneuert", gar "weiter entwickelt" werden müsste, sollte, dürfte.

 ---  Davon abgesehen: Das Protektionskind Katharina, auf das es ja doch hinausläuft, hat sich außer in (na sagen wir:) unbefangener Girly-Attitüde und BILDzeitungs-Kommunikation unter Einbeziehung von Bettgeschichten und Decolleté-Ansichten plus Mainstream-Vermarktungsaktivitäten vorzugweise
als (wenn auch sehr kess-selbstgewisse) Mitläuferin und Abkupferin erwiesen. Die vordergründige, effekthascherische, opportunistische Trittbrettfahrerei auf dem Zug des Grauens, nämlich der Jekami- und Ichauch-Ichauch-Huberei des sog. "zeitgenössischen Regietheaters" präsentiert sich im bisherigen Wirken dieser Tochterkarriere, begünstigt durch den Allerorten-Opportunismus von Intendanten und Feuilletonisten, aber sowas von öde bis maximal ärgerlich,
dass ich die Hoffnungen, die operus hegt, erstmal konkretisiert bekommen müsste. Vielleicht macht er ja einen Thread dazu auf (?).


--- Um nur eine Regietat anzuführen, Kathis Meistersinger. Statt "Tinte, Feder, Papier", na klar: Laptop-Tastatur-Monitor. So durchs ganze Werk, zeitgeistig, schick, oberflächlich, dünnsuppig, albern und immer nach demselben Second-Hand-Strickmuster. Man suche sich eine Chiffre im Heute, vom T-Shirt bis
zur Espressomaschine, und fertig ist die "aktuelle Sicht", die "Ausdeutung für Gegenwart und Zukunft". Gleichgeschalteter Schreiberopportunismus nennt
es "kreatives Überraschen" (wo unreflektiertestes Wandeln auf ausgetretenen Derzeit-In-Wegen gerade jede Überraschung abwürgt). So macht sie's von der ersten Regie weg, von Rienzi bis Suor Angelica, immer dieselbe reflektionsfreie Masche. Welcher Erkenntnisgewinn solchen Späßchen entsprießen soll, die in Wahrheit nur Uniformisierungen, nicht mal Individualisierungen sind, bleibt (mir) ein Rätsel. Bayreuth wird so, gleichsam im Imitations-Nachgriff, auf das Niveau der Doris Dörrie gedrückt (deren Unzum
utbarkeiten aber wenigstens noch eigenständig sind). Haben wir, hat Wagners Werk daran Bedarf?

Die international vielbewährte ältere Schwester – sicherlich eine erfahrene, in Betriebsorganisation und Festivaladministration kompetente Fachfrau, also ein zur politisch-ökonomischen Absicherung, irgendwann vielleicht Rettung des Unternehmens prädestinierter Faktor, insoweit optional eine Personifizierung der Fortführung, wenn nicht Kodifizierung von 50 Jahren WoWa-Standard ins Unbegrenzte. Als wortbrüchige Intrigantin (etwa gegenüber Cousine Nike, einer Künstlerin ganz anderen Niveaus) hat sie sich ja CSU+BDI-kompatibel für jedermann positioniert. Eben weil solcherlei Herrinnen-Profile den Status Quo evident sicherstellen dürften, waren die Personalentscheidungen am Hügel wohl im Sinne derer, die derzeit besonders Einfluss und Sagen haben: SchwarzGelb, Großindustrie, Reaktion. Boulevard.

Meint Ihr KUS


Antwort von Hans A. Hey:

Lieber KUS,
großes Kompliment für Deine Kompetenz, Deine Eloquenz und Deine dialektisch gekonnte Argumentation. Um in unserer Diskussion weiter zu kommen müssten wir wahrscheinlich face to face kommunizieren. So breit und viellschichtig ist dieses Thema.
Ich meine schon, dass die Marktplatzübertragungen und "Wagner
für Kinder" schon neuere Ansätze sind. Vielleicht bin ich in meinen Erwartungen aber zu bescheiden. Du gehst mehr ans Grundsätzliche ran.

Herzlichst
Operus




Anonymus 5: „Gustav“
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Lieber KUS!

Auch von mir ein Kompliment für deine Eloquenz. Ich sehe die Situation, was die Katharina angeht, ähnlich, hätte es aber sicher nicht so vernichtend formulieren wollen
– und können.


Nach 1 1/2 Akten Meistersinger auf DVD (ich gebe zu, das ist für eine Gesamtbeurteilung recht wenig) muss ich auch sagen, dass ist ein netter und biederer Regietheaterversuch. Und in diesem Biederen ähnelt er sicherlich den meisten Arbeiten ihres Vaters. Der Zug zum Genialen, den Wieland hatte, kann man dort nicht ausmachen. Aber, warum gönnt man ihr nicht die Zeit zum Entwickeln. Wieland hatte sie auch. Dass er, sicherlich mit einer ganz anderen Kreativität ausgestattet, diesen großen Sprung machen konnte, liegt wohl auch an den gänzlich anderen, viel radikaleren Zeitumständen.

Viele Grüße von Gustav


Anonymus 6: „Titan“

F ü r  K U S
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Oh wie gut, daß ich weiß
auch einen ewig Braunen red' man nicht weiß


Bei aller Hochachtung, Joseph ZWEI,
der Wolfgang
machte Bayreuth zu Brei


Nimm seine Meistersinger vor zehn Jahren
vor solchem Biedermanngelaber möge man uns bewahren


Sein Drachengespeie schuf Zwietracht über Jahrzehnte
nicht nur Wieland und Tochter, gar der eigene Sohn warn Verfemte


Geben wir unsere Menschlichkeit
bei der großen Musik des Großvaters Richard nicht ab


Doch Mitläufer und Opportunisten,
wie der Wolfgang
immer einer war,
sollten wir kritisch sehen mit Haut und Haar
Mutter Winnie und ihr geliebter Führer JA -
die waren auch so ein inniges Paar.


Wir Nachgebornen müssen wachsam sein.
Denn das eine ist Richards große und traumhafte Kunst
Und das Andere gräuselt dahin
mit Wolfgang
und seinem sehr gestrigen Dunst.


Auch der 90er Greis ist Mensch wie ich und du.
Darum: Dem Wolfgang
rufen wir zu:
Fasolt und Fafner in einem zu sein,
Führer und Opa und Wolfgang
klein:
N E I N !!!
Die Scheisse ist BRAUN
und strapaziert meine Reim’.

Es grüsst: Titan

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P.S. Ich bin ein großer Wagner
—Fan. Und deshalb entschiedener Kritiker des Enkels Wolfgang
, Dieser hat aus meiner Sicht BAYREUTH wie in einem billigen Abklatsch massenmedial und RTL-nahe heruntergebracht.



Einwurf von KUS:

Allora - welch animierende Diskussion hab ich da ausgelöst.

Schööööön! Sag ich nicht nur der bestärkenden Stimmen wegen. Auch aus reiner Freude am artikulierten Engagement der Einträger, wenn es sich so vertieft und cordial und dann auch satirisch-ätzend äußert. Complimenti. Doch einen Aspekt, eine Haltung möchte ich noch aufgreifen: Die etwa bei Gustav aufscheinende grundsympathische Compassion = Toleranz für WoWa gleichsam aus Mitleid, ein Verständnis für Abwehr-, Eifersuchts- und Kleinlichkeits-Regungen einer zur Herrschaft gelangten Inferiorität.

Das ist natürlich korrekt beobachtet und analysiert. Und ginge es ums "normale" (normierte, aber eben nicht mit Normierungskraft ausgestattete) Alltagsleben, dann wäre ich sofort mit im Boot; bin ja ein bekennender Linker, also in Psycho-Grundstruktur sozial-human-solidarisch geformt. Aber: Kann Verständnis, gar Mitleid mit einem Leidenszustand infolge Genialitätsvorsprung und Geistes-überlegenheit eines Vorgängers die Inthronisation & Ermächtigung, somit ein Halbjahrhundert Autoritätsausübung mit Multiplikations-, Wertsetzungs-, Präge-, Berufungs-, aber auch Ausgrenzungs-/Erledigungs-Wirkkraft rechtfertigen, gar außer Kritik stellen?

Konkret: Was rechtfertigte und begründete denn die epochale, geradezu diktatorische, noch dazu faktisch lebenslange Totalbevollmächtigung des Longtime-Nachfolgers? Ausschließlich die Familienzugehörigkeit, das Enkel-
& Brudersein und ein respektables Vorleben im Administratorenamt – sonst gar nichts. Also: Kein anderer von WoWas Zuschnitt, doch ohne Sippenabkunft hätte sich auf diesen Stuhl schwingen und in diese übergroßen Stiefel stellen können, noch dazu – „vertragen ist’s" – auf Lebenszeit.


Für die am Ende doch zur Nachfolge intrigierten, erpressten, ermauschelten Töchter gilt das noch mehr – zumindest im Fall Katharina. Die ältere Halb- schwester Eva hat eine eigenständige Lebensleistung im Metier vorzuweisen, solide, effizient, international, wenn auch auf außerkünstlerischen Feldern, und wäre sicher auch im Team mit einer Künstlerpersönlichkeit von Graden etwa Nike Wagner oder Gérard Mortier eine sinnvolle Besetzung gewesen. Doch das Protektionskind auf dem Parnass der (dort freilich schon lange-lange verrotteten) Wagner-Interpretation: Wodurch wäre es denn prädestiniert – außer durchs Tochtersein und den sturen Sippenwillen des Hügel-Endlosherren, der – und
da sind wir wieder bei Gustavs Erwägungen – seine Standards (inkl. Eifersüchte, Rachegelüste, Setzungszwänge ...) übers Grab hinaus zu sichern wusste und zugleich die Tilgung aller Spuren eben jener Gestalt, an der zu leiden sein
Karma gewesen sein mag.

Bei aller Bereitschaft zur Betrachtung auch der klinischen Seite des Phänomens:
Muss eine ganze Mit- und Nachwelt das en suite ausbaden?


Fragt sich Euer KUS

P.S.
Impegnato: Ein (lt. „Titan“) „ewig Brauner“ – wie kann der (lt. „Joseph II“)
„einer der größten des 20. Jahrhunderts“ sein?
Und: (lt. Burdas LOCUS) „den Weg für Neu-Bayreuth bereitet“ hat er auch nicht.


Veramente no!



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Nachtrags-Zuruf von KUS beim Tod von WoWa:


Aus der hinteren Reihe,
von den mit Gründen freigebliebenen Plätzen:


Hier also wieder - und bei prominenten Todesfällen anscheinend unvermeidlich (ausgenommen natürlich, wenn es sich um Repräsentanten der Linken handelt)
– ergießt sich das große WoWa-Preisen und In-Memoriam-Sülzen. Mir erscheint es umso abgeschmackter und zukünftige diskutable Wertsetzungen verhinder-licher, als der Verstorbene noch übers Grab hinaus die heuchlerisch-verspätete und darum ekle Geschichtsnivellierung R.Wagner
/Mendelssohn verordnet und, noch ekler, die bei Lebzeiten hinreichend diskriminierten Familienmitglieder außerhalb seiner Cliquenherrschaft, nämlich den fundamentalkritisch wahrheits-suchenden Sohn Gottfried und die Nachkommen des geistig-künstlerisch in Halbjahrhundertwirkung weit überlegen gewesenen & eben deshalb (erfolglos) der Auslöschung überantworteten Bruders, noch von der Totengedenkfeier kleinlichst-niedrigst ausgegrenzt hat.

Den peinlichen Rest, zugleich üble Erwartungen bestätigend, liefert das Politprotektionskind Katharina im Bunde mit der stets schweigenden, dafür hinter den Kulissen intrigierenden (Nike kann ein Lied dazu singen) Frau Wagner-Pasquier.

Der ganze WoWa-Klüngel auf dem Weg ins Infinitive - gestützt von der politischen wie medialen wie (und darauf kommt's an) industriekapitalen Rechten so schwarzgelber wie nazibrauner Provenienz. Was einmal geistiger Ausweis der Festspiele war, blieb fern wie 40 Jahre lang zuvor zugunsten von Geldmacht und Gigi.

Da werfe Blumen, wem solches gefällt. Ich bekräftige meinen Eintrag im
Spazio "WoWa zum 90." in diesem Forum am 20. Januar 2010.

             In Memoriam Wieland Wagner grüßt KUS


 

 

 

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© Klaus Ulrich Spiegel