Öffentlichrechtliche Talk-Schäbigkeiten
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ein Briefwechsel aus üblichem Anlass

                                                                                              18. März 2015
Liebe Dagmar!
Dein Brief an den Jauch ist mir wichtig. Und dennoch bestätigt er mich
in meiner immer stärkeren inneren Abwehr, mir die immer verkommeneren Talk-Events in den immer verkommeneren Öffentlichrechtlichen anzuschauen. So auch diesmal und sicherlich en suite.

Neben der Nachher-Kritik (die auch auf den NachDenkSeiten in treffender Klarheit stattfand) ist eine Betrachtung der Abläufe vor und während zu beachten: Wer wird warum zu was jeweils als - honorierter - Diskutant eingeladen?

Im akuten Günter-Jauch-Fall war es einerseits  - wie offenbar zukünftig
andauernd – wieder der CSU-Finanzminister und voraussichtliche bayerische Ministerpräsident in spe mit der Stammtisch-Bierzelt-Meinung im Gewande
des Sachverständigen. Zum anderen aber die Knalltüte Ernst Elitz, weiland
Südfunk-Intendant, dann Gründungsintendant von (ausgerechnet) Deutsch-landradio-Kultur (!), selbstgefällig strotzend in Dummgeschwätzigkeit, heute BILD-Kolumnist und dort mit Extrembeleidigungen und Spitzendiffamie-
rungen voll auf der Dieckmann/Wagner-Linie des Hetzens, Lügens, Verleumdens - vor allem gegen Griechenland und Syriza ("eine Schande für Europa"). Dieser war sicherlich genau solcher Verlautbarungen wegen in die Jauch-Show eingeladen, wo er sich denn auch wieder analog benommen haben soll. Beide Herren: aufs Beste die üblich-ekle deutsche Herrenreiter-Attitüde
gen Hellas („Pleite-Griechen“- „Griechen-Raffkes“) austobend.


Ich kann mich nur wundern, dass Varoufakis sich solchen Situationen über-
haupt aussetzt. Und dass - gelegentlich als Kontrastminderheit auch mal eingeladene - seriöse Politiker, Publizisten, Experten, selten genug mal Linke (auch da eigentlich nur vier Personen: Sahra, Oskar, Kipping und natürlich Schwingschwanke-Gysi) ständig in diese Runden gehen, zu besichtigen auch
bei Anne Will, Maischberger, Plasberg, Illner, BR-Runde mit Gottlieb etc.etc.
und beim unsäglichen ZDF-Schwadrobubi Lanz.


Wer bestimmt wie, warum, auf wessen Vorgaben hin diese immer gleichen Rundenbesetzungen? Wer lädt warum, auf wessen Vorgaben hin immer die selben Mehrheitsrunden ein - mainstreamig, affirmativ, einseitig rechts, neoliberal und systembestätigend? Und mit den ewig gleichen abgestanden-nervenden wie anödenden Figuren. Beispiel: Es soll und 25.000 Historiker im deutschen Sprachraum geben, aber in den Talkrunden sitzt immer und ewig
und inzwischen bis an die Demenzgrenze der narrenfreiheitliche, reaktionäre, Hitler und NS-Wiedergänger lobende, US-hörige, kriegswütig keifende Emeritus Baring. Wieso? Gibt es keine Programmbeiräte, Aussichtsgremien, journalistisch-kritische Redaktionsangehörige? Rezipienten-Publikümer und deren etwaige Proteste gelten ja offenkundig als gänzlich unbedeutend, unwichtig, unwirksam, das wissen wir seit Bestallung des RTL/Bertelsmann-Dienstleister-Millionärs Jauch und seiner Firmen im öffentlichrechtlichen, also Programmrichtlinien verpflichteten Fernsehen zur Prime Time.


Und dazu noch die einfach unerträgliche, aber anscheinend von niemandem auch nur thematisierte Trend-Tour, nämlich die, bei ganz wenigen Ausnahmen in Spartenprogrammen, übliche, auch Sport- und Kabarett-Sendungen (z.B. heute-show) mit ewigem Geklatsche und Gejubel und Geschrei nervtötende Kulisse "Studiopublikum". Niemand ist da von Herkunft charakterisiert und /oder per Qualifikation ausgewiesen, alle anscheinend bezahlte Komparsen, maßstablos engagiert und dirigiert - zu dem einzigen Zweck, sachlichen Aus- tausch durch "Stimmung" zu verhindern, notorisch belästigend und störend, Fußballstadion- oder Karneval-Atmosphäre erzeugend, den inhaltlich eventuell möglichen Ertrag jedes Meinungsaustausches zuverlässig verhindernd.

Das ist inzwischen ein Rund-um-die-Uhr-Dauerzustand auf allen Kanälen,
von der Frühe bis in die Nacht: Klatschen-klatschen-klatschen und dazu Jauch(!)zen-Schreien-Gröhlen, immer länger, dauerhafter, belästigender. Das einmal = einst als Informations- und Bildungs/Kultur-Unterhaltungs-Medium konzipiert gewesene öffentlichrechtliche Fernsehen als Tivoli, als Bierzelt, als Gedankenkiller. Und keiner rügt das. Niemand stellt sich dagegen.


Irgendwo irgendwann muss das doch mal zum Thema gemacht werden.
Bloß bitte nicht bei Jauch, Will, Plasberg, Maischberger, Illner, Lanz & ihren Schreiklatschkulissen.


Was meinst Du? - Herzlich grüßt der  Klaus
                                                                                                         
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" ... journalistischen Standards" - ?
Das ist wohl mehr eine (hier durchaus basislose)
      Captatio benevolentiae - oder?

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Am 17.03.2015 um 22:55 schrieb RAin Dagmar Schön:

Sehr geehrter Herr Jauch,

für diesen extremen Niveauverlust Ihres journalistischen Standards bei der Bearbeitung eines schwierigen Themas, die diese Aktion zeigte, kann ich mir im Grunde nur ein Motiv vorstellen:  Sie  wollten sich damit  beim Springer-Konzern als  Chefredakteur der Bild-Zeitung o. ä. andienen. Vielleicht klappt's ja. Wäre wahrscheinlich für uns alle die beste Lösung.

Wie hieß es heute in einem Tagesthemen-Kommentar zu Griechenland: "Stinkefingerdiskussionen sind das Letzte, was wir hier brauchen." --- Das kann eigentlich jeder  normal begabte Mensch erkennen. Die Springer-Presse fährt die Brandbeschleunigerschiene in Sachen Griechenland schon von Anfang nicht, weil
sie zu doof sind, das zu erkennen, sondern weil ganz bestimmte Interessen verfolgt werden, die sich nicht,  wie vom Grundgesetz gewollt, am Gemeinwohl ausrichten.

Mit freundlichen Grüßen,
Dagmar Schön
Rechtsanwältin
Sebastiansplatz 3
80331 München 

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