Cantantes-Estrellas musicales

de una gran época
Der große katalanische Bariton Ramón Blanchart

Die Entwicklung der Tonaufnahme- und Wiedergabetechnik im letzten Fünftel des 20. Jahrhunderts, mit der das Medium Compact Disc (CD) zum bestimmenden Ton-träger für Musik-Aufnahmen wurde, hat Sammlern weltweit ganz neue Zugriffe auf zuvor unzugängliche Schallarchivbestände eröffnet. Über den kleinen Kreis hoch-spezialisierter Archivare von Original-Cylinder, -Walzen, -Schellacks hinaus kann
nun jeder Interessent selbst entlegendste Raritäten der Gesangshistorie, unbekannte oder vergessene Stimmen und Sängerpersönlichkeiten aus dem Brunnen der Ver-gangenheit erlangen und analsysieren, bewerten, genießen.


Mit dem PC-gestützten Produktionsverfahren „Print on demand“ sind CD-Fertigun-gen in Einzelstücken und Kleinstauflagen möglich, womit wiederum ganz individu-elle Studien- und Sammelbedürfnisse erfüllt werden können. So hat sich das Reser-voir - der „ewige Vorrat“ - an Klangzeugnissen der Gesangsgeschichte auf einen jahrzehntelang undenkbar gewesenen Stand erweitert, in beliebiger Fülle, Vielfalt, Varietät und Menge. In der Reihe HAfG Acoustics leistet das Hamburger Archiv einen Beitrag dazu - mit der kommentierten Neu- oder Wiederveröffentlichung früher, im deutschen Sprachraum, etwa auf LPs, nur begrenzt greifbar gewesenen Aufnahmen, als erstmaligen Hörerfahrungen für viele Interessenten von heute.

Funde aus Archivtiefen
Zahlreiche nur als Namen bekannt oder noch völlig unbekannt gewesene Vokalisten werden auf diese Weise wieder zugänglich oder erstmals präsent. Seit dem Abschied von der LP in den 1990ern entstandene Kataloglücken schließen sich wieder. Das Angebot scheint bereits kaum mehr überschaubar. Umso erstaunlicher, wenn sich erweist, dass es unter vielen Wieder- und Neuentdeckungen auch nahezu unglaub-hafte Fälle gibt, wo ein Gesangsstar des Golden Age seit der frühen akustischen Tonträgerproduktion noch nie mit Arien- oder Portrait-Recitals auf modernen Tonträgern - Electro-Schellack, LP, CD - vorgestellt wurde.

So ein Fall ist der Sänger, dem diese Disc gewidmet ist: der katalanische Bariton Ramón Blanchart - ein auf drei Kontinenten gefeierter Weltstar seiner Zeit, in
Ruhm und Karriere vergleichbar nur mit dem bis heute als alleinständig geltenden Mattia Battistini - wie dieser weitgehend ohne Festbindung an ein zentrales Stamm-Opernhaus und als früher Vertreter des Typus Gastspiel-Weltstar ein Vorgriff auf heutige Vermarktungsgrößen wie Domingo, Netrebko & Co.

RAMÓN BLANCHART (auch Blanchard)
Bariton (* 1860 Barcelona -
1934 San Salvador)


Er war ein Schüler des universal orientierten Musikers Joan Goula i Soley (1843-1917) in Barcelona. Dieser stand im hispanischen Kulturraum in hohem Ansehen als Komponist, Dirigent, Sänger und als Gründer des Conservatorio de Música in Buenos Aires. Wie in den Tondokumenten einiger seiner Schüler, nicht zuletzt des Ramón Blanchart, erkennbar wird, war er ein Vertreter und Vermittler der arte classica di canto, der klassischen Gesangskunst, die im ganzen 19. Jahr-hundert Grundlage meisterlichen Singens, so vor allem der Ära des Belcanto war.

Blanchart hatte einen ersten Bühnenauftritt 1885 unter einem Pseudonym am
Gran Teatre de Liceu Barcelona als Valentin in Gounods Faust. Danach wurden ihm erste Comprimario-Partien geboten. Doch er suchte weitere Perfektionierung bei Privatlehrern in Paris und Milano. In beiden Metropolen trat er erfolgreich in Privatkonzerten auf. Das offizielle Debüt unter seinem Klarnamen hatte er 1887 in Sevilla - als Don Alfonso in Donizettis La Favorite. Mit dieser Partie gelangte er 1988 ans Teatro Real Madrid, darauf in einem Gastspiel ans Teatro Colón Buenos Aires, dann 1889 erneut ans Teatre de Liceu in Barcelona. Mit solchen Debüts scheint er
in Kürze zu Prominenz gelangt zu sein, denn noch in der selben Spielzeit wurde er vom Teatro Argentina in Rom verpflichtet, wo er kurzzeitig als erster Bariton zum Ensemble zählte. Seine ersten Partien waren u.a. Nevers in Meyerbeers Gli Ugonotti, Arnoldo in Ponchiellis I Lituani und von Verdi Don Carlo in Ernani und Amonasro in Aida .


Ab 1890 begann eine Serie von Auftritten auf zentralen Opernbühnen Italiens: Venedig, Genua, Parma, Bologna, Florenz, Neapel. Besondere Erfolge erreichte Blanchart mit der Titelpartie in Ambroise Thomas’ Amleto (Hamlet). Noch im selben Jahr konnte er an einer Operntournee ins zaristische Russland teilnehmen - mit Auftritten in Moskau und St. Petersburg, wo Mattia Battistini, frenetisch gefeiert

und höchtbezahlt, als der unumstrittene Baritono Italiano - “La Gloria d’Italia” - galt. 1891sang Blanchart, erstaunlich genug, am Londoner Royal Opera House Covent Garden die Titelrolle in Wagners Fliegendem Holländer. 1893 kam er auch an die Scala di Milano, war dort unter Arturo Toscanini in Verdis Otello und Falstaff jeweils der erste Rollenträger nach & neben dem Uraufführungssänger, der Legende Victor Maurel. Schon 1890-93 hatte er am Teatro Carlo Felice in Genua den Falstaff ver-körpert. Es folgten neue Rollenportraits in Italien, so der Titelheld in Franchettis Cristoforo Colombo,  Jack Rance in Puccinis Fanciulla del West, natürlich Verdis Bariton-Trias Rigoletto, Conte di Luna, Giorgio Germont, schließlich der Heerrufer
in Wagners Lohengrin.


Weltkarriere “on the double”
Auch mit Gastverpflichtungen in Zentren der Opernkultur weltweit ging es zügig weiter: Berlin, Warschau, Lemberg, Prag, Budapest, Paris, Madrid, Lissabon, Mexico-City, Rom (diesmal am Teatro Costanzi). In Amerika erlebte man ihn am Manhattan Opera House New York, in Boston, Chicago, Havanna, Rio, Bilbao. Von 1896 an erschien der zum Weltstar avancierte Sänger immer öfter fachüberschreitend als Vertreter der im Auftrieb stehenden Verismo-Opern und im hochdramatischen Fach. So als Wagners Wotan, Telramund, Kurwenal und als Hans Sachs in der spanischen Erstaufführung der Meistersinger von Nürnberg in Barcelona, dazu als Ponchiellis Barnaba, Leoncavallos Tonio, Puccinis Scarpia,

Daneben bestätigte er immer wieder seine virtuose Beherrschung der klassischen Gesangskunst als Lirico und Kavalierbariton: mit Wolfram in Wagners Tannhäuser, Enrico in Donizettis Lucia di Lammermoor, Verdis Riccardo im Ballo in maschera und Titelheld in Simone Boccanegra, nochmals Valentin in Gounods Faust, Hoël in Meyer-beers Dinorah, Merlier in Alfred Bruneaus L’Attaque du moulin, Sénéchal in Syvio Lazzaris La Lépreuse.und als Burton in der Uraufführung von Frederick Converses The sacrifice in Boston 1911. Ein Breitenspektrum ohnegleichen.


Der Sound des Golden Age
Ramón Blanchard war seiner vokalen Grundausstattung nach ein Belcanto-Bariton klassischer Schulung. Auch insofern stand er nach Stimmtyp und vokalkünstleri-scher Ausbildung den vom Belcanto geformten Italo-Baritonen der Epoche nahe: Mattia Battistini, Giuseppe Kaschmann, Mario Ancona, Emilio de Gogorza, Giuseppe Campanari. Hört man seine Tondokumente zum ersten Mal, ist man nach Faktur und Färbung aber zugleich an Baritons français des Golden Age erinnert: Maurice Renaud, Charles Gilibert, Gabriel Soulacroix, Hector Dufranne.

Blanchard war also keiner aus dem Großreservoir der Verismo-Baritone, wie Magini-Coletti, Giraldoni, Sammarco, Ruffo, Amato, Danise. Nicht kernig-körnig timbriert, metallisch-gleißend, exuberant-kraftgeladen, mit explosiver Rampen-vibranz tönt dieses Organ - sondern nobel, elegant, samten bis edelmetallisch gefärbt, recht nahe bei Kaschmann oder Scotti, aber mit einer Prise Goldstaub und bei Bedarf auch dramatischer Expansion. Die im Grunde lyrische Substanz der Stimme war offenbar live zu enormer Klang- und Ausdrucksfülle befähigt, sonst hätte Blanchart einen Großteil seines Bühnenrepertoires nicht schadlos bewältigt. Beachtlich, gerade im Vergleich mit stimmkraftbetonten Verismosängern, seine lehrbuchgerechte klassische Tonbildung und Intonation, sublime Phrasierung und so dezent wie flexibel eingesetzte Dynamikskala. Kaum spürbar, doch souverän beherrscht der schlackenlose Registerausgleich. Dass der Sänger auch über ein Chiaroscuro- und Farbenspektrum verfügte, das ihn zum suggestiven Vermittler machen konnte, belegt seine klassische Basis bewussten Singens. Sie befähigte ihn, fach-unabhängig zu agieren, entzieht ihn eindimensionaler Fachzuordnung.


Spuren eines Solitärs
Dass Blanchard erfolgreich in Wagners Basso-cantante (= Heldenbariton)-Partien auftrat, weist ihn als Besitzer eines klangreichen Tiefenregisters aus. So erweiterte er sein Spektrum gegen Ende seiner Weltkarriere, 1919-20 am Chicago Opera House noch um Basso-Buffo-Partien, etwa als gefeierter Dulcamara in Donizettis L’Elisir d’amore. Er unternahm mehrere Tourneen mit der American Opera Society, gab auch letzte Gastspiele in seiner katalanischen Heimat, so am Teatro Euterpe in Sabadell bei Barcelona in der Zarzuela Dolores von Tomáz Breton. Ab Mitte der 1920er siedelte er privat in Panama City und unterrichtete dort Gesangseleven aus ganz Amerika. Er verstarb, 74jährig, bei einer Vortragsreise in San Salvador.

Gemessen an seiner Weltkarriere und bis heute beständiger sängerischer Meister-schaft ist Ramon Blancharts tönendes Erbe nur bescheiden - bei weitem nicht so umfangreich wie das einiger seiner Zeitgenossen. Die italofranzösischen Standards dominieren, vom deutschen Musikdrama und Heroenrepertoire ist leider kein Beispiel dokumentiert. Neben einer exemplarischen Legato-Version von Wolframs Ansprache und Lied an den Abendstern sind es vor allem Belcanto- und Verdi-Soli, die das schlank geführte, doch farbenreich-sinnliche Prachtorgan exquisit und superb erklingen lassen. Der große Bariton machte akustische Aufnahmen für Fonotipia  (1905-06), Zonophone (1906 ), Pathé Milano (1906), Columbia und Parlophon (1910/11). Seine Bedeutung bei Lebzeiten wird auch durch Weltrang-Partner seiner Duett-Aufnahmen belegt: Lidija Lipovskaya, Eugenija Bronskaya, Florencio Constantino, José Mardones.

Ramón Blanchart war jahrzehntelang völlig unter seinem Wert nurmehr als Archivgröße abgelegt. Nicht nur für eine vollständige Betrachtung der dokumen-tierten Gesangshistorie und zur Schärfung der Maßstäbe für große Gesangskunst, sondern auch vor der Leerszene an Italo-Baritonen um 2010 ff. nach dem Abschied von Gobbi, Silveri, Taddei, Bastianini, Protti, Sereni, Zanasi, Colzani, Manuguerra, Cappuccilli, Bruson, scheint die Kenntnis der stimmlichen und sängerischen Qualitäten dieses Golden Age Repräsentanten heute unverzichtbar.

                                                                                                                    
 KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel