Die
Leinwand-Lerche
Timbre, Charme, Personalità: Elfie Mayerhofer
Seit 1927, als der erste vollwertige Tonfilm in die Lichtspielhäuser kam, eröffneten sich der medialen
Verbreitung von Musik zuvor nicht gekannte Massenmarktoptionen. Sie wurden noch gesteigert durch die etwa gleichzeitige Umstellung der Tonaufzeichnung von der akustischen Trichteraufnahme zum
elektrischen Verfahren, das nicht nur die Tonqualität optimierte, sondern auch längere Takes ermöglichte. Zu Beginn der 1930er Jahre waren Filmgeschichte und Schellackzeitalter in eine neue Ära
eingetreten. Die Medienwirtschaft setzte sie weltweit erfolgreich um – in audiovisuelles Entertainment, das ein Millionenpublikum fand.
In den 1930er Jahren erreichte der Tonfilm eine Hochblüte. Sie begründete für gut drei Jahrzehnte ein eigenständiges
Unterhaltungsgenre. Wie der Stummfilm seit Jahrhundertbeginn ermöglichte es durchaus eine Fülle ernst zu nehmender Filmkunstwerke mit epochemachenden Auswirkungen. Doch die große Mehrzahl der
Filmproduktionen war auf Breitenerfolg und Massenkonsum (zeitbedingt auch auf politgesellschaftliche Propaganda) ausgerichtet – wobei die Möglichkeiten der Verbindung Bild & Ton vielfältige
Varianten nicht nur der Drama- und Handlungs-, sondern auch der Klang- und damit Musikvermittlung hervorbrachten.
Sänger als Tonfilmstars
Im tonangebenden Hollywood standen vom ersten Filmtitel (The Jazz Singer / 1927) an populäre Musik (Pop)
und Entertainment (Revue) im Mittelpunkt der Produktionen. Im tradiert bildungskulturell geprägten Mitteleuropa war das nicht anders – jedoch stets auch mit „Anspruch“ verbunden bzw. von einem
„gehobenen“ Nebengenre begleitet: dem Musikfilm. Während in der englischsprechenden Welt große Filmrevuen, Music Movies bis zu Slapstick-Grotesken mit Popdance-Einlagen Triumphe feierten, kam etwa im
deutschsprachigen Filmwesen mit seinen Produktionszentren in Berlin und Wien (häufig in Kooperation mit Cinecittà Rom) der Typus des Opernstarfilms auf, oft als Melodram, noch öfter als
Gesellschaftskomödie.
Zentrale Bezugsgrößen solcher Filme waren natürlich populäre Tenöre. Ihr Einsatz als Filmstars war ganz vom Glanz und Reiz tenoraler Schallkraft und Timbrefaszination bestimmt, nicht so sehr von
optischer Attraktivität oder gar dramatischem Talent des Protagonisten. Kurzfristig kamen groß heraus etwa der machohafte Spinto Jan Kiepura oder der kleinwüchsige, doch mit zu Herzen
gehenden Valeurs berührende Lirico Joseph Schmidt, nach deren rassistisch motivierter Vertreibung dominant der damalige Topstar der italienischen Oper Beniamino Gigli, im britischen
Exil der legendäre Richard Tauber, in der NS-verseuchten, bald kriegstüchtigen Heimat die Tauber-Substitute: Bollmann, Groh, Mühlhardt, Heesters.
Die Wirkung solcher Startenorfilme strahlte sogar in die englischsprachige Filmwelt zurück. Das manifestierte sich
in Hollywood-Movies mit Opernmusik-Ausschnitten, bald auch Broadway Musical Verfilmungen – mit singenden Filmstars wie Jeanette McDonald und Nelson Eddie bis zu Kathleen
Grayson und Howard Keel, doch auch mit seriös ausgewiesenen Opernstars als „Gästen“ wie Grace Moore, Lauritz Melchior, Helen Traubel, Lawrence Tibbett, bis zu einer Nachblüte
des Unterhaltungskinos mit Tenor – in ihrem Zentrum der strahlend-hochbegabte, doch labile Italoamerikaner Alfredo Cocozza, der als Mario Lanza in die Gesangshistorie
einging.
Filmdiven von der Opernszene
Ein wenig anders akzentuiert, aber keineswegs wirkungsschwächer entfaltete sich auf dem alten Kontinent auch der
Kinofilm mit Protagonistin – bezeichnenderweise weniger häufig mit weiblichen Opernstars besetzt, eher dominiert von Diven der Unterhaltungs-, Schlager- und Tanzszene: Zarah Leander,
Marika Röck, Rosita Serrano, Ilse Werner und diversen systemkompatiblen Sternchen. Die große Ausnahme, bis heute mit berechtigtem Ruhm zum Gesangsadel zählend, war die attraktive, von
Legendenstoff verklärte, sängerisch beinahe universale Maria Cebotari, führender Soprano der Dresdner, Berliner und Wiener Staatsopern, zwischen Mozart und Richard Strauss agierend, auf
Platten vor allem als Puccini-Interpretin optimal vermarktet. Die Kombination Cebotari & Gigli in Filmschnulzen wie Mutterlied war der Stoff, der Kinokassen klingeln
ließ.
Bemerkenswert und für ausnahmslos alle Tonfilme mit Sängerstars obligatorisch: Neben (meist gekürzten oder nur
ausschnittweise eingespielten) Populärstücken aus bekannten Opernwerke wurden dem oder der singenden Hauptdarsteller/in pro Kinostück mindestens zwei Schlagerlieder in die Rolle geschrieben,
Ohrwürmer über Liebe, Sehnsucht, Schicksal oder auch mal Frohsinn und Überschwang, von Joseph Schmidts Ein Lied geht um die Welt und Kiepuras Ob blond, ob braun bis zu Cebotaris
Ich bin auf der Welt, um glücklich zu sein (in den letzten Erfolgsstücken des Genres zur BRD-Nachkriegszeit noch Rudolf Schocks Titel Ach, ich hab in meinem Herzen und Du bist
die Welt für mich – nicht untypisch für die Adenauer-Ära: je von einem Nazi und einem zwangsexilierten Urheber). Zur Anfertigung solcher Filmlieder ließen sich die Gebrauchsmusiker der Zeit
vielfältig einsetzen: Robert Stolz, Theo Mackeben, Ludwig Schmidseder, Franz Grothe, Michael Jary bis zu Goebbels’ Paradetonsetzer Norbert Schulze).
Göttin mit Varianten
Eine Sonderrolle in diesem Umfeld wuchs einer Sopranistin zu, die – mehr noch als Cebotari – alle damals gefragten
Prädikate eines weiblichen Stars im Musikfilm vereinte: Strahlende Schönheit, gewinnende Singstimme, exzellente Vokalkunst, vielseitiges darstellerisches Talent, vereint in einer unverwechselbar
eigenständigen Persönlichkeit. Das war die Österreicherin Elfie Mayerhofer. In allen Verzeichnissen (außer speziellen Sängerlexika) wird sie als „Filmschauspielerin und Sängerin“
bezeichnet, meist mit dem Zusatz: ... erhielt sie durch Presse und Publikum den
Beinamen „die Wiener Nachtigall“.
Sicherlich sind tönende Spuren der Mayerhofer vorrangig deshalb noch von Belang, weil sie durch ihre Hauptrollen in
deutsch-österreichischen Tonfilmen zu einer Prominenz aufstieg, die bei den Zeitzeugen bis ins Finale des 20. Jahrhunderts bleibende Beliebtheit begründete. In der Tat verkörperte sie einen
Frauentyp, der den Sehnsuchtsbedürfnissen, auch den Geschmacksausrichtungen der frühen Tonfilmzeit wie der Nachkriegsepoche ideal entsprach und darin beinahe Alleinstellung erreichte. Sie
repräsentierte eine gleichsam pastellene Schönheit, die zwischen Glamourgöttin und „Wiener Madl“ changierte. Ihr Spieltemperament befähigte sie zu Frauenportraits von Lady, Liebhaberin, Nostalgica
einerseits bis Kammerkätzchen, Kratzbürste, Castagnola andererseits. Sie hatte den „Vamp“ (oder dessen Parodie) genauso drauf wie die klassische Salonsoubrette. Auf eine speziell Wienerische Manier
beherrschte sie das Typ- und Ausdrucksspektrum zwischen Katherine Hepburn und Audrey Hepburn – und vermochte dabei melancholisch-verträumte, exotierend-doppelbödige wie auch perlend-muntere Töne
einzubringen.
Diese aus eigenständiger Personalität und variantenreicher Darstellungskunst geformte Präsenz in einer fast
zeitlosen Attraktivität des Auftritts ließ die Mayerhofer zum Medienstar werden. Seit 1938 in nahezu ununterbrochener Folge bis 1968 spielte sie Leinwandrollen nicht nur in den typischen Musikfilmen,
sondern auch in Gesellschaftsstücken, Melodramen, Komödien, Filmoperetten – mit Partnern wie Siegfried Breuer, Willy Birgel, Victor Stahl, Hans Holt, Hans Söhnker, Curd Jürgens, Johannes Heesters.
Dass sie auch eine hörenswerte Sängerin auf klassischem Fundament mit ebenso eigenständiger Ausstrahlung von Timbre und Diktion war, vermochte diese Wirkung noch zu steigern und bis heute zu
bestätigen.
Elfie Mayerhofer kam 1917 in Marburg/Drau (das ist das slowenische Maribor) zur Welt. Sie studierte Musik als
Gesamtfach, dann Gesang und Operndarstellung an den Musikhochschulen Wien und Berlin. Als Opernsängerin debütierte sie 1937 am Berliner Theater der Jugend, als Schauspielerin wenig später am Jungen
Theater München. Sie erhielt Engagements als Soprano leggiero, bald auch als sog. 1. Operettendiva. Sofort interessierte sich der UfA-Tonfilm für die attraktive Anfängerin. In dem Abenteuerfilm
Frauen für Golden Hill (1938 mit Musik von Werner Eisbrenner) hatte sie spielend und singend ihren ersten Leinwandauftritt. Es folgten zahlreiche Hauptrollen, so in Hotel Sacher
(1939), Wir bitten zum Tanz (1941), Lied der Nachtigall (1944), weiter Wiener Melodien, Himmlischer Walzer, Geliebter Lügner, Küssen ist keine Sünd, Verlorene Melodie bis
zur Verfilmung von Leo Falls Operette Madame Pompadour.
Auf klassischem Fundament
Seit 1940 war Elfie Mayerhofer als „erste Besetzung“ für Operette am Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz
engagiert. Ein zweiter Vertrag band sie bis Kriegsende ans Berliner Metropoltheater. Bei den Salzburger Festspielen 1946 erreichte sie einen persönlichen Triumph als Cherubino in Mozarts Figaros
Hochzeit. Dadurch kam sie ins Ensemble der Wiener Staatsoper, ab 1950 zugleich an die Wiener Volksoper. Bis 1961 war sie auf den Wiener Opernbühnen zuhause, während ihre Filmarbeit weiterging.
Auf der Bühne verkörperte sie vor allem Partien für lyrischen Koloratursopran und Soubrette, so als Norina im Don Pasquale, Arsena im Zigeunerbaron, Hortense im Opernball,
Sora in Gasparone, Titelrolle in Giroflé-Giroflá, in Stücken der französischen Opéra Comique und in der klassischen Operette von Millöcker bis Lehár. Ihre Paraderolle war die Adele
in der Fledermaus, die sie (alternierend mit der berühmten Rita Streich) 32mal allein in Wien verkörperte. Sie gastierte mit Opernpartien in Paris, London, Amsterdam, Brüssel und auf
westdeutschen Bühnen. Bei den Bregenzer Festspielen wurde sie in der Operetten-Kompilation Wiener Blut von Johann Strauß jun. und in Heubergers Opernball
gefeiert.
Seit Mitte der 1950er Jahre hatte die Mayerhofer Auftritte an deutschen Opernhäusern, so an der Deutschen Oper am
Rhein Düsseldorf-Duisburg (1957 ff.) und am Opernhaus Köln (1961-64). Ihr Rollenfach hatte sich zur Lirica erweitert, sie sang nun Mozarts Susanna, Lortzings Undine, Puccinis Mimi, Gounods Margarete.
Bei Gastspielen an europäischen Bühnen gab sie weiter die prominente Operetten-Diva. Mit mehr als 60
Lebensjahren ging sie noch auf eine Übersee-Tournee, bei der sie in den USA, Canada und Mexiko auch medial Erfolge hatte. Ihr letzter Bühnenauftritt fand 1979 statt – am Landestheater Salzburg als
Gräfin Kokozeff in Lehárs Graf von Luxemburg.
Die populäre Sängerdarstellerin wurde mit zahlreichen Auszeichnungen als Botschafterin der Wiener Musik und Kultur geehrt, so mit dem Goldenen Ehrenzeichen des
Bundeslandes Wien und mit der Statuette der Johann-Strauß-Gesellschaft. Sie starb am 28. Dezember 1992 an ihrem Alterssitz Maria Enzersdorf in Niederösterreich. Ihre tönende Hinterlassenschaft war
jahrzehntelang auf diverse Labels und Sampler verstreut, großenteils auch nur auf den Tonspuren ihrer Filme vertreten. Eine Sammlung der aktuell erreichbaren Tondokumente ist nicht nur als
Dokumentation einer kulturellen Ära belangvoll, deren Spannweite man heute mit dem Begriff Crossover einordnen würde. Sondern vor allem als Erinnerung an eine schöne Sopranstimme von
klassischer Formung und Prägung und eine Interpretin mit starker eigenständiger Persönlichkeit.
Elfie Mayerhofers Instrument war ein schlank geführter Soprano lirico-leggiero von mittlerem Volumen, doch
großem Umfang – im tiefen und mittleren Register ohne Druck schwingend und von dezentem Vibrato, in der Höhe nicht übermäßig schallkräftig, eher ein wenig spitz im
Ton, aber perfekt fokussiert und in bruchlosem Legato sicher bis zum f’’’ geführt. Das Timbre ist von feinem Edelklang, changierend zwischen Perlmut und Sahnecreme. Leider liegt nur eine
einzige Opernszene vor – die „Juwelenarie“ aus Gounods Faust/Margarete. Dafür gibt es schön, ja beispielhaft gelungene Operettenstücke von Strauß, Millöcker, Fall, Lehár und Eysler, darunter
beide Couplets der Adele, exzellente Walzerbearbeitungen, eine Modellinterpretation von Grothes Nachtigall, dazu ein witzig-spritziges Kabinettstückchen: die zum „Schwipslied“ mutierte
Annen-Polka. So scheint ein doch informatives Portrait gelungen. – Hinweise auf Ergänzungen, vor allem aus dem Opernrepertoire, sind den Herausgebern willkommen.
Elfie Mayerhofer zählte zu den vielseitigsten und beständigsten, oftmals faszinierenden, in manchem Aspekt auch erstaunlichen Vertreterinnen des Leggiera-Fachs in einer vom Massengeschmack
überlagerten Kunst- und vor allem Medien-Ära. Ihre Schönheit und ihr Charme wirken in Bild- und Tondokumenten bis heute nach. Sie evozieren ihre Wirkung heute so frisch und präsent wie zu ihrer
Glanzzeit. Eine perfekte Entertainerin und bemerkenswerte Künstlerin. Gedenken wir ihrer mit Sympathie.
KUS