Ermanno Wolf-Ferrari (1876 ‑ 1948)

Die vier Grobiane

I quattro ru

 

Musikales Lustspiel in drei Aufzügen
frei nach Carlo Goldoni von Giuseppe Pizzolato
Deutsche Fassung von Hermann Teibler (1906 München)

Studioproduktion des Bayerischen Rundfunks
r. 1950 München

Leitung: Hans Altmann

 

Lunardo, Antiquitätenhändler Georg Hann
Mauricio, Kaufmann Wilhelm Schlichting
Simone, Kaufmann Benno Kusche
Cancian, Rentier Georg Wieter
Margarita, Lunardos Gattin Ruth Michaelis
Lucieta, Lunardos Tochter Gerda Sommerschuh
Filipeto, Maurizios Sohn Richard Holm
Felice, Cancians Gattin Anny van Kruyswyk
Conte Riccardo, Felices Galan Günther Baldauf
Marina, Simones Gattin, Filipetos Tante Hildegard Erdmann
Eine junge Magd Marta Maria Krause

 

Chor des Bayerischen Rundfunks
Münchner Rundfunkorchester

 


 

Die Handlung

 

Erster Aufzug — Wohnzimmer bei Lunardo und bei Simone

 

Der reiche Antiquitätenhändler Lunardo ist ein autoritärer Haustyrann. Er will Lucieta, seine Tochter aus erster Ehe, mit Filipeto, dem Sohn seines ebenso wohlhabenden Freundes Maurizio, verheiraten. Er wünscht dabei keine familiäre Mitsprache: Seine zweite Frau Margarita und die Braut selbst sollen den Auserwählten erst bei der Hochzeit kennenlernen. Lunardo verweigert jede Diskussion darüber. Mit Maurizio ist er schnell über Mitgift und Modalitäten einig. Er lädt ihn und zwei weitere Kumpane, Simone und Cancian, mit ihren Damen auf ein abendliches Mahl zu sich ein.


Derweil beklagt sich Filipeto bei seiner Tante Marina über des Vaters Absicht, ihn in die Ehe mit einem unbekannten Mädchen zu zwingen. Marina verspricht Hilfe und bezieht dabei sogleich ihre Freundin Felice, Gattin des Cancian und Angebetete des Conte Riccardo, mit ein. Während die beiden Damen einen Plan erwägen, zeigt sich Marinas Gatte Simone gereizt über solche Beratungen, deren Thema ihm nicht geheuer ist. Auch er verbietet seiner Frau alle Eigenständigkeiten. Doch Felice und Marina sind entschlossen, den Grobianen ihre Machenschaften zu verderben.

 

 

Zweiter Aufzug — Die Halle des Hauses Lunardo

 

Margarita und Lucieta haben sich für den Abend festlich gekleidet. Darüber ist Lunardo erbost, er wünscht keine Zurschaustellung von Wohlstand, solange die Verlobung nicht realisiert ist. Grob befiehlt er Frau und Tochter, allen Schmuck und Flitter abzulegen. Der gerade eintreffende Simone stimmt ihm zu. Beide preisen die Zeiten, als Frauen noch bescheiden und fügsam waren. Auch Maurizio und Cancian sind eingetroffen. Die Freunde wollen unter sich sein; sie gehen in ein Nebenzimmer.


Inzwischen hat Marina der künftigen Braut Lucieta von der Zwangsverlobung berichtet. Felice tröstet das Mädchen: In Venedig ist Karneval — da werde ihr Galan Riccardo gemeinsam mit Filipeto kommen, der als Frau verkleidet sein wird. Auf diese Weise könnten die beiden jungen Leute einander insgeheim kennenlernen und zu eigenen Schlüssen kommen. So wird’s gemacht. Und natürlich verlieben sich die beiden sogleich ineinander.


Die Herren kehren in die Halle zurück. Riccardo und Filipeto werden schnell versteckt. Nun verkündet Lunardo die Verlobung. Doch Maurizio muss einräumen, seinen Sohn nirgendwo finden zu können. Der große Auftritt scheitert blamabel. Die Grobiane sind übler Laune. Cancian beschimpft Conte Riccardo und verbietet seiner Felice den Umgang mit anderen Männern. Zornig stürzt Riccardo aus seinem Versteck — der Schabernack wird offenkundig. Wütend wollen die Grobiane nun die Verlobung annullieren.

 

 

Dritter Aufzug — Lunardos Antiquitätenhandlung

 

Im Schutz der Geschäftstätigkeit Lunardos haben sich Simone, Cancian und der Hausherr getroffen, um zu beraten, wie sie ihre Ehefrauen zur Raison bringen können. Übellaunig stimmen sie ein finster -brütendes Terzett über die Verderbtheit der Weiber an. Wie soll man sich ihrer erwehren, sie bestrafen? Zunächst soll Lucieta in ein Kloster verbannt werden. Doch bevor definitive Beschlüsse fallen, erscheint Felice im Laden — zur Überraschung der mürrischen Herren äußerst charmant und liebenswürdig. Gut gelaunt hält sie den Sauertöpfen eine Strafpredigt. Es gebe auch die Möglichkeit, deren Tyranneien öffentlich zu machen, mehr noch: spektakulär das Ehejoch abzuwerfen. Die Damen stürzen ihre Männer durch ein Wechselbad von Flehen und Drohen. Schließlich erklären die Grobiane geknickt ihren Friedenswillen. Darauf sind alle bereit, einander zu verzeihen. Lucieta und Filipeto bekennen ihre junge Liebe. Glücklich wird Verlobung gefeiert.

Erneuerer der Opera buffa
und Brückenbauer zur Moderne

 

Wer ihn entdeckt, betritt eine Welt der Wunderbarkeiten, in der offenbar Fremdes und anscheinend längst Gekanntes einander begegnen und spannungsvoll verbinden. Ermanno Wolf-Ferraris alleinständiges kompositorisches Lebenswerk integriert Formen und Stile, die historisierten Epochen und unterschiedlichen Kulturen zu entstammen scheinen. Ihre Gegensätzlichkeiten entfalten sich, erheben sich zu innovativer Kraft und Originalität.

 

In dem so anrührenden wie animativen Werk des weltmännischen, doch im Auftritt stets unpreziösen Tonschöpfers sah Alexander Berrsche letzte Sendboten des 18. JahrhundertsHerzenshöflichkeitgeisterfüllte Heiterkeiturbane Haltung eines wahren Meisters, der nicht von den Trends seiner Zeit beeinflusst schien. Eines originären Künstlers, der sich seine Kategorien selbst erschuf und nur an ihnen gemessen zu werden verdient.

Der Dirigent Franz von Hoesslin (lt. Le Courier Musicale einer der größten Meister des Taktstocks neben Toscanini) sah ihn als eine Erscheinung ohne Prämissen nach außen, mit höchsten Anforderungen an sich selbst — eng verbunden mit der klassischen und romantischen Tradition. Der Dirigent Karl Böhm schrieb ihm südländische Grazie und nordisch grüblerische Tiefe zu und attestierte selbst erworbene Befreiung vom Wagner-Epigonismus wie von grobsinnlichem Verismus. Der Komponist und Pultstar Felix Weingartner bewertete Wolf-Ferraris Musik als bewunderungswürdig, so natürlich wie geistvoll. Sein Kollege Clemens Krauss zollte höchste Bewunderung und aufrichtige Liebe dem Natürlichen und Echten seines Einfalls wie der Reinheit seiner Kunstauffassung. Der große alte Leo Blech, feinsinniger Komponist und Dirigentenlegende, nennt den Kollegen einen von den Stillen im Lande, dessen Werk um so spektakulärere Zukunft gewinnen werde: Ein persönliches Wort an Wolf-Ferrari kann nur eine Liebeserklärung werden.

 

 

Meisterlicher Melodiker

 

Dem so Gepriesenen müsste ein Stellenwert im Repertoire der Opernbühnen zukommen, wie er dem Zeitgenossen Richard Strauss gesichert ist. In seinem Werk treffen sich nicht nur, wie häufig bemerkt wird: deutsche und italienische Art. Sein Schaffen hat zugleich den Zug zu Ausdrucksformen einer europäischen musikalischen Kultur, die das Erbe von Jahrhunderten zu umgreifen scheint: In lebenszugewandter Melodik, geistvoll belebter Rhythmik, fast improvisatorisch anmutender Orchesterführung und klangbewusster Instrumentationskunst. In Wolf-Ferraris meisterlicher Stilsprache sind Rezitativisches und Kantilenisches passaggiohaft integriert. Ausdrucksnuancen und Lautmalereien vermögen jede Regung von Gefühl und Geschehen zu evozieren: feinen Humor, extrovertierte Brillanz, edlen Herzenston, unsentimentale Lakonik, ironische Brechung, burleske Komik — in souveräner Pointensetzung wie in strömender Pathosfülle. Ein Erzähler in Tönen, der Komödie wie Romanze oder Elegie meisterlich darzustellen wusste.

 

 

Repräsentant mediterraner Kultur

 

Wolf-Ferrari kam am 12. Januar 1876 unter dem Namen Hermann Friedrich Wolf in Venedig zur Welt, Sohn des Malers August Wolf aus Weinheim und der Venezianerin Emilia Ferrari. Ihren Geburtsnamen fügte er seinem Nachnamen ab 1895 hinzu. Der Vater gehörte zum Künstler- und Architektenkreis um Kaulbach, Schack, Carolsfeld, Lenbach und Seidl. Die Mutter entstammte musikbegeister- ten Bürgerkreisen der Serenissima. Der Sohn sah sich als Zeuge zweier Kulturen und Temperamente.

 

Sein Lebensgefühl führte ihn von Kindheit an zur Kunst, er erhielt früh Klavierunterricht, studierte aber zunächst Malerei an der Accademia delle Belle Arti in Rom. Mannigfache Rezeptionserfahrungen aber zogen ihn immer stärker zur Musik. Von 1893 an besuchte er die Akademie der Tonkunst in München, war Meisterschüler von Joseph Rheinberger. Erste Opernerlebnisse in Venedig, München und Bayreuth beeinflussten sein künstlerisches Werden: Rossinis Barbiere, dann Wagners TristanParsifalMeistersinger.

 

Ohne akademischen Abschluss kehrte der Musiker 1895 nach Venedig zurück, studierte weiter, übernahm schließlich in Festanstellung die Leitung eines deutschen Chors in Milano. Dort begegnete er dem Komponisten Arrigo Boitò und dem Verleger Giulio Ricordi. Erste Kompositionen, darunter zwei Opern-versuche, dann eine Oper Cenerentola, stießen auf wenig Resonanz. Bei Ricordi erscheinen Chöre, Kantaten, Oratorien, dazu Kammermusiken (Violinsonaten, Trio, Quintett) und Klavierstücke.

 

 

Erretter der Opera buffa

 

Zur Jahrhundertwende zog der Komponist wieder nach München. Er entfaltete eine lebhafte Schaffensphase, bewusst der deutschen romantischen Tradition von Mendelssohn, Schumann, Brahms folgend. Nun stellten sich Ermutigungen ein, nach einem triumphalen Erfolg der in Italien durchgefallenen Cenerentola 1902 in Bremen vor allem für zwei große Orchesterwerke: die Sinfonia da camera op.8 und die Kantate La vita nuova op. 9 nach Dantes Commedia divina (beide 1901).

 

In Deutschland wurde Wolf-Ferrari bekannt und berühmt. Dennoch wandte
er sich Genres und Sujets italienischer Prägung zu, die heute seine Position in
der Musikhistorie begründen, namentlich die Wiederbelebung der Opera buffa, animiert durch die unsterblichen Komödien des Venezianers Carlo Goldoni —
in den Erfolgsopern Le donne curiose (Die neugierigen Frauen), I quattro rusteghi (Die vier Grobiane), uraufgeführt 1903 und 1906, beide allerdings zuerst in deutschen Fassungen in München. Ihnen folgte 1909 die sehr bekannt gewordene, als Intermezzo bezeichnete kleine Musikkomödie für zwei Stimmen: Il segreto di Susanna (Susannens Geheimnis), ein musikalisches Kabinettstück, wieder in deutscher Fassung in München uraufgeführt.

 

Die enorme Resonanz trug dem Komponisten die Direktion des Liceo Musicale in Venedig ein, der er 1909 entsagte, um sich allein dem Komponieren zu verschreiben. Im Liceo erarbeitete er mit Gesangseleven kleine Buffa-Werke aus dem stilistischen Umfeld Rossinis, so von Galuppi, Pergolesi, Cimarosa. Auch die Susanna hatte er zunächst für die kleine Bühne des Liceo entworfen.

 

 

Wanderer zwischen Kulturkreisen

 

Seit 1909 hatte Wolf-Ferrari seinen Hauptwohnsitz wieder in München, seit 1926 im Vorort Ottobrunn, seit 1931 im eigenen Tusculum in Krailling-Planegg. Mit Münchens bedeutenden Künstlern und Musikern der Zeit stand er in regem Austausch. Unterdessen komponierte er Orchesterwerke, Konzerte, reichlich Kammermusik, Lieder, 1939 nochmals ein großes Chorwerk: La passione op.21.

Für seinen Nachruhm entscheidend waren aber seine Opernprojekte, darunter weitere maßstäbliche Musikkomödien, die wie ihre Vorgänger durch meister- liche Adaption der Buffa-Formen des 18. Jahrhunderts in eigenständiger Entwicklung und Formung mit unverwechselbarer Tonsprache brillieren: 
L’amore medico (Der Liebhaber als Arzt) nach Molière (1911), Gli amanti sposi 
(Das Liebesband / 1925), La vedova scaltra (Die schalkhafte Witwe / 1931), 
Il campiello (Das Plätzchen) wieder nach Goldoni (1936), La dama boba (Das dumme Mädchen / 1939).

 

Doch hochdramatische und tragische Stoffe fehlen in Wolf-Ferraris Opern-schaffen keineswegs. 1911 kam ein ganz dem Verismo nachstrebendes, zugleich sentimental durchwirktes Stück I gioielli della madonna (Der Schmuck der Madonna) heraus, an das man durch die bleibende Präsenz eines Orchester-Intermezzos bis heute erinnert wird. 1927 fand in München unter Knapperts-buschs Leitung die Uraufführung der Legende untertitelten Oper Das Himmelskleid (La veste di cielo), statt. Schließlich erschien die Shakespeare- Oper Sly oder die Legende vom erweckten Schläfer, effektvoll zwischen Dramma lirico und spätromantischem Musikdrama angelegt. Der Sly ist seit den 1980er Jahren als Bühnenreißer wiederentdeckt, durch Tenorstars wie Domingo, Carreras, Alagna fast zu Popularität gelangt und an Weltbühnen repertoirefähig geworden.

 

 

Vollendung von Leben und Schaffen

 

Während der Kriegsjahre war Wolf-Ferrari nach Zürich übersiedelt. In den 1930er Jahren wandte er sich verstärkt der Instrumentalmusik zu; sein Violinkonzert erreichte Bekanntheit. Den Kompositionen seiner späteren Jahre wird eine vor allem melodische und damit nachromantische Tonsprache attestiert, die Erkenntnisse der neueren Musikentwicklung aufgriff, aber nicht den zeitgenössischen Strömungen der Moderne folgte. 1931 schuf er als Auftragsarbeit für die Münchner Oper eine von Secco-Rezitativen gereinigte durchkomponierte Neufassung von Mozarts Seria Idomeneo.

 

1939 wurde Wolf-Ferrari als Professor für Kompositionslehre ans Mozarteum
in Salzburg berufen. Er empfand Widerwillen gegen den deutschen und italienischen Faschismus, noch mehr gegen den erneuten Weltkrieg, in dem sein Münchner Haus zerstört wurde. Er ging zurück in die Schweiz, nach Kriegsende in seine Geburtsstadt Venedig. Dort starb er 1948. Sein Grab liegt auf der Friedhofsinsel San Michele. Sein Vermächtnis ist vielgestaltig, eigenständig, umfassend — und immer wieder neu zu entdecken. Er war der vielleicht wichtigste Individualist unter den Opernschöpfern des 20. Jahrhunderts.

 

Nachschöpfer des Maestro Goldoni

 

Nach dem großen Erfolg der ersten Goldoni-Vertonung Wolf-Ferraris, den  Neugierigen Frauen (Le Donne curiose), in deutscher Version 1903 am Münchner Residenztheater uraufgeführt, steigert der Komponist seinen virtuosen Umgang mit feinkomischen Sujets in der Nachfolge Mozarts. Er nimmt nun direkten Zugriff auf modernere, die historischen Formen lockernde Musikkomödien in der populären Machart Opera buffa nach den Vorbildern Cimarosa, Donizetti, Ricci. Wieder wählte er eine venezianische Komödie von Goldoni, nun dessen erfolgreichstes Stück I quattro rusteghi. Das Libretto schrieb ihm der für solche Stoffe gefragte Giuseppe Pizzolato, der Goldonis Vorlage in venezianischem Dialekt adaptiert, ein Authentisierungs-Effekt, der in der deutschen Version nicht zur Geltung kommt. In der deutschen Fassung aber fand die Uraufführung statt — 1906 unter Leitung von Felix Mottl, wieder am Münchner Residenztheater, dem sog. Cuvilliés-Theater.

 

Die vom leichtfüßigen Parlando meisterlich geprägte Partitur ist in ihren Strukturen dem Vorgängerwerk verwandt, der Humor ihrer Wendungen und Details aber ein wenig nachdrücklicher, markanter, gelegentlich derber — zugleich aber auch noch kunstvoller. Der Reichtum an musikalischen Einfällen begeistert, gerade im Umfeld der Spätromantik und beginnenden Moderne und nicht zuletzt angesichts der am Jahrhundertbeginn im deutschen Sprachraum alles beherrschenden Orientierung an Wagner und Verismo. Der Komponist greift dessen Leitmotivik als Kompositionsprinzip auf, macht das aber mit witziger, gelegentlich parodistischer Note — die Leitmotivik ist geradezu  symmetrisch aus dem Inhalt gefolgert, bewirkt besondere Geschlossenheit
und Einheitlichkeit des Werks. Die Melodik wird von fein eingewirkten Motiven der venezianischen Folklore akzentuiert. Tempo und Vitalität der musikalischen Abläufe kommen aus lebendigem Wechsel rascher Parlando-Szenen mit ariosen Wendungen. Die Oper verzichtet auf einen Chor; die Ensembles schaffen aber hinreichend starke, belebende Polyrhythmik-Effekt, vor allen in den meisterlich gestalteten Finali.

 

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Dokumente einer unerhörten Epoche

 

Der Erfolg der Vier Grobiane war von der Uraufführung 1906 an enorm. Er setzte sich auch in der italienisch-venezianischen Fassung über die ganze musikalische Welt fort. Das Werk ist heute noch im Repertoire der italienischen Bühnen. Im deutschen Sprachraum ist es, wie das Gesamtwerk dieses Erneuerers der Opera buffa, leider kaum mehr präsent, darin ähnlich dem Verschwinden der deutschen Spieloper von den Spielplänen der großen Häuser.

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das noch anders. Dies begünstigte auch die nach 1948 sich ausbreitende Radiokultur mit ihren Landesrundfunk-anstalten, deren Orchestern und Chefdirigenten, die eine ganze Kulturepoche schufen und damit auch die Nachfrage nach Theater- und Musikleistungen an zahlreichen Standorten absicherten. Die Rezeption Ermanno Wolf-Ferraris profitierte davon. Allein im Jahr 1950 wurden die beiden wichtigsten seiner Goldoni-Komödien von 1903 und 1906 in den Uraufführungsversionen mit Tonaufnahmen produziert: Die neugierigen Frauen beim Südfunk Stuttgart
(HAfG 30335), Die vier Grobiane beim BR München in der hier vorliegenden Aufnahme. Die Grobiane kamen in opulenter Inszenierung zuletzt in italienischer Fassung unter Leitung von Heinrich Bender 1990 an der Bayerischen Staatsoper heraus. Italienische Versionen dieser und weiterer Musikkomödien Wolf-Ferraris auf Tonträgern sind im Handel.

 

Unsere Münchner Grobiane von 1950 sind in mehrfacher Hinsicht eine Fundsache von hohem Wert. Wir erleben eines der damals obligatorischen, heute überaus raren Dirigate des wunderbaren Musikers Hans Altmann, der heutigen Hörern vor allem als Liedpianist bewusst sein dürfte. Dazu ein weiteres Beispiel für Standard und Niveau der damaligen Staatsopern-Ensembles, hier mit hoch- berühmten wie auch bereits archivierten Namen, die eine Ära mitprägten. An der Spitze der unvergleichliche, Dimensionen sprengende Bassbariton Georg Hann, ein Gesangsheros seiner Zeit (in seiner vermutlich letzten Tonaufnahme), dazu Legenden wie Kruyswyk, Holm, Kusche, Michaelis, Wieter, Sommerschuh, nicht zuletzt der in Tondokumenten extrem rare Wilhelm Schlichting, dessen sich das Wagnerpublikum der 1950er bis 1970er unter dem Namen Wilhelm Ernest als führender Heldentenor besser erinnern dürfte. Wir gewinnen wieder einen Eindruck von Rang, Kontinuität, Universalität und Künstlertum der deutschen Ensembletheater in einer Ära der schier unglaublichen Wiederbelebung — und erneuten Anlass zur Klage um eine verlorene Kulturwelt.

 

Hans Altmann (∗ 1904 ‑ † 1961) — Meisterpianist, Universaldirigent und spätromantischer Komponist, stammte aus Straßburg. Er erhielt seit seinem siebenten Lebensjahr Musikunterricht, u. a. beim Großmeister Hans Pfitzner. Schon als Neunjähriger trat er als Liedpianist auf und galt bis an sein Lebensende als ein führender Klavierpartner für bedeutende Sänger und Instrumentalsolisten, von Erna Berger bis Dietrich Fischer-Dieskau, Ludwig Hoelscher bis Arthur Grumiaux. Mit zwölf debütierte er als Konzertpianist mit Pfitzners Klavierkonzert. Er studierte seit 1913 weiter am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt/M., dort auch Komposition und bei Karl Böhm Dirigieren. Clemens Krauss, damals Frankfurter Operndirektor, engagierte ihn als Solorepetitor. Mit Krauss ging Altmann als Kapellmeister nach Wien, Berlin und München, wo er die Uraufführungen von Richard Strauss’ Friedenstag und Capriccio einstudierte. Am Münchner Nationaltheater debütierte er als Operndirigent 1939 mit Webers Freischütz. Es folgten MarthaCavalleria rusticanaDer BajazzoDon PasqualeDer TroubadourMadame ButterflyDie verkaufte Braut — dann Wolf Ferraris Vier Grobiane. Im Weltkrieg wurde Altmann als Musikdirektor nach Posen kommandiert, bei Kriegsende sogleich GMD in Görlitz und Zittau. 1946 gelang ihm die Heimreise nach München, wo alle Leitungsposten an der Staatsoper aber schon besetzt waren. So wurde er beim neuen Bayerischen Rundfunk Chefdirigent mit Vertrag für Kammermusik und Soloklavier. In kurzer Zeit produzierte er 38 Opern fürs Radio-Repertoire. Zugleich dirigierte er als ständiger Gast die Münchner Philharmoniker und die Bamberger Symphoniker. Er war der Dirigent der Münchner Erstaufführung von Richard Strauss’ Metamorphosen. Er leitete Rundfunk- und Plattenaufnahmen, Konzerte und Tourneen mit Auftritten in London (BBC), allen westeuropäischen und skandinavischen Ländern, in Griechenland, Spanien, Portugal, Marokko, Ägypten. Als Komponist trat er mit über 80 Liedern und vielfältiger Klavier- und Kammermusik hervor — ein letzter Vertreter der tonalen romantischen Tradition. Menschlichkeit, Toleranz, Güte und Liebenswürdigkeit waren die herausragenden Charaktereigenschaften dieses Musikers klassischer Schule, gerühmt von Mitmusikern und Publikum. Hans Altmann starb am 25. Februar 1961 in München.

 

Georg Hann (∗ 1897 ‑ † 1950) — früh verstorben und unvergessen, war einer der bedeutendsten, meistdokumentierten, zugleich universellsten Sängerpersönlichkeiten seiner Zeit. Ein Bassbariton von Persönlichkeit, Vitalität, Spielgewandtheit, gesanglich mitunter von rustikaler Krassheit und überbordender Exuberanz. Wie vor ihm nur Michael Bohnen meisterte er ein Rollenspektrum von kaum glaublicher Fülle und Breite, von lyrischen Bariton- über Charakter- und Buffo- bis zu Basso-Profondo-Partien. In seiner Glanzzeit schienen seine vokalen Ressourcen grenzenlos. Nach diversen Berufsversuchen hatte er bei Theodor Lierhammer in Wien Gesang studiert. Als kaum Dreißigjähriger kam er an die Bayerische Staatsoper, deren Mitglied er bis zu seinem frühen Tod blieb. Bald war er auch ein europaweit gefragter Gaststar — so in Wien, Berlin, Paris, London, Brüssel, Rom. 1931 bis 1947 erschien er bei den Salzburger Festspielen. In enger Mitarbeit war er dem Künstler-Duo Richard Strauss & Clemens Krauss verbunden, als Opern-Bariton wie als Konzert-Bassist. Er war der LaRoche in der Uraufführung von Capriccio. Sein Wirken lässt sich fast lückenlos auf Tonträgern nachvollziehen: Lyrikbaritone wie Fluth und Zar Peter. Charakterpartien wie Scarpia, Kaspar, Gunther, Wurm, Alfio, Faninal. Heldenbaritone wie Pizarro, Sachs, Amfortas, Amonasro, Tonio, Jochanaan. Bassi profondi wie Sarastro, Philipp, Nicolai-Falstaff, Daland, Penaios. Buffi wie Leporello, van Bett, Baculus, Varlaam, Waldner, Zsupán. Zwischenfach-Figuren wie Mephisto, Ochs, Verdi-Falstaff. Dazu viele Oratorium- und Liedaufnahmen.

 

Wilhelm Schlichting (∗ 1913 ‑ † 1975) — Münchner Bariton. Schüler von Paul Bender. Zunächst Chorist, dann Solist in Regensburg, Kaiserslautern, Augsburg. Seit 1948 deutschlandweit als Konzertsänger aktiv, zugleich Gast an der Bayerischen Staatsoper. 1947 erneutes Studium bei Edith Lukaschik in München, dann Fachwechsel zum dramatischen Tenor, nun unter dem Namen Wilhelm Ernest. Erfolgreich an deutschen Stadttheatern, dann bis zu seinem Tod fest an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg. 1960 bis 1964 mit Gastvertrag auch am Staatstheater Hannover. Europa-Karriere als Heldentenor: Max, Florestan, Achilles, Erik, Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, Stolzing, Loge, Siegmund, Siegfried, Parsifal, Radames, Pedro, Bachus und in Charakterpartien von Monteverdi bis Alban Berg. Gastspiele auch in Nord- und Südamerika. Allzu wenige Tondokumente, zumeist als Bariton.

 

Benno Kusche (∗ 1916 ‑ † 2010) — Charakter-Bassbariton mit weitem Rollenspektrum und starker Buffo-Begabung, Sohn einer Konzertsängerin und eines Kunstmalers. 1935 bis 1937 an der Theaterakademie Karlsruhe. Debüt 1938 in Heidelberg. Seit 1938 bis 1939 Stadttheater Koblenz, dann Opernhaus Augsburg. Nach Weltkriegsende Operettendarsteller im Kurhaus Göggingen, dann über Augsburg fest an der Bayerischen Staatsoper, seit 1958 auch an der Rheinoper, als Gast an den Opernhäusern von West-Berlin, Stuttgart, Wien, am Covent Garden London, der Scala di Milano, in Florenz, Zürich, Brüssel, in Übersee und bei europäischen Festspielen, 1971/72 auch an der Met in New York. Bayerischer Kammersänger. Kusche war berühmt als Beckmesser, doch auch als Alberich, Mozarts Figaro, Leporello, Papageno, als Faninal, Waldner, LaRoche, schließlich in einer Fülle von Operettenrollen für Bassbuffo und Charakterbonvivant. Schier grenzenlose Tonaufnahmen in Operetten, dazu zahlreiche TV-Auftritte, auch Filmdarsteller. Seine Popularität dauert an.

 

Georg Wieter (∗ 1896 ‑ † 1988) — studierte Gesang bei Emge, Battisti und Notholt in Hannover. Debüt am Landestheater Gotha, danach Opernhaus Nürnberg, dort für elf Spielzeiten mit großer Popularität als erster Bass. Seit 1935 an der Münchner Oper, dort bis 1967 Ensemblemitglied. Bayerischer Kammersänger. Bass-Repertoire ohne Grenzen, erst als Serioso und Charakterbass, später als Darsteller unzähliger Comprimario-Rollen. Mitwirkung in den Uraufführungen von Grimms Der Tag im Licht, Orffs Der Mond, Strauss’ Friedenstag und Capriccio, 1944 bei den Salzburger Festspielen als einer der griechischen Könige in der ersten (inoffiziellen) Aufführung der Liebe der Danae. Seine markante körnige Bass-Stimme ist in vielen Mitschnitten und Studioproduktionen dokumentiert.

 

Ruth Michaelis (∗ 1909 ‑ † 1989) — Altistin polnischer Herkunft, ausgebildet in Berlin, dann bei Anna von Mildenburg in München. Debüt 1932 in Halberstadt. Opernlaufbahn über Cottbus, Stuttgart, Augsburg an die Münchner Oper. 1937 in Stuttgart in der Uraufführung der Operette Monika von Nico Dostal. 20 Spielzeiten an der Bayerischen Staatsoper. 1942 bis 1947 bei den Salzburger Festspielen (Kartenaufschlägerin in Arabella, Marcellina in Figaros Hochzeit, Mozart-Requiem und ‑Krönungsmesse). Gastauftritte in London, Rom, Bordeaux, Barcelona, Zürich. Seit 1956 Professorin an der Münchner Musikhochschule und der Opernschule Istanbul, später in Florida und California. In USA auch als Opernregisseurin erfolgreich.

 

Anny van Kruyswyk (∗ 1898 ‑ † 1976) — Trotz ihres holländischen Namens Wienerin ungarischer Abstammung, ausgebildet an der Königlichen Musikakademie Budapest. Debüt und Erstengagement 1926 an der ungarischen Nationaloper. 1927 am Opernhaus Frankfurt/M., 1928 am Staatstheater Wiesbaden, 1929 bis 1931 am Opernhaus Nürnberg. Seitdem Ensemblemitglied der Münchner, dann der Bayerischen Staatsoper. Bayerische Kammersängerin. Gefeiert vor allem als brillanter Koloratursopran, so als Königin der Nacht, Violetta, Gilda, Musetta, vor allem Lucia di Lammermoor. Bis 1945 blieb sie der hohe Diskant im Münchner Ensemble. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrittweise Rückzug von der Opernbühne, doch weiter im Konzertsaal und im Rundfunk zu hören. Auch von ihr existieren viel zu wenige Tonaufnahmen.

 

Richard Holm (∗ 1912 ‑ † 1988) — Schwabe, Absolvent der Musikhochschule Stuttgart. Lirico und Charaktertenor mit Spektrum von Bastien bis Palestrina. Debüt 1937. Kam über Kiel und Nürnberg 1948 für 30 Jahre an die Bayerische Staatsoper. UA/DE von Hindemith, Egk, Reimann, Britten. Internationaler Konzert- und Oratoriensänger. Regelmäßig bei Münchner Opernfestspielen, Salzburger Festspielen, Glyndebourne Festival. 1952 bis 1953 Met NYC. Häufig Gast der Württembergischen Staatsoper. Bayerischer Kammersänger. Professor an der Musikhochschule München.

 

Gerda Sommerschuh (∗ 1915 ‑ † 1984) — aus Dresden. Beginn als Soubrette. 1937 Opernhaus Chemnitz, gleich danach ans Staatstheater Stuttgart, dort bis 1942 in Lirica-Partien (Susanna, Zerlina, Marzelline, Mimi, Cho Cho San, Nedda, Regina). Seit 1942/43 Mitglied der Staatsoper München, Debüt als Cherubino. Salzburger Festspiele 1942. Nach Kriegsende fest an der Bayerischen Staatsoper, seit 1953 auch am Opernhaus Zürich. Gastspiele in europäischen Metropolen, so am Covent Garden London mit Zdenka in Arabella und Semele in Liebe der Danae. 1957 an der Grand-Opéra Paris. Partien im gesamten lyrischen Fach, auch vielseitige Konzertsängerin. Bühnenabschied 1969.

 

Günther Baldauf (∗ 1925 ‑ † 1991) — Studium in München bei Paul Bender und Gerhard Hüsch. Erste Auftritte im Rundfunk (so in unserer BR-Produktion). Debüt 1950 am Stadttheater Würzburg, 1951 Wechsel ans Opernhaus Nürnberg. Knappe im Parsifal bei der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele 1951. Seit 1954 am Staatstheater am Gärtnerplatz München, seit 1962 am Opernhaus Wuppertal, dann wieder am Gärtnerplatztheater. Gastverträge mit den Opernhäusern Frankfurt/M. und Zürich und dem Nationaltheater Mannheim. Seit dem 1970ern nur mehr als Lied- und Konzertsänger tätig. Vielfältiges Repertoire als Tenore Lirico von Bach und Mozart bis Strawinsky. Leider kaum Tonaufnahmen.

KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel