An Thomas Pape, Köln & Dortmund, in einer Forum-Debatte 2010

Vom Himmel
kamen auch die sieben Plagen ...

Lieber Thomas! –  “Grenzwertig“ findest Du einige Verbalisierungen in der Debatte. Damit siehst  Du wohl eine gelegentlich „harte“ Wortwahl an der hinnehmbaren Grenze – oder? Gestatte mir, meine Verwunderung auszu-drücken. Was ich im Forum, zum Beispiel zu Neuenfels` Lohengrin, bisher zu lesen bekomme, ist doch ausgesprochen zaghaft, nivellierend, gleichmütig, beinahe wehrlos, ein wenig mürrisch, doch kaum richtig zornig oder empört. Zorn und Empörung wären aber das Mindeste, was man angesichts solcher Kunstleistungen im Besonderen und beim Katharina-Klüngel-Bayreuth im Allgemeinen empfinden müsste, wenn nicht gar Verachtung und Ekel.
Drum will ich wieder mal den Noske machen.


Eine Ruine der Selbstbespiegelung
Der hochgerühmte göttliche Szeniker, zu dem Verdi persönlich im Traume spricht (ja wirklich, sowas erzählt er den Konzernfeuilletons), zentraler Mitverursacher der Krankheit „Zeitgenössisches Regietheater“, hat nach mehr als drei Jahrzehnten Kunstverwüstung und Publikumsverarschung mittlerweile den Prozess der geistigen Abbaus ins Stadium offenbarer Debilität getrieben. Alkoholzerrüttet, schwerzüngig bis lallend sitzt der in TV- und Print-Interviews, labert strukturell chaotische bis artikulativ marode Satzbrocken über Wagner,
die Deutschen, die Geschichte, fragmentarisch auch zu Bayreuth im Wandel
und retour.


Ich habe drei solcher Diskurs-Auftritte aufmerksam zu rezipieren versucht, also mir reingezogen – und nichts Konzeptionelles, geschweige denn Analytisches wahrnehmen können. Zu dem Werk, das er an berühmtester, wenngleich seit langem heruntergekommener Stelle zu interpretieren doch noch gerufen wurde (warum und mit welchen Absichten, darüber wäre ein eigener Beitrag zu schreiben, mal sehen): nicht ein Gedanke, nicht eine Erwägung, ja nicht einmal ein zusammenhängender Satz. Man kann eine Ruine der Selbstbespiegelung, Werkvergewaltigungspraxis, Egomanie und Rotzfrechheit besichtigen, auf jenem Niedergangsstand, den man anderweitig als Vorstufe zur Phrenesie einzuordnen pflegt.

Entsprechend der anschließende Event: Lohengrin im Tierversuchslabor, die dramaturgisch nach attischem Vorbild konzipierten, musikalisch herrlichste Hochromantik evozierenden Chöre als Laborratten-Aufmarsch, eiskalte Atmosphäre, antimusikalische (= im Kernsinn: notorisch gegen die blausilbern-sinnliche Instrumentation), gegen Gehalt, Struktur, Klang, Melos gerichtete Formen und Figurationen, widersinnigste Aufpfropfereien, symboltrunken? umgewichtet? neugesehen? – no, bloß ins Abstruse, Werkferne, Gehaltlose getriebene „Ideen“huberei, die in Wahrheit Zeugnis extremer Ideenlosigkeit ist, schlimmer: Deutung und Darstellung als demonstrative Nicht-Interpretation, Nicht-Konzeption, Nicht-Umsetzung.

Nullitäten als Totalitäten
W e n n  überhaupt etwas „faschistisch“ – nämlich extremistisch, totalitär, gewalttätig, ungeistig, inhuman – ist, dann diese dreiste, jeden Deutungsansatzes bare, jede Reflektion verhöhnende, gänzlich unkünstlerische Exhibitioniererei, die mit dem Anlass und Werk gar nichts zu tun hat, vielmehr eine abstruse Nullität als Interpretation und Werkdarstellung  ausgibt, in Wahrheit eine Banausen-Dummheit auf ein Genius-Werk ausschüttet; es könnte auch ein ganz anderes sein:

Warum nicht Meistersinger in der Kanalisation, Tristan auf der Müllkippe,
Parsifal im Busbahnhof oder auch andersrum, ist doch scheißegal, Hauptsache anders =  noch nicht gehabt, nicht gedacht, nicht gewagt.
(Nachtrag: Mit dem Bayreuther Tannhäuser ab 2011 ist die Bahn  längst auf der Schiene).

Solchem Künstlertum in solchen Trends bei solcher Medialbegleitung ist ein schallkräftiger Buh-Orkan erst die richtige Resonanz. Verstehen und Zustim- mung per bravem Beifall steht denen für Misslingen. Erst ein veritabler Skandal macht den Erfolg. Darum strahlen die Smokingträger vor dem Schlussvorhang immer so glücklich, wenn sich ein voll gefopptes Publikum ein wenig missfällig zeigt. Darum spielt Rigoletto auf dem Planet der Affen, Don Giovanni in der Montagehalle (beides Bayerische Staatsoper), Carmen im Froschteich (Staatsthater Stuttgart) – alles an deutschen Spitzenbühnen.

Im englischen oder romanischen Kulturkreis wird man mit sowas in Verachtung und Ächtung befördert; hierzulande geht die Probe auf  Zumutbarkeitsgrenzen immer zugunsten der Anmaßung und Inkompetenzdemonstration aus. Und sie gipfelt in jenem Moment, wo auf der offiziellen, über Print, Monitore bis ins Netz verbreiteten Pressekonferenz der Festspielleitung das Protektionskind Katharina dem genialischen Künstler mit eroshaltigem Timbre zuflötet, dass es ein tief beeindruckendes Erleben sei, Zeuge einer derart meisterlichen, handwerklich perfekten und geistig faszinierenden Regiearbeit werden zu dürfen. 

Zentrale, wohl eigentlich kausale Beiträge, ja förmlich die Basis für solchen Trend, der nun schon ein Vierteljahrhundert währt, sich immer noch steigert
und nun im Tête-á-tête zweier künstlerisch Inkompetenter, doch machtfaktisch Zuständiger gipfelt, liefert die öffentliche Rezeption durch ein Schickeria-Publikum von Ignoranten und eine Feuilleton-Szene, die sich nicht am jeweiligen verwursteten Genius, sondern am boulevardigen Aufreißer orientiert, ja mästet. Zwei Beispiele unter Hunderten:


1.  Eröffnung des wichtigsten deutschen Musikfestivals, der Bayreuther Festspiele: Wagner? Opernwerk? Musik? Aber nicht doch: Die Kanzlerin mit Ehemann, der Ministerpräsident, der „Verteidigungs“minister, der Außen-ministerdarsteller mit Partner, der TV-Moderator, die Gigi-Fürstin, der Modezar, die Gesellschaftsdamen vom RheinRuhr-Geldadel, der Großbanker – vom Spalier der Kleinspießer und Medienschranzen beklatscht. In der Pause dann: Mikrophon- und Kameraträger in buckelnder Ranwanze an eben diesen Phänotypus Festspielbesucher. Wie fanden Sie die Aufführung? Wenig variantes Antwortkollektiv: Die Sänger einfach Weltklasse, die Regie, nun ja gewöhnungs-bedürftig bzw. couragiert bzw. bedenkenswürdig. Blablabla-Liberallala, nur nicht ausscheren. Soweit Kulturrezeption heute, prominent, weltweit verbreitet.

Expertisen von PKW-Fans  

2. In der Nacht dann Kritiker-Runde in Klassikradio BR4: Drei professionelle Laberer, keiner mit erkennbarer Tiefenkenntnis des Werkes Lohengrin, geschweige denn einer Wagner-Kosmik, alle im Banne des Ereignisses und
seiner Macher, keine Frage, keine Erwägung, erst recht kein Deutungsversuch. Was stattfindet, wird erlebt, übermittelt, wenn’s hoch kommt, referiert. Am
Tag dann das gedruckte Feuilleton, etwa in der Süddeutschen, verfasst vom PKW*)-Regie-Fan Brembeck: Vier Spalten Bericht, davon zwei Absätze Schilderung der Rattenplage. Zitate (Einklammerungen von mir):


„ ...der fabelhaft singende Chor in menschengroßen Rattenkostümen ... die Sänger werden zuletzt zu Hominiden. Dieser Lohengrin spielt in Klonien, das einen mythenfernen (!) und scheinbar schwanenfederleichten (!) Sommernachtstraum aus
der Retorte erlebt“. – „ ...Menschenratten, die derart putzig
(!) herumtapsen und derart manierlich aufgeregt mit allzu großen Füßen und Händen herumzittern (!), dass es immer wieder zu Heiterkeitsausbrüchen kommt...“. – „Im Bayreuther Werkstattlabor klont sich eine beziehungsunfähige, steril gewordene Menschheit identische Gestalten
en masse, die die Drecksarbeiten, Krieg inbegriffen, zu erledigen haben.“


Vom Schwachsinn solcher Bekundungen abgesehen – die sind das Einzige, was der Rezensent zur Inszenierung mitteilt. Außer diesem End-Absatz, wörtlich: „Zuletzt bringt Neuenfels dann ... doch noch ein mythisches Bild. Als Schwan und Kahn ... zur letzten Fahrt erscheinen, bringen Sie eines jener Rieseneier mit, wie sie Salvador Dali gern auf Häuser stellte (?). Im Inneren aber (!) hockt ein grauslicher (sic!) Wechselbalg, der mit sadistischem Grinsen seine Nabelschnur zerreist. (Und jetzt Achtung:) „Ist es Hitler, der nun, da alle Utopien gescheitert sind, nach der Herrschaft greift? Neuenfels lässt die (wessen?) Frage unbeantwortet im Raum stehen. Das Publikum in Bayreuth, wo die Gräuel der deutschen Geschichte lebendiger (?) sind als sonst wo (?), quittiert diese (!!) gnadenlose Aufklärung (??!!) mit einem Buhgewitter ...“

Wie meinen? Welche „gnadenlose Aufklärung“? Worin bestehend? Ist das jemandem unter Brembecks Bis-hierher-Lesern klar geworden?  –  Ja, das ist die adäquate Befassung mit dem in sich selbst kennzeichnenden Gegenstand, und
in Sinnfreiheit wie Irrsinn von gleichem Karat. Will sagen: Es ist eine offenbar mondial entgrenzte Gemeinde des Wahnwitzes, des Durch-nichts-blamiert-werden-Könnens, deren Akteure auf allen Seiten des großen Schowgeschäfts einander nicht nur würdig sind, sondern einander bedingen, ermöglichen, erhalten. Die klassische Manifestation von des Kaisers neuen Kleidern. Nur
dass (bislang) kein Kind aufsteht und schreit: Der Kaiser ist ja nackt!


Zwischen-Fazit: Es kann gar nicht „grenzwertig“ genug umgegangen werden mit solchem Betrieb, dessen Hauptskandal darin besteht, dass bei und in ihm nichts Skandal macht. Wenn nun ausgerechnet eine dabei Mitwirkende das obligatorische (längst zum Einverständnis-Ritual gewordene) Buuuh als „faschistisch“ bezeichnet, dann muss man ihr eins auf die dumme Lippe geben. Mindestens.

Meint Dein KUS

 


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Hallo, lieber  Thomas!

 

Dank für den Hinweis. In der Tat: Da hab ich was Zentrales glatt überlesen. Wagner-Forum, da kann ich zustimmen. Die rechte Fraktion dort = nun allerdings grenzwertig. Hast Recht, offene Tür. Scusi per favore. Sowas kommt vor, sollte aber nicht.

 

Ansonsten: Bitte keine Unterstellungen. Ich habe den Werkbericht des Filmers und Dokumentaristen Manfred Arndt, eines alten Bekannten mit persönlichen Bayreuth-Pressestelle-Connections, gesehen und seinen Report dazu angehört. Kann also mein Urteil als gestützt ansehen. Die Fragen: Was soll das, worauf
will er hinaus, was hat das mit dem Werk (vor allem dessen Musik !!) zu tun?
- die wird man stellen dürfen, ja müssen, ob man das gesamte Elaborat nun
zur Gänze, in Teilen oder nur segmentär zur Kenntnis hat. Ausweichen auf Nebenschauplätze nicht gestattet!

Es ja nicht so, als kennte ich den Neuenfels nicht. Meine Erfahrungen mit ihm reichen von der Frankfurter Aida über die Berliner Forza bis zur Salzburger Fledermaus. In den beiden ersterwähnten Fällen hatte das Gezeigte zwar auch so gut wie nichts mit dem Zentralfaktor des Genres Oper - der Musik nämlich - zu tun. Aber man konnte erkennen, worauf  N. hinweisen, was er vermitteln wollte; freilich immer nur vom Text her, immer aus der ohnehin offenkundigen Handlung, immer vordergründig – aber doch bedacht: Die Sklavin - heute Putzfrau. Die Geschichte - heute Museum. Der Truppentriumph - ein Vorbei-marsch von Invaliden, Blessierten, Versehrten, geschlagen allesamt. Der Feldzug - ein irrationaler Wahnsinn. Oder: Der Mestize – ein Inkakrieger, nicht nur Outlaw, sondern Paria. "La guerra" – auf spanischer Erde Bündnis von Franco-faschismus und Klerus. Carlos Verfolgungsrage – ein Rassen- und Klassenkrieg. Alles ganz offenkundig, platt zeigefingerig, optisch graumäusig und musikfern, aber erkennbar und nachvollziehbar, jedenfalls für Leute, die Musiktheater nicht als Werkgenre aus eigenem Recht, das Kunst heißt, sondern als Erklärungs-materie und Verheutigungsbedürftigkeit ansehen.

Aber dieser Lohengrin? Ich ersuche um Interpretationsangebote. Neuenfels
gibt keine, das bürgerliche Feuilleton labert Girlanden, die für „Öffentlichkeit“ geltenden Charaktermasken demonstrieren ihre Inkompetenz und Ignoranz,
die Presse ist vor Äonen von gesellschaftlich-kultureller Einordnung zum Boulevard-Hype mit Quote übergegangen. Also: Was ist das hier mit Lohengrin
? Zählen Werkvorlagen überhaupt noch? Geht es um Musik, Darstellung, Kunst? Nicht doch. Meine Betrachtung der großen Leerstands-Kumpelei trifft zu. Selbst Saint-Guy-d’eau, der es wie immer ganz genau weiß („Neuenfels – phantastisch! Großartig wie seit Jahren keiner in Bayreuth!“), verwendet nicht eine Silbe auf irgendwelche Bedeutungsgehalte oder Erkenntnisse, ist insofern auch ganz Teil der Szenerie.

Was wollte Dein Freund sonst noch? Ach ja, meine Schreibe ist zu lang.  Das hattest Du bisher nicht beanstandet. Hätte auch nichts genützt. Man muss mein Zeug nicht lesen.

Schöne Grüße vom KUS.

 

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     *) "PKW-Regie" - den Begriff vermittelte mir mein Freund und Worldwide-
     Kulturkenner Dr. Detlef Krumme (Berlin) - das sei ein längst gängiges Diskurs-
     Rede-Produkt der Berliner Theaterszene. Auf meine Frage, was das 'PKW' denn
     bedeute, erhielt ich die Aufklärung:
Genau das, was Du Dir denkst.

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© Klaus Ulrich Spiegel