Gottlob Frick
Liedaufnahmen
1949/50 & 1970

Ein Sängerfürst auf Liederreisen

Gottlob Frick (1906-1994) ist der deutsche Basso universale mit den meisten Tondokumenten, darum wohl auch der heute am besten erinnerte Vertreter seines Fachs. Er gilt als Inkarnation eines „schwarzen Basses“, verkörperte dabei vor allem den Typus des volltönenden, glockig-weich, dabei „gedeckt“ und zugleich resonanzstark klingenden Deutschbassisten, war also kein Basso cantante, sondern ein echter Profondo-Serioso.

Das schränkte die Spannweite seines Partienspektrums nicht ein.
Frick war in praktisch allen Genres der Bühnen- und Konzertmusik persönlichkeitsstark und tongewaltig präsent: im deutschen Repertoire etwa als Sarastro, Osmin, Rocco, Kaspar (aber auch Eremit), Falstaff, Stadinger, Plumkett, Abul Hassan, Papst Pius, im engeren Basso-cantante-Bereich als Don Basilio, Raimondo, Zaccaria, Filippo, Procida, Fiesco, Ramfis, bei Wagner mit praktisch allen Bassgestalten von Daland über Hagen bis Gurnemanz, dazu in der französischen und slawischen Oper, mit Partien für Basso comico in der Buffa und Spieloper, sogar als Gounods Méphistophéles und Mussorgskijs Boris. „Bassisten singen alles“ – dieses Diktum erfüllte Frick in voller Breite, doch auch mit zahlreichen überraschenden raren Bühnenfiguren.


Fricks schwäbische Herkunft klingt ein wenig in seiner Tonbildung und Artikulation mit, weshalb seine Ausstrahlung eher gesetzt und in sich ruhend als markant oder scharf wahrgenommen wird. Dennoch wurden auch seine Bühnengestalten italienischer Prägung – insbesondere Verdis Philipp II – international mit deren größten Interpreten in eine Rangreihe gestellt. In seiner Ära war Frick neben Weber, Ernster, Greindl, Böhme, von Rohr auf den Weltbühnen wohl der meistbeschäftigte Bassist in Partien deutscher Provenienz, namentlich in Basspartien Richard Wagners. Doch seine Karriere währte so lange, dass er auch zum Zeitgenossen und Vorbild der Folgegeneration bedeutender Bassisten wie Crass, Talvela, Ridderbusch, Moll wurde – eine einzigartige Position bis heute.

Ein Mirakel der Langlebigkeit

Der Künstler wuchs als jüngstes von 13 Kindern in einem Försterhaus auf. Schon als Jugendlicher begann er seine Ausbildung am Konservatorium Stuttgart, sang seit 1927 im Stuttgarter Staatsopernchor. 1934 debütierte er als Daland am Landestheater Coburg. Nach Engagements in Freiburg und Königsberg wurde er 1939 von Karl Böhm an die Staatsoper Dresden engagiert, wo er bis 1950 von Masetto bis Philipp Basspartien jeder Art sang. 1950-53 war er vorrangig an der Städtischen Oper Berlin tätig, dann Gast an allen großen Opernhäusern, vor allem in Hamburg, München, Wien, an Covent Garden London,  
der Mailänder Scala und der Met NYC. Ab 1957 trat er bei den Bayreuther Festspielen auf, als Pogner, Fasolt, Hunding, Hagen. Allein an der Wiener Staatsoper sang er rund 500 Vorstellungen. Frick hatte auch bedeutende Erfolge als Oratoriensänger, war populär mit Volks- und Unterhaltungsmusik. Nur mit Liedgesang trat er kaum hervor. Seine tönende Hinterlassenschaft auf Schallplatten ist umfassend – sie wird durch die aufregende Fundsache der Liedeinspielungen und -mitschnitte auf dieser CD so instruktiv wie animativ erweitert.


Der letzte Auftritt des großen Sängers fand am 26.1.1985 in Heilbronn statt, er war fast 80 und immer noch prachtvoll bei Stimme. Zu Lebzeiten und postum wurden ihm so zahlreiche Ehrungen zuteil wie kaum einem anderen Bassisten deutscher Herkunft. Seinen Nachruhm sichern unter anderen die Gottlob-Frick-Gedenkstätte und die Gottlob-Frick-Gesellschaft, bekannt durch ihre Künstlertreffen und die jährlich verliehene Gottlob-Frick-Medaille. Der legendäre britische Gesangspräzeptor John B. Steane (The Great Tradition) nahm Gottlob Frick in sein Listing der 100 bedeutendsten Opernsänger auf.

In seiner unglaubliche 58 Jahre langen Sängerlaufbahn hat Gottlob Frick wohl alles Repertoire, das einem Basso profondo zugänglich ist, vor- und dargestellt. Man kann ihn, mit dem sich assoziativ vor allem machtvoll schallende Tuba-Töne verbinden, als legato- und sogar koloraturensicheren Barock- und partiell Belcanto-Interpreten hören, als vokal imponierenden, dabei stets differenzierend textnahen Charaktersänger wie als bedrohlich dräuenden Finsterling. Er hatte die gütigen Väter und Priester genauso auf der Palette wie Herrscher, Biedermänner und Schurken. Er verfügte nicht nur über die großen Stentortöne, sondern auch über eine wunderbar tragende, umfangende, weiche Mezzavoce. Mit Worten Jürgen Kestings: „Es liegt eine Kraft, Energie, Sicherheit und Zuversicht in seinem Singen, über die nur ein Meistersinger gebietet.“

“ ... dort ist das Glück.“

Die Klage in Schmidt von Lübecks von Schubert vertontem „Wanderer“ (s. Track 14) berührt eine offenbar als schmerzlich empfundene Leerfläche in Gottlob Fricks Weltkarriere: den Liedgesang. Wer er sich seine benannten sängerischen Eigenschaften und ihren empathischen Einsatz in einer Fülle von Charakteren unterschiedlichster Prägung und Profilierung mit Tonbeweisen vergegenwärtigt, mag vermuten, dass ein Sänger mit solchem Spektrum auch ein eindrucksvoller Liedsänger hätte sein können. Man erwartet etwa einen Interpretationsstil wie von Hotter oder sogar Kipnis. Die vokalen wie sängerischen Voraussetzungen wären nicht in Zweifel zu ziehen – man höre Fricks Differenzierungskunst etwa in Philipps „Schlaf find ich erst“, Heinrichs „Weil uns’re Weisheit Einfalt ist“ oder des Gurnemanz „Du siehst, das ist nicht so“.

Dennoch: Das Kunstlied schien dem Bassisten dauerhaft verschlossen geblieben; er selbst sprach von einer „unerfüllten Liebe“. Das mag der weltumspannenden Laufbahn geschuldet gewesen sein, die kaum Zeit für intensive Befassung, gar detaillierte Ausformung der kleinen solistischen Tonstücke gelassen haben dürfte, um so mehr unter dem Eindruck der Renaissance des Liedgesangs in neuen stilistischen Formen seit den 1940er Jahren. Dabei trat Frick immer wieder auch mit Sololied-Konzerten auf. Doch außer einer LP mit Volks- und Jagdliedern in eher populärer Zurichtung (heute gelegentlich noch second-hand zu erwerben) ist kein Tondokument bekannt geworden, das Gottlob Frick als Liedinterpreten vorgestellt hätte.

Glückhafte Fundsachen

Die Tonbeispiele aus dem klassischen Liedrepertoire auf dieser CD sind lange Zeit unbeachtete, aus heutiger Sicht höchst glückhafte Fundstücke, ja Rarissima. Sie erfassen einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten. Die ersten von 1949 Berlin und 1950 Dresden dürften nach dem Zeitmaß der Nachkriegshistorie als „früh“ gelten, doch präsentieren sie einen ausgereiften Sänger nach 24 Jahren Bühnenpraxis. Die privaten Live-Mitschnitte von 1970 hingegen resümieren eine Laufbahn, die die Wirkungsdauer der meisten professionellen Sänger bereits deutlich überschreitet. Sie bringen eine vokale, sängerische und interpretative Präsenz zu Gehör, die ihresgleichen sucht – und noch lange nicht das Ende oder gar die Reste einer Langzeitkarriere markiert.

Allein die so dokumentierte Beständigkeit in nahezu identischer Stimmfaçon und -farbe ist ein Faszinosum. Mehr noch die hörbar vollkommene Beherrschung des Legato ohne den geringsten Registerbruch und die unverwechselbar-individuelle, dennoch lehrbuchhafte Klangproduktion: Frick attackiert die Töne aus der Hochstellung des Gaumensegels. Er kappt damit etwaige Strahletöne eines Basso cantante, wie man sie von Siepi oder Tozzi zu hören bekommt, erzeugt so aber nicht nur einen „gedeckten“ dunklen Klang, sondern auch Breite, Fülle und voluminöse Schallkraft, idealtypisch für einen Profondo deutscher Provenienz.

Klangpracht und Ausdrucksoptionen

Dem erwartungsvollen Hörer wird im ersten Eindruck nicht das Muster einer gehaltsbewussten Lied-Interpretation im Sinne von Sinndeutung und Textauslegung geliefert. Darum mag man manche der frühen Liedaufnahmen zunächst als eher beiläufig, ja sorglos empfinden. Das vertraute, unverwechselbar ebenholzene Material wird vor allem vokalbetont eingesetzt, mit gebändigtem Vibrato, ausgewogen-schwingendem Klangstrom, rundem, körperhaftem Ton, die Notenvorgaben auskostend – aber unter Verzicht auf eine zugreifende, inhaltsbezogene Wort-Ton-Dynamik, ja weithin ohne interpretative Akzente oder gar Finessen. Das wirkt zunächst ein wenig defizitär, etwa beim Verzicht auf scharfe Charakterisierung mit drei Stimmfarben in beiden Versionen des Erlkönig. Anders bei Mussorgskijs Flohlied, hier mit Instrumental- und Chor-Arrangements, wo der erprobte Bühnensänger ein kleines Szenario mit ironischen Akzenten liefert und damit bemerkenswerte Ausdrucks-Ressourcen unter Beweis stellt.

Am schönsten entfalten sich die große Bass-Stimme und ihr beinahe prunkender Farbenreichtum in den Balladen. Wie überhaupt des Sängers Wohlbehagen den getragenen Lento-Stücken erzählenden oder philosophischen Gehalts zu gelten scheint. Dort unterliegt er allerdings auch gelegentlicher Gefahr, ein wenig bedächtig, wenn nicht gar behäbig-schleppend vorzutragen. Die Auswahl aus Schumanns ganz lyrischen Eichendorff-Gesängen oder besonders Miniaturen mit Charme und Flair wie Hugo Wolfs zauberhafter Gärtner, muten durch Gewicht und Gediegenheit zunächst fremd an; mit hochflexiblen modernen Interpretationen wie von Fischer-Dieskau, Haefliger, Schreier sollte man nicht vergleichen.

Sängerische Qualität.
Gewachsene Gestaltungskunst.


Nach solchen zwar stimmlich eindrucksvoll, interpretativ jedoch unvollkommen wirkenden, im hergebrachten Sinn „traditionellen“ Liedvorträgen harrt man der späten, dazu live gebotenen Liedgruppe von 1950 eher skeptisch – und wird mit einer völlig unbeeinträchtigten (eher noch expansiv gesteigerten) Stimmpracht gefangen. Mehr noch: Man erlebt geistig wunderbar erfasste und umgesetzte Liedinterpretation, die nicht nur die alleinständige Lebensdauer des großvolumigen Organs, sondern auch künstlerische Reifung und gewachsene Gestaltungskunst belegt. Das hat dann Qualität und Rang eines potentiell erstrangigen Liedkünstlers. Es müsste mehr davon geben.

In einem eher zufälligen Kompilat später Funde erschließt sich so das Potential eines Jahrhundertsängers, der in einem für ihn meist abseitig gewesenen Genre zwischen Solidität und Größe changiert, aber bei Zeit, Konzentration, Gelegenheiten wohl auch auf diesem Feld ein Großer gewesen wäre. Für Gottlob Fricks Verehrer wie für Gesangsliebhaber ist diese Kollektion ein unverzichtbares Sammelstück.

                                                                                              KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel