2011



Experte Brembeck beim Italiener

 

     Hättet Ihr’s gewusst?
Tenöre sind Italiensehnsucht pur — ecco:
    Reinhard Brembeck, Gesangsexperte der Süddeutschen Zeitung

 

Immer wenn Du meinst,
  dreister geht’s nicht mehr –
  kommt im SZ-Feuilleton
  der Brembeck her!"


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Gerade hat er wieder ein Stück über Gesang und Sänger veröffentlicht.
Nämlich über den Tenor als solchen und den italienischen Tenor im Allgemeinen, doch namentlich einen Pavarotti-Nachfolger im Besonderen. Die Meine warnte: Lies das nicht, Du wirst wieder nur rotieren! — Ich konnte es aber nicht lassen, ed io tremo.

 

    Das Lesewerk stand am 13. Januar 2011, auf Feuilleton-Seite 3 = S. 11 des
    SZ-Hauptteils, vierspaltig unter der feinen Titel-Head

 

Immer wieder zum Italiener

Im Untertitel wird behauptet: Tenöre sind Italiensehnsucht pur. Und: Seit dem Tod Luciano Pavarottis sucht die Welt nach einem Nachfolger.

 

Wusstet Ihr das? — Ich nicht. Weiß allerdings auch nicht, wer oder was mit
die Welt gemeint ist. Brembeck schon. Er ist ja — unlängst in der SZ doppelseitig in ca. 30 Punkt Head-Größe ausgelobt:

Experte für Kunstgesang

Darum weiß er:
      Und es ist mehr als befremdlich, sich Ian Bostridge als Verdi-Tenor
        vorzustellen. Dem steht nicht nur die Stimme, sondern auch
        die Intelligenz entgegen.

 

Wer könnte den Exotismus hegen, sich den Leggiero "Orpheus Britannicus" Bostridge als Verdi-Tenor vorzustellen? Gleichviel - wir raten: Um wessen Intelligenz geht es - Bostridges? Ist Bostridge zu intelligent - oder umgekehrt nicht intelligent genug für Verdi?

 

Die Idee hingegen, den Epheben Liricissimo Bostridge, im Stimmtypus ein englischer Tenore di grazia, allenfalls als stimmlicher & sängerischer Verwandter von Sir Peter Pears o. ä. besetzbar, mit Verdi zu verbinden, das allerdings setzte voraus, ein - ja?: Experte für Kunstgesang zu sein,  für Intelligenz sowieso.

 

Aber das ist noch gar nichts. Über eine Spalte lang befasst sich der Gesangs-experte damit, welche Beziehungen der Mann und Phänotypus Silvio Berlusconi zum Phänomen Tenore Italiano verkörpert, und dass der P2-Ministerpäsident sich wahrscheinlich Abend für Abend grämt, dass es bei ihm nicht zum Tenor gereicht hat. Wahrscheinlich.

 

Verbindungen von Berlusconi zu Pavarotti zu halluzinieren - das erfordert
die Kompetenz eines Experten für Kunstgesang, ganz unbestreitbar. Und
bis hierher könnte das ja auch alles als Jokus durchgehen.

 

Doch Experte Brembeck meint es ernst. Er erklärt es uns in atemberaubenden Analysen - wörtlich so:

 

1.

Neben Paraotti konnte kein anderer italienischer Tenor bestehen, — (in was? nach welchem Maßstab? in welchem Fach? mit welchem Repertoire?) aber auch kein Nicht-Italiener. Also kein Viñas, Lazaro-Cortis-Fleta, Esacalais-van Dyk-Clément, Slezak, Piccaver, Sobinov-Smirnov-Koslowski-Bjoerling-Tucker? Demnach also überhaupt keiner. Niemand.
 

Denn - jetzt wieder Experten-Knowhow:
Domingo war zu dunkel timbriert, "zu universell (Was ja bekanntlich ein schwerer Malus ist!) Alfredo Kraus, Carlo Bergonzi und Nicolai Gedda waren
zu feinsinnige und zu strenge Musiker
— (Das wusste auch die Fachwelt noch nicht, musste drum die ganze Welt endlich erfahren!) Roberto Alagna war (er singt bekanntlich aktuell auf allen Weltbühnen) ein zu großer Leidensmann. (Non capisco niente) José Carreras zumindest in seiner Anfangszeit zu lyrisch-belcanistisch. Und die Vielzahl der lateinamerikanischen Sänger (er meint: Tenöre) von Rolando Villazón bis Ramon Vargas, von José Cura bis Francisco Araiza, Juan Diego Flórez oder Marcelo Alvarez waren (Ihr glaubt es nicht:) teilweise zu grob, teilweise zu sehr nach Frankreich oder auf traditionellen Belcanto ausgerichtet … Und damit untauglich?
 

zu und zu sehr - Fachbegriffe der Gesangskritik. Da erscheinen Begründungen, Verständlichmachungen, Erläuterungen von vornherein entbehrlich.

Was der Mensch meinen könnte, erschließt sich von selbst: Er meint nichts,
denn er weiß nichts. Er will bloß Experte spielen.

 

2.

Also ist seit Pavarottis Tod kein Nachfolger als italienischer Spitzentenor auszumachen. Andererseits aber ist die Sehnsucht (!) nach solch einem singenden Erlöser (!!!) ungebrochen. Umso (er meint: Je) schlimmer Berlusconi sich geriert, umso dringender wird ein Pavarotti-Erbe erwartet, um das Italien-Bild (!) wieder (!) ins Lot (!) zu bringen. Brillante veramente
- wer hätte die italienische Politik je so gesehen!

Aber: Das sollte ja nicht so schwer sein. Italien hat Enrico Caruso, Alessandro Bonci und Fernando de Lucia hervorgebracht, Giovanni Martinelli, Aureliano Pertile, Beniamino Gigli, Tito Schipa, Cesare Valletti, Giuseppe di Stefano, Mario del Monaco … Doch wo sind die Enkel?


Doch, irgendwo und irgendwann hat er mal irgendwelche Namen gehört. Ob er auch die Stimmen, gar die sängerischen Spezifica dazu kennt, bleibt offen. Oder eigentlich doch nicht: Dass er Weiteres, Konkreteres, Fachlicheres weder weiß noch in Betracht zieht - Stimmfarben, ‑typologien, ‑gewichte, -timbres, Fach-zuordnungen, Stile, Techniken, Eignungen, Bewährungen, Hinterlassenschaften: Alles ohne Belang.
 

Natürlich stimmen auch die Zeitebenen nicht: Er hangelt sich von den jüngeren zu den früheren und wieder zurück oder auch überkreuz. Epochen- und Gene-rationsunterschiede, Partien, Repertoires, Profile - alles geht bunt durcheinander, ohne irgendeinen Ordnungsraster oder Zusammenhang oder Kenntnishinter-grund. Die 1930er bis ca. 1945 kommen nicht vor. Er stellt neben di Stefano und del Monaco (als wären die vom gleichen Holze) den Leggiero Valletti - hat aber offenbar von Tagliavini noch nix gehört. Er schwafelt von einem Werte- und Wirkungs-Gegensatz Pavarotti-Berlusconi - und weiß offenkundig nichts von den Verbandelungen einiger ihm maßgeblicher Jahrhundert-Tenöre zum Franco- und Mussolini-Faschismus, so Lauri-Volpi, Pertile und vor allem Gigli.
 

Der Mann hat keine blasse Ahnung. Was er über Bergonzi und Gedda (Schwede) absondert und Kraus (Spanier) gleich mit verfrühstückt, ist genauso abstrus neben jeder Realität wie die Zusammenordnung von Caruso und Bonci (von De Lucia nicht zu reden!), von Martinelli und Schipa, Pertile und Gigli bis hin zu Cura (Spanier) und Flórez (Mexikaner). Keiner der Genannten hat irgendwas mit dem jeweils anderen zu tun, nicht mal die Zeit oder die direkte Konkurrenz oder eine Stil-Identität bzw. wenigstens Fachnähe. Alles reiner Quatsch und Quirl. Italiener, Spanier, Südamerikaner sind ihm eins - aber ein Bjoerling oder Thill kommen bei ihm nicht vor.
 

Dennoch wird das Name-Dropping fortgesetzt, von Licitra bis (ja wirklich:) zum U-Musiker Andrea Bocelli. Rasenmäher! Corelli und Bonisolli sind ihm ausge-kommen. Das Ganze geht noch zwei Spalten weiter, kommt final natürlich auf den angesagten Nachwuchs Grigolo zu sprechen. Dass dieser ein Simpatico im Marketing-Design, aber im dramatischen Repertoire noch weitgehend gefährde-  ter Lirico ist, früh verschlissen werden könnte, weil er nicht über das sängerische Können etwa eines Blake oder Flórez verfügt: Was weiß dieser Experte davon?

 

Zum Schluss ermutigt er uns zu warten. Worauf? Auf einen - klar doch:

 

Tenor-Messias

Benedetto! Erlöser! Drunter geht’s nicht auf dem Billig-Boulevard.

 

        Merke:  Sicher an der Erlösung ist nur der Erlös daraus.
                             (Ihr wisst schon, von wem das stammt.)

 

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Sollen wir lachen? Vielleicht.

 

Doch ich denke an den hanebüchenen Multiquatsch der Rezension desselben Experten zum 2010er Bayreuther Laborratten-Lohengrin, die in der Frage
Ist es Hitler? nur gipfelte, aber auch sonst vor Dummbeutelei, dreister Inkom-petenz und GaGa-Gedankenführung durchgängig strotzte. Nein, sowas hat längst Kontinuität.

Und das sollte peinlich sein für das - immer noch - angesehene Blatt, in dem einer wie dieser sich austoben darf, das aber mal einen Ruppel und einen Panofsky und einen Schumann zu seinen Kompetenzfedern zählte, die sich niemals als Experten für Kunstgesang ausschreien ließen, hingegen angesichts eines solchen Erben im Grabe rotieren würden.

 

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   Für mich ist derlei ein Ausweis des allgemeinen, im Falle SZ sehr speziell 
 bedrückenden, im Falle des SZ-Feuilletons nahezu skandalösen Niedergangs
 einer einst großen, auch kulturell bedeutenden publizistischen Erscheinung -
 ab ins parterreste Boulevardige.

 

Gilt es des Lebens höchsten Preis
um Sang mir einzutauschen …

 

??? — Man wird bescheidener. Aber alles muss man nicht schlucken!

KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel