An Dr. Helge Kramberger, Darmstadt 3. Juli 2012

 

 

Religionsfreiheit

 

Freiheit der Religion bedeutet nicht nur und nicht vorrangig, dass gläubige Menschen ihren Ritualen nachgehen dürfen. Vielmehr hat der Einzelne ein Recht, das ein Grundrecht ist: sich für oder gegen eine Religion zu entscheiden. Mit der religiösen Beschneidung aber zwingen Eltern ihr Kind zu einem schmerzhaften Gottes-Opfer, bevor es sich dagegen wehren und eine eigenver-antwortliche Entscheidung zu seiner etwaigen Religion — oder eben zu deren Ablehnung — treffen kann. Körperliche Unversehrtheit ist ein Grundrecht —
in Deutschland und in der Europäischen Union. Das stellen unser Grundgesetz
und die Charta der EU eindeutig fest. Sie ist ein Menschenrecht, ob man dies
nun philosophisch, ethisch, religiös, utilitaristisch, positivistisch begründet.

 

Religionsfreiheit steht nicht dafür, dass Eltern zum Beispiel ihre Kinder aus Schulen herausnehmen dürfen, um zu verhindern, dass sie dort Dinge lernen,
die nicht im Einklang mit dem Glauben der Eltern stehen. Genauso dürfen sie ihren Kindern nicht aus religiösen Gründen medizinische Versorgung vorent-halten. Sie dürfen sie nicht schlagen, auch wenn manche fundamentalistischen Gemeinden es für ein Gebot Gottes halten, den Nachwuchs mit der Rute zu erziehen. Religions­freiheit bedeutet also nicht, dass die sog. Gläubigen prin- zipiell tun können, was ihnen ihrem Glauben gemäß angemessen erscheint.

 

Die Freiheit der Religion des einen hört da auf, wo die Freiheit des anderen anfängt. Und eben diese Freiheit erstreckt sich, nicht einfach so, sondern sogar vorrangig, auf die Grundrechte mit dem Humanbedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit. Nach unserer Werteordnung, ausgedrückt in Verfassungsrecht, muss es erfüllt sein.

 

Der Begriff Religionsfreiheit wird von besonders rigorosen Religions­funk- tionären wie Graumann (mit Zustimmung bezeichnenderweise der reaktio-närsten christ­kirch­lichen und muslimischen Aberglaubens­gemein­schaften, an der Spitze die Amtskirchen) frei schöpfend als de facto Ungebundenheit inner-kirchlicher = privat­gemein­schaftlicher eigener spezialrechtlicher Regeln, nämlich von grund- und menschenrechtlichen Verfassungsvorgaben losgelöst, unab- hängig, eigenrechtlich interpretiert und eingefordert.

 

Das ist an sich schon indiskutabel. Es wird aber rechtswidrig, somit ungesetzlich, also kriminell, wenn es vormundschaftlich für und über Menschen verordnet und realisiert wird, die — weil unmündig und noch entscheidungsunfähig — ihre verfassungsmäßig als unveräußerlich definierten Menschenrechte nicht in Anspruch nehmen können, also wehrlos rechtswidrigen Übergriffen ausgesetzt werden.

 

Allein damit müsste sich doch die Diskussion erledigt haben. Jedenfalls für einen human, um so mehr für einen freiheitlich und gesellschafts­kritisch (ergo links) denkenden Zeitgenossen — gerade auch für Dich, den ich immer so und nicht anders eingestuft und erlebt habe.

 

Was sollen da Rituale und Gebräuche und Traditionen und Spiritualitäten? Erstaunlich, dass man hierzulande — selbst gegen einen so profunden wie reflektierten Grundrechtsstreiter wie Heribert Prantl — das Selbstverständliche repetieren muss (von einer Politikermehrheit nicht zu reden): Jeder, der sich aus mündiger Entscheidungsfähigkeit und freiem Willen zu einer Religion bekennen will, kann das tun. Er kann auch selbstgewollte und selbstverantwortete Hand- lungen an sich vornehmen lassen (wie beim Schönheitschirurgen, der allerdings die Humanität der Anästhesie kennt), die — das ist der zentrale Punkt — ohne seine Willensbekundung kriminell sind, eben weil sie das Grundrecht auf Entscheidungsfähigkeit, Unverletzlichkeit, Menschenwürde missachten.

 

Ansonsten können Leute jeder Art und Denkrichtung ihre Glaubens‑, Aber- glaubens‑, Bekenntnis- und Optionsfreiheit leben, wie sie wollen oder wie es ihnen die im Zustand formaler Mündigkeit selbstgewählten Vormundschaften, Kleriker, Popen, Mullahs, Rabbiner vorschreiben.

 

Seit ich einigermaßen urteilsfähig Öffentlichkeit und Gesellschaft medial wahr­nehme, vernehme ich (in jüngster Zeit besonders rigoros) seitens der Politik, Gesellschaft, Rechtsordnung wieder und wieder dieses: Die in Deutschland lebenden, arbeitenden, residierenden Einwanderer, Neubürger, Sesshaftwer-
denden mit anderen als amtskirchlichen Glaubensbekenntnissen, also etwa die Muslime, die hätten das, was man Religionsfreiheit nennt, so auch Koali-tionsfreiheit und Kulturpflege, ausschließlich dann als Bürgerrecht zu genießen, wenn sie sich an die hier gültige Grund- und Rechtsordnung, ergo an die Verfassung dieses Staates halten. Bei CDU/CSU heißt das auch Leitkultur.
— Ach!

 

Man nenne mir ein einziges Beispiel, wonach Rechtsbrüche des Alltags, nicht
zu reden von Grund- und Menschenrechtsverletzungen, nicht justizial verfolgt werden müssten (wozu bekanntlich eine Offizialpflicht der Justizbehörden und der Polizeien besteht), obwohl bzw. falls sie sich auf eine Usance oder Tradition oder Ritualität einer Kirche oder Sekte oder sonstigen religiösen Vereinigung stützen können. Das lassen weder die Grundrechtsartikel der Verfassung noch die Strafgesetze noch das hiesige BGB-Bürgerrecht zu.

 

Religionsfreiheit ist nicht das von Graumann frech behauptete Selbst­bestim- mungs­recht religiöser Gemeinschaften — die haben, sofern gesetzlich aner- kannt, ein Selbstverwaltungsrecht, das ihnen niemand bestreitet. Aber eine Kompetenz, einen Anspruch auf eine interne Eigenrechtsordnung, die sich in Widerspruch zu geltendem Verfassungs‑, Bürger- und Strafrecht stellt, die gibt
es nicht! *)

 

Nirgendwo, weder im Kanon der weltweit gültigen Menschenrechte noch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland noch in deren Bürgerrecht findet Graumann eine Zeile darüber. Er maßt sich ein Recht an, das er offenbar aus
dem leider virulenten Kriechverhalten von Politik und Medien gegenüber speziell seiner Religionsgemeinschaft und deren Gremien wie auch gegenüber dem Apartheid-Staat Israel folgert, das seine historischen Motive, mittlerweile aber auch grotesk verlogenen Feigheitsgründe hat. Mag sein, dass die mich erstaunende Toleranz gegenüber rechtswidrigen Handlungen, sofern sie nur religiös motiviert und ritualisiert sein mögen, aus solchen Unterbewusstseins-wurzeln kommt. Ein Grund mehr, die Hirne zu entnebeln.

 

Aber daraus eine Zulässigkeit von Menschenrechtsverweigerungen, also Rechts­brüchen, zu folgern oder ein Laisser-faire dazu einzunehmen, das ist eben keine Ermessenssache. Ich halte es für ein Übel. Ganz unabhängig von sonstigen — mir inzwischen altersbedingt rigoros gewordenen — Vorbehalten und Abgrenzun- gen gegenüber dem Generalübel Religion und deren Nutznießern wie Schuld-trägern wie Lobbyisten.

 


 

Einen anderen Denkansatz voller Sachinformation offerierte der respektable Psychoanalytiker und Sozialforscher Wolfgang Schmidtbauer im SZ-Feuilleton — das zuvor eine in Deutschland hochgeehrte islamische Autorenstimme dreimal so lang abdruckte, die den Kölner Richtern Vulgärrationalismus vorwarf. Toll! Vulgärgerechtigkeit. Vulgärnachdenklichkeit. Vulgärfriedfertig- keit. Vulgär­mitleidens­fähigkeit. Vulgärhumanität. Man muss die Dreistigkeiten der Preisgekrönten auf den Sinnstifterthronen nur mal weiterdenken …
 

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*) Soll es nicht geben. Gibt es aber leider in der Praxis doch, wie man am intern
    angewendeteten Arbeitsrecht in den Amtskirchen belegen kann.

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© Klaus Ulrich Spiegel