Atem der Meisterschaft

Der umfassende Tenor Carl Martin Oehman


“Der Anteil skandinavischer Sänger in den deutschen Opernhäusern war in den Jahren zwischen den Weltkriegen erstaunlich groß; meist wirkten schwedische, dänische und norwegische Sänger im Wagner-Repertoire. Lauritz Melchior, Torsten Ralf und Set Svanholm sind einige der prominentesten Beispiele im Heldentenorfach. Einer der beliebtesten Tenöre des Deutschen Opernhauses Berlin von 1925 bis 1937 war der Schwede Carl Martin Oehman“. So leitet Einhard Luther seinen Begleittext zu einer Portrait-CD mit Aufnahmen Oehmans aus den 1920er Jahren ein. Die bemerkenswerte Laufbahn dieses Sängers ist damit auf einen wichtigen Abschnitt konzentriert, der in Tondokumenten aus der Wechselphase vom akustischen zum elektrischen Aufnahmeverfahren nachvollziehbar wird. Die große Laufbahn des Tenors und damit seine Position in der Gesangshistorie beginnt noch vor dem ersten Weltkrieg. Er war ein zentraler Sänger des ersten Jahrhundertdrittels.

Carl Martin Oehman

 - * 4.9.1987 Floda / Prov. Dalarna. 26.12.1967 Stockholm.

Er war der Sohn eines lutherischen Pfarrhauses, wollte Offizier werden, brachte es auf der Militärakademie zum Leutnant. Dann obsiegte seine Begeisterung für die Musik: 1907 begann er am Kgl. Konservatorium Stockholm mit Studien in Musiktheorie, Klavier- und Orgelspiel.  Dabei machte auch seine Naturstimme Eindruck. Man empfahl ihn zu dem Stimmbildner Carl Gentzel. Nach Abschluss einer kompletten Gesangsausbildung ging er bewusst nach Italien, studierte am Conservatorio Milano weiter. 1914 trat er erstmals als Konzertsänger auf, etablierte sich als ein führender Oratorientenor Skandinaviens. Erst 1917 ging er auf die Opernbühne – am Stora Teatern Göteborg mit der Titelrolle in Aubers Fra Diavolo, einer Lirico-Partie des französischen Belcanto.  Er blieb für sechs Spielzeiten in Göteborg, wurde aber schon 1919 auch an die Kgl. Operan Stockholm verpflichtet. Konsequent wuchs er zum Lirico Spinto im italofranzösischen Fach heran, hatte bald auch in Drammatico-Partien Wagners Erfolge, so als Erik, Lohengrin, Stolzing, Parsifal.

1921 kam der Tenor als Solist eines Studentenchors nach Berlin. Dort wurde der große Dirigent Bruno Walter auf ihn aufmerksam und engagierte ihn für die Titelpartie von Händels Samson. Damit wurde Oehman international bekannt. Seine akustischen Tonaufnahmen, schon seit 1921 in Schweden bei Nordisk Polyphon erschienen, verbreiteten sich schnell; das führte zu ganzen Serien von Neueinspielungen, u.a. für Parlophone, Ultraphon, HMV. In der Season 1924/24  sang er an der Metropolitan Opera NYC (neben Maria Jeritza) den Laca in der US-Erstaufführung von Janáceks Jenufa und die Titelpartie in Saint-Saëns’ Samson et Dalila.


Seine Karriere war nun interkontinental. Sein Spektrum hatte sich auf die hochdramatischen Partien von Verdi und Wagner, erweitert: 1926 (dann 1929 und 1934) war er als Lohengrin, Stolzing und Siegmund ein Star der Waldoper Zoppot. 1927-29 gab er Gastspiele an der Wiener Volksoper, 1928 als Tannhäuser und Stolzing in Covent Garden London. Seit 1925 war er Ensemblemitglied des Deutschen Opernhauses Berlin, wo er in 11 Spielzeiten bis 1937 das gesamte Spektrum von Spinto- bis Eroico-Partien darbot – darunter Premieren von Verdis Don Carlos und Simone Boccanegra. Zahlreiche Auftritte führten ihn an große europäischen Häuser, immer wieder auch auf  Konzertpodien (so 1927-1929 Paris, 1935 Amsterdam). Dabei blieb er seinen Stammbühnen in Stockholm und Göteborg verbunden. Ende der 1930er war er Protagonist einer Skandinavien-Tournee mit Lehárs Land des Lächelns (den Sou-Chong soll der Hunderte Male gegeben haben).


Seine Tonaufnahmen in allen Fachbereichen eines Lirico, Spinto und Heldentenors waren vor allem in Deutschland und Skandinavien weit verbreitet; in Schweden hatte er einen Popularitätsstatus wie im deutschen Sprachraum nur Richard Tauber. Sein Repertoire umfasste neben Verdis und Puccinis Standardpartien auch: Verdis Otello, Wagners Siegmund, Adolar in Webers Euryanthe, Vasco in Meyerbeers Africaine, Hermann in Tshajkovskijs Pique Dame, Canio in Leoncavallos Pagliacci, Bachus in R. Strauss’ Ariadne, den Titelhelden in Giordanos Andrea Chénier. Bis 1941 trat er mit anspruchsvollen Programmen in Konzerten auf. Eine Paradepartie dabei waren die Tenorsoli in Mahlers Lied von der Erde. Seit Abschluss seiner Sängerlaufbahn wirkte Oehman bis zu seinem Tod als einer der bedeutendsten Gesangspädagogen seiner Epoche. Unter zahlreichen renommierten Schülern gehören Jussi Björling, Nicolai Gedda und Marti Talvela zu den berühmtesten.
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Oehmans Tonaufnahmen, vor allem die aus der akustischen Aufnahmephase, vermitteln das eindrucksvolle Hörbild eines Sängers, der in der klassischen Grammatik des Singens geschult und konsequent den Tugenden des Legato-Gesangs verpflichtet war. Auf der Basis eines Naturmaterials von lyrischem, beinahe süßem Klanggepräge entwickelt er ganz natürlich scheinend (wo wahrhaft stupende Technik wirkte), ungefährdete Stamina mit Steigerungen  bis in Eroico-Dimensionen – ohne jemals den Rahmen ästhetischer Ton- und Farbbildung, präziser Intonation, gebundener Linie, perfekten Passagios zu verlassen. Der Ton ist am harten Gaumen konzentriert, aber stets weich und rund gebildet und auf ganz natürlichem Atemstrom geführt. Die Register sind meisterlich verblendet. Vom schlanken, anmutigen Ton eines Tenore di grazia im Solo des Masianello aus Aubers Muette de Portici bis zur beinahe belcantesk angelegten Romerzählung aus Wagners Tannhäuser: ein einheitlich gebundenes, dynamisch gebändigtes, von problemloser Variabilität bestimmtes, entspanntes, doch ausdrucksintensives Singen.

Dass wir einen Meistersänger in umfassendem Sinne hören, demonstriert ein souverän ausgesungener Triller im Finale von Stolzings „Am stillen Herd“. Besser, richtiger, genauer, schöner kann man das kaum  singen.




Ecco: Ein universell befähigter Meister und Vermittler des Ideals, wie noch die Fähigkeiten seiner Schüler belegen. Ein großer Sänger, von dem die Heutigen lernen und nochmals lernen können.

                                                                                              KUS


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Der Name des Sängers war auf Programmzetteln und Platten-Labels
auch  in den Schreibweisen Oehmann, Öhman, Öhmann geläufig

 

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© Klaus Ulrich Spiegel