“ Nun sollt ihr singen! 
Dominanz zwischen Generationen: Walter Kreppel, Basso

Fünf heute legendäre deutsche Bassisten vom Typus Basso serioso, oder präziser: profondo, dominierten nach Ende des 2. Weltkriegs die Spielpläne der großen Opernhäuser und zunächst meist provisorischen Spielstätten, Konzertsäle, Podien, auch Aufnahmestudios und Sendestationen im deutschen Sprachraum. Sie waren Zentralgestalten des nach 1945 wieder einsetzenden Spielbetriebs und der nachfolgenden atemberaubenden Wiederaufbauphase bis in die 1960er Jahre, zugleich bei Festivals, Gastspielen, Funkereignissen. 


Diese fünf – und hinter ihnen in kaum geringerer „zweiter Reihe“ noch ein gutes Dutzend respektabler Fachkollegen – standen sogleich wieder mit Festverträgen an den wichtigsten Instituten des Kontinents ganz vorn. Sie waren schon vor dem großen Krieg als namhaft und berühmt jedem Freund der Vokalkunst wohlbekannt. Alle hatten ihre Karrieren am Ende der 1920er und zum Beginn der 1930er begonnen: Ludwig Weber (* 1899), Gottlob Frick (* 1906), Kurt Böhme (* 1908), Josef Greindl (* 1912) und Otto von Rohr (* 1914).

Ihnen folgte an Bedeutung, Ansehen und Resonanz bald eine als gleichrangig einzuschätzende jüngere Nachfolger-Reihe: Bedeutende Sänger, die mehrheitlich erst in der Nachkriegszeit ausgebildet und rasch erfolgreich waren, nun auch aus außerdeutschen Sprach- und Kulturfeldern stammend: etwa Kim Borg, Franz Crass, Karl Ridderbusch, Kieth Engen, Jerome Hines, Martti Talvela, Giorgio Tozzi, dazu die Weltrangstars der Basso-Fächer aus Süd- und Osteuropa, von Siepi bis Christoff, in die Gesangshistorie ebenfalls als eher kleine Gruppe eingeschrieben. Seit Einführung der Langspielplatte und ihrer weltweiten Vermarktung standen diese Bassisten, vor allem wenn sie aufs „deutsche Fach“, also deutsche Romantik, Wagner, Strauss, Klassische Moderne spezialisiert waren, führend im internationalen Musikbetrieb und wurden über Ländergrenzen und Kontinente hinweg gleichsam in einem „Weltensemble“ der Festspielstars und Plattenproduktionen gehandelt.

Zwischen diesen beiden, man mag sagen: Generationen konnten sich nur wenige Fachkollegen etablieren. Das mag auch mit der Zerstörung mancher hoffnungsvollen Laufbahn durch Kriegseinsatz und Kulturzerstörung, also erzwungenen Ausfällen oder Leidenswegen zu tun gehabt haben. Ganz sicher hatten es die Gesangstalente der 1920er-Jahrgänge, also der zwangsrekrutierten Kriegsteilnehmer, viel schwerer, Ausbildungen abzuschließen und Anfangsschritte zu tun. Zahlreiche wunderbare Sänger, namentlich Männerstimmen, wurden Opfer dieser Verhältnisse, wenige überwanden sie (Musterbeispiel etwa der Bariton Marcel Cordes, der nach Kriegsdienst in ganz Europa und Jahren der Kriegsgefangenschaft erst mit Beginn der 1950er Jahre eine dann nur mehr kurze Karriere einleiten konnte).
 

 

Unter diesen wenigen Nachkriegskarrieren glänzt die eines zehn bis 20 Jahre später avancierten, doch dann mit gleicher Bedeutung wie das Quintett Weber-Frick-Böhme-Greindl-Rohr weltweit wirkenden Bassisten, im Nachruhm mit kaum geringerer Attraktivität – auch wenn er, dem Vorgänger-Kollegen Otto von Rohr vergleichbar, in offiziellen Produktionen der weltweiten Plattenkataloge sehr unterrepräsentiert ist, seine Präsenz heute vor allem aus Livemitschnitten und Rundfunksitzungen bezieht. Das war der aus Franken gebürtige, in der deutschen Opernprovinz sozialisierte und geformte Bassist WALTER KREPPEL (*1923 Nürnberg – † 2003 Wien).

Universal orientiert. Individuell profiliert.

Wie kaum ein anderer Repräsentant seines Fachs verkörperte Kreppel die Bestätigung der bekannten These: Bassisten singen alles. Er war nicht nur, wie die meisten (vor allem deutschen) Bassisten ein Universalist, sondern auch ein vielfältig zuordnungsfähiger, dabei jedesmal markanter Vertreter sowohl des Typus Basso cantante (bis in heldenbaritonale Einsatzfelder) als auch des Basso profondo. Seine Scala reichte vom tiefen D im Bassschlüssel bis zum F‘‘, Fis‘‘ und G‘‘. Er konnte extreme Tiefenlagen genauso souverän durchmessen wie hochdramatische, in Nähe des C‘‘ eines Baritons schwingende Tessituren gesanglich, also mit rein vokalen Mitteln, bewältigen.

Kreppel war bei den Wagnerschen Vätern, Königen, Riesen, Finsterlingen genauso daheim wie (und das unterscheidet ihn von manchem deutschen „Altherrenbass“) bei Verdis hoch liegenden Basso-Fürsten und -Priestern: Zaccaria, Banco, Silva, Sparafucile, Ferrando, Procida, Filippo, Guardiano, Fiesco, Ramphis (Attila bekam er leider nicht zu singen). Er gab den Osmin so prall wie den Sarastro profund, beide mit mächtigem Tiefenregister, Smetanas Benes so präzise wie Borodins Kontchak sonor, Wagners Marke und Gurnemanz so klanggestisch-tonfüllig wie König Heinrich höhenschallkräftig oder Hagen schwarzfinster. Er zog etwa als Marke mit Alexander Kipnis, als Landgraf Hermann oder Pogner mit Emanuel List, als Fasolt/Fafner, Hunding, Hagen mit Ludwig Hofmann, als Geisterbote mit Manowarda souverän gleich, erwies sich aber auch als starke Konkurrenz der Italiener und Slawen, mit denen er auf internationalen Bühnen stand, entweder als Gegenpart oder als Alternativbesetzung – so zu Christoff, Arie, Siepi, Zaccaria, Vinco, Giaiotti, Ghiaurov, Raimondi, Nesterenko. Auch als Wotan/Wanderer erlebte er Erfolge und sogar Tondokumentationen.

Mittelbühnen als Basis

Walter Kreppel war früh von der Bühne fasziniert. Er wollte Schauspieler werden, nahm in seiner Heimatstadt ersten Unterricht in Sprechkunst und Darstellung, wurde durch die Begegnung mit Studierenden des Konservatoriums und Erlebnisse im Musiktheater der Frankenmetropole aber zum Gesang geleitet, entdeckte sein Stimm-Material, wechselte zur Opernklasse. Nach kurzer Grundausbildung konnte er 1945 am provisorisch wieder spielfähig gemachten Nürnberger Opernhaus eine Vakanz zum Operndebüt nutzen: als Tommaso in d’Alberts Tiefland, in einer extra-tiefliegenden Profondo-Partie also.
 

 

Er erhielt ein Engagement, bleib bis 1948 im Ensemble, wechselte nach Würzburg, dann Heidelberg, dann Gelsenkirchen. 1953-1956 gelang ihm der Sprung an ein Staatstheater: Hannover, von wo manche Sängerkarriere, so die von Ruth-Margret Pütz, ihren Ausgang nahm. 1956-1959 kam er, nun mit einem Vertrag als 1. Bassist, ans Opernhaus Frankfurt/M. Dort vollzog sich schnell sein Aufstieg zur Prominenz mit Gastverpflichtungen an die ganz großen Häuser, so die Bayerische und die Wiener Staatsoper. 1960 verpflichtete ihn deren Herrscher-Direktor Herbert von Karajan an das weltbekannte Wiener Haus. Kreppel blieb dort bis 1975 als Erstfachvertreter neben der Sänger-Weltelite, stand nun regelmäßig mit Stars wie Rysanek, Jurinac, Tebaldi, Stella, Nilsson, Ludwig, Resnik, Dermota, di Stefano, Corelli, Bergonzi, Bastianini, Waechter, Cappuccilli, Schöffler, Berry, Ghiaurov … auf der Bühne.

Als international renommierter erster Fachvertreter erschien Kreppel bei den Festspielen in Bayreuth und Salzburg. Er gastierte weltweit mit seinen Glanzpartien, dazu auch mit Seneca in Monteverdis Poppea, Kaspar und Eremit im Freischütz, Bartolo in Nozze di Figaro, Rocco im Fidelio, Thoas in Glucks Iphigènie, Falstaff in den Lustigen Weibern, Daland im Fliegenden Holländer, Filippo II  und Großinquisitor im Don Carlo, Gremin in Eugen Onegin, Crespel in Contes d’Hoffmann, Arkel in Pelléas et Mélisande, Nazarener in Salome, Orest in Elektra, Sir Morosus in der Schweigsamen Frau, Madruscht und Papst im Palestrina – und ein gutes Dutzend mehr.

Ein deutscher Italiener

Ungeachtet der fachtypischen Universalität über Genres und Stile hinweg: Kreppels Bass-Organ war der seltene Fall einer Stimme zwischen den für typisch geltenden Kategorien – nicht nur des tief liegenden Profondo und des in baritonale Gefilde reichenden Cantante, sondern auch zwischen einerseits dem körnig-rauen, besonders dunkel gefärbten, vibratoreichen, oft höhengedecktem und andererseits dem legato-orientierten, weich und breit strömenden, im Höhenregister mitunter strahlendem oder schallenden Basso der italienischen Tradition. Seine Farbenpalette changiert breiter als bei der Mehrzahl deutscher Bassisten. Sie hat einen festen, charakteristischen Kern, den man als „Korn“ identifizieren kann. Doch um diesen ist ein dunkelsamtenes oder auch nussbraunes Timbre gehüllt. Die Tonproduktion ist auch bei scharfer Rollenprofilierung am Prinzip Legato orientiert. Der Klangstrom bleibt über alle Tonstufen bruchfrei, die Register sind gut verblendet. Bei dezentem Vibrato hat der Ton feste Substanz und schwingendes Flair. Kreppel stellt den seltenen Fall eines deutschen Bassisten italienischer Schule dar – und ist deshalb in vielen Partien, so als Guardiano und in den beiden Don Carlo-Partien, von einem Italiener kaum zu unterscheiden; man vergleiche etwa mit Giaiotti.

Die Schallplatte hat Kreppel ob der Dominanz und Langlebigkeit der früh schon festverpflichteten, meist ein Jahrzehnt älteren Fachkonkurrenten kaum berücksichtigt. Man ist immerhin durch Live-Tondokumente mit einem Querschnitt durch sein faszinierend vielfältiges Repertoire versorgt. Es fehlen aber schmerzlich etwa Hagen, Gurnemanz, Madruscht, Khan Kontchak. Auf dem offiziellen Tonträgermarkt ist der Sänger nur vertreten in Produktionen von:

 

Mozarts Don Giovanni (Commendatore) unter Fricsay, Beethovens Fidelio (Rocco) unter Karajan , Webers Freischütz (Eremit) unter Jochum, Wagners Rheingold (Fasolt) unter Solti, Pfitzners Christelflein (Tannengreis) unter Märzendorfer. Das ist entschieden viel zu wenig.

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Walter Kreppel gehört in die stets dünn besetzte Phalanx bedeutender Bassisten deutscher Provenienz und Prägung mit weltweitem Ruhm und wenig begrenztem Repertoire. Unter diesen ist er – vielleicht – der „italienischste“ Fachvertreter. Die offenkundigen Lücken in seiner greifbaren tönenden Hinterlassenschaft möchte diese Edition zu schließen helfen. Kreppel war ein Sänger von Statur, Profil und Format. Er muss im Bestand bedeutenden Basso-Gesangs als ein Großer gehört und gewürdigt werden.

                                                                                   KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel