Tenorale Brillanz
mit Wiener Flair


Karl Terkal — Lyriker, Höhenartist, Bravado

Die Zeit des kulturellen Wiederaufbaus nach dem Weltkriegsinferno II, eine Ära der Medialverwertung attraktiver Stimmen in Einzelaufnahmen — erst auf Schellacks, dann auf 45er‑Singles, oftmals zugleich im Musik-Tonfilm: sie mobilisiert unsere Nostalgien, wenn diese Tenorstimme wieder von Tonträgern erschallt:

Der österreichische Tenore lirico Karl Terkal zählte zu jener Handvoll populärer, volkstümlicher, verkaufsträchtiger Rundfunk- und Plattensänger der 1950+60er Jahre, die bei einem Plattenlabel vertragliche Umsatzbringer waren und darum mit stetem Rhythmus Katalog-Neuheiten produzieren konnten, was wiederum ihrer Popularität dauerhaft zuträglich war. Terkal — das war in den 1950ern so etwas wie die Antwort der Decca auf Rudolf Schock. Das wollte angehörs der Breitenwirkung des Bühnen‑, Funk‑, Film‑ und EMI-Plattenstars mit dem geliehenen Tauber-Image viel bedeuten.

Karl Terkal besaß ein Potential, das in den Blütezeiten sprachraum-gebundener, teils sogar regionalisierter Tonträger-Absatzmärkte reines Kapital darstellte (und schuf): Ein schlanke, bewegliche, in alto fabelhaft placierte und expansionsfähige, in perfektem Legato bruchlos strömende, mit gleichsam naturhaft ausgeprägtem Klanginstinkt geführte, vor allem aber: mit reizvoller Tönung samt einer Prise Eros beschenkte Stimme, deren beiläufig mitschwingender Wienerischer Charme geradezu für den Repertoire-Raum zwischen klassischer Gesangskunst und zwinkernd serviertem DemiMode-Flair gemacht schien. So kann es nicht verwundern, dass Terkal, mehr als prominente Großkollegen, eine Art nervenkitzelnder Klangwirkung auf breite Hörerschichten und auf die Damenwelt ausübte. Dutzende von Einzeltiteln aus dem gängig-populären Opernrepertoire von Flotow bis Puccini, vor allem aus allen Epochen der Operette, belegen diese Anmutung bis heute.

Dem, wie man so sagt, echten Wiener Künstler waren solche Wirkung und Resonanz nicht an der Wiege gesungen. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen, musste schon als Kind zum Haushaltsgeld beitragen, ging mit offenbar reizvoller Knabenstimme singend auf der Straße tingeln. Früh kam er in eine Schreinerlehre, zeigte sich begabt fürs Kunsttischlerhandwerk. Bis 1939 arbeitete er in einer Möbelfabrik, musste dann auf Nazi-Befehl sechs Jahre lang Wehrmachts-Frontdienst leisten. Auf der Krim wurde er schwer verwundet. Kurz vor Kriegsende geriet er in US‑Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung arbeitete er wieder als Tischler. Die Freude am Singen hatte ihn durch schwere Zeiten begleitet, das sprach sich in Militär und Fabrik herum, ermutigte ihn zu ernsthaften Studien. Bis 1948 nahm er pivaten Unterricht. Dann, inzwischen Haustischler der Wiener Musikakademie, gelangte er über ein Vorsingen zu Hermann Gallos, einer Wiener Tenor-Institution, der ihn weiter betreute und 1949 als Eleven an die Wiener Staatsoper vermittelte.

So vorbereitet und mit Referenzen ausgestattet, konnte Terkal in einer österreichischen Karriereschmiede starten: 1950 debütierte er am Opernhaus Graz gleich als Don Ottavio im Don Giovanni. Mit derselben Partie gastierte er bald auch am berühmten Wiener Haus — so erfolgreich, dass ihn Clemens Krauss mit Festvertrag ab 1952 verpflichtete. Das Lirico-Fach war dort mehrfach besetzt, dominiert von einem Jahrhundertsänger: dem bedeutenden Mozart-Tenor und bei aller Individualität des Timbres dennoch Universalisten Anton Dermota. Terkal wurde nicht zum Erstfachstar, doch sang er zahlreiche Lyriker-Partien von Mozart bis Puccini in Zweitbesetzung im Repertoire, machte sich damit als eine Stütze des Hauses unentbehrlich. Am anderen Wiener Haus, der Volksoper, war er hingegen ein Starprotagonist in allen Lirico-Disziplinen.

Wohl über tausendmal stand Terkal in 30 Jahren auf den Bühnen der Wiener Staats- und Volksoper — immer wieder in dankbaren Solorollen des deutschen, italienischen, französischen, slawischen Repertoires. An der Staatsoper übernahm Terkal dabei immer häufiger Comprimario-Partien, vom Vogelgesang in Meistersinger über Gralsritter im Parsifal und Wirt im Rosenkavalier bis zum Henker in Einems Dantons Tod. Viele Auftritte in Opern-Gesamtproduktionen präsentieren ihn in mittleren und kleinen, doch markanten Aufgaben — bei EMI, Decca, Philips, Ariola, Amadeo. Besonderen Erfolg hatte er als Operetten-Bonvivant; seinen höchst authentischen Eisenstein kann man in einer Gesamt-Fledermaus bei EMI-Columbia hören (er hatte auch den Alfred drauf). Für den Rundfunk, namentlich in Wien und München, war er in Hauptpartien an deutschsprachigen Einspielungen unter Dirigentenprominenz wie Clemens Krauss, Robert Heger, Mario Rossi, Alberto Erede beteiligt.

Terkals schwankende Position im Live-Opernbetrieb legt die Vermutung nahe, dass seine so reiz- und effektvolle Tenorstimme auf Tonträgern attraktiver als auf der Bühne gewesen sein könnte. Doch das wird von Live-Ohrenzeugen entschieden dementiert. Terkal sei eine präsente Bühnenerscheinung mit weittragendem, durchschlagendem Material gewesen, dessen Schönheit sich im Raum unverfälscht entfaltet habe. Doch seien ihm zwei Eigenheiten oder Schwächen im Wege gewesen. Zum einen große Bescheidenheit, wiengebundene Reise-Abneigung, auch ein eher behäbiges Temperament. Zum anderen die Unlust, deutschsprachig erlerntes Repertoire auf die ab Mitte der 1960er Jahre an der Wiener Staatsoper obligatorischen Originalsprachen umzustellen.

Ungeachtet solcher Erwägungen und Umstände einerseits und der Mitwirkung in Opernproduktionen diverser Groß-Labels und Rundfunkanstalten andererseits, hatte Terkal seinen Festvertrag bei Decca, aus dem eine stattliche Zahl von Einzelaufnahmen entstand: Arien und Tenorschlager vielfältiger Provenienz, durchwegs mit eingängiger, konsumierbarer Melodik und strahlenden Spitzentönen. Die Operettenaufnahmen, die nun auf HAfG‑CDs wieder zu hören sind, waren wohl seine größten Erfolge. Sie wirken in ihrer scheinbaren Unbekümmertheit mit attraktivem Höhenstrahl auch heute so frisch, reizvoll, ursprünglich und unmittelbar wie einst. Eine Stimme und Gesangsweise, die Freude macht — aus reizvoller Legierung von Naturfrische und Raffinement.


                                                                                              KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel