„Glückauf zum
Meistersingen!“
Diener am Kunstwerk:
Der sympathische Tenor Eberhard Katz
Im Übergang von den 1950er zu den 1960er Jahren neigte sich die jahrzehntelange Ära „echter“ Wagner-Tenöre ihrem Ende zu. Sie hatte in der Mitte
des 19. Jahrhunderts begonnen, immerhin der glücklichsten Zeit der „Alten“ Schule des Belcanto-Gesangs. Für lange war sie vom Ideal der schmetternd metallischen Siegfried-Stimmen geprägt, die man
Tenore drammatico (Ténor dramatique) zu nennen pflegt und die auch in Halévys, Meyerbeers, Aubers Grand-Opéras zentrale Aufgaben fanden. Beispiele haben wir in Alfred von Bary, Leo Slezak,
Jacques Urlus, Heinrich Knote, Rudolf Laubenthal, Paul Althouse.
Die große Mehrzahl früher Tondokumente von Tenören solcher Fachrichtung bringt uns diesen hellmetallischen, doch gewichtigen Tenorklang vor Ohren,
qualitativ variant nur durch eine stilistische Unterscheidung: einerseits die Abkömmlinge der italienisch-spanisch-französischen Legatophrasierungs-Tradition, zum anderen die nach Cosima- &
Kniese-Verdikt vom überartikulativen, sprechbetonten „Bell-Canto“ bestimmten Repräsentanten des (wie G.B. Shaw das nannte) Bayreuth Bark – wie Grüning, Burgstaller, Kraus, Anthes,
Schmedes.
Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts bildete sich, meist durch Fachwechsel vom Bariton zum sprichwörtlichen Heldentenor, der Typus des
großvolumigen, kupfern oder bronzen gefärbten, beinahe „Baritenore“ als Idealverkörperung der tragisch-gebrochenen, gezeichneten, nachtgeweihten Heroen heraus, den man als Tenore eroico
(Ténor héroique) bezeichnet – wie Lauritz Melchior, Rudolf Berger, Gotthelf Pistor, Arthur Carron, Günter Treptow, Ludwig Suthaus. Die Reihe lässt sich in späteren Varianten, etwa als
„Heroischer Charaktertenor“ ergänzen durch Ramón Vinay oder Jon Vickers.
In den 1930-50er Jahren, also zur letzten Blüte dieses „Golden Age of Wagnerian Tenors“ waren auch glückhaft zwischen den Stilen stehende
Solitäre zu erleben: so mit glanzvoll überwältigendem Messingklang der Deutsche Max Lorenz oder, sehr gegensätzlich, der silberstrahlende, vermittlungsstark fesselnde Schwede Set Svanholm. Zwischen
dramatisch und heroisch spannte sich ein breites und vielfältiges Spektrum eigenständig profilierter Sängerdarsteller.
Die lyrischen Heroen
Es gab aber auch eine Gruppe ganz anders begabter und orientierter Tenöre im vorherrschend dramatischen Fach, die zugleich als Mozart-, Verdi- und
Strauss-Protagonisten überzeugten und dennoch Wagnersänger der ersten Reihe waren. Dem Naturmaterial und der gesanglichen Ausbildung nach, auch im meist weich, warm, füllig entfalteten Klang und
edelmetalligen oder samtenen Timbre wie mit klassischer oder gar sinnlicher Ausstrahlung scheinen diese Tenöre aufs erste Hören eher Vertreter der italienisch-französischen Oper seit Donizetti/ Verdi
und Thomas/Gounod zu sein.
Doch einige von ihnen zählen zu den besten Wagner-Tenören der Tonträgergeschichte, vor allem für Erik, Lohengrin, Stolzing, Parsifal, in
Einzelfällen auch Tannhäuser, Siegmund, sogar Rienzi und Siegfried: Alexander Kirchner vor allem, auch Richard Schubert, Walter Kirchhoff, Carl Martin Oehmann, Eyvind Laholm – und der golden
glänzende Edeltenor des Franz Völker. Dieser, der als berühmtester Lohengrin der ersten Jahrhunderthälfte zugleich der Bayreuther, Berliner und Wiener Siegmund Nr.1 war, souverän Erik, Stolzing,
Parsifal und sogar einen beinahe belcantesken Tannhäuser bot, sang auch einen wundervollen Tamino, brillierte als Max, Florestan, Radames, Othello und in den Strauss-Partien Bachus, Kaiser, Menelas,
Apollo, er hinterließ auf Tonträger mustergültige tenorale Interpretationen.
Diesem Typus des eigentlich der Kategorie des „Tenore lirico-spinto“ (also des jugendlich-dramatischen Tenors) zugehörigen Fachvertreters entsprach
in mancher Hinsicht der bis heute unterschätzte, bei der Behandlung von als „erste Reihe“ geführten Wagner-Tenören ab Mitte der 1960er in der Fachliteratur gern verschwiegene EBERHARD KATZ. Er besaß
Eigenschaften und Fähigkeiten, die ihn in die schmale Auswahl der Kirchner-, Oehmann-, sogar Völker-Nachfolger hätte einreihen sollen. Ein paar sekundäre Handicaps mögen das behindert haben. Seinem
Nachruhm steht vor allem ein eklatanter Mangel an Tondokumenten entgegen. Diese Edition will versuchen, dem abzuhelfen.
Zeuge eines Wandels
Eberhard Katz (1928 Krombach – 2002 Köln) konnte seine Sängerlaufbahn erst als 35jähriger Spätanfänger beginnen.
Gerade da schien das Zeitalter der hochdramatischen und heroischen Wagnerhelden vorbei – zuletzt personifiziert durch Jahrhundertgrößen wie Melchior, Lorenz, Völker, Treptow, Svanholm, Suthaus,
Aldenhoff. Die internationale Szene war seit 1951 von Neubayreuth bestimmt. Im Zentrum stand der bedeutende Sängermusiker und musiktheatralische Vermittler Wolfgang Windgassen, der den permanenten
Sieg des Geistes und Könnens über die Materie verkörperte. Er besaß eine für Wagner kaum prädestinierte mittlere Charakterstimme, vermochte aber als Tristan und Götterdämmerung-Siegfried
regelmäßig über sich hinauszuwachsen. Der für ihn typische herbe, schlanke Klang in Nähe eines dramatischen Charaktertenors wurde beinahe stilbildend für die herrschenden Vorstellungen von einem
modernen Wagnertenor.
Das Verschwinden großer, hochdramatischer oder heroischer Tenorstimmen trug dazu entscheidend bei. Nur selten bekam man noch letzte „Saurier“ des
Wagnergesangs zu hören, dann keineswegs stilbildend, wie etwa Hans Beirer oder der vorwiegend in der DDR gebundene, deshalb bei Lebzeiten nur Kennern bekannte Ernst Gruber. Nachrücker waren, neben
dem kontinuierlich ins hochdramatische Fach gewachsenen Hans Hopf, vor allem Lirici-spinti amerikanischer Herkunft wie Jess Thomas, James King, Jean Cox, William Johns. Als exotisch-attraktiver neuer
Lohengrin wurde seit 1958 der Ungar Sándor Kónya gefeiert, der weltweit auch als Erik, Stolzing, Parsifal reüssierte, aber nie auf Lirico-Partien von Donizetti, Gounod, Offenbach und vor allem
Puccini verzichtete.
In diesen Jahren hätte ein jugendlich-dramatischer, stetig und seriös zu den schweren Partien schreitender Tenor der Völker-Richtung wie Eberhard Katz eigentlich mit Begeisterung aufgenommen werden
müssen. Stimmtypus, Timbre und sängerische Schule hätten ihn neben King, Cox, Kónya nach Bayreuth bringen sollen. Wenn man seine klingende Hinterlassenschaft nach diesen Maßstäben bewertet, fallen
sogleich zentrale Charakteristika auf: klassische, also legatobestimmte, ausgewogene Tonproduktion, exakte Platzierung im vorderen Gaumenbereich, kontrollierte Dosierung und Dynamisierung, voller,
doch jugendlicher Klang, eine ausbalancierte Farbpalette in lyrischem Duktus. Der prächtig zu dramatischem Ausdruck steigerbare Klangstrom wird nur gelegentlich durch eine minimale Spur von
Wobble beeinträchtigt. Das Passagio folgt klassischer Regel, doch bleiben die Spitzentöne stets „gedeckt“ und konsequent „in Linie“, was der Stimmentfaltung im Finish die letzte triumphale Vibranz
und Sieghaftigkeit nimmt.
Ein Braver. Kein Bravado.
Damit deutet sich eine mögliche Begrenzung von Katz’ Wirkung an: Er war ein Sänger von Qualität und Sorgfalt, Maß und Mitte. Im Finale des ersten
Walküre-Aufzugs hören wir ausgewogene, vorbildlich „in die Maske“ platzierte Hochtöne, aber der Tenor „explodiert“ nicht, sein B’ wird nicht zur Fanfare; die Figur enträt der ekstatischen
Entäußerung, wie sie der Handlung entspräche. Beispiele dieser Art sind die Regel, sogar in den live mit größtem Einsatz von Stimme, Physis und Vermittlungskraft getragenen Ausbrüchen im
(tontechnisch leider sehr schwachen) dritten Tristan-Aufzug. Katz war in seinen Glanzjahren als Bühnensänger mit umfassendem Wagner-Repertoire wie überhaupt in seiner ganzen Laufbahn
vielleicht allzu „serioso“, ihm fehlte das Quentchen Bravado, das etwa Lorenz, Rosvaenge, Aldenhoff, Schock (vom Rattenfängercharme eines Tauber zu schweigen) einbrachten, mit dem ein Tenor sein
Publikum zum Sieden bringen kann. Dem entsprach auch sein Auftritt: Er war ein untersetzter, später zur Fülle neigender Pykniker – eher freundlicher Bonhomme als sinnlicher Belami.
Es bleiben genug Beispiele für vorbildliches sängerisches Agieren, für intelligente Umsetzung und Ausdeutung lyrisch wie dramatisch konzipierter
Bühnenfiguren. Katz erfasst sie durchwegs vom Musikalischen her. Folglich vernimmt man keine quasi „veristischen“ Ausdrucksmittel, kein vokales Gestikulieren, kein Sprechgeschrei, keine auf
„Ausdruck“ gemachten Brüche der Legatolinie.
Ein Musterbeispiel dafür ist etwa die 1967 live mitgeschnittene Romerzählung aus Tannhäuser. Man hört sogleich, dass hier kein eigentlicher
Eroico singt, sondern ein technisch versierter Zwischenfachtenor, der extreme Anforderungen mit perfekt durchgestütztem, stets lyrisch dominiertem Klangstrom und integrierter rhetorischer Intensität
bewältigt. Die Stimme ist (noch) nicht in hochdramatischen Regionen beheimat, die Höhen springen nicht eben federleicht an. Doch kommt der Vortrag ohne exzessive Drücker und gellendes Scheinforte
aus, nichts ist fingiert – Katz ist gerade in seinen naturbedingten Begrenzungen ein ehrlicher Sänger. Das unterscheidet ihn von mit frischerer Stimme singenden, aber permanent grenzüberschreitenden,
fiktionalen, darum flach und trocken tönenden Ersatzlösungen jüngerer Zeit.
Seriosität und Sorgfalt
Ganz in Geist und Technik einer traditionell italienischen Interpretation deutscher Zunge berühren die Tenorstücke aus Fidelio, Freischütz,
Macbeth, selbst das buffoneske Lied des Veit aus Undine. Beim Ingemisco aus Verdis Messa da Requiem fehlt es dem makellos phrasierenden Tenor
wieder an letzter Exuberanz als krönendem Klangeffekt. Wie gesagt, ein seriös-sorgsamer Sänger. Beispielhaft, auch im Vergleich mit erstrangigen russischen Tenören, der markante, ausdrucks- und
sinnenstarke Charakterheld Hermann in Tschaikovskys Pique Dame und der gleisnerische Fürst Shujskij in Mussorgskijs Boris Godunov. Sängerisch wie musikalisch-gestalterisch
eindringlich auch der schillernde Herodes in Strauss’ Salome. Drei Portraits, die die Frage aufwerfen, ob Eberhard Katz, ungeachtet seiner Fähigkeiten zu lyrischer Phrasierung und heroischem
Ton, nicht eigentlich ein dramatischer Charaktertenor zwischen Melchert und Uhl gewesen ist, die ja auch Tristan sangen. Leider gibt es keine Tonbeispiele etwa von Loge, Novagerio, Robespierre,
Oedipus, die uns mehr darüber verraten könnten.
Eberhard Katz sang die Wagner-Tenorhelden Erik, Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, Stolzing, Siegmund, Parsifal, merkwürdigerweise keinen Loge. Seine
Protagonisten-Karriere war mit diesen Partien übervoll, er galt international als Wagnersänger. Zum Kernrepertoire zählten weiter Beethovens Florestan, Webers Max, Verdis Ismaele und Macduff,
Mussorgskijs Shujskij und Golizyn, Rimsky-Korssakovs Zarewitsch Gwidon und Prinz Wsewolod, Mascagnis Turiddu, Strauss’ Herodes und Bachus, d’Alberts Pedro, Busonis Kalaf, Strawinskys Oedipus,
Hindemiths Kavalier, Frank Martins Tristan, Blachers Romeo, Weills Jack.
In der späteren Phase seines Wirkens nahm der Sänger einen gleitenden Fachwechsel vor – zum dramatischen Charaktersänger und zum markanten
Comprimario in Dutzenden scharf profilierter kleinerer und Kleinstpartien: Iro, Narciso, Geharnischter, Antonio, Abdallo, Ruiz, Vogelgesang, Dr. Cajus, Spalanzani, Parpignol, L’Abate,
Zirkusdirektor, Elemer, Ältester, diverse Bürgermeister, Priester, Boten – von Monteverdi und Händel über Bizet und Giordano bis Einem und Britten.
Jede dieser Figuren war, wie uns zeitgenössische Berichte und Kritiken, Fotos und TV-Auftritte belegen, ein kleines Kabinettstück pointierter und
profilierter Bühnendarstellung, und alle, soweit nachprüfbar, mit frisch gebliebener, beweglicher Charaktertenorstimme umgesetzt. Zwei Beispiele können das verdeutlichen: Eine köstlich-pralle,
selbstironische Gestaltung des Prinzen Orlofsky in der Fledermaus am Opernhaus Köln. Und der beinahe rollensprengende Wirt im dritten Aufzug des Rosenkavalier an vielen großen
Opernhäusern des Kontinents von Berlin über Wien bis Rom, eine Art Spezialistenstück seiner späteren Jahre, das ihm den Kosenamen „der Bundeswirt“ eintrug.
Großer Tradition verbunden
Eberhard Katz stammte aus Südwestfalen, wurde zunächst Braumeister („Krombacher“). Die Leitung des Brauerei-Unternehmens förderte seine
musikalischen Anlagen und ermöglichte ihm ein Gesangsstudium unter optimalen Bedingungen: Der prominente Kölner Gesangsprofessor Clemens Glettenberg, Lehrer vieler bedeutender Sänger, übernahm seine
Ausbildung und führte sie zur Bühnenreife. Letzte Profi-Schulung erhielt Katz dann von dem berühmten Bariton und Professor der Kölner Musikhochschule Josef Metternich. In der Opernschule des
Opernhauses Köln wurde Katz in allen Fachbereichen auf die Bühnenlaufbahn vorbereitet. Seit 1961 hatte er öffentliche Auftritte. Sein Bühnendebüt als Opernsänger fand 1962 statt, wieder am Kölner
Haus, zunächst mit Comprimario-Aufgaben.
Als bereits Mittdreißiger erreichte er schließlich das Erstfach des Dramatischen Tenors – als Erik im Fliegenden Holländer. Rasch wurde er
bekannt und vor allem als Wagnersänger gefragt. Er gastierte mit wachsendem Erfolg an führenden Opernbühnen: der Deutschen Oper Berlin, den Staatsopern München, Stuttgart, Hamburg, der Deutschen Oper
am Rhein, den Staatstheatern Wiesbaden und Hannover, bald auch in Covent Garden London, beim Edinburgh Festival, am LaMonnaie Brüssel, der Wiener Volksoper, in Frankfurt/M., Essen, Nürnberg,
Wuppertal, in Rom, Florenz, Nizza, Lyon, Aix, Rouen, Kapstadt, Tel Aviv. Besonders verbunden war Katz dem Dortmunder Opernhaus unter GMD Wilhelm Schüchter, der ihn hochschätzte. Als Neben- und
Kleindarsteller in Opernmitschnitten für Radio und TV ist er als wahre Luxusbesetzung zu erleben.
Neben 35 Jahren am Opernhaus Köln (1270 Auftritte) gastierte Katz an 55 Opernhäusern. Ein Engagement als Siegmund nach Bayreuth konnte er wegen
lange bestehender anderer Auftrittstermine nicht annehmen, die sicherlich größte Enttäuschung seiner Laufbahn – doch sie zeigt die Seriosiät des vertragstreuen Künstlers. Er arbeitete mit wichtigen
Dirigenten wie Albrecht, von Dohnanyi, Downes, Fricke, Gielen, Hollreiser, Janowski, Jochum, Keilberth, Maag, Maderna, Mehta, Pritchard, Rossi, Rudel, Santi, Sawallisch, Schüchter, Segerstam,
Swarowski, Wand und vielen mehr. Sein Sängerleben währte von 1962 bis 1998.
Eberhard Katz war von den Zeitläuften nicht karrierefördernd begünstigt. So blieb ihm auch die letzte Dimension verdienten Nachruhms versagt. Im
Rheinland und in seiner engeren Heimat Südwestfalen aber ist er eine Legende, wie zuvor die Brüder Busch. Er war ein freundlicher, gutherziger, sympathischer Künstler, vor allem an seinem Stammhaus
Köln, auch ein vorbildlicher Ensemblesänger – und dennoch ein international gefragter Sängerstar, als Wagnertenor und dramatischer Charakterinterpret. Seine
wenigen Tondokumente weisen ihn als Interpreten von klassischem Maß aus, musikalisch und sängerisch großer Tradition verbunden. Insofern ist er auch Repräsentant einer verlorenen Ära. Ihm gebührt ein
Platz in der Erinnerung von Kennern und Liebhabern.
KUS