Kgl.-Preußischer Universalist
Baptist Hoffmann – Gesang als Vermittlungskunst
Bis zum Ende der Hohenzollern-Monarchie war das Opernhaus Unter den Linden die Königliche Hofoper Berlin. Der
preußische Monarch Wilhelm II., in der Historie ausgewiesen eher als nassforscher Parvenü mit imperialen Präferenzen für Industrie, Militär, Marine, war dem Institut zugetan, erkannte seine
kulturelle Glanzwirkung, renommierte vor europäischen Gekrönten gern mit dessen berühmten Spitzenkräften – so mit „meine Lerche“ (für Hempel) und „mein Orlow-Diamant“ (für
Jadlowker). Das von Friedrich II. begründete, von Schinkel erbaute Haus erreichte nach der Reichsgründung Weltrang, gebaut auf eine zunächst mediterrane Tradition mit den Zentralgestalten Spontini
und Meyerbeer. Es stand seit den 1890er Jahren bis zum Weltkriegsende in respektabler Konkurrenz zu Opernmetropolen wie Wien, London, Milano. Eine konservative Spielplangestaltung folgte den
musikhistorischen Entwicklungen nur zögernd, präsentierte ihr Repertoire aber durchwegs glanzvoll – nicht zuletzt durch Ensembles mit internationalem Flair und Niveau. Die Sängergarde zwischen 1890
und 1918 reihte Star an Star: Lilli Lehmann, Albert Niemann, Marianne Brandt, Julius Lieban, Robert Biberti, William Miller, Thila Plaichinger, Ernst Kraus, Wilhelm Grüning, Marie Goetze, Geraldine
Farrar, Emmy Destinn, Ernestine Schumann-Heink, Hermann Bachmann, Carl Jörn, Theodor Bertram, Marie Dietrich, Rudolf Berger, Paul Knüpfer, Melanie Kurt, Robert Philipp, Frieda Hempel, Hermann
Jadlowker … um eine schmale Auswahl zu nennen. Unter diesen hatte seit 1897 ein Sänger eine dominante Position als Universalist und Spitzenstar inne, der für Kenner der Gesangshistorie und
Sammler historischer Tondokumente zur Berliner Opernlegende von fast symbolischer Geltung wurde, ungeachtet eines jahrzehntelangen Mangels an Klangbelegen in den Records-Katalogen. Das war der
fränkische Bariton Baptist Hoffmann.
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Johann Baptist Hoffmann
* 9. Juli 1863 Garitz/Unterfranken – † 5. Juli 1937 Bad Kissingen
Baptist Hoffmann war das fünfte Kind eines Metallwarenhändlers, der als Freizeitmusiker
im Kissinger Kurorchester spielte. Die Mutter war Altistin im Kirchenchor des Staatsbades. Als Betreiber einer Pension kamen die Hoffmanns in Kontakt mit vielen prominenten Musikern als Badegästen.
So wuchs Baptist in einem musikfreudigen Haus auf. Die Mutter war auch seine erste Lehrerin. Zunächst erlernte er den Kaufmannsberuf in einem Handelsgeschäft in Schweinfurt. Dann entschloss er sich
zur Gesangsausbildung und Sängerlaufbahn. Vorsingen bei mehreren Gesangspädagogen, auch bei August Kindermann, dem ersten Wotan in Rheingold und Walküre, verliefen
negativ: Alle befanden den Eleven als ungeeignet für professionellen Bühnengesang. Schließlich wurde er im Gesangsstudio Louise Weinlich-Tipka in Graz als Schüler angenommen. Nach 16 Monaten Studium
hatte Hoffmann erste Erfolge bei Konzertauftritten. Dann machte er am Opernhaus Graz als Jäger in Conradin Kreutzers Nachtlager von Granada sein Bühnendebüt. Er erhielt ein
Engagement, hatte sofort Erfolg – und wurde noch in seiner ersten Spielzeit 1988 ans Opernhaus Köln verpflichtet. Dort entfaltete er in sechs Jahren ein schon weitgespanntes Rollenspektrum, vom
Valentin in Gounods Faust bis zur Titelpartie in Wagners Fliegendem Holländer. Schon damals kündigte sich eine Sängergestalt mit hochexpansivem Repertoire an:
Lyrischer und Charakter- und Dramatischer (Helden-)Bariton.
Gegen Ende der 1880er Jahre erreichten den bald renommierten Sänger Angebote großer
Opernhäuser, darunter 1890 von der damaligen Deutschen Oper in New York. Der verantwortungsbewusste Künstler ging aber zunächst zu einer weiteren Ausbildung bei dem vielleicht gefragtesten
Gesangsmeister des deutschen Sprachraums: Julius Stockhausen in Frankfurt/M., der auch Karl Scheidemantel, Jenny Hahn, Therese
Behr, Johan Messchaert, Hermine Spies, Max Friedlaender und als bis heute berühmtesten Anton van Rooy ausgebildet hatte. Die Auswirkung dieser Gesangspädagogik auf
Hoffmanns Timbre-Entfaltung und Modulationskunst seit etwa 1893 ist noch auf den unvollkommenen Trichteraufnahmen erkennbar – sie hebt sich deutlich von der im Vergleich gröberen,
trompetenhaft-schallorientierten Singweise wichtiger Zeitgenossen, wie etwa Bachmann, Bertram, Soomer, ab.
Als Baptist Hoffmann 1894 ans Stadttheater von Hamburg und Altona wechselte, hatte sich sein
Ruf schon im Deutschen Reich verbreitet. Ab Sommer 1895 gastierte er in ganz Deutschland, Österreich, Holland, dann erstmals an der Berliner Lindenoper – als Hans
Sachs in den Meistersingern und bald darauf als Lysiart in Webers Euryanthe. Sein Erfolg war durchschlagend und nachhaltig. Das Berliner
Publikum sah in ihm sogleich den Nachfolger des Königs der deutschen Heldenbaritone: Franz Betz, Wotan/Wanderer bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele 1876.
Hoffmann wäre im Jahr 1897 beinahe mit Gustav Mahler, dem damaligen 1. Kapellmeister des Hamburger Opernhauses, an die Wiener Hofoper gewechselt. Er war aber bereits an sein neues Engagement an
die Berliner Hofoper gebunden. In Berlin dominierte er bald den ganzen Spielplan als Baritono primo, trotz der gewichtigen Stellung der dortigen Vertreter des dramatischen Bassbariton-Fachs Bachmann
und Bertram, die eigentlich „hohe Bässe“ waren und beide als Starbesetzungen für Wagner im Cosima-Bayreuth galten.
Nach dem Tod seiner Mutter 1908 geriet Baptist Hoffmann in eine tiefe Lebenskrise. Er wollte
nach Ablauf seines Vertrags in Berlin 1910 den Gesang ganz aufgeben, fand aber durch einen längeren Aufenthalt auf Schloss Hornegg am Neckar zu neuer Energie. Im November 1910 trat er auf Wunsch des
Komponisten als Spielmann in der deutschen Premiere von Engelbert Humperdincks Oper Königskinder auf (die Uraufführung an der Met in NYC hatte Otto Goritz
gesungen). Schließlich verlängerte er seine Mitgliedschaft an der Lindenoper bis zunächst 1915, dann nochmals bis 1919.
1913 war Baptist Hoffmann aus Anlass seines 25jährigen Bühnenjubiläums mit dem selten
vergebenen Titel Königlicher Preußischer Kammersänger geehrt worden. Nach Ende seiner Bühnenlaufbahn begann er, junge Sänger auszubilden. Im Herbst 1928
wurde er an das Stern‘sche Konservatorium berufen. Einer seiner berühmtesten Schüler war der Jahrhundertbassist Paul Bender.
Hoffmanns letzter öffentlicher Auftritt fand bei einem Wohltätigkeitskonzert in Bad
Kissingen statt, wo der vielgefeierte Künstler seinen Alterssitz genommen hatte. Am 5. Juli 1937 starb er dort an einem Herzinfarkt. Sein Grab liegt auf dem
Kissinger Kapellenfriedhof. Im Kissinger Ortsteil Garitz, Hoffmanns Geburtsort, ist eine Straße nach ihm benannt. 1945 erschien eine Monographie: G. Hoffmann-Kusel / Baptist
Hoffmann, ein Leben für die Kunst.
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Baptist Hoffmann war im deutschen Kulturraum als einer der ersten Vertreter seines Faches berühmt. Doch was heißt „seines Faches“? Hoffmann beherrschte und spielte während dreier Jahrzehnte nicht
weniger als 103 Opernrollen – in einem Repertoire, das praktisch alle für Bariton erreichbare Lagen, Orientierungen und Genres umfasste. Eine Auswahl: Mozarts Conte Almaviva und Figaro, Don Giovanni, Don Alfonso, Papageno. Rossinis Barbier, Pharao, Tell.
Webers Lysiart. Beethovens Pizarro und Fernando. Meyerbeers Nelusco. Marschners Heiling. Lortzings Zar, Eberbach,
Kühleborn, Konrad und Stadinger. Nicolais Fluth. Flotows Plumkett. Méhuls Siméon. Gounods
Valentin, Thomas‘ Hamlet und Lothario. Bizets Escamillo. Wagners Holländer, Wolfram, Telramund und
Heerrufer, Kurwenal, Sachs, Wotan/Wanderer, Gunther, Amfortas und Klingsor. Verdis Rigoletto, Luna,
Germont, Posa, René, Amonasro, Jago. Kienzls Johannes. Leoncavallos Tonio und Silvio, Cascart, Rathenow. Puccinis Lescaut, Marcel, Scarpia, Sharpless. d’Alberts Sebastiano.
An nahezu allen Opern-Erst- und Uraufführungen an der Berliner Lindenoper war Baptist Hoffmann beteiligt: 1899 Emmanuel
Chabriers Briseïs und Albert Lortzings Regina. 1900 Eugen d’Alberts Kain. 1902 Wilhelm Kienzls Heilmar der Narr und Ethel Smiths Der Wald. 1904 Ruggiero
Leoncavallos Der Roland von Berlin. 1905 Engelbert Humperdincks Heirat wider Willen. 1907 Giacomo Puccinis Madame Butterfly. 1910 Humperdincks Königskinder. 1911
Richard Strauss‘ Der Rosenkavalier. 1906 hatte er in der spektakulären Berliner Premiere von Richard Strauss‘ Salome neben Emmy Destinn und Wilhelm Grüning den Jochanaan gegeben.
Gastauftritte beschränkte er auf führende europäische Opernbühnen und Konzertsäle, so in Hamburg, Frankfurt, Dresden, München, Wien, Brüssel, Prag, London. Eine Verpflichtung zu den Bayreuther
Festspielen, die für ihn hätte obligatorisch sein müssen, sagte er ab, weil man ihm vereinbarungswidrig nicht den Wolfram im Tannhäuser, sondern den Alberich im Ring aufnötigen
wollte.
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Hoffmanns Schallplatten-Matrizen sind im Archiv der Berliner Hochschule für Musik gesammelt. Unter ihnen ist von besonderem historischem Interesse ein Ausschnitt aus der Berliner Uraufführung von
Leoncavallos Roland. Seine ersten Aufnahmen erschienen 1901 bei Berliner-Records und G&T (bis 1907), weitere 1905 ff. bei Odeon, HMV und Parlophon.
Für heutige Gesangsinteressierte und Sammler bietet das schmale Konvolut an Tondokumenten, auf das wir Zugriff haben,
bemerkenswerte, aufschlussreiche Höreindrücke. Gemessen am Ruhm und Preis, die dem Sänger in Historiographien und Fachlexika vorausgehen, wirkt sein Organ beim ersten Anhören markant, körperhaft,
solide, doch nicht imposant oder faszinierend. Das ändert sich rasch, wenn man mit Konzentration und Detailneugier ein zweites und drittes Mal zuhört.
Wir vernehmen den Klang eines echten Baritons, also nicht eines „gezogenen“ Basso wie bei vielen Fach-Protagnisten der
Wagnerinterpretation seiner Zeit. Die Stimme hat beachtliche Expansionsfähigkeit nach Höhe und Tiefe; ihr Umfang verbindet die Italiano-Hochlage bis zum Gis‘ und A‘ (anders als bei typischen
Repräsentanten der „deutschen Schule“ mit ihrem oft gedeckt-gedeckeltem Fahlklang), in kaum „gepresstem“ Tongepräge auch zur Tiefenregion eines Basso cantante. Dabei wahrt der Timbreklang immer die
Färbung eines deutschen Baritons mit ausgeprägter Legatofähigkeit und leichtem Vibrato. Man mag an Kupfertönung oder Herbstlaubfarben denken. Bei assoziativer Suche nach Parallelen steigen Anmutungen
zu den Klängen der frühen Aufnahmen des Heinrich Schlusnus auf.
Im Hinblick auf sängerisches Können und (rein musikalische) interpretative Mittel ist der Kontrast zu den Trägern der
Richtung „Bayreuth bark“ auffällig – und wohltuend. Hoffmann macht sein Material nicht künstlich „mit Technik“ größer = schallkräftiger. Er kennt und nutzt die Stilprinzipien guten Barock- und
Liedgesangs – da wird die Schulung Stockhausens, ähnlich van Rooy, offenkundig. Man kann das an den Wagner-Stücken studieren: Telramund tritt nicht mit dem Gestus einer (wie Thomas Stewart das
nannte) „Brüllpartie“ auf, sondern phrasiert, als sänge er Mozart oder Puccini: legatobewusst, klanggesättigt, in gebändigter Dynamik und kultiviertem, am Wort orientiertem Ausdrucksmaß. Wir
registrieren kein Dröhnen, kein Spreizen, kein Outrieren, keinen falschen Ehrgeiz, den schweren Helden evozieren zu wollen – sondern ein Singen mit Kultur und Würde. Das bestätigt sich in allen
Aufnahmen dramatischer Ausdrucksmusik, beim Holländer, Sachs, Jago, Tonio. Gehen wir von der Erkenntnis aus, dass auch nach Wagners und Verdis Gebot „Legato und nicht Deklamato“ die Grundlage einer
vollkommenen singdramatischen Interpretation ist, haben wir in Baptist Hoffmann einen exemplarischen Zeugen dafür.
Da scheint es unnötig, eigens darauf hinzuweisen, dass dieser Universalbariton den Prüfsteinen des schulbuchgemäßen
Singens – Atemdosierung, Registerausgleich, Intonation, Balance, Farbensetzung – souverän gerecht wird. Er war ein nicht spektakulärer, doch bewunderungswürdig bewusster, instinktsicherer,
vermittlungsstarker musikalischer Sänger. Sein Ruhm kam nicht von ungefähr. Sein tönendes Erbe gehört zum dokumentierten Bestand maßstäblicher Gesangskunst.
KUS