Leoš Janáček (1854 ‑ 1928)

Jenůfa

 

Oper aus dem mährischen Bauernleben in drei Akten
vom Komponisten nach Gabriela Preissová (1904 Brno)
Deutsche Fassung von Max Brod

Gastspiel der Württembergischen Staatsoper in der Staatsoper Wien
r. live 6. November 1959

Leitung: Ferdinand Leitner

 

Die alte Burya Res Fischer
Laca Klemeň, ihr Stiefenkel Josef Traxel
Števa Burya, ihr Enkel Fritz Uhl
Kostelnička Buryjovka, die Küsterin Grace Hoffman
Jenůfa, ihre Ziehtochter Lore Wissmann
Starek, der Altgesell Gustav Grefe
Rychtář, der Dorfrichter Fritz Linke
Rychtářka, seine Frau Paula Kapper
Karolka, beider Tochter Hannelore Pickard
Barena, eine Magd Margarete Bence

 

Chor der Württembergischen Staatsoper
Württembergisches Staatsorchester


Die Handlung

 

Ort und Zeit: Im mährischen Bergland, Ende des 19. Jahr­hunderts

 

1. Akt — Mühle im Gebirge, Sommer

 

Jenůfa ist unehelich schwanger von Števa. Die beiden möchten heiraten, um die Schande eines unehelichen Kindes abzuwenden. Doch die Verwirklichung dieses Plans hängt davon ab, ob Števa zum Militär muss oder nicht. Jenůfa hat deshalb große Angst. Diese erweist sich aber als unbegründet. Števa kommt frohgestimmt von der Musterung heim. Dennoch kann die Hochzeit nicht sogleich stattfinden. Jenůfas Stiefmutter, die Küsterin Kostelnička, die nichts von der Schwangerschaft weiß, erlegt dem Paar ein Jahr der Prüfung auf. Števas Halbbruder Laca, der Jenůfa ebenfalls liebt, gerät über deren Zurückweisung außer sich und verletzt sie aus Eifersucht mit einem Messer im Gesicht. Er bereut die Affekttat sogleich, doch Jenůfa ist gezeichnet.

 

 

2. Akt — Slowakische Bauernstube, Winter

 

Die Kostelnička hat endlich von der Schwangerschaft ihres Ziehkinds erfahren. Sie will Jenůfa die Schande ersparen und hält sie darum versteckt. Der Dorfgemeinschaft erklärt sie, das Mädchen sei in Wien im Dienst. Die Niederkunft findet heimlich bei der Stiefmutter statt. Števa hat sein Interesse an der entstellten Jenůfa längst verloren. Nicht einmal die Geburt seines Kindes veranlasst ihn, sich um die frühere Geliebte zu kümmern. Versuche der Kostelnička, Števas Liebe wieder zu entflammen, scheitern. Die Küsterin versucht daraufhin, eine Verbindung zwischen Laca und Jenůfa herbeizuführen, denn dieser liebt das Opfer seiner Eifersuchtstat immer noch. Doch zwischen ihm und Jenůfa steht das Kind des anderen. Im Werturteil der Dörfler gilt eine uneheliche Geburt als schwerer Makel. Die Küsterin lässt sich gegenüber Laca zu der Lüge hinreißen, das Kind sei gestorben. Damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Um die Ehe zwischen Laca und Jenůfa zu ermöglichen, betäubt die Küsterin Jenůfa und ertränkt das Kind im Fluss. Später behauptet sie, Jenůfa habe zwei Tage im Fieber gelegen, und währenddessen sei das Kind gestorben. Jenůfa geht auf Lacas schuldbewusstes Werben ein. Nun wird die Hochzeit beschlossen.

 

 

3. Akt — Im Dorf, Frühjahr

 

Es ist der Morgen der Hochzeit. Die Gäste langen an. Da entsteht ein Aufruhr: Dorfbewohner haben unter der tauenden Eisschicht im Fluss die Leiche eines Kindes gefunden. An seiner Wäsche erkennt Jenůfa das tote Baby als das ihrige. Alle vermuten in ihr die Mörderin, erregen sich, sind kurz davor, sie zu töten. Da bekennt die Küsterin ihre Schuld. Jenůfa erkennt, dass nicht Bosheit, sondern Liebe und falsch verstandenes Schutzbedürfnis der Kostelnička zu ihr den Kindsmord ausgelöst hatten. Sie verzeiht ihrer Stiefmutter. Laca steht trotz allem zu Jenůfa. Gemeinsam wollen sie in der Fremde ein neues Leben beginnen.

 


 

Janáčeks mährisches Landvolkdrama

 

Leoš Janáček, der Meister und Hauptrepräsentant der mährischen Musik, war in deutschen Konzertsälen und auf deutschen Opernbühnen lange ein Außenseiter. Seine Werke wurden der Neutönerei zugerechnet, ihre Stoffe weithin als absonderlich und nicht eben mit mitteleuropäischer Operntradition vereinbar angesehen. Nur Jenůfa bildete eine Ausnahme. Ihr Erfolg in den 1920er Jahren führte sie beinahe ins Repertoire, nicht als Bühnenrenner, aber als geschätztes Beispiel für die Spielbarkeit und dramatische Wirksamkeit eines neueren Werks der Oper Osteuropas.

 

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, einsetzend in den 1950er Jahren, entwickelte sich langsam eine Art Janáček-Nachfrage mit der Wirkung breiterer Rezeption durch häufigere Konzertaufführungen und Bühneninszenierungen, bald auch vielfältige Schallplattenproduktionen. Diese kamen zunächst in originalsprachlichen Aufnahmen aus der damaligen Tschechoslovakei, dann aus Wiener und Londoner Studios der führenden Tonträgerproduzenten, veranlasst und geleitet durch Dirigenten, deren engagiertes Interesse an Janáček ihnen eine Vorrangrolle als Janáček-Spezialisten zuordnete — wie etwa Vaclav Neumann, Gerd Albrecht und vor allem Sir Charles Mackerras. So gehören heute nahezu alle Bühnenwerke Janáčeks zum immer wieder präsentierten Werke-Bestand vor allem der großen Opernhäuser.

 

 

Volksoper als Exempel klassischer Moderne

 

Der Beginn der Komposition zur Jenůfa ist nicht bekannt. Doch der Schaffensablauf ist vom Autor datiert worden. Der erste Akt wurde 1897 fertiggestellt. Der zweite Akt entstand 1901/1902. Der dritte wurde im März 1903 vollendet. Nach der Uraufführung in Brno (Brünn) 1904 dauerte es bis zum Jahr 1916, bis die Oper in Prag in einer veränderten Fassung wieder gespielt wurde. Jenůfa wurde zum Publikumserfolg und gehörte fortan zu den bekannten und beliebten Opernwerken des 20. Jahr­hunderts. Inzwischen wird jedoch häufig wieder die rekonstruierte Brünner Urfassung gespielt.

 

Jenůfa ist eine durchkomponierte Oper. Der komponierte Text ist reine Prosa. Die musikalischen Szenen, die nahtlos ineinander übergehen, setzen sich aus geschlossenen Passagen und aus freieren, aber immer symmetrisch gebauten Partien mit oft weit geschwungenen Melodiebögen zusammen. Obwohl Janáček ein umfassender Kenner der mährischen Volkslieder war, verwendet er in Jenůfa keine originalen Volksliedmotive. Melodik und Harmonik mit ihren charakteristischen, vorwiegend satten und dunklen Farbtönen sind dennoch tief in der nationalen Folklore verwurzelt. Der orchestrale Satz — Basis und Hintergrund der Wortmelodie — ist stets transparent; selbst bei expressiven Ausbrüchen erdrückt er die Singstimmen nicht. Die Sprachmelodie nimmt die Funktion eines Wegweisers zur tondichterischen Ausdeutung der Konstellationen, Situationen, Emotionen ein. Sie stellt den richtigen Ausdruck deutlich vor eine genussreiche Melosbildung. Die Aufgaben der Sänger sind vielseitig: im Sinne des Musikdramas so darstellungsbezogen und expressiv wie vokal und sängerisch anspruchsvoll.

 

Mit der Durchsetzung von Janáčeks Gesamtwerk auf den Opernbühnen ist die Jenůfa so von ihrer Favoritenstellung zu einer von mehreren Opern Janáčeks geworden. Sie erfreut sich aber weiterhin der höchsten Aufführungszahl und breitesten Verankerung beim Publikum. Das ist das Verdienst vor allem jener Opernbühnen und Rundfunkanstalten des deutschen Sprachraums, die seit den 1950ern durch hochrangige, teilweise prominent besetzte Aufführungen zur Akzeptanz des Werks beigetragen haben. Das waren vor allem: Die damalige Städtische Oper in Westberlin (die heutige DOB) mit Aufführungen unter Leitung von Richard Kraus mit Elfride Trötschel (Titelpartie), Margarete Klose, dann Irene Dalis (Küsterin), Ludwig Suthaus (Laca), Horst Wilhelm (Števa), Johanna Blatter (Die alte Burya), Ernst Krukowski (Altgesell) oder der Hessische Rundfunk mit einer Produktion unter Paul Schmitz mit Eipperle, Joesten, Fehringer, Feiersinger, Lasser, Stern — bis 1964 zur Wiener Staatsoper mit Jurinac, Mödl, Cox, Kmentt, Hoengen, Popp unter Krombholc. Wichtige folgende Aufführungen präsentierten Varnay und Olivero als Kostelnička oder Bumbry und Hillebrecht als Jenůfa. Die gleichsam Starproduktion auf Schallplatten hat Sir Charles Mackerras 1982 in Wien eingespielt — mit Elisabeth Söderström, Eva Randová, Lucia Popp, Wieslav Ochman, Petr Dvorsky, Vaclav Zitek, Vera Soukupová.

 

 

Fundsache für Kenner

 

Angesichts dieser Reminiszenzen, gestützt durch gute originale wie deutschsprachige Tondokumente, gewinnt die Produktion Interesse und Informationsrang, die wir mit diesem Live-Mitschnitt aus 1959 vorlegen. Es handelt sich um die privat erstellte Tonspur einer Gastspiel-Aufführung der Württembergischen Staatsoper Stuttgart in der Wiener Staatsoper. Sie präsentiert also den Leistungsstand des berühmten Stuttgarter Ensembles in der Blüte seiner Entwicklung seit Übernahme der Chef-Funktionen durch Walter Erich Schäfer (Generalintendanz) und Ferdinand Leitner (Generalmusikdirektion). Die Stuttgarter Truppe war als Gesamtapparat in Wien zu Gast, mit Chor, Orchester, Szenario, Technikpersonal. In den Hauptpartien sind einige der Stars dieser legendären Ensemble-Ära zu hören, bekannt von vielen Genres und Aufgaben, aber noch nicht aus einem Janáček-Werk. Wie in der Stuttgarter Compagnie der 1950/60er üblich, sind alle Positionen gleichrangig — erstrangig — besetzt.

Das Tondokument war in seiner Reinform kaum veröffentlichungsfähig. Wir haben es mit professioneller Optimierungstechnik soweit wie möglich verbessert, die Stimmen präsenter gemacht, die Rauschpegel reduziert. Das Ergebnis ist dennoch unbefriedigend — vor allem in den ersten Minuten auf der CD 1. Aber sein musikalischer und gesangshistorischer Wert fasziniert dennoch, vorrangig spezialisierte Sammler. Natürlich ist dies keine Einspielung zur Erstvermittlung des zwar inzwischen klassischen, aber anspruchsvollen, differenzierten, vertieftes Interesse fordernden Werks — vielmehr das Dokument eines Ereignisses, geeignet vor allem für Kenner und Liebhaber, ja: für Fans. Als solches sollte es nicht unbekannt bleiben.

 


 

Aus der großen Zeit der
Württembergischen Staatsoper

 

Ferdinand Leitner (1912 ‑ † 1996) stammte aus Berlin. Er studierte an der Musikhochschule Berlin bei Franz Schreker, Karl Muck und Julius Prüwer, dazu Klavierspiel bei Artur Schnabel. Er begann seine Laufbahn als Pianist, vor allem als Kammermusik-Partner von Georg Kuhlenkampf und Ludwig Hoelscher. Anfang der 1930er debütierte er in Berlin als Dirigent. Fritz Busch engagierte ihn als Assistenten ans Glyndebourne-Festival. 1943 trat er seine erste Festposition als Chefdirigent des Theaters am Nollendorfplatz in Berlin an. Nach Kriegsende folgten Engagements als 1. Kapell­meister — in Hannover (1945 bis 1946), in München (1947), dann in Stuttgart (ab 1947). 1949 wurde er zum Generalmusikdirektor der Württembergischen Staatstheater ernannt. 20 Jahre lang wirkte er in dieser Position als unumstrittener Kopf des Stuttgarter Musiklebens mit internationalem Rang und Ruf. Ab Beginn der 1950er Jahre baute er mit dem Generalintendanten Walter Erich Schäfer ein Opernensemble auf, das eine bis heute legendäre Ära repräsentiert. 1953 stieß der innovative Regisseur und Bühnenbildner Wieland Wagner dazu, künstlerischer Kopf der neuen Bayreuther Festspiele und dort selbst Begründer einer legendären Ära.

 

Das Trio Leitner-Schäfer-Wagner etablierte Stuttgart neben Bayreuth als Zentrum der neuen Wagnerinterpretation, ein Winter-Bayreuth. Leitner war 1947 bis 1951 auch Oberleiter der Bach-Wochen Ansbach. 1951 betreute er in Venedig die Uraufführung von Strawinskys Oper The Rake’s Progress. 1956 übernahm er die Nachfolge von Erich Kleiber als Chefdirigent des deutschen Repertoires am Teatro Colón in Buenos Aires. 1969 beendete er seine ständige Tätigkeit in Stuttgart, wurde bis 1984 Musikalischer Oberleiter am Opernhaus Zürich, zugleich 1970 bis 1980 Chefdirigent des Residenz Orkest Den Haag. Ab 1988 war er Principal Guest Director des Orchestra Sinfonica della RAI Torino. Ungeachtet ständigen Wirkens als Konzertdirigent ging Leitner vor allem als Operninterpret in die Musikhistorie ein. Neben umfassenden Opernrepertoires in allen Genres mit Uraufführungen von Strawinsky, Klebe, Orff, Reutter ist er als Interpret der deutschen Klassik und Romantik, aber auch der Moderne, weltweit angesehen. Zahlreiche Schallplatten halten sein Wirken dauerhaft in Erinnerung.

 

Lore Wissmann (∗ 1922 ‑ † 2007) wurde ab 1939 an der Musikhochschule Stuttgart ausgebildet und konnte drei Jahre darauf im Soubrettenfach als Kordula in Lortzings Hans Sachs an der Stuttgarter Staatsoper debütieren. Man übertrug ihr zunächst kleine Partien. 1946 erreichte sie die Position eines Ersten Lyrischen Soprans — mit Partien im deutschen, italienischen, französischen und slawischen Repertoire. Im Lauf ihrer Karriere erweiterte sie ihr Rollenspektrum ins jugendlich-dramatische Fach. Zugleich wurde sie als Interpretin der Moderne eingesetzt, so in Werken von Hindemith, Strawinsky, Orff, Cikker. Bald war sie auch international gefragt, so am Opernhaus Zürich, den Staatsopern von München, Hamburg, Wien, an der Grand-Opéra de Paris, dem Teatro dell’Opera Rom, dem Sao Carlos Lissabon, dem Maggio Musicale Fiorentino und vielen süd- und mitteleuropäischen Opernhäusern. Typische Partien ihres Repertoires waren Cherubino, Pamina, Fiordilligi, Margiana, Frau Fluth, Baronin Freymann, Undine, Micaela, Antonia, Marie, Mimi, Liù, Zdenka, dann auch Agathe, Desdemona, Manon Lescaut, Lisa, Jenufa, sogar Donna Anna, Minnie und Octavian. Auch im zeitgenössischen Repertoire war sie erfolgreich, so mit Hindemiths Regina, Strawinskys Ann Truelove und Egks Ninabella. Sie war Solistin der Bayreuther Festspiele 1951 bis 1956, u. a. als Eva in den Meistersingern. Sie war mit Wolfgang Windgassen verheiratet. Dem Stuttgarter Ensemble gehörte sie 30 Jahre lang an — als eine der beim Publikum beliebtesten Sängerinnen des Hauses.

 

Josef Traxel (∗ 1916 ‑ † 1975) war neben Anders, Schock und Wunderlich der Tenor-Protagonist der deutschen Opern- und Konzertszene der 1950/60er. Nach Auftritten in US-Kriegsgefangenschaft war er, weitgehend autodidaktisch ausgebildet, Mitglied des Nürnberger Opernhauses. Gleichsam über Nacht wurde er international bekannt als Merkur in der Uraufführung von R. Strauss’ Liebe der Danae 1952 in Salzburg. Daraufhin holte ihn die Staatsoper Stuttgart, wo er sich sofort als führendes Mitglied etablieren konnte. Dann avancierte er zu einem der Protagonisten der Bayreuther Festspiele: als Steuermann, Erik, Walter, Seemann, Stolzing, Froh, Gralsritter. Bis zum Bühnenabschied war er neben Windgassen der Startenor der Württembergischen Staatsoper. An europäischen Spitzenbühnen sang er ein unglaublich breites Repertoire, gefeiert vor allem mit Mozart-Partien, Lirici und Spinti des italienischen und französischen Fachs. Er war auch ein überragender Interpret des Barock (Oratorien, Passionen, Kantaten), deutscher Klassik und Romantik. Viele Schallplatten machten ihn als eine Art Alles-Interpret, als Oratoriensolist und Liedsänger, sogar als dramatischen und Charaktertenor, berühmt und populär. Er ist in seiner Ära einer der wenigen Zeugen der klassischen Schule des Legato- und Fiorito-Singens.

 

Grace Hoffman (∗ 1921 ‑ † 2008) zählte ein Dritteljahrhundert lang zu deninternational führenden dramatischen Mezzosopranen der Opernbühne. Sie studierte in USA zunächst englische Literatur und Musikwissenschaft. Ihre erste Gesangsausbildung erhielt sie bei der Sopranistin Lila Robeson, dann beim Jahrhundertbariton Friedrich Schorr. Bei Giuseppe Gentile und Mario Basiola in Rom setzte sie ihre Studien fort. 1951 gewann sie den Gesangswettbewerb von Radio Lausanne. Schon 30‑jährig konnte sie  bei der US Touring Company als Lucia in Cavalleria Rusticana ihr Bühnendebüt geben. Wenig später erhielt sie die Rolle der Priesterin in Verdis Aida beim Maggio Musicale Fiorentino. Nach Gastauftritten gelang ihr 1952 der entscheidende Karrieresprung ans Opernhaus Zürich (mit Azucena in Verdis Trovatore). 1955 wechselte sie an die Württembergische Staatsoper Stuttgart (Debüt als Amneris in Aida). Fast 40 Jahre lang blieb sie dem berühmten Haus verbunden, sang dort das gesamte Repertoire für Mezzo und Alt, in Aufgaben jeder Provenienz und Epoche, bald auch Wagner-Partien in den Wieland Wagners historischen Produktionen. Sie gab Gastspiele in ganz Europa, so 1955 an der Scala di Milano und 1955 bis 1966 in Covent Garden London. Gastauftritte hatte sie an der Münchner Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin, der Deutschen Oper am Rhein, den Staatsopern Hamburg und Dresden, der Grand-Opéra Paris, dem LaMonnaie Brüssel, der New York City Opera, dem Colón Buenos Aires, der Wiener Staatsoper, in Bologna, Venedig, Neapel, Brüssel, Amsterdam, Kopenhagen, Barcelona, Philadelphia, San Francisco. 1958 trat sie an der Metropolitan Opera New York auf, 1964 auch in der New Yorker Carnegie Hall. Ab 1957 bis 1970 gehörte Grace Hoffman zu den Protagonistinnen der Bayreuther Festspiele; erst als Brangäne im Tristan, dann als Waltraute, Siegrune, 2. Norn im Ring, später auch als Ortrud im Lohengrin. 1978 übernahm sie eine Professur an der Musikhochschule Stuttgart. Ihre Bühnen- und Konzertlaufbahn beendete sie am Stuttgarter Haus mit der Mary im Fliegenden Holländer. Ihr Grab fand sie in ihrer Heimat Cleveland. Grace Hoffman bleibt präsent in markanten Opern-Studioproduktionen und Bühnen- wie Festspiel-Mitschnitten, vorrangig als Wagner-Sängerin. Ihre Kostelnička in Jenůfa ist darum ein besonders schätzenswertes Tondokument.

 

Fritz Uhl (∗ 1928 ‑ † 2001) gehörte zu den führenden deutschen Tenören der 1950er bis 1980er Jahre. Er wurde in Wien bei der legendären Gesangspädagogin Elisabeth Rado, dann bei Ferdinand Grossmann ausgebildet, debütierte in Leoben als Gounods Faust, wechselte sofort ans Opernhaus Graz, dann nach Luzern und an die westdeutschen Häuser in Oberhausen und Wuppertal. Dort begann seine internationale Karriere, die ihn 1956 fest an die Bayerische Staatsoper führte. Dort begann er den Wechsel ins Dramatische und Charakterfach, übernahm als Wagner-Tenor die Position von Seider, Treptow, Aldenhoff. Mit Gastverträgen war er der Wiener und der Stuttgarter Staatsoper verbunden. Seit 1957/58 gehörte er zu den Protagonisten der Bayreuther Festspiele, erst mit kleineren Aufgaben, dann als Loge, Siegmund, Erik. 1958 sang er den Florestan, 1971 und 1972 den Tambourmajor bei den Salzburger Festspielen. Er gastierte in Amsterdam, Brüssel, Paris, Straßburg, Lyon, Nizza, Stockholm, Buenos Aires, Mexico City, San Francisco, beim Maggio Musical Fiorentino, am Covent Garden London, in Rom, Neapel, Bologna, Venedig, Barcelona, Madrid, in Osteuropa und Australien. Sein Rollenspektrum umfasste die großen Heldenpartien von Wagner und Strauss, dazu Verdi und Verismo, zahlreiche Werke der Moderne, zuletzt vornehmlich Partien für Charaktertenor. Er war berühmt als Loge, Herodes, Aegyst, Novagerio. Georg Solti spielte mit ihm Tristan ein, Karajan besetzte ihn als Parsifal. Seine Hinterlassenschaft auf Tonträgern ist eindrucksvoll.

 

Res Fischer (∗ 1896 ‑ † 1974) war eine Institution der deutschen Opernszene im Allgemeinen und des Opernstandorts Stuttgart im Besonderen. Sie verkörperte die Tradition des Contralto deutscher Provenienz, war überdies eine Bühnenerscheinung von intensiver Ausstrahlung und wie gemeißelter Optik, geschaffen für archaische oder skurrile Frauengestalten wie Erda, Erster Norn, Azucena, Quickly, Ulrica, Knusperhexe, Herodias, Klythämnestra, Amme, Antigonae, Jokasta. Sie studierte in Berlin, Prag, Stuttgart, war auch Schülerin der legendären Lilli Lehmann. Sie debütierte 1927 in Basel, blieb dort bis 1935. Dann war sie bis 1941 am Opernhaus Frankfurt/M., danach für 22 Jahre Ensemblemitglied der Württembergischen Staatsoper. Von dort gastierte sie in der ganzen Welt, u. a. an den großen Häusern in Wien, München, Hamburg, Milano, Rom, Florenz, Paris, Brüssel, Amsterdam, London, Buenos Aires und in Osteuropa. Sie wirkte in Ur- und Erstaufführungen von Pfitzner, Weingartner, Toch, Hindemith, Wagner-Régeny, Orff mit. Besonders gefeiert waren ihre Auftritte als Orpheus, Ortrud, Fricka, Waltraute, Eboli, Amneris, Gräfin in Pique Dame und Küsterin in Jenůfa. 1942 gab sie die Marcellina in Mozarts Figaro bei den Salzburger Festspielen, 1959 bis 1961 die Mary im Fliegenden Holländer in Bayreuth. 1965 wurde sie zum Ehrenmitglied der Württembergischen Staatstheater ernannt.

 

Gustav Grefe (∗ 1910 ‑ † 1997) wurde zunächst Schlosser, war zugleich als Statist am Stadttheater Hagen tätig. Das lockte ihn auf die Opernszene. Nach der Gesangsausbildung sang er auf der Heimatbühne vor und wurde engagiert, debütierte 1933 als Silvio im Bajazzo, blieb vier Spielzeiten, wechselte 1937 ans Opernhaus Bonn, später nach Göttingen, dann nach Darmstadt. 1945 wurde er an die Württembergische Staatsoper verpflichtet. Dort blieb er 35 Jahre lang im Ensemble. Auslandsgastspiele unternahm er meist nur mit dem Stuttgarter Ensemble. Er sang ein vielseitig-spannendes Repertoire — meist in Baritonpartien der italienschen und französischen Oper, so von Verdi und Puccini, dazu Mozart, Beethoven, Weber, Gluck, Tschaikowsky, Strauss. Er übernahm auch Basspartien, etwa von Lortzing. 1957 nahm er an der Uraufführung von Egks Revisor teil. 1958 gastierte er an der Wiener Staatsoper. 1983 nahm er als Bassa Selim seinen Bühnenabschied, vom Stuttgarter Publikum dankbar gefeiert.

 

Fritz Linke (∗ 1923 ‑ † 1995) machte eine Bäckerlehre, studierte dann Musik in Leipzig, debütierte 1950 in Chemnitz als Edler im Lohengrin. 1951 bis 1956 war er an der Staatsoper Dresden tätig, dann 30 Jahre Ensemblemitglied der Stuttgarter Staatsoper. Er absolvierte zahlreiche Gastspielauftritte in ganz Europa, war 1963/64 und 1968 bis 1970 in Bayreuth engagiert, trat bei den Festspielen von Edinburgh und Schwetzingen, in Uraufführungen von Egk und Reutter, an Opernbühnen von Helsinki bis Rom und Berlin bis Buenos Aires auf. In einem universellen Rollenrepertoire vom Sarastro bis zur Moderne war er eine Säule des Stuttgarter Hauses. 1993 wurde er zu dessen Ehrenmitglied ernannt.

 

Margarete Bence (∗ 1930 ‑ † 1992) stammte aus New York, erhielt dort ihre Ausbildung, unternahm ab 1950 Konzerttourneen mit dem Robert Shaw Chorale. 1953 kam sie für weitere Studien nach Deutschland, war Schülerin von Res Fischer und Elinor Junker-Giesen in Stuttgart. Zunächst als Konzertsängerin aktiv, wurde sie 1956 an die Württembergische Staatsoper engagiert, wo sie bis 1970, später als Gast das Repertoire für tiefe Altstimme ausfüllte. 1970 konnte sie an die Bayerische Staatsoper wechseln. Ab 1976 war sie ständig an beiden Wiener Opernhäusern tätig. Sie gastierte in Berlin, Paris, Rom, Rio, San Francisco, in Osteuropa, bei den Salzburger, Münchner und Schwetzinger Festspielen, sang in den Uraufführungen von Egks Verlobung in San Domingo und Reutters Tod des Empedokles. Als Oratoriensängerin war sie europaweit gefragt. In Bayreuth trat sie 1962 und 1963 als Erda und Waltraute auf.

 

Paula Kapper (∗ 1903 ‑ † 1963) begann als Volontärin am Nationaltheater Mannheim, kam 1923 ans Staatstheater Darmstadt, wurde 1929 an die Stuttgarter Oper verpflichtet, wo sie mit der Titelpartie in der deutschen Erstaufführung von Dvoráks Rusalka einen gefeierten Einstand hatte. Wie viele ihrer Stuttgarter Kollegen blieb sie mehr als drei Jahrzehnte am berühmten Stuttgarter Haus, sang dort das ganze Lyrische und Jugendlich-dramatische Sopranfach, auch Operette. Ihr Repertoire reichte von Papagena bis zu Ariadne und sogar Kundry. Zeitweise war sie mit Gastvertrag auch der Berliner Staatsoper verbunden. Nach ihrem Abschied aus dem Stuttgarter Ensemble hatte sie bis 1962 noch einen Abendvertrag. Von 1946 bis 1962 war sie als Pädagogin an der Stuttgarter Musikhochschule tätig.

KUS

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© Klaus Ulrich Spiegel