Komische Oper in drei Akten
Dichtung vom Komponisten
Uraufführung: 31.12.1842 Leipzig, Altes Theater
Studioproduktion des Berliner Rundfunks
r. 1951 Berlin / Sendetermin 24.5.51
Leitung: Walter Schartner
Graf von Eberbach | Arno Schellenberg |
Die Gräfin, seine Gemahlin | Anneliese Müller |
Baron Kronthal | Gerhard Unger |
Baronin Freimann | Anny Schlemm |
Baculus, Schulmeister | Heinrich Pflanzl |
Gretchen, seine Braut | Sonja Schöner |
Nanette, Kammermädchen | Irmgard Arnold |
Pankratius, Haushofmeister | Manfred Schäffer |
Chor des Berliner Rundfunks
Radio-Sinfonieorchester Berlin
Der Schulmeister Baculus feiert seine Verlobung mit Gretchen. In diese Feier platzen Jäger des Grafen Eberbach und überbringen einen Brief, in dem Baculus mitgeteilt wird, dass er seines Postens enthoben sei, da er im Wald des Grafen für dieses Fest ohne Genehmigung einen Rehbock erlegt habe. Baculus erwägt, sein Gretchen beim Grafen für ihn vorsprechen zu lassen. Er verwirft diesen Gedanken jedoch schnell wieder, da er die Schwächen seines Herrn für junge Mädchen kennt. — Die Baronin Freimann, Schwester des Grafen, trifft ein. Sie ist erst kürzlich Witwe geworden und hat sich als Student verkleidet, um unerkannt durchs Land reisen zu können (Auf des Lebens raschen Wogen). Ihr Bruder möchte sie mit dem Baron Kronthal verheiraten. Sie aber will diesen erst einmal inkognito kennenlernen. Als die Baronin vom Unglück des Schulmeisters hört, bietet sie sich an, als Gretchen beim Grafen ein gutes Wort für ihn einzulegen. — Da erscheint der Graf mit seiner Jagdgesellschaft und dem als Stallburschen verkleideten Baron Kronthal beim Fest. Graf und Baron sind sogleich von den Mädchen entzückt, noch mehr aber von der als Gretchen kostümierten Baronin (Bin ein schlichtes Kind vom Lande). Der Graf lädt die ganze Gesellschaft für den kommenden Tag zu seinem Geburtstagsfest auf sein Schloss ein.
Die Gräfin Eberbach hat eine Schwäche für die Antike und deren Literatur, vor allem für Sophokles. Sie langweilt ihre Dienerschaft mit Vorlesungen aus dessen Tragödien. Haushofmeister Pancratius rät Baculus, er solle sich diese Schwäche der Gräfin zunutze machen. So beeindruckt Baculus die Gräfin mit antiken Zitaten. — Der Graf kommt dazu. Verärgert bekundet er, den Schulmeister nicht mehr wiedersehen zu wollen. Die Kündigung bleibt ebenso bestehen. In seiner Not holt Baculus die als Gretchen verkleidete Baronin zu Hilfe. Das wirkt. Der Baron umwirbt das schöne Bauernkind, auch der Graf hat inzwischen ein Auge auf das vermeintliche Gretchen geworfen. Wegen eines aufziehenden Unwetters überzeugt er Baculus und Gretchen, im Schloss zu übernachten. — Die Herren widmen sich einer Billardpartie (Ich habe Numero Un). Da geht plötzlich das Licht aus. Graf und Baron sehen ihre Chance gekommen, das vermeintliche Gretchen zu verführen. Diese flüchtet jedoch mit Hilfe der Gräfin in deren Schlafgemach. Der Baron handelt daraufhin mit Baculus ein Geschäft aus. Für 5000 Taler soll dieser sein Gretchen an den Baron abtreten. Eine überwältigend hohe Summe für den armen Schulmeister (Fünftausend Taler).
In bester Laune begrüßt der Graf den anbrechenden Morgen seines Geburtstags und erwartet die Gratulationscourt der Dorfbewohner (Heiterkeit und Fröhlichkeit). Baculus hat inzwischen das richtige Gretchen zum Schloss gebracht. Ihr gefällt die Aussicht, Baronin zu werden, gar nicht schlecht. Der Baron ist hingegen konsterniert: Er hatte sich auf das Gretchen von gestern gefreut. Baculus eröffnet ihm, das andere Gretchen vom Vortag sei in Wahrheit ein verkleideter Student gewesen. Als der Baron heftig Aufklärung begehrt, gibt sich die Baronin zu erkennen. Kaum ist sie allein, wird sie vom Grafen bedrängt. In diesem Augenblick erscheinen die Gräfin und der Baron. Sie verlangen Rechenschaft. So klären sich die Verkleidungswirren und Verwandtschaftsbeziehungen auf. Der Baron und die Baronin geben sich das Jawort. Baculus behält sein Gretchen und wird wieder in den Schuldienst eingestellt. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass er im Dunkel der Nacht anstatt eines Rehbocks seinen eigenen Esel erschoss.
Gustav Albert Lortzing (∗ 23.10.1801 – † 21.1.1851) gilt als Hauptrepräsentant der deutschen Spieloper. Sein Beitrag zur Musikhistorie prägte diese deutsche Variante der Opéra comique. Lortzing hatte ein kurzes, aber reiches und aktionserfülltes Leben. Er wurde nicht einmal 50 Jahre alt. Doch sein Wirken für Theater und Musik war nahezu universell: Er war Komponist, Librettist, Dirigent, Schauspieler, Sänger, Instrumentalist, Regisseur, zeitweise auch Kirchenmusiker.
Lortzing wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Doch 1811 entschlossen sich seine Eltern, Schauspieler zu werden. Mit ihrem einzigen Kind zogen sie 1812 nach Breslau und erlangten dort ein
gemeinsames Theater-Engagement. Ab hatten sie Engagements in Bamberg, dann Coburg, dann Straßburg, weiterhin in Baden-Baden und Freiburg. Im Kornhaus beim Freiburger Münster hatte der 12‑jährige
Albert seinen ersten Bühnenauftritt als Geschichtenerzähler in den Pausen. Er wurde vom entzückten Publikum
mit lebhaftem Beifall
belohnt. Ab 1817 gehörte Familie Lortzing zum Ensemble
von Derossi im Rheinland, das an den Bühnen von Bonn, Aachen, Düsseldorf, Köln und Barmen spielte. Rasch wurde der junge Künstler zum Publikumsliebling. Er spielte die Fächer Jugendlicher Liebhaber,
Naturbursche und Bonvivant. Bei vielen Gelegenheiten wurde er auch als Sänger gefordert — und gefeiert. Schließlich erhielt er eine musikalische Ausbildung beim Direktor der Berliner Singakademie,
dem Komponisten Carl Friedrich Rundhagen. Unter seiner Leitung sang er auch im Akademiechor.
Im Januar 1824 heiratete Lortzing die Schauspielerin Rosina Regina Ahles. Mit ihr hatte er elf Kinder. Ab Herbst 1826 gehörte das Ehepaar Lortzing zum Hoftheater Detmold. Mit dessen Ensemble hatte es auch Gastauftritte in nordwestdeutschen Städten. 1826 wurde Lortzing in die Freimaurerloge Zur Beständigkeit und Eintracht aufgenommen. Damit erwarb er einen Künstler-Freundeskreis, setzte sich aber auch neuen Unsicherheiten aus, denn die Freimaurerei wurde vom österreichischen Polizeistaat des Kanzlers Metternich verfolgt. In Detmold komponierte Lortzing u. a. ein Oratorium Die Himmelfahrt Christi, das bei Missbilligung des Regierungspräsidenten in Münster uraufgeführt wurde. In Detmold kam es, ungeachtet persönlicher Konflikte mit dem Dichter, auch zur Uraufführung des Dramas Don Juan und Faust, für das Lortzing eine Bühnenmusik geschrieben hatte. Er selbst trat darin als Don Juan auf.
1833 erlebten die Lortzings eine beachtlichen Aufstieg ins Ensemble des Stadttheaters Leipzig. Dort wurde Albert auch Mitglied des Künstlerclubs Pleissetunnel. 1834 schloss er sich der Loge Balduin zur Linde an. Wie überall avancierte Lortzing rasch zum Liebling des Leipziger Publikums. Seine Spezialität waren Komödienrollen von Johann Nestroy. Populär machte ihn vor allem ein genialisches Improvisationstalent. Da ihn dieses auf der Bühne oft zu Extempores und Textabweichungen verleitete, bekam er es bald mit der polizeilichen Theaterzensur zu tun.
Schließlich setzte sich der vielgeforderte Schauspieler als Opernschöpfer durch. Seine Oper Zar und Zimmermann, in deren Uraufführung am 22.12.1837 der
Autor und Komponist selbst den Peter Iwanow sang, war ein Achtungserfolg. Die Berliner Aufführung 1839 wurde dann ein umjubelter Durchbruch zur Theaterprominenz. 1844 wurde Lortzing Kapellmeister am
Stadttheater Leipzig. Doch im April 1845 wurde er entlassen — mit dem Scheingrund rheumatischer Beschwerden
, gegen Proteste von Publikum und Ensemble. Seine Prominenz trug ihn schließlich 1847
ins nicht weniger ansehnliche Engagement als Kapellmeister am Theater an der Wien in der Donaumetropole. 1848 schrieb er die politische Freiheitsoper Regina,
in der es erstmals auf der Opernbühne um Arbeiterkampf und Streik geht. Sodann 1849 Rolands Knappen, eine Satire auf den Militärstaat. 1848 verlor Lortzing
auch die Wiener Position. Um mit seiner großen Familie zu überleben, musste er wieder an diversen Bühnen als Schauspieler arbeiten. 1850 aber wurde er erneut Kapellmeister am neuen
Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin.
Die in Krisenzeiten aufgehäuften Schulden blieben ihm. Die extreme Arbeitsfülle schwächte seine physischen Kräfte. Am 21. Januar 1851 starb er entkräftet an einer Infektionskrankheit. Das musikalisch-theatralische Berlin trauerte. Bei seiner Beisetzung in schwarz-rot-gold bedecktem Sarg erschienen Giacomo Meyerbeer, Carl Friedrich Rundhagen, Heinrich Dorn, Wilhelm Taubert und Hunderte Berliner Kulturschaffende, Schauspieler, Sänger, Musiker.
Ähnlich den Giganten Wagner und Berlioz verfasste Albert Lortzing seine Opern-Libretti durchwegs selbst. Dabei verwendete er meist Bühnenstoffe, die ihre Tauglichkeit schon bewiesen hatten, die er für seine Projekte nur um- und ausbauen musste — so bei Zar und Zimmermann, Waffenschmied, Undine. Auch Der Wildschütz beruht auf einem erfolgreich gewesenen Bühnenstück, Kotzebues Lustspiel Der Rehbock von 1815. Dieser Vorlage fügte er die damalige Antiken-Mode (populär seit Mendelssohns Erfolg Antigone) ein. Auch die brillante Billard-Szene ist ein eigenständiger Beitrag des Komponisten-Librettisten Lortzing.
Wie alle Werke Lortzings beruht auch Der Wildschütz auf Verkleidung, Verwechslung, Verstellung, Rollenspiel, also auf Grundelementen des Theaters schlechthin. Gerade in diesem Werk gelingt eine musikalische Komödie mit gesellschaftlichen Seitenhieben auf den noch absolutistischen Adel im Biedermeier. Trotz der kaum verdeckten Gesellschaftskritik ist das Werk eine leicht verständliche, heiter-pulsierende, amüsante Komödie mit romantischem Kolorit, lockerem Konversationsflair, Herzenstönen und karikierenden Akzentsetzungen. Die Musik klingt während des ganzen Handlungsablaufs locker und heiter, vielfach bodenständig-prall, doch phasenweise geradezu brillant. Das Werk gilt als meisterlichste Musikkomödie des universellen Lortzing. Mit ihm kommt er der Opera buffa mit ihrer Ensemblekunst am nächsten.
Diese Wildschütz-Funkproduktion beweist wie zahlreiche Editionen vor ihr, dass die umfassenden Beiträge der Rundfunkanstalten des deutschen Sprachraums
nach dem Weltkrieg mit ihrer heute unschätzbaren Bestandssicherung einer ganzen Ära öffentlicher Kulturpflege keineswegs auf den westlichen
Wirkungsraum beschränkt waren. Ein Großteil
wichtiger deutscher Musiker, Dirigenten, Sänger wie auch Orchester und Chöre blieben an den zerstörten Traditionsplätzen aktiv, großenteils in Notquartieren, in kaum zumutbaren Arbeitsverhältnissen,
doch oft gestützt und belebt durch die vielfältige neue Rundfunklandschaft.
Der Osten Berlins, später die Hauptstadt der DDR, bezog in diese Arbeit zahlreiche Zeugen der legendären Opern- und Konzerttradition von Berlin, Dresden, Leipzig, Halle, Weimar ein. Heimkehrende Exilanten und Nazi-Opfer fanden in die regionale Kulturarbeit zurück. So entstanden, neben einem erwachenden Theater- und Konzertbetrieb, unschätzbar wertvolle Dokumentationen eines bis heute gültigen (das Heute oft übertreffenden) Interpretationsniveaus. Dabei addierten sich Vorkriegsstars und Neuentdeckungen, Arrivierte und Vergessene zu einem Aufbruch, der Überleben begründete und Hoffnungen weckte.
Johannes Eugen Walter Schartner (∗ 1894 – † 1970) stammte aus Berlin. Er war Komponist, Pianist und Dirigent. Sein Musikstudium absolvierte er am Sternschen
Konservatorium in Berlin, wo auch Bruno Walter ausgebildet worden war. Schon im Mai 1916 debütierte er in Königsberg am Dirigentenpult mit Webers Euryanthe.
Nach dem Königsberger Engagement wechselte er an die Stadttheater von Münster/Westf., Bremerhaven und Görlitz. In Görlitz avancierte er zum Musikdirektor. In den 1930er Jahren führte er das
Görlitzer Orchester zu bemerkenswert hohem künstlerischem Niveau
(wie es in einer Rezension hieß), so dass er mit ihm viele Konzert- und Operngastspiele geben konnte. 1945 wurde Schartner als
Direktor an die Hochschule für Musik in Dresden berufen und übernahm die Leitung der Dresdner Philharmonie. Bereits ein Jahr später wurde er ans Theater von Halle/Saale berufen, wo auch seine Oper
Und Pippa tanzt nach Gerhart Hauptmann aufgeführt wurde. Schartner wurde zum Generalmusikdirektor ernannt und war Chefdirigent des Philharmonischen
Staatsorchesters Halle. Von 1950 bis 1951 war er Kapellmeister der Hofkapelle und Dirigent des Loh-Orchesters Sondershausen, dazu Leiter der Dirigentenklasse an der Hochschule für Musik in Weimar.
1951 wurde er Chefdirigent beim Berliner Rundfunk. Nach dem Aufstand von 1953 reiste er nach Westdeutschland aus und wurde musikalischer Leiter der Frankfurter
Operngastspiele, eines staatlichen Tourneeprojekts, mit der er in ganz Hessen gastierte. Schartner komponierte mehrere Opern, Orchesterwerke und Lieder. Tondokumente von ihm finden sich in
Rundfunkarchiven. Bekannt ist vor allem die Einspielung der Oper Regina von Albert Lortzing. Aufnahmen vom Rundfunk der DDR erschienen u. a. bei der
amerikanischen Urania.
Arno Schellenberg (∗ 1903 – † 1983) war einer der angesehensten deutschen Baritone der 1930er bis 1960er Jahre. Vor allem in Dresden erreichte seine
Popularität Dimensionen weit über das Opernleben hinaus. Er kam spät zum Gesangsstudium, u. a. an der Hochschule für Musik in Berlin bei dem bedeutenden Bassbariton Julius von Raatz-Brockmann. Schon
während seiner Ausbildung trat Schellenberg als professioneller Sänger auf, so 1928 in der Titelrolle von Marschners Hans Heiling. Sein offizielles
Bühnendebüt gab er 1929 am Opernhaus Düsseldorf. Bis 1932 sang er auch an der Kölner und der Königsberger Oper. Dann verpflichtete ihn der große Fritz Busch an die Dresdner Semperoper, wo
Schellenberg neben Robert Burg und Paul Schöffler in die erste Bariton-Phalanx aufrückte. Als jüngster Sänger seiner Generation wurde er bald zum Sächsischen Kammersänger ernannt. In Dresden sang er
ein breites Fach vom Lyrischen und Kavalierbariton bis zu dramatischen Charakterpartien, wurde in Platten- und Radio-Studios geholt, betätigte sich als Oratorien- und Liedsänger. Nach der
Totalzerstörung im Weltkrieg engagierte er sich sofort für die Wiederbelebung des Dresdner Musikbetriebs. In der ersten Nachkriegs-Opernaufführung, Mozarts Figaro, gab er den Conte Almaviva. Bis 1949 blieb er an der Semperoper, gab aber auch Gastspiele, so in Berlin und Westdeutschland, Österreich, Italien. Während seine
Karriere weiterging, übernahm er ab 1950 eine Professur an der Hochschule Hanns Eisler
in Ostberlin, nach seinem Bühnenabschied 1966 an der Hochschule Carl Maria von Weber
in Dresden.
Sein bekanntester Schüler war der Tenor Reiner Goldberg. 1968 ernannte ihn die Dresdner Oper zum Ehrenmitglied. In Dresden-Nickern ist eine Straße nach ihm benannt. Sein nicht allzu umfangreicher
Nachlass an Tondokumenten reiht ihn ein unter die führenden Repräsentanten deutscher Baritonschule wie Schlusnus, Rehkemper, Ziegler, Hüsch, Schmitt-Walter.
Anny Schlemm (∗ 1929) kam in Neu-Isenburg (Südhessen) als Tochter eines Choristen der Frankfurter Oper zur Welt. Der Vater wechselte 1941 ans Opernhaus Halle (Saale), wo Anny ihre entscheidenden kulturellen Eindrücke empfing. In Halle erhielt sie auch ihre erste Gesangsausbildung. Am dortigen Theater debütierte sie 1946 als Bastienne in Mozarts Singspiel und kam als Soubrette-Elevin ins Ensemble. Zwei Jahre darauf engagierten zwei bedeutende Intendanten die junge Sopranistin nach Berlin: Ernst Legal an die Staatsoper, Walter Felsenstein an die Komische Oper. Bis 1951 gehört die Schlemm außerdem zum Ensemble der Kölner Oper. 1953 ging sie eine feste Bindung ans Opernhaus Frankfurt/M. ein und blieb diesem Haus für mehr als 40 Jahre treu — ungeachtet ständiger Gastspiele, Konzerte, Rundfunk- und Schallplattenproduktionen und Auftritte in der ganzen Welt, so in München, Stuttgart, Hannover, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Dresden, Wien, Amsterdam, Genf, Paris, London, Stockholm, Moskau, Toronto, San Francisco, bei den Festivals von Schwetzingen, Edinburgh und Glyndebourne, dann bei den Bayreuther Festspielen. Ihr Repertoire schien grenzenlos, umgriff nahezu alle Fächer, spannte sich bis ins hochdramatische Charakterfach und sogar in Mezzo- und Alt-Regionen. Es reichte von Monteverdi bis John Cage. Sie begann als Spielsopran und Leggiera, eroberte die Lirica-Partien, dann die Jugendlich-Dramatischen, schließlich zahlreiche Charaktergestalten im deutschen, italofranzösischen, slawischen Repertoire, von Zerlina und Cherubino bis Ulrica, Klythämnestra, Herodias, Küsterin, Quickly, Gräfin in Pique Dame und Mutter in Fortners Bluthochzeit. In den 1950/60ern war Anny Schlemm zudem die wohl meistbeschäftigte Operettendiva in Aufnahmen eines universalen Operettenrepertoires — ihre Einspielungen gelten als Sternstunden der Operettenkunst. Sie war dreifache Kammersängerin, Ehrenmitglied der Opernhäuser Frankfurt und Halle wie der Komischen Oper Berlin und Ehrenbürgerin ihrer Geburtsstadt Neu-Isenburg. Insgesamt verkörperte sie mehr als 135 Partien. Erst 2003, nach fast 60 Jahren Karriere ohne Brüche, zog sie sich von der Bühne zurück, in den Dimensionen ihres Bühnenwirkens noch über Opernlegenden wie Mödl, Varnay, Rysanek hinausreichend. Im Jahr 2000 wurde sie mit dem Joana-Maria-Gorvin-Preis für Bühnendarstellung ausgezeichnet. Ein Förderpreis für Sänger trägt ihren Namen.
Gerhard Unger (∗ 1916 – † 2011) gehörte zu den liebenswürdigsten deutschen Tenören — mit spezifischem Rollenspektrum und einer der längsten Karrieren. Er stammte aus Thüringen, studierte an der Musikhochschule Berlin, musste kriegsbedingt lange auf ein Bühnendebüt warten. Bis 1947 arbeitete er als Konzert- und Oratoriensänger. Er konnte schließlich am Nationaltheater Weimar debütieren und mit Tamino, Ferrando, Fenton, Chateauneuf, Eberbach, Nemorino, Ernesto, Alfredo, Linkerton usw. ein Basisrepertoire als Lirico erarbeiten: Mit einem Debüt-Auftritt als David in den Meistersingern machte er auch überregional Furore. Sogleich folgten Engagements an die großen Opernhäuser, erst an die Berliner Staatsoper, dann nach Dresden und Wien, später München und besonders dauerhaft Stuttgart. Sein Ruf als führender Vertreter des leichten und Charaktertenorfachs war einzigartig; in den 1950/60ern schien es kaum eine gleichrangige Alternativbesetzung zu geben. Daneben sang er weiter lyrische Partien, vom Ferrando bis zum Sänger im Rosenkavalier. Unger wirkte 1951 als David bei der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele mit, kam rasch zu Plattenaufnahmen bei EMI, so als Pedrillo in der Entführung, einer Partie, die er in den 1950/60/70ern bei den Salzburger Festspielen präsentieren konnte. David und Pedrillo soll er jeweils mehr als 500 Mal live gesungen haben. Er gilt, neben Kuen, Stolze, Wohlfahrt als der führende deutsche Spieltenor seiner Epoche, ist u. a. auch als Jacquino, Brighella, Valzacchi, Monostatos, Hauptmann, Skuratov dokumentiert. Eine seiner unvergleichlichen Leistungen erbrachte er in späteren Jahren als Mime in Wagners Siegfried. Mit so präzise wie klangschön gesungenen Partien aus einem schier unerschöpflichen Repertoire, darunter auch Orffs Carmina Burana oder Honeggers Jeanne d’Arc, gastierte er weltweit mit größtem Erfolg. Auch als Bach- und Oratoriensänger galt er als erste Wahl.
Heinrich Pflanzl (∗ 1903 – † 1978) war einer der raren Vertreter des Fachs zwischen den Fächern
— als Charakter- und Spielbass universell
bewährt. Er wurde in Salzburg geboren und an der Musikhochschule Wien ausgebildet. Sein Debüt fand 1929 als Beckmesser am Stadttheater Bern statt. Er war Ensemblemitglied in Breslau (ab 1930),
Nürnberg (ab 1936), Kassel (ab 1939). 1942 wurde er Mitglied der Dresdner Semperoper, wo er bis 1947 fest engagiert blieb und in Uraufführungen von Sutermeister, Haas und Blacher mitwirkte. Ab 1948
war er als freier Gaststar an den Staatsopern Wien, Berlin, Stuttgart, in Italien und Spanien tätig. 1951/52/53 war er beim Neubeginn der Bayreuther Festspiele als Alberich, Beckmesser, und Kothner
beteiligt. 1953 trat er bei den Salzburger Festspielen auf, 1955 bei der Wiedereröffnung der Berliner Lindenoper als Beckmesser. Bis 1973 wirkte er als Gesangspädagoge am Salzburger Mozarteum. Seine
Domäne waren die Bassbuffo-Partien von Mozart, Haydn, Cimarosa, Rossini, Donizetti, Cornelius bis zu den Charakterfiguren von Wagner, Strauss und der deutschen Spieloper.
Sonja Schöner (∗ 1929), Berlinerin, stand schon mit 19 auf einer führenden Opernbühne: Walter Felsensteins Komischer Oper Berlin. Sie begann dort ihre Laufbahn erst als Koloratur-Soubrette, dann als Lyrischer Sopran. Bald trat sie auch an der Berliner Staatsoper auf, schließlich viele Jahre als Gast im Westsektor an der Städtischen Oper Berlin. 1960 unternahm sie eine Tournee durch die Sowjetunion. Bis 1961 war sie Ensemblemitglied der Komischen Oper. 1962 nahm sie ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik, wo sie schon ab 1957 am Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz aufgetreten war. Über zahlreiche Rundfunkaufnahmen und sogar in Filmrollen wurde sie rasch populär, vor allem als Soprano lirico-leggiero und als Operettendiva. Bei Eterna im Osten und bei Telefunken im Westen Deutschlands konnte sie viele Schallplattenaufnahmen in unterschiedlichen Genres machen. 1962 bis 1968 war sie fest am Opernhaus Frankfurt/M. engagiert. Sie gastierte an vielen Bühnen des deutschen Sprachraums und im westeuropäischen Ausland. Zu ihren zentralen Partien zählten Mozarts Zerlina und Blonde, Beethovens Marzelline, Lortzings Marie, Cornelius’ Margiana, Puccinis Musetta und Lauretta, dazu eine Vielzahl von Operettenrollen, u. a. in Offenbachs Pariser Leben und Orpheus in der Unterwelt, Strauß’ Fledermaus und Zigeunerbaron, Zellers Vogelhändler und Werken von Lehár und Kalmán. Schöner war mit dem Bariton Walter Dicks verheiratet. In ihrer medialen Glanzzeit gehörte sie zu den beliebtesten deutschen Sopranen, vergleichbar mit Anneliese Rothenberger.
Anneliese Müller (∗ 1911 – † 2011) war eine der meistbeschäftigten Altistinnen des deutschen Sprachraums in den 1940er bis 1960er Jahren. Über ihre Herkunft und Jugend ist kaum etwas bekannt. Auf der Musikbühne wurde sie tätig als Chorsängerin in Halberstadt, erlangte nach wenigen Monaten 1939 einen Solistinnenvertrag, blieb vier Spielzeiten, während derer sie bereits an großen deutschen Opernhäusern gastierte. 1945 wurde sie an die Berliner Staatsoper verpflichtet und sofort in Hauptpartien, so als Coverbesetzung für Margarete Klose, eingesetzt. Zur Wiedereröffnung des Hauses nach Kriegsende sang sie neben Tiana Lemnitz die Titelpartie in Glucks Orpheus. Sie trat an allen drei Berliner Opernhäusern auf, kam zu vielen Radio- und Plattenproduktionen. Unter ihren Stammrollen waren Dorabella, Marcellina, Brangäne, Magdalene, Floßhilde, Hänsel, Nicklaus, Bostana, Suzuki, Geneviève, Olga, Ramir, Pauline, Prinz Orlofsky, schließlich sogar Octavian im Rosenkavalier. Sie wirkte in der deutschen Erstaufführung von Rimskij-Korssakovs Sadko und in der Uraufführung von Schwaens Büchner-Oper Leonce und Lena mit. Die DDR verlieh ihr den Titel Kammersängerin. 1966 nahm sie ihren Bühnenabschied. Sie hinterließ wenige, aber schöne Aufnahmen, von Händel bis Offenbach.
Irmgard Arnold (∗ 1919) war eine der beliebtesten Opernsoprane des Nachkriegs-Berlin. Sie hatte in München bei Mario Bassani studiert und 1939 an den Bayerischen Landesbühnen als Briefchristl in Zellers Vogelhändler debütiert. Mehrere Jahre war sie als Soubrette tätig: bis 1946 in Augsburg, bis 1949 in Halle. Dann wurde sie von Walter Felsenstein an die Komische Oper Berlin verpflichtet. Unter seiner Führung wechselte sie hier zu Partien für Dramatischen Koloratursopran, bis zu Violetta in Verdis La Traviata. In Felsensteins Inszenierung des Schlauen Füchslein von Leoš Janáček (1956) verkörperte Arnold die Titelpartie. Als letzte Hauptrolle an der Komischen Oper spielte sie bis in die 1980er Jahre neben dem populären Bariton Rudolf Asmus als Tevje die Golde in Anatevka. Später wurde sie als Diseuse, vor allem als Interpretin von Brecht und Eisler bekannt.
KUS