(Wagner-Forum & Tamino-Forum / ab 2010 ff. / Auswahl)
Zum Einträger „Rheingold“ – Zitat:
„Mir ist inzwischen völlig egal
..." und
"Lasst doch den Leuten ihren zweifelhaften
Spaß"
Liebe(r) Rheingold - da muss ich widersprechen:
Gerade weil ich die Erlebnisbeispiele, die Sie anführen, aus tiefem Eigenerin-
nern nur bestätigen kann, ist mir's nicht egal. was die nackten Kaiser machen,
in Bayreuth noch weniger als flächendeckend auf deutschen Opern- und Theaterbühnen - und vor allem dort, dass wir uns nur verstehen, denn in Frankreich, Italien, auch England, von Übersee nicht zu
reden, da würden solche Hochstapler und Nichtswisser nicht rangelassen, an ausgewählt-bestimmten Plätzen der Kulturpflege gar von der Rampe gefegt, wie in Montpellier, Rom, Edinburgh, NYC
geschehen.
Ich möchte einerseits daran erinnern, dass sich mit den Werken, die ihnen
unter die Finger kommen eine große wunderbare nicht nur Werk-, sondern
auch Rezeptions- und Erkenntnisgeschichte verbindet, mitgetragen von bedeutenden Dirigenten, Szenikern, Sängerinnen und Sängern, die uns
Maßstäbe vermittelt haben und ein Vermächtnis hinterließen. Zum anderen
gebe ich zu bedenken: Bayreuth wie alle anderen Theater in öffentlicher Träger-schaft genießen (und vertobaken) Jahr um Jahr Millionen-Zuschüsse, wären
ohne Bürgergelder, verteilt über Kultusbehörden, Volksvertretungen und Finanzbürokratien, überhaupt nicht lebensfähig, da sollte es uns schon inter-essieren, was mit diesen Ressourcen
geschieht.
Um mich keinem Falschverdacht auszusetzen: Ich bin entschiedener Anhänger des deutsch-europäischen Trägersystems und
seiner demokratisch fundierten Strukturen, halte gar nichts davon, Bankern, Industriellen und anderen Groß- geldpropriateuren die Finanzierung und damit Ermöglichung der öffentlichen Kultur zu
überlassen und in ein (natürlich wiederum steuerlich absetzbares,
also im Effekt dann doch vom Steuerzahler getragenes) "Sponsoring"-Wesen münden bzw. fallen zu lassen - in dem dann subjektiv ermessensbefugt, also nach Einstellung, Laune und Lust entscheidende
Kapitalbesitzer verfügen können, was in der Kunst- und Kulturpflege/ -interpretation/-produktion geht und was nicht. Mir steht das weithin ungute, lang erlebte Berliner Beispiel Dussmann vor
erinnernden Sinnen.
Aber: Ein engagiertes Publikum, durch Kenntnis, Erfahrung und - ja auch:
Liebe zum Kunstwerk so motiviert wie legitimiert, sollte sich nicht wehrlos,
nicht ohnmächtig, nicht resignativ den heftig normierenden Kräften des Faktischen (faktisch? Nein: Durch Hinnahme, Trotzdem-Hinfahren, "sündhaft teuer" Bezahlen und Gleichmut-Zyne-Zeigen erst auf
Dauer ermöglicht!) ergeben, sondern so lautstark wie möglich dagegen aufbegehren. Ein erster Ansatz ist artikulierter Widerspruch an die käuflich-opportunistischen Medien und ihre
Lohnschreibe-Brembecks, ein anderer der Protest an Ort und Stelle, ein dritter die Kündigung von Abonnements, wenn schon gezielte Steuerverweige- rung nicht möglich ist (wie zumindest teilweise bem
Protest gegen subven-tionierte Aberglaubenshüter per Kirchenaustritt), vor allem aber die nichtteil-nehmende Verweigerung. Natürlich bleiben das zunächst mal die in der Geld- und Mediengesellschaft
negier- und verhöhnbaren Spuren im Sand. Aber hier könnte gelten und wirksam werden, was noch die Arbeiterbewegung der Vorjahrhundertwende wusste: Einen Finger kann man brechen, fünf Finger
sind
eine Faust. Auf unser Thema bezogen: Eine Stimme kann man niedertönen, Tausende Stimmen sind ein Sturm.
Drum kann ich mich – selbst auch so etwas wie ein "Wagnerianer" (wenn auch vielleicht in anderer Bedeutung des
Begriffs, aber doch vom Nachkriegsbayreuth als Studiosus und Stipendiat u.a. bei Wieland nachhaltig geprägt) – unserem Operus diesmal nicht anschließen: Gerade weil ich dem Werk treu verbunden bin,
nehme ich an seiner allsommerlichen (und im Anschluss alltäglichen) Verramschung und Zertrümerung durch angemaßte Nichtwisser, Nichtskönner, dreiste Ausbeuter, widerwärtige Abkocher ... und ihre
Hofschranzen nicht teil. Ich wünsche mir viele mit gleicher Motivation und ähnlichen Folgerungen. Nur dann nämlich wäre - vielleicht - der Trend irgendwann zu brechen oder doch zu dämmen. Leider bin
ich kein Stets-Heiter-Gestimmter - denn die Preisgabe des Erbärmlichen an homerische Lächerlichkeit wäre natürlich die effizienteste Strategie gegen die Übermächte des
Verdummungsboulevards.
Saluti cordiali all'amici de la musica scenica vera - vom
KUS
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Ein sogenannter
"Tannhäuser" in Bayreuth 2011
Graus und Schickeria
Am Freitagabend, 22. Juli, habe ich mir gegen 23.30 Uhr im ZDF in "aspekte" einen
vollkommen wirren, mit Null Deutungs-Aussagen behafteten Feature-Beitrag über den neuen Bayreuther Tannhäuser reingezogen. Das Elend, das inzwischen selbst angesehenste Kultur-Magazine
erfasst hat, offenbarte sich bereits in der Anmoderation der m.W. bisher als kenntnisreich & souverän besprochen gewesenen Studiodame Luzia Braun. Die sagte an:
"Wagners Tannhäuser präsentiert einen Sängerwettstreit auf der Wartburg, der
darum geht, wer von den Minnesängern die Fürstin Elisabeth heiraten darf“ – Aha! Man war also fundiert auf Schlimmes vorbereitet.
Dann kam ein "Interview" mit dem so apostrophierten Regisseur S. Baumgarten (als Tannhäuser-kompetent lt.
Off-Stimme schon dadurch ausgewiesen, dass sein Vater oder Opa oder Onkel mal eine Rolle – Dramaturg, Inspizient o.ä. – an der Berliner Lindenoper innegehabt habe): jung noch, schnöselig, reichlich
zerstreut, inkonsistent und fahrig wirkend. Er hatte zum Interview in die Berliner Akade- mie der Künste (Pariser Platz am Brandenburger Tor) geladen, weil "die Archi-tektur so neu, clean,
perfektionistisch-transparent" sei, und weil sich "hinter einer so glatten, sterilen Architektur immer Haufen von Dreck verstecken". Diesen "Dreck wegzufegen", sei "die Aufgabe der
Kunst". Sonstiges Gerede war inhaltlich nicht zu verstehen; noch weniger: was das mit "Tannhäuser" zu tun haben könnte.
Dann Überblendung nach Bayreuth. Nach dem Vorjahres-"Lohengrin" von Neuenfels mit brabandtischen Damen & Mannen
im Laborratten-Outfit und -Ambiente, spielt der dortige neue "Tannhäuser" nun in oder auf oder an einer Art Müllkraftwerk-Binnenszenerie (DIE ZEIT: "Ramstein in Bayreuth ... grob gesagt eine Art
Recyclingzentrum mit Alkoholaufbereitungsanlage"). Die hat eine Seiteneingangstür, kann also betreten werden, was Elisabeth gern nutzt, wenn sie "sich aus Leid oder Bedrängtsein von der Szene
zurückziehen will".
Das KW-Interieur ist blau, matt lackiert, die Szene taghell, auch im 3. Aufzug, wenn Wolfram sein "Lied an den Abendstern" nicht etwa an denselben, sondern an eine mürrische hochschwangere Matrone
richtet. Vor dem KW-Zylinder tun die Wartburg-Edlen, na was? Klar doch: Mit Riesenbesen fegen sie die Bühne –
s. oben (weil die Festspielhaus-Architektur von 1875 so glatt, steril und trans-parent ist ??).
Man sieht noch, dass im 3. Akt-Finale, wenn Tannhäusers Erlösung durch die Himmelfahrt der "Jungfrau, deren Blüte
..." von Chören mitgeteilt und gepriesen wird, die zuvor schwangerleibig gepolsterte Matrone (= Elisabeth?) einen Käthe-Kruse-Säugling präsentiert: "Heilige Elisabeth, bitte für ..." – die
Wagner-Sisters? den Wieder-mal-PKW-Regisseur? Doch wohl für PR-Success und Feuilleton-Geschwurbel. Ich freue mich schon auf den (lt. Selbstanzeige) „Experten für Kunstgesang“ Dr. Brembeck im
SZ-Feuilleton , der uns doch nicht etwa mit
dem Kollegen Egbert Tholl im Juliregen stehen lassen wird?
Die Ausschnitt-Fetzen sind natürlich nur Voraus-Hinweise, ergeben kein Gesamtbild, lassen aber ahnen, was sich da
wieder begibt. Eine Deutung, wenigstens ein paar eine Denkrichtung andeutendende Stichworte, gab es im gesamten ZDF-Beitrag so wenig wie im einleitenden "Interview". Offen bleibt darum zunächst auch
die Frage, wer vom Minnesänger-Team denn nun die Fürstin "heiraten darf" (erotisch oder karrieristisch oder gar religiös motiviert kann er angesichts dieses Preises in dieser Zurichtung kaum
sein).
Bleibt nachzutragen, dass der Dirigier-"Spezialist für historische Musik-Aufführungspraxis" Hengelbrock sein
Hügel-Debüt gibt. Ob er schon mal Wagner dirigiert hat, entzieht sich meiner Kenntnis: Falls JA, wäre das natürlich angesichts heutiger Berufungs-Moden ein erheblicher Malus für ein Bayreuth-Debüt.
Soweit man Sängerstimmen hören konnte, lässt sich ein solides Klangbild und anständige Rollenbewältigung erwarten – mehr wohl nicht, doch selbst das ist ja schon lange-lange keine Normalität mehr im
Urenkelinnen-Bayreuth.
Wieland mag im Grabe rotieren, WoWa hat's durch jahrelanges charakterloses liebedienerisches
Wurst-nach-der-Boulevardspeckseite-Werfen vorbereitet. Eine auf den Hund gekommene "Fach"-Kritik sorgt für Jubelsteigerungen des Unver-daulichen ins Unendliche. Und da sagt mir mein ältester
Herzensfreund, Dr. Detlef Krumme in Berlin, im Kosmos der Musikbühnenarbeit weltweit seit über vier Jahrzehnten so ubiquitär wie universell be- und gelehrt: Das Elend des sog. "zeitgenössischen
Regietheaters" sei doch seit Langem out, längst im Abseits, auf dem Weg in den Orkus, eigentlich schon beendet. Anderswo sehe man es doch nur noch als Lächerlichkeit an.
Tja, vielleicht ist's das! Buhstürme gelten als Erfolg. Zweck der rotzfrechen Dummbeutel-Szenikerei ist es, ein Publikum ordentlich zu verarschen und ins Gemächt zu treten und sich über etwaigen
Jubel auszuschütten, hingegen allfällige lautstarke Ablehnung als Bestätigung zu genießen. Nun, in Bayreuth ging es damit vor etwa 10 Jahren trendkrönend los, in München steht es jetzt erst richtig
bevor – opportunistisch, peinlich, ekelhaft, meist überdies sinn- und erkenntnisfrei. Wann kommt das Kind, das diese Kaiser als nackt deklariert, aus dem Winkel der Verzweifung in die
Feuilletons?
Merkel ist wieder dabei. Und Westerwelle. Und Margot Werner, Gloria von Tumb und Texas, Th. Gottschalk, "Kaiser
Franz", Markwort+Riekel – die ganze Blase.
Auf impressives Grauen grüßt Euch der KUS
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Apropos SZ-Musikexperte: Dr. Brembeck
Man wird bescheidener.
Aber alles muss man nicht schlucken!
Wer mehr möchte, kann sich heute in der Süddeutschen an Neuem delektieren: Dr. Brembeck
enttäuscht uns nicht. Er ist bereits in Bayreuth, hat im Festspiel- haus herumgeschnuppert, sich von den Sisters einen lieben Gruß zuwinken lassen, mit Akteuren über Orchestergraben und Szenik
geplaudert. Er bringt
uns nahezu ganzseitig ganz neue Wissensinhalte über die Bayreuth-Architektur, -Akustik und -Dirigierproblematik zur Kenntnis (das erspart dem Noch-nicht-Informierten unter den
SZ-Feuilletonkonsumenten die Lektüre ganzer Fach- bücher) – und macht sich Gedanken darüber, wo im Zuschauerraum Frau Dr. Merkel Platz nehmen und welche Impressionen sie auf welche Weise
meinend-fühlend wohl umsetzen werde (er schreibt "würde"). Wir dürfen uns also auf neue schöne Stücke fachkompetenter Beurteilungsschreibe freuen.
Ab morgen. Videant Musici!
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Zwei fachkundige Korrespondenz-Freunde machen mich darauf aufmerksam, dass der
Bayreuther „Tannhäuser“-Zurichter Sebastian Baumgarten ein Enkel
des bedeutenden Cembalisten, lehrenden Musikwissenschaftlers, zeitwei ligen Intendanten der Berliner Staatsoper zu DDR-Zeiten – Hans Pischner – sei*).
Dem gilt meine Reverenza, und ich bedauere die in Unkenntnis gewählten schnoddrigen Bemerkungen in diesem Detailpunkt – sie galten dem weit vom Stamm gerollten Äpfelchen und keineswegs dem
Stamm, von dem es gefallen. Von dem aber ist zu sagen, dass er ein Musiker der traditionellen Maßstäbe und Wertsetzungen war. Ist es nicht bezeichnend, dass er zwar als Vorfahr des wichtigen
Jung-Regisseurs und „an der Lindenoper tätig gewesen“ erwähnt, aber ungeachtet seiner tatsächlichen Bedeutung und Prominenz nicht mal mit Namen genannt wird, wenn öffentlich-rechtliche
Kulturfeaturisten auf die Mattscheibe gehen? Pischner soll, über 90jährig, noch unter dem Lebenden sein. Möge ihm die Karriere des Nachkommen keine allzu schwere Last sein!
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*) Nachtrag Oktober
2016:
Hans Pischner gestorben Im 103. Lebensjahr ist der Cembalist Hans Pischner am 15.10.2016 in Berlin verstorben. Nach der Rückkehr aus der
Kriegsgefangenschaft unterrichtete er an der Hochschule für Musik in Weimar und arbeitete als Leiter der Hauptabteilung Musik im Rundfunk der DDR, bevor er 1954 von Johannes R. Becher ins
Kulturministerium geholt wurde. Hier fungierte er in seinem Fachbereich Musik von 1956 bis 1963 auch als stell-vertretender Minister. Im Jahr 1963 übernahm er für zwei Jahrzehnte die Intendanz der
Deutschen Staatsoper Berlin (heute Staatsoper Unter den Linden). Als Intendant förderte er den Nachwuchs und konnte ausländische Künstler an das Haus binden, das damit auch international an Bedeutung
gewann. Pischner ebnete der Musik des 20. Jahrhunderts den Weg, führte etwa Werke von Dmitri Schostakowitsch oder Paul Dessau erfolgreich auf. Seine Liebe galt jedoch den Barockkomponisten
Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel, deren Werke er als Cembalist in der ganzen Welt interpretierte. Pischner, der in den 80er Jahren Mitglied des ZK der SED war, engagierte sich seit
den
1990er Jahren in vielen Funktionen unter anderem für die Nachwuchsförderung und trat bis zuletzt öffentlich für eine weitsichtige Kulturpolitik ein. (fbh / jW 18.10.16)
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Spannend fand ich eine Zuschrift des mir sehr lieben und
vielrespektierten älteren Compagno-Kommunikators Einhard Luther – Zeit- und Heroenbiograph der dahingegangenen Epoche großer Wagnertenöre, Kenner der Opern- und Gesangsgeschichte im
Allgemeinen und Spezialist wie auch ressourcenstarker Archivar der Berliner Opern und ihrer Macher im 20. Jahrhundert im Besonderen – zur Causa „Zeitgenössisches Regietheater“ bzw. was dafür gilt.
Mit seiner Genehmigung ein Textauszug, pointiert-subjektiv (er weiß, dass ich durch Wieland überhaupt opern-sozialisiert worden bin) und darum diskurs-animativ.
Ecco:
..... Um im Tannhäuser-Stil zu bleiben: Auch ich muss mich so glücklos
nennen,
zu schaun, was, Guter, du geschaut! ... Schon seit Jahrzehnten bei Wagner-Inszenierungen: Für mich läuft das alles unter "Sachbeschädigung". Ich will zugeben, schon vom heiligen Wieland an. Dem
geschieht eigentlich recht, wenn er jetzt im Grabe rotiert. Wenn das nicht nur eine Redensart wäre, dann würden wir schon seit einem halben Jahrhundert in einem gefährlichen Erdbeben-Gebiet leben,
wegen der vielen Grab-Rotierer, angefangen vom Meister selbst, über Sohn Siegfried bis zu Tietjen, Furtwängler und Knappertsbusch und vielen anderen mehr. Wer von den Alten schlau ist, dreht sich nur
auf die andere Seite und brummt: Ich lieg und besitz (eine schöne Plattensammlung), lasst mich schlafen!
Allerdings hat der frivole Theaterwitz sich des Tannhäuser seit je weidlich angenommen - und offenbar schon
früher die genialen Ideen des Regisseurs
von 2011 vorweg genommen. Der große Titelrollen-Tenor Ludwig Suthaus hat bei dem schwierigen Chorfinale des 2. Aktes – er sang es noch gewissenhaft, was seit Windgassen und Jess Thomas ja schon lange
nicht mehr Mode ist - einige Änderungen.
Original: Dich wird dies Schwert dennoch erreichen!
Suthaus: Das ist zu schwer, das muss man streichen!
... Sollte Herr Sarrazin auf die Idee kommen, ein Buch zu schreiben mit dem Titel Bayreuth schafft sich ab,
dann kann man nur abwinken und sagen: "Das hatten wir schon vor Jahrzehnten". Und dem Bayreuth-Pilger kann man Wagners Worte zurufen: "Wahnsinniger, entweihe nicht mein Ohr! Treibt es dich dahin?
Grausen fasst mich, hör ich dich!" Das trifft übrigens auch auf die aktuellen vokalen Geräuschproduzenten zu - das Wort Sänger will mir dafür nicht über die Lippen. Was der (kurz zu hörende)
unsägliche Wolfram-Darsteller als Lied an den Abendstern anbot, kann nur Wagner selbst wieder kommentieren: "Wer nennt das Gesang, es ward einem bang, eitel Ohrengeschinder, auch gar nichts dahinter
..." "Versungen und vertan" trifft es nicht einmal mehr.
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Soweit Einhard Luther. Übrigens, wie man dem Bayreuth-Aviso des ORF Österreichischen Rundfunks entnehmen kann, hat
die Bayreuther Frau Ko-Direktorin Eva Wagner-Pasquier für diesmal die Festlegung getroffen:
"Wir wollen weltweit das Beste bieten!"
Fassungs-, wenn auch (hoffentlich) nicht sprachlos, also sagen
wir:
gefasst grüßt
Euer KUS
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Eine veritable
Entdeckung namens Löw-Szöky
Den Namen hatte ich schon ein paarmal gehört/gelesen, ohne mir irgendwas dazu
vorstellen zu können. In einer einzigen Radio-Operngesamtaufnahme stand er seit je aufgeführt - ausgerechnet als die Contessa di Coigny (eine Alt-Partie!) in der deutschsprachigen BR-Gesamtproduktion
von Giordanos ANDREA CHÉNIER aus 1956 mit Hopf, Metternich, Schech unter dem jungen Sawallisch. Sonst keinerlei Spur von einer Erstfachsängerin mit Stimmaus-stattung und Gesangsfähigkeiten wie nur
die erste Sopranistinnen-Garde der 1950-1980er: Elisabeth Löw-Szöky, seit Beginn der 1960er als Nachfolgerin von Kapper, Eipperle und Kinas(iewicz) die erste Diva der Württembergischen Staatsoper
Stuttgart, Protagonistin neben Mödl, Wissmann, Hillebrecht, Pütz, Silja, Gr.Hoffman, Res Fischer, Plümacher, Sailer, Windgassen, Traxel, Tobin, Alexander, Wolansky, Nöcker, Neidlinger, von Rohr und
einem Dutzend weiterer großer Namensträger.
Durch den rührigen Privatsammler, Kenner + Zeitzeugen der Stuttgarter Nachkriegs-Ära und lieben Freund Helmut Vetter
kamen mir letzten Winter erstmals private Mitschnitte dieser, wie ich sie dann genannt habe: „Diva ignorata“ vor Ohren - Poppea, Medea, Vitellia, Donna Anna, Fiordilligi, Trovatore-Leonora, Aida,
Desdemona, Senta, Elisabeth, Elsa, Tosca, Lisa, Ariadne. Was für ein Spektrum! Und ein Erlebnis mit Überraschungs-, ja Unglaublichkeits-Effekt. So eine wunderbare Sängerin – und nicht ein einziges
offizielles Tondokument? Nicht zu glauben!
Jedem Gesangsfreund, -liebhaber, -kenner sei diese Erstrangsopranistin ans
Herz bzw. Ohr gelegt. Sie wird im August dieses Jahres 90 – in, wie Vertraute berichten, großer geistiger Frische und physischer Regsamkeit. Ihr zu Ehren
hier ein beschreibendes Wort:
Wir hören einen atemtechnisch sicher fundierten, runden, vollen, dabei kernigen und expansionsfähigen
Sopran, mit strömender Phrasierung, exzellent register-verblendet, mit dezentem Vibrato entfaltet, von „sahniger“ Opulenz, bei Bedarf auch metallisch-klirrender Durchschlagskraft und einem im
Stimmzentrum dramatisch-gesättigtem Habitus. Die Stimme ist nicht so schlank geführt wie bei Eipperle oder Watson, nicht so metallisch wie bei Kinas oder Bjoner, nicht so flackernd wie bei Kupper
oder Cunitz. Löw-Szöky verbindet warmes, farben-reiches Klanggepräge mit schwingender, sinnlicher Tonfülle. Ihr Atem wird wohldosiert eingesetzt, wirkt daher fast unerschöpflich. Besonders
faszinierend: Sie beherrscht das Instrumentarium für sängerische Effekte, wie man sie, selten genug, fast ausschließlich von nach der „alten“ Schule geformten Virtuosa des Verdi-Gesangs, wie etwa
Martinis oder Gencer, zu hören bekommt. Belege bieten ihre fast explosiv wirkende Intonation und Tonbildung, darauf aufbauend eine fabelhafte Strömungstechnik mit meisterlichen Crescendi und
Diminuendi – besonders fesselnd bei souverän modulierten Piano-Passagen im oberen Stimmregister.
Und nicht zuletzt: Ihre Persönlichkeit teilt sich in künstlerisch ausgewogener Balance als „feminin und
heroisch“ mit. Es erscheint, auch im Vergleich mit den populären Konkurrentinnen ihrer Ära, unfassbar, dass eine Gesangskünstlerin dieser Klasse von Medien und Tonträgerproduzenten so vollständig
übergangen werden konnte. Sie war ein Musterbeispiel für dramatische Singdarstellung fast ohne Grenzen – und dem Ideal oft nahe.
Schön, dass es Sammler wie Helmut Vetter gibt, meint Euer KUS
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Vielleicht gibt's ja sogar eine
Kozub-Renaissance?
Lieber T-Freund
Antalwin!
Wenn auch ich einen Nachtrag beisteuern darf - hier erstmal drei Akustik-Auftritte, sozusagen Tonbeispiele aus der
CD-Edition:
http://www.youtube.com/watch?v=zRaddBiktsw
http://www.youtube.com/watch?v=aZXicHn2TQw
http://www.youtube.com/watch?v=-Sz_LN24m4o
Mir scheint, Ihre Besorgnis ist inzwischen durch klingende Fakten auflösbar. Dieser
merkwürdig zunächst um ein Nachleben gebrachte bemerkenswerte Tenore drammatico klassischer Schule dürfte vor dem Vergessen bewahrt sein. Darüber freut sich im Bewusstsein seines kleinen Beitrags
dazu: Ihr KUS
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Frick - Greindl - von
Rohr
In der Tat: Wenn man bedenkt, dass Josef Greindl in den 1950ern bis etwa
Mitte der 1960er Jahre, also in der Ära der Opern-Gesamteinspielungen der großen Schallplattenfirmen in Mono (oft zum zweiten Mal in gleicher oder ähnlicher Besetzung in Stereo), bei DG unter
Exklusiv-Vertrag war, dort praktisch in allen großen Produktionen des deutschsprachigen Repertoires
und mit vielen Solo-Arien, auch mit ganzen Liedprogrammen und Konzert-werken aufgenommen wurde – als eine Art Gegenstar zu Frick bei EMI, dann überrascht es schon, wie eher schmal im Vergleich zu
Fricks Einsätzen die Hinterlassenschaft an Opern-Gesamtaufnahmen mit ihm geblieben ist. Da
hat Joseph II schon recht.
Wir haben Greindl infolge seiner Auftritte bei den Salzburger und seiner fast zwei Jahrzehnte umfassenden Präsenz in sämtlichen Bass-Partien bei den Bayreuther Festspielen in über 30
Live-Mitschnitten von Gesamt-Opern, von Mozart, Gluck, Beethoven, Verdi, R.Strauss, Schoenberg, Schoeck, Orff und in besonderem Ausmaß von Wagner, zusätzlich auch aus dem Berlin der 1940er und ganz
frühen 1950er, ferner aus Genf, Köln, Hamburg, Rom. Aber er erscheint in vergleichsweise viel zu wenigen Studioproduktionen – jedenfalls verglichen mit Frick. Allerdings steht er in Zahlen nicht
hinter den weiteren Starbassisten seines Fachs, wie Weber, Hofmann, Böhme, Alsen, Koreh, Edelmann, Frantz, Ernster, van Mill, Kreppel plus nächste Generation zurück, allenfalls Weber hat in einer
ähnlichen Anzahl Studioproduktionen mitgewirkt, auch er weit mehr durch Livemitschnitte dokumentiert.
Hier die mir bekannten Studioaufnahmen Greindls in alphabetischer Komponisten-Folge:
Berg / Lulu / Schigolch unter Böhm / Berlin 1967 (DG)
Flotow / Martha / Plumkett unter Schüler / Berlin 1944 (Urania u.a.)
Mozart / Entführung / Osmin unter Fricsay / Berlin 1954 (DG)
Mozart / Die Zauberflöte / Sarastro unter Fricsay / Berlin 1954 (DG)
Orff / Prometheus / Kratos unter Leitner / Köln 1973 (RCA)
Wagner / Fl. Holländer / Daland unter Fricsay / Berlin 1952 (DG)
Wagner / Lohengrin / König Heinrich unter R. Kraus / Köln 1951 (Myto, MM)
Wagner / Tristan und Isolde / Marke unter Furtwängler / London 1952 (EMI)
Da unsere Sichtung ja durch Hinweise und Fragen zu Otto von Rohr ausgelöst wurde: Er ist, gemessen an seinem
Potential, seiner Individualität und Autorität, auch der Faszination, die von seiner Persönlichkeit ausging (und ausgeht), von der Tonträgerproduktion geradezu lachhaft, wenn nicht skandalös
behandelt worden. Das lag und liegt natürlich auch daran, dass (wie der Mannheimer Bassbariton Mazura immer sagte) „Bassisten alles singen müssen“, somit also auch für alles besetzt werden können,
daher Individualität und Eigenprofil weniger gefragt sind als Verfügbarkeit und Vermarktbarkeit – und so ein bedeutender Basso wie Frick mit Allem und Jedem eingespielt wurden, gleich
ob im Einzelfall unbedingt exakt rollendeckende Eignung vorlag, Vertrag vor Identität.
Gottlob Frick hatte in allen deutschen Serioso-Partien – vor allem Wagners,
auch mit Rocco, Eremit, Pius IV, Jahrhundertrang. Er konnte deutsch gesungenen Verdi überzeugend vorstellen (Beispiele: Banco, Procida, Fiesco, Ramphis) in diversen anderen Fächern und Stilen
immerhin eine starke Facette=Möglichkeit präsentieren (Commendatore, Kezal, Abul Hassan, Kontchak, Pimen, Wasser- mann, Lothario) – aber als Webers Kaspar, Flotows Plumkett, Gounods Méphis-tophéles
oder gar Boris Godunov scheint er mir nicht die Rollenerfüllung zu sein, selbst bei wunderbarstem Einsatz der Mezzavoce und meisterlichster Nutzung der Kopfraumresonanz nicht. Da fehlte ihm der
Zugang zur Dämonie, Kälte wie Höllenhitze und zur Bonvivance (ob er deshalb nie den Ochs sang?) – auch lässt sich da die im Grunde freundliche Bonhomie mit schwäbisch verbrämter Kon- templativität
persönlichkeitsbedingt nicht völlig ausschalten. Frick-Fans bitte
ich, dies als Reverenza an einen Individualisten von Rang zu verstehen.
Demgegenüber verkörperte Otto von Rohr einen doch sehr anderen Künstler-typus, nicht nur der Zugehörigkeit zur
„anderen“ = „körnigen“ Bass-Kategorie
à la List, Strienz, Hoffmann, Alsen, Dalberg wegen. Wo man Frick das Attribut „liebenswert“ zuordnen möchte, wirkt OvR (jedenfalls auf mich) strikter, kantiger, autoritativer. Opernfiguren mit
besonderer Schroffheit oder Bedroh-lichkeit waren seine Domäne, für einige war er eine deutschsprachige Besetzung schlechthin: so für Hagen, Hunding, Großinquisitor, Kardinal Brogny, Fiesco,
Sparafucile, Madruscht, Tiresias. Nicht minder starke Identität erreichte er in Partien mit ausgeprägt tiefer Lage und strömend-schwingender Tongebung: Sarastro, Seneca, Ptolomeo, Raimondo, Arkel,
Pimen, Gremin, Tommaso, Peneios. Mit extrovertierter Spiellaune gab er Rossinis Don Basilio, Gounods
und Boitòs Mephisto, die Strauss-Protagonisten Ochs und Sir Morosus. Und er besaß eine Aura, die ich bei anderen Bassisten, inkl. Frick und Greindl, in dieser Ausprägung nicht erlebt habe: Er betrat
die Bühne – und aller Augen und Sinne waren auf ihn gerichtet, ohne dass er schon einen Ton gesungen hätte. Diese Wirkung habe ich live nur von Boris Christoff (als Filippo II) erleben
können.
Doch ihm wurde die Nachruhm stiftende Gelegenheit zu Einspielungen exakt dieser Partien und Figuren nicht zuteil
(wenn man von seinem Madruscht in Salzburg 1957 absieht, der die genannten Faktoren ideal vermittelt). Einen Vertrag mit der international agierenden Plattenindustrie hatte er, wie die Mehrheit
bedeutender Epochen-Kollegen, auch nicht. So bleibt uns nur, das Glück zu preisen, dass es in den Zeiten, über die wir hier korrespondieren, regionale Rundfunkanstalten gab, die ihren
verfassungsgemäßen Kulturauftrag noch wahrnahmen und en suite Eigenproduktionen schufen, auf allen Sektoren der Klassik, zumeist gesamt, doch auch in Solo-Folgen und -Recitals. Dass es davon heute so
gut wie nichts mehr gibt, so wenig wie eine offensiv produzie- rende Tonträgerindustrie, das gehört zu den Traurigkeiten der Globalisierung mit ihren Ursachen und Folgen – Kapitalkonzentration,
interkontinentale Vermarktung und also: grenzenlose Nivellierung, Einebnung, Verödung. Man sieht: Kapitalismus ist nicht nur antisozial, inhuman, destruktiv, ökologie- und zukunftsbedrohend, sondern
auch kulturfeindlich + kulturvernichtend.
Gerade darum setzt sich im Unruhestand so leidenschaftlich für
die
Wiederentdeckung und Sicherung der vokalen Nachkriegsära ein:
Euer KUS
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Wertschätzung unter Sängern
Von Gottlob Frick wurde oft berichtet, dass er den Kollegen Karl Christian
Kohn ganz besonders geschätzt habe, als Bassisten wie als Mensch und Kollegen. Die beiden Kohn-Söhne bestätigen es.
Für die Aufnahme der Kabinett-Szene Philipp II & Großinquisitor aus der deutschen Version von Verdis "Don Carlos" bei EMI Electrola hatte Frick sich ausdrücklich Kohn als Partner
ausbedungen.
Da Kohn in Münchner Aufführungen steckte, als der Aufnahmetermin mit Frick anberaumt war, sang dieser den Phiilipp-Part auf Band - und Kohn konnte später nach Berlin kommen, um den
Gegenpart nachträglich dazu zu geben. Über die Seriosität solchen Vorgehens kann man streiten, doch scheint sie dem entschiedenen Begehren des EMI-Favorites gefolgt zu sein. Eine später gängige
Praxis, wenn die Irrsinns-Präsenzen (besser wohl: -Absenzen) solcher World-Wide-Stars wie Domingo aufzufangen waren - das Beispiel "Nabucco" unter Sinopoli bei DG ist unrühmlich bekannt, angeblich
auch der ohnehin als reines Marketingprodukt abzuhakende Domingo-"Tannhäuser".
Bemerkenswert ist weiter, dass die Aufnahme Frick+Kohn im Februar 1959 stattgefunden hat, also zu einer Zeit, als Kohn noch ganz im Fach "zwischen den Fächern" Karriere zu machen
schien, also als eine Art Walter-Berry-Konkurrent mit Figaro, Leporello, Don Alfonso, Kaspar, Escamillo, Schicchi, Ochs - so dass der Inqusitor benahe als Vorgriff auf späteren Fachwechsel aufgefasst
werden kann. Die beiden sehr individuellen Timbres und die Fähigkeit beider Sänger, den Ton nach Figuren- und Szenen-Bedarf zu färben, wirkt heute besonders faszinierend: Frick färbte (soweit ihm das
möglich war) auf Basso cantante italiano, Kohn (der damals noch vorrangig in stile italiano brillierte), färbt auf nachtschwarz-dämonisch. Ein markantes Stück Schallplattengeschichte: Ohne die
besondere menschliche Sympathie zweier - eigentlich ja eben doch nicht wirklich - Konkurrenten kaum entstanden. Und sicher nicht häufig.
Grüße vom KUS
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Zwischen graphitfarben und
schwarz
Hallo Wolfgang! Hallo Siegfried! Ihr seid wirklich auf dem Punkt. Ja: graphit-anthrazit - das ist genau die
Farbtönung, die ich in meinem Versuch über OvR im Jahr 2009 ebenfalls verwendet habe. Wenn Ihr's lesen wollt, schickt mir eine Mail: KUS@ku-spiegel.de.
Die Begleit-Überschrift zur OvR-Hörprobe war natürlich lächelnd-schmunzelnd gemeint. Konkurrenz kann man zwischen
zwei beiden deutschen Bassi seriosi-profondi dieses Kalibers wirklich nicht (schon gar nicht nachträglich) etablieren. Außer vielleicht: Während Frick auf allen Labels, Kanälen,
Wiederveröffentli-chungen omnipräsent war und ist und bleiben wird, war OvR 1. während seiner Wirkungszeit nie mit einem Universalvertrag bei einer der "großen" = weltweit distribuierten
Plattenfirmen betreut und darum viel-viel weniger im Bewusstsein der Weltvermarktungs-Zielgruppen verankert, 2. darum zumeist nur über Live-Mitschnitte und Raubkopien oder über die
Plattenveröffentli-chungen von Rundfunkaufnahmen greifbar und 3. nach dem Medienwechsel zur CD zunächst gänzlich historisiert, beinahe auf Abschussfahrt in den Keller des
Vergessens.
Drum hatte ich als Neuling im T-Forum angesichts der Spazio-Titulierung
"GF, der schwärzeste aller Bässe" gleich die Erwägung geäußert, dass solche Alleinstellungs-Superlative meist problematisch seien, weil es doch eine Reihe Bassisten der Nachkriegsära gab, die - bei
meist völlig anderen Timbres - genauso viel "Schwärze" hatten wie der langlebige Lobl. So Weber, Alsen, Greindl, Roth-Ehrang, Kohn bis zu Talvela - es kommt eben immer (und auch
bei Frick) darauf an, in welchen Partien oder Stücken sich Tiefenfärbung "schwarz" ausbreiten lässt, mithin: was man gerade vom Sänger zu hören bekommt.
Da höre man mal Greindls Osmin-Tiefen unter Fricsay oder Webers Ochs- & Gurnemanz- Röhre oder Roth-Ehrangs
Fafner oder den geradezu atemberau- bend tiefenorgelnden Kohn als Sir Morosus. Zu diesen Erscheinungen möchte ich OvR insofern zählen, als es Beispiele unglaublicher Abisso-Schallentfaltung in
furchterregender Schwärze von ihm gibt, so als Hunding (Beispiel: Mitschnitt
mit del Monaco 1966 in Stuttgart) oder mit Hagen in allen Mitschnitten. Ungeachtet seiner natürlichen Graphit-Färbung war er - wie nicht viele Sänger
- befähigt, seiner Tonbildung wechselnde, jeweils charakteristische Farben und Fakturen zu verleihen.
So, wie ich finde, auch in dem kleinen Lied von der Waldschenke. Da hören wir einen Schwarzbass, allerdings nicht
mit der weichen, nasal-schwingenden, manchmal auch etwas nöligen Charakteristik der Basstypologie von Frick, van Mill, Talvela, Salminen - sondern in der Kategorie kernig-körnig wie Knüpfer, List,
Manowarda, Alsen, Christoff, Kreppel etc. Ich find's schön, dass es ein solches Spektrum gibt. Der Rest ist, von gesangskünstlerischen Maßstäben abgesehen, ja immer individuelle Wahrnehmung und
persönlicher Geschmack.
Herzlch grüßt Euch der KUS
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Der wunderbare
Kim Borg – subjektive Eindrücke
Wie schön, dass dieser nach dem 2. Weltkrieg alleinständige Sänger hier im Forum zur
Erinnerung und Würdigung gestellt wird. Mit ihm verbinden mich früheste Hör- und dann Fan-Erinnerungen aus Gymnasiastenjahren. Von der Großmutter mit jeweils 5 Mark Zusatztaschengeld bedacht, kaufte
ich mir monatlich eine Schellack, zumeist mit dem DG-Gelbettikett: Anders, Hann, Fehenberger, Kupper, Trötschel, Streich, Uhde, dann Stader, Greindl, Haefliger, Windgassen+Varnay waren meine ersten
Plattensänger. Dann kamen auf dem
roten Electrola-Label der ubiquitäre Schock und, in einem erweiterten Reifestadium, Grümmer, FiDi und Frick.
Als größte Entdeckung, zugleich als eine frühe Vorahnung dessen, was ich inzwischen über
Gesangskunst zu wissen meine, erwies sich eine 25er-Schellack von DG. Die beiden Sarastro-Soli aus der Zauberflöte mit dem auf der Radio- und Westdeutschlandbühnen-Szene kaum bekannten KIM
BORG. „Was für eine Orgel!“, war mein erstartikulierter (wohl durch tontechnische Hallverstärkung gesteigerter) Eindruck: Was für eine wunderbare Tonfülle, welch schwarz-samtenes Timbre &
breitströmende Klangentfaltung. Heute gesagt: Tonbildung und Legato wie aus dem Lehrbuch der klassischen Schule – nur die ganz Großen Sarastros des Jahrhunderts wie Plançon, Sibirjakov, Andresen,
Kipnis können da mithalten. Weil Profondo-Tiefen und Serioso-Timbre zwar die Partie erfüllen, nur den wenigsten – gleich ob Manowarda, Weber, Greindl, Frick, Crass, Talvela, Moll, nicht erst zu reden
von Strienz, Böhme, Mill, Adam, Meven, Bracht und Notlösungen sonder Zahl – aber das Quentchen Transzendenz aus dem Klang entströmt wie bei Borg. Grotesker oder doch richtiger: Typischerweise konnte
er seine Version der Partie nicht in einer Gesamtaufnahme dokumentieren, wie ihm überhaupt solche Aufgaben nur selten übertragen wurden. Bezeichnend etwa, dass in der ersten DG-Studioproduktion der
Zauberflöte unter Ferenc Fricsay der Sarastro, also die dominante Basso-Partie, mit Josef Greindl besetzt war, Kim Borg hingegen den Sprecher gab; seine Szene mit Haefliger als Tamino ist
ein Sammelstück erster Kategorie.
Will man Kim Borg erfahren, muss man sich an die erfreulicherweise zahlreichen und
großenteils auch wieder zugänglichen Aufnahmen von Arien, Solostücken und Liedern, Konzert- und Oratoriumsauftritten (Studio und live) halten, vieles davon ist in diesem Spazio schon vorgestellt, s.
oben. Da kann man Begeistern- des erleben. Ganz fabelhaft Borgs Interpretationen der Wiener Klassik, souverän in Atem- und Legato-Kunst, etwa Haydns Oratorien und, leider stets Rarität gewesen:
Mozarts Konzertarien. Sodann die Verdi-Arien und in faszinierendem darstellerischem (aber nicht sängerischem!) Kontrast dazu die Stücke+Szenen aus russischen und slawischen Werken. Wunderbar die
frühen Liedaufnahmen, vor allem Schubert, mit Michael Raucheisen, gut auch die späteren gemischten Programme, vor allem Brahms und Mussorgskij, mit Erik Werba. Wenn man der ganz eigenständigen,
samtig sich entfaltenden Färbung der Borg-Stimme erstmal erlegen ist, kann man sich der eigenartig-eigenständigen Suggestion dieses Sängers kaum mehr entziehen: Ein Basso cantante eigentlich, aber
mit schall-kräftigem Profondo-Tiefenregister u n d Anlagen zu entspanntem Singen in heldenbaritonaler Tessitura.
Die Tonträger-Industrie hat das kaum genutzt. Zwar hat die DG mit ihren letzten Aufnahmen
von Kim Borg zwei Puccini-Baritone, Scarpia und Sharples, gesamt eingespielt, aber in eher lieblosen Schnell-Produktionen, nur aus Anlass der Sándor-Kónya-Vermarktung nach dessen Bayreuther
Lohengrin-Erfolg ab 1958. Sonst kommt Borg ausgerechnet in deutscher Spieloper, so mit Nicolais Falstaff, zum Zuge, auch beim Bayerischen Rundfunk. Typisch weiter: bei EMI können wir ihn
großartig als Rangoni (aber und nicht Boris oder Pimen) hören, dazu braucht es den Live-Mitschnitt von Karajans Boris Godunov in Salzburg (indem der tolle Diakov den Varlaam gibt). Wir haben
Kim Borg dann noch in drei Werken der klassischen Moderne: als schattengrauen Schigolch in Bergs Lulu (unter Leopold Ludwig) und grandios-deklamativ mit dem großen Botenbericht in Orffs
Antigonae (unter Ferdinand Leitner), schließlich im Dream Of Gerontius von Elgar – und das ist es schon. Dass er als Don Giovanni, Figaro-Conte, Don Pizarro, Golaud und
Amfortas (!) an der Met in NYC auftrat, in den wichtigen Verdi- und Wagner-Basspartien auf der ganzen Welt gastierte, bei den Fest- spielen in Edinburgh und Glyndebourne glänzte, jahrelang
Protagonist der Königlichen Oper Stockholm und der Hamburgischen Staatsoper war, dazu Starsolist an den großen Häusern von Russland und Osteuropa, auch Frankreich, Schweiz und Skandinavien - all das
ist zu Lexikon-Anmerkungen geschrumpft, Tondokumente zeugen kaum davon.
Kim Borg war auch als Komponist tätig (viele Lied-Orchestrierungen für Basso), hatte eine Professur an der königlichen Musikakademie von Kopenhagen, war Ehrendoktor der Sibelius-Akademie in Helsinki
– kurz: einer der großen Sänger der zweiten Jahrhunderthälfte, ist nicht mehr jedem, am wenigsten Opernfans und an Gesangskunst Interessierten der jungen Generation präsent, doch das gilt ja für
mehrere Dutzend bedeutender Sänger/innen dieser Epoche ebenso. Wer Kim Borgs Kunst kennenlernen will, muss unbedingt die 2CD-Edition der DG heranziehen – mindestens, und er sollte da mit „In diesen
heil'gen Hallen“ beginnen. Er wird einen Künstler entdecken, der zum Klassiker werden müsste.
Meint Euer KUS
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Spuren von Anton Diakov
Von interkontinentaler Medienresonanz allzu wenig beachtet, gastierte Anton Diakov seit
den 1970er Jahren an großen und größten Opernbühnen. So als
Pate im Jahrmarkt von Sarotschinsk und als Varlaam an der Mailänder Scala; als Sarastro, Kaspar und Raimondo an der Wiener Volksoper; als Sparafucile und Guardiano an der Württembergischen
Staatsoper; als Méphistophélès an der Bayerischen Staatsoper, als Eremit an LaMonnaie Brüssel; als Varlaam an der Grand-Opéra Paris und am Covent Garden London; als Alvise am Teatro de Liceu in
Barcelona; als Rocco und Hunding am São Carlos Lissabon; als Grande-Inquisitore, Guardiano und Don Pizarro in Zürich; mit den Hoffmann-Böse- wichtern, Sparafucile und Arkel am Grand-Théâtre de
Genève; mit Wagner und deutschen Fachpartien in Rom, Turin, Parma, Lyon, Toulouse, Bordeaux, Nantes, Lille, Marseille; mit gemischtem Repertoire in Graz, Köln, Bremen, Mannheim, Kiel. Einen späten
Höhepunkt erreichte seine Gastlaufbahn mit Auftritten im befreiten Südafrika, so 1989 in Johannesburg mit Mozarts Bartolo und Commen-datore, Beethovens Rocco und Nicolais Falstaff. Inzwischen wuchs
Diakovs Basler Repertoire in allen Fächern auf den vermutlich stärksten Umfang unter den osteuropäischen Fachkollegen seiner Epoche an, vor allem im französischen Fach (so mit Frère Laurent, Conte
Des Grieux und Don Quichotte), natürlich russischer Oper (so mit Fürst Gremin und Kotschubej) und in Wagner-Werken (so mit Daland, Landgraf, König Heinrich, Marke, Hagen,
Gurnemanz).
Anton Diakov ist in Produktionen der Schallplattenindustrie spärlich vertreten, in
Rundfunkarchiven hingegen gut. Auf Tonträgern, wechselnd in verschiedenen Ländern und Märkten, wird er immer wieder mal greifbar: in Bachs Matthäus-Passion unter Karajan, in Händels
Samson unter Markevitch, in Verdis Requiem unter Frühbeck de Burgos, in Dvoráks Stabat Mater unter Dohnanyi, als Varlaam nochmals unter Bertini und Segal, früh auch als
Rangoni neben Christoffs Boris, Pimen und Varlaam in dessen zweiter Gesamtaufnahme des Boris Godunov unter André Cluytens, neben Gorr und Vickers als Abimelech und Alter Hebräer in Georges
Prêtres Gesamteinspielung von Saint-Saëns’ Samson et Dalila, in Prokofievs Krieg und Frieden (neben Ghiuselev und Petkov) unter Rostropovich, in Wagners Meistersingern
unter Kubelik, in Liedzyklen russischer Komponisten und mit osteuropäischer Folklore, sogar mit Loewe-Balladen. Bei europäischen Rundfunkanstalten hat er vielfältig Lieder und Konzertstücke
eingespielt. Er arbeitete als Produzent und Moderator für die SRG-Sender Bern und Genf; von ihm stammen die Sendefolgen „Vokalmusik der Süd- und Ostslawen“ und
„Die Wurzel der orthodoxen Kirchenmusik“. Der Hinweis, dass er in einer 11CD-Edition beim HAfG dokumentiert ist, wird mir ja sicher wieder als "Reklame" ausgelegt.
Man muss Diakov mal mit einem Gustostück gehört haben. Ich bin dabei, eines in YouTube
zugänglich zu machen. Bis dahin Grüße vom KUS
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Hinweis zum Kohn-Sohn Andreas
Zu den Anfragen und Vermutungen:
Karl Christian Kohn hatte zwei Söhne. Christian, der Ältere, Jahrgang 1954, ist Kunstschreiner, EH-Unternehmer, Gastronom und als lokal-regionaler Kultur-initiator am Starnberger See Ostufer
multi-aktiv, dort Teil einer kunstliebenden Clique mit Vicco von Bülow (Loriot), Tilman Spengler, Daphne Wagner, Josef Bierbichler usw. bis zu FiDi+Varady, alle in Berg & Münsing. Nach diesem
Christian hatte KCK seinerzeit seinen endgültigen Künstlernamen bestimmt.
Andreas, der
Jüngere, Jahrgang 1964 – der ist der angesprochene Sänger, nach eigener Definiton Basso (da schwingt wohl der Bezug auf den Kammersänger- Vater mit), nach meinem Eindruck, synchron mit hier
geäußerten Einschätzun- gen, aber eigentlich ein Bassbariton, somit mindestens Basso cantante. Er war Schüler beim Vater am Mozarteum Salzburg, dann im Opernstudio der Bayerischen Staatsoper u.a.
beim Staatskapellmeister Heinrich Bender. 1990 gewann er den 1. Preis im Mozart-Gesangswettbewerb in Würzburg. Kurz darauf war er Preisträger beim Bundeswettbewerb in Berlin, wenig später Finalist
beim Bertelsmann-Wettbewerb "Neue Stimmen" in Gütersloh. Sein erstes festes Bühnenengagement hatte er 1989 am Staatstheater Wiesbaden, wo er drei Spielzeiten unter Vertrag blieb. Schon zu dieser Zeit
konnte er zahlreiche Gastspielauftritte realisieren, zumeist an deutschen Großstadt-Opernhäusern. 1992/93/94 und war er bei den Salzburger Festspielen engagiert. Er kam dann mit
Produktionsverpflichtungen ans Grand-Théâtre de Genève und ans La Monnaie in Brüssel, ans Prager Nationaltheater, schließlich an die Berliner Staatsoper Unter den Linden. Dort war er bis 1997 festes
Ensemblemitglied und bis 2005 noch häufiger Gast. Während der letzten 10 Jahre war er an der Bayerischen Staatsoper verpflichtet. Nach der Spielzeit 2009/10 gab er diese Bindung auf und übernahm eine
Dozentur für Gesang (und Musical-Darstellung) an der August-Everding-Akademie des Freistaats Bayern, der Nachfolgegründung des Studios der Bayerischen Staatsoper. Dieser Aufgabe geht er heute
vorrangig nach, doch gastiert er weiterhin – zuletzt international (u.a. Rom, Barcelona, Mauritius),
im kommenden Sommer als Bauer in Die Kluge bei den Carl-Orff-Festspielen in Andechs.
Der Sänger hat also eine beachtliche, eindrucksvolle Laufbahn vorzuweisen. Er wurde zumeist in kleineren oder
mittleren, gelegentlich aber auch in größeren Partien beschäftigt (ähnlich wie, um einen präsenten Vergleich zu wählen, etwa der Berliner Bassbariton Ralf Lukas vor seiner merk-, teils auch
fragwürdigen Karriere ins Erstfach). Andreas Kohns typische Partien waren und sind: Minister in Fidelio (dieser am La Fenice Venedig und unter Solti in Genf), Masetto in Don
Giovanni (dieser in Salzburg unter Barenboim), Zuniga in Carmen, Sprecher in der Zauberflöte, Angelotti in Tosca, Bonze in Butterfly, Baalspriester in
Nabucco, Holz- hacker in Königskinder, Don Pinto in Webers Drei Pintos usw. bis immerhin zum Kaspar im Freischütz (in Berlin). Er sang unter führenden Dirigenten
der Gegen- wart, außer den Genannten z.B. Dohnanyi, Sinopoli, Janowski, Luisi, Nagano, Kuhn. Er ist häufig auch als Konzertsänger hervorgetreten, so in Frankreich, Italien, Tschechien, Israel. Man
kann ihn in einer Reihe von Opernproduktionen bei Rundfunkanstalten in Berlin und München hören, teilweise auch auf CDs veröffentlicht.
Ich habe mich beim Bruder nochmal vergewissert: Am Landestheater Flensburg ist Andreas
Kohn nie aufgetreten, auch nicht als Gast oder Einspringer. Ja, und nun müsste man ihn mal vors Ohr bekommen. Ich bemühe mich darum. Saluti cordiali vom KUS
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Basso cosmopolita:
Der endlich zu entdeckende ANTON DIAKOV
Ein weiterer markanter Bassist, dessen Vielseitigkeit, ja geradezu Universalität, sich
auf „offiziellen“ Tonträgern nur spurenhaft, jedenfalls völlig unzureichend, verfolgen lässt, sei als Nächster der Aufmerksamkeit gesangsbegeisterter T-Forum Mitglieder anempfohlen: ANTON
DIAKOV, der absolut gleichrangige letzte Repräsentant im Sextett seiner bulgarischen Landsleute in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Christoff, Arié, Ghiaurov, Petkov, Ghiuselev – und eben
Diakov. Als Varlaam in Karajans so opulenter wie spektakulärer „Boris-Godunov“-Produktion in Salzburg 1965-67 trat er (nach Studien und Anfängen in Rom, Milano/Torino, NYC) furios auf die
internationale Opernbühne – der Mitschnitt stellt uns eine Art zweiten Boris Christoff vor Ohren; ein Eindruck, der sich später präzisierte und zugleich nivellierte in einer akustischen
Profilvielfalt, die für viele Genres, Fächer und Stile jeweils angemessen variable Farben und Ausdrucksgesten bot. Weil die Positionen des italienisch-slawischen Erstfach-basses – profondo und
cantante – auf den Spitzenbühnen der Welt, vor allem aber auf den Großlabels, mit den beiden Vermarktungsprotagonisten Christoff und dann Ghiaurov, neben Jahrhundertbässen wie Siepi und
Starbesetzungen wie Frick, Talvela, Ridderbusch, Crass + einem Halbdutzend weiteren, gleichsam „besetzt“ war, musste sich Diakov (30 Jahre lang fest an einem Stammhaus, nämlich dem größten
Dreispartentheater der Schweiz: Basel) auf international ausgedehntes Gastieren verlegen – und die Reihe seiner Auftrittsbühnen, Gast- und Produktionspräsenzen umfasst das gesamte
Musiktheater-Universum auf fünf Kontinenten. Weil er, wie ähnlich u.a. Schlüter, Wegner, Windgassen, Neidlinger, Greindl, von Rohr, Kohn, einem Heimathaus mit festen Terminkon- tin genten
jahrzehntelang treu blieb, konnte er ein Rollenspektrum von enormer Breite erarbeiten und darbieten: italienisches, französisches, selbstverständlich slawisches Repertoire, aber auch Mozart und
Wagner. Wo er keine Opernauf-tritte hatte, wie z.B. in Berlin, kam er als Konzertsänger in Oratorium und Lied umfassend zum Zuge, mit einem Programm von Bach und Händel über die Klassik und Romantik
inkl. Raritäten bis zur Moderne, darunter Ur- und Erst- aufführungen. Geradezu grandiose Dimensionen nahm seine Befassung mit dem slawischen und russischen Lied an; hier steht seine Leistung in den
1960-1980ern solitär neben der Boris Christoffs, aber in weit varianterer und enzyklopädischer Dokumentation; es gibt an die 1.600 Liedeinspielungen, von Glinka und Borodin bis Vladigerov und
Tscherepnin. Diakov war auch als Autor, Musikhistoriker und Rundfunkmoderator tätig. Seine tönende Hinterlassenschaft ist eine Entdeckung wert, will sagen: verlohnt es, endlich multiplikativ
rezipiert zu werden. Eine Textarbeit über ihn ist greifbar.
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Karl Christian Kohn
Die Wiederentdeckung eines Klasse-Bassisten
Fast schon schien er in Historisierung zu versinken – der 1928 im Saarland geborene und
2006 in München verstorbene Bassist Karl Kohn, der sich nach furiosem Blitz-Start auf die großen Bühnen des deutschen Sprachraums und seinem Münchner Debüt 1958 auf der Bühne des wiedereröffneten
Münchner Cuvilliés-Theaters Karl Christian Kohn nannte, als eine Art Wiedergeburt von Schützendorf und Hann profilierte, ein paar Jahre als Spezialist „zwischen den Bassfächern“, also als Basso
buffo, Schwerer Spiel- und Charakterbass, dazu als Weltstarbesetzung für Mozarts und der deutsch-romantischen Oper Bonvivant- und Schufte-Gestalten etablierte. Nach einem konsequenten Wechsel ins
Fach des Basso serioso + profondo (also de facto Basso supremo der Bayerischen Staats- oper) war er nahezu 30 Jahre einer der führender Bassisten in Europa, dazu universaler Konzertsänger, vor allem
bei Karl Richters und Rafael Kubeliks Oratorien- und Barockoper-Produktionen, von Bach und Händel bis Pfitzner
und Janácek. Nach über 2.500 Aufführungen in allen Genres nahm er 1991 den Bühnenabschied und wirkte noch fast ein Jahrzehnt als Professor für Stimm-bildung am Mozarteum in Salzburg. Ihn
wiederzuentdecken, ist eine Erfahrung voller Überraschungen und Erkenntnisse. Vor allem die – großenteils verschollen oder überhaupt noch nie öffentlich gewesenen – Einspielungen und Mitschnitte
zwischen 1958 und ca. 1965 machen mit Zeugnissen alleinständiger sängerischer Professionalität und z.T. überwältigender Klangkunst bekannt. Ein Jammer, dass er in einer Zeitphase zum Aufstieg kam,
als auf den größeren deutschsprachigen Bühnen weder die deutsche Spieloper noch die Buffa italiana & francese im Repertoire waren, wie überhaupt noch nichts von der bald darauf manifesten
Belcanto-Renaissance zu spüren war. Als Kohn später im Fach des Basso profondo arbeitete, war eine neue Generation von stilsicheren Eleven der „Alten Schule“ am Werk. Dennoch bleibt eine Fülle von
Funden aus der ersten Karrierephase Kohns, die uns meisterliches Singen, fabelhafte Gestaltung und ein faszinierend zwischen buffonesk und dämonisch variierendes Stimmtimbre zur Kenntnis bringen. –
Für eine Edition dieser Tondokumente habe ich einen größeren Beitrag geschrieben. Wer ihn lesen möchte, möge mir eine Mail schicken: KUS@ku-spiegel.de
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The Alberich Of The Century
- hier mit drei fabelhaften hohen G'
GUSTAV NEIDLINGER - Lehrbuchgerecht: in Baritonlage
C l a m o r o s o !
Saluti, KUS
http://www.youtube.com/watch?v=z0VynX4qENU
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Zu operus, MosesKR1
– und den Timiditäten um Kral & KUS
“Statt eines Bravo! entsteht eine Urheber- und Konkurrenzdebatte. Warum?“
Ja warum? Wo war Krals „Bravo“? – Hat ihn irgendwer zu seinen Abwertungen, Verdächtigungen, Unterstellungen provoziert?
Hat ihn jemand herausgefordert, die engagierte Arbeit anderer verächtlich zu machen? Und: Dürfen davon Betroffene nicht mal die gröbsten Anwürfe richtigstellen?
Es handelt sich nicht um eine Konkurrenzdebatte. Wo wäre denn der Konkurrent? Ich habe die so anlasslosen wie
unberechtigten Attacken eines Forumteilnehmers zurückgewiesen. Hätte ich vornehm schweigen und der Denunziation, die ja bereits Dankesworte seitens nicht nachprüfender Dritter ausgelöst hatte, Raum
lassen sollen? Damit sich derlei auch richtig herum verbreiten kann?
Bei zwei ähnlichen Anlässen hatte ich in der Vergangenheit in aller Freundlichkeit rückgefragt. Als Kral hier, wieder
ohne Faktenprüfung, die Veröffentlichung von Verdis „Falstaff“ mit FiDi und Marcel Cordes als a) von ihm übernommen und b) tontechnisch unakzeptabel deklariert hatte – da musste ich ihm mitteilen,
dass nicht er die Fundquelle war und dass die Aufnahme von exzellenter Radioqualität ist (was in der Fachpresse eigens hervorgehoben wurde). Sodann, als Kral die CD-Edition Otto von Rohr als
unzureichend abwertete, weil sie zu wenige Lortzing-Titel enthalte, frage ich ihn hier so freundschaftlich wie dringlich danach, welche Titel er denn meine – und erhielt keine
Antwort.
So macht er’s auch diesmal. Er behauptet: „So hatten die Leute von HAfG leichtes Spiel, der Weg war ja bereitet.“ Das
enthält die Unterstellung, die Edition habe seine Vorarbeiten genutzt, wenn nicht gar Veröffentlichungen von ihm adaptiert.
Und weiter: „Wirklich Neues haben die allerdings ... auch nicht zu bieten“. Das behauptet er so. Einen Beleg dafür bleibt
er schuldig.
Und weiter: Mit leichtem Spiel werde offenbar unredlich Beschafftes „für teures Geld“ vermarktet. Das ist glatte
Unwahrheit – wie ich belegt habe.
Und weiter: „Das, was mir“ (= Kral) „selbst noch in meiner Sammlung fehlt, gibt es da auch nicht“. Was das wohl sein
könnte, verrät er wieder nicht.
Ein einziger Strauß von unbelegter Nachrede also. Und nun die Anstoßnehmer: Dass Kral solches hinschreibt und
veröffentlicht, das sei ja nur „kritisch angefügt“. Eine zurückweisende Widerlegung von Unwahrheiten, die aber soll als „auf ihn einprügeln“ gelten – wo er doch ein so kompetenter Kenner der
Opernszene sei.
Ja, welche Maßstäbe gelten denn hier? Von welchen „Grabenkämpfen“, die MosesKR1 „seit einiger Zeit verfolgen konnte“, ist
die Rede? Ich war an solchen nicht beteiligt. Ich bin ganz und gar der Meinung, dass wir uns auf „unsere gemeinsame Liebe zur klassischen Musik besinnen“ sollten. Klar doch! Aber ich ersuche sehr
darum, die Voraussetzungen dafür nicht aus den Augen zu verlieren: Nämlich – bei aller Lust am Streit über Sachfragen, Vorlieben, Abneigungen, Einschätzungen, Kenntnisse in der Sache – ein Mindestmaß
an gegenseitigem Respekt zu wahren, vor allem gegenüber jeweils idealistisch engagierter Arbeit im Dienste dieser Sache. Eben diesen Respekt beanspruche ich, so wie ich ihn selbst x-mal bekundet
habe. Wollen wir doch bitte Ursachen und Wirkungen nicht verwechseln, ja? - Also, lieber (von mir besonders geschätzter) operus & lieber Moses: Weitere Äußerungen dazu erspart Euch
und sich Euer KUS
Betrifft:
Harald Kral zu Ernst Kozub
Was immer den Einträger Kral leiten mag: Er sucht sich das falsche Thema, die falschen
Adressaten und, entscheidend: die falschen Objekte. Ob er auch das richtige Forum gewählt hat, muss sich klären.
Meine Frage an Alfred Schmidt lautet deshalb eingangs: Ist dies der Sinn und Zweck der schönen Einrichtung Tamino-Forum, dass sich dort (wie auch immer motivierte) Missgunst und Aggression,
mitunter in direkt diffamierender Attacke, an anderen Forum-Teilnehmern ausagieren können? Also deren idealistisches Engagement öffentlich infrage stellen und damit faktisch schädigen können?
Wie dem auch sei, zur Causa „Kral und Kozub“ ist zu sagen:
1.
Es hat diverse private und offiziöse Initiativen gegeben, um das Andenken an den Tenor
Ernst Kozub zu erhalten – wunderbar. Es gab auch schon einzelne ausschnitthafte Veröffentlichungen – wunderbar. Aber es gab bisher keine Edition, die sämtliche greifbaren Ressourcen zu einem
Gesamtportrait gefügt, gegliedert, archivarisch aufbereitet hat – bis zur CD-Edition des Hamburger Archivs für Gesangskunst. Darüber freuen sich, wie in Zuschriften vielfach bekräftigt, zahlreiche
Gesangsinteressenten und Kozub-Verehrer. Klar doch, dass eine Edition mit 9 randvollen CDs auf Vollständigkeit angelegt ist. Nicht so klar aber, dass diese 9 CDs mit exzellenter Klangqualität
aufwarten, mithin den Sänger endlich in konkurrenzfähiger, angemessener Form erfahrbar machen.
2.
Die Beschaffungen, Sammlungen, philologischen, gesangshistorischen und diskographischen Erträge dazu sind das Ergebnis einer fast ganzjährigen Recherche- und
Dokumentationsarbeit, bei der die Ursprungsarchive, dazu die Privatsammlungen der HAfG-Herausgeber und die Bestände der Familie Kozub ausgewertet werden konnten. Die Edition ist die einzige, die mit
Supervising und Autorisierung der Erben des Sängers erschienen ist. Die Urheber konnten sich auf Materialien, Dokumente und Berichte der Kozubs stützen. Aus dieser Quelle kommen auch diverse
erstverwendete Aufnahmen – ohne dass ein Herr Kral sie hätte „ausgraben“ müssen. Ein Band 72 einer Heftreihe wurde nicht verwendet, eine Prüfung derer etwaiger Inhalte nicht vorgenommen.
3.
Es gibt keine Dokumentation der tönenden Hinterlassenschaft des Ernst Kozub, die sich auch in der Quellenklärung, Kommentierung und Präsentation mit der HAfG-Edition messen
kann. Allein die historische wie diskographische wie gesangskritische Darstellung der tönenden Hinterlassenschaft des Sängers ist alleinständig. Man zeige uns eine andere Edition, die entfernt daran
tippen könnte.
4.
Die Dokumentation enthält zahlreiche noch nicht auf CDs veröffentlichte Aufnahmen, dazu einen Bestand mehrerer CDs an Tondokumenten, die überhaupt noch nie im Bereich der
alten BRD zu hören waren. Die Behauptung, „die HAfG-Leute“ hätten „leichtes Spiel“ gehabt, nämlich sich aus Vorarbeiten von Herrn Kral bedient, ist so abwegig wie denunziativ. In Wahrheit dürften
seine vor offenkundiger Missgunst vibrierenden Attacken aus dem Umstand resultieren, dass die Edition vollständig auf seine Mitwirkung, Zubringerschaft oder Konsultation verzichten konnte. Die
tatsächlichen Helfer, Auskunfts- und Materialquellen sind im Booklet aufgezählt. Den Partnern gebührt dauerhafter Dank – denn sie haben ein Stück gesangshistorischer Erbe-Sicherung mit
ermöglicht.
5.
In einem Punkt reicht die Befassung mit Krals – hier keineswegs erstmaligen – Untergriffen und Obstruktionen über die Grenzen einer Meinungspolemik hinaus ins Justiziable.
Sein (ebenfalls nicht erstes) beiläufiges „für teures Geld“ ist eine Lüge in Schädigungsabsicht.
Denn: Obwohl das Hamburger Archiv- im Gegensatz etwa zu sattsam bekannten Raubkopierern und Schlecht-für-Billig-Machern – kein Profitbetrieb ist, sondern erhebliche Selbstkosten durch Abgabegebühren
zu decken sucht, kostet die Einzel-CD jeder HAfG-Edition in der Regel 8 bis 10 Euro. Dafür gibt es nicht nur professionell bearbeitete, technisch optimierte Aufnahmen von großenteils erstmals oder
seit Jahrzehnten nicht mehr veröffentlichten Tondokumenten, sondern auch ausführlich kommentierte, bebilderte, diskographisch seriöse Präsentationen. Wer sonst vergleichbar sorgfältig (textlich
hingegen zumeist dünn) edierte Aufnahmen erwerben will, muss anderwärts – so etwa bei Preiser Records – einen zwei- bis dreifachen Preis bezahlen.
--------
Herr Kral mag sich in Eifersüchten und Denunziationen ausagieren, solange
ihm solches in diesem Forum freigestellt wird. Die längst ins Überwältigende gewachsene Resonanz der Editionen des Hamburger Archivs wird er nicht mindern können. Weil: Man merkt die Motive – und ist
irgendwann nicht mal mehr verstimmt. Zur eigenständigen vergleichenden Bewertung ermutigt ausdrücklich: Euer KUS
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Ernst Kozub – er bleibt Thema
Lieber Herbert! Liebe Kozub-Freunde! Aus dem Projekt einer Recital-CD, zu
dem ich im Verlauf dieses Spazio mal eine allgemeine Anfrage an die Teilnehmer gerichtet hatte (s.o.), ist nun eine ganze CD-Edition ERNST KOZUB mit neun CDs - je 3 in 3 Boxen -
geworden.
Nächste Woche kommt sie beim Hamburger Archiv für Gesangskunst heraus: www.vocal-classics.com. Mit
Booklet von mir - und einer Reihe ganz fabelhafter Live-Erstveröffentlichungen/Entdeckungen, vor allem im deutschen Heldenfach, dazu den verschollenen (m.E. nicht so überzeugenden) alten
Philips-Studio-Recitals im italienisch-französischen Fach, Verdi- und Wagner-Liveauftritten, bravourösen Operetten-Soli, Radio-Ausgrabungen aus den frühen 1950ern im anderen deutschen Staat (darunter
tws. unveröffentlicht gebliebenen Kompo-sitions-Hervorbringungen des "Sozialistischen Realismus" - gar nicht mal schlechte Musik), Fundsachen von Berlioz bis R.Strauss, Synagoge-Gesängen,
als Draufgaben noch Volkslied- und U-Stücken.
Der Sänger ist rein stimmlich durchwegs in phantastischer Verfassung (gestalterisch nicht immer), und einiges haut den Hörer regelrecht vom Hocker.
Ich habe eine Menge über ihn dazugelernt. Seine beiden Kinder, auch schon "hochreife" Semester, haben eine Reihe menschlich-privater Informationen und schöne Fotos beigesteuert.
Mehr als diese Sammlung wird man am weltweiten Tonträger-Markt auf Dauer wohl kaum finden. Eines ist sicher, ungeachtet beckmesserischer
Teil-Einwände: Verglichen mit der Folgegeneration all der Heldentenor-Kompromisslösungen bis -Irrtümer à la René-Peter-Sigi & Cie. war dieser ein letzter Zeuge des versunkenen Standards eines
"Golden Age Of Heroic Tenors". Sein Erbe soll nicht vergessen ein.
Meint Euer KUS
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RE: Reden ist Silber - Schweigen ist Gold
Gut, gern. Bin ja – ganz rufwidrig - ein Versöhnler. Seien wir also lieb zueinander. Bloß mit dem grauenvollen
Geschwätzbuch des WoWa, voller Gerüchte, längst widerlegter Verdrehungen, Gedächtnislücken, leider auch Lügen, darfst Du mir nun gerade nicht kommen. Dialektisch beweist es nur zu gründlich, was es
bestreiten oder nivellieren möchte. Es stammt eben nicht von einem Geistesriesen. Und genau das - neben den von mir so gesehenen charakterlichen Defiziten - versuche ich ja
darzulegen.
Freilich: Irgendwann ist auch dieses Thema historisiert, und von WoWas Taten wird man nichts mehr wissen, wenn man
sich Wielands als Maßstab erinnern und bedienen wird. Bald also wird es - leider nicht weniger unerfreulich - um das Wirken der Nachfolge-Schwestern und ihrer Umfelder gehen. Ich freue
mich nicht darauf. Doch wat mut dat mut.
Amicitia! Gruß, KUS
RE: Reden ist Silber - Schweigen ist Gold
Das, lieber operus, überlegen Sie sich nochmal - rate ich. Ich müsste Sie sonst sehr nachdrücklich bitten, sich mit
der Geschichte der Bayreuther Festspiele, Abteilung Neubeginn 1951 ff., näher zu befassen. Was Sie da kolportieren, wird durch die Fakten in nichts gestützt. Von "Kampfgeist" kann ohnedies kaum die
Rede sein, wo Intrige und Kleinlichkeit dominieren.
Vielmehr gab es einen Dissenz aus politischen Gründen: Wieland brach rigoros mit der Verstrickung der Mutter
Winifred in Naziparteistaat und Hitlerei, suchte den nicht nur gesellschaftlichen, sondern vor allem geistigen Neubeginn in Form neuer Kooperationen, Interpretationen, Denkmodelle, Visionen (dabei
zunächst noch keineswegs die dirigierende Klasse einbeziehend, dies erst ab Mitte der 1950er mit Boulez , Sawallisch, Maazel, Schippers, Leinsdorf). Wolfgang hingegen blieb mit dem Muttertier
verbunden, in die unguten Verbindungen
real wie geistig wie atmosphärisch eingebettet, distanzierte sich nie.
Sodann: Als der unbestritten organisatorisch-ökonomisch Begabtere übernahm WoWa von Anbeginn den administrativen
Teil. Die künstlerische Leitung hatten beide paritätisch vereinbart und auch ausgeübt - auf jede Wieland-Inszenierung folgte eine von Wolfgang, in stetem Wechsel bis zu Wielands Tod. Nur der RING und
der "Parsifal" liefen in Wielands Inszenierungen zunächst über mehrere Jahre, allerdings um dann durch ebenfalls mehrjährig laufende Deutungen Wolfgangs abgelöst zu werden. Das ist Geschichte. Sie
brauchen sich bloß die Statistik der Festspiele seit 1951 anzuschauen.
Entscheidend war: Die weltweite Kritik setzte sich, ob ablehnend oder zustimmend, stets tiefer, fundamentaler,
anspruchsvoller mit dem Schaffen Wielands auseinander, behandelte Wolfgangs Hervorbringungen vom ersten "Lohengrin" an als mittelmäßig, nichtssagend, langweilig, eklektisch, sogar vergeblich
nachschaffend = kopierend, qualifizierte ihn als nur bemüht gegenüber dem genialischen Bruder ab. Das kann man auch heute noch in Hunderten von Texten nachlesen. Von einer Zurücksetzung oder
Einengung im eigenen Betrieb kann also gar keine Rede sein. Was er galt, schuf er sich selbst. (Niemals aber hat ihn jemand ob seiner Administrations- wie auch Kapital-beschaffungskünste nicht
hochgelobt.)
Wie sich das psychisch im Wolfgang-Haushalt auswirkte, das kann man in Gottfried Wagners Buch "Wer nicht mit dem
Wolf heult" detailliert erfahren: Eifersucht, Neid, Hass, kleinlichste Affekte und reaktionäre Gesinnungsäuße- rungen inkl. Geschichtsverleugnung des Unterlegenen – und das tobte sich dann ein halbes
Jahrhundert lang mit kulturellen Folgen aus. Eben das beklage ich ja in meinen Äußerungen zu WoWa und zur m.E. verfehlten Lobpreisung seiner Spuren in der Kulturhistorie. Dass die wenigen
veröffentlichten kritischen Ein- schätzungen zur WoWa-Ära aber zutreffen, das ergibt sich nicht nur aus dem rückblickenden Vergleich (soweit das Ausgrenzungswüten des dann alleinherr-schenden WoWa
einen solchen überhaupt noch ermöglicht), sondern auch aus dem Wechsel des Personals, der Partnerschaften, der intellektuellen Orientierun- gen: Von Adorno-Bloch-Reich-Newman-Habermas-Wapnewski u.a.
zu Göring/ Hess-Sippschaften, Schwarzgelb, CSU-Staat plus Medien-Gigi mit Gloria T+T, T.Gottschalk etc. Anders gesagt: Als Herr über alles erst zeigte der angeblich so Eingeengte, wer er war und was
er vermochte - wie wir jetzt erleben müssen, übers Grab hinaus und in Nach-Verkörperung, Schlimmes befürchten lassend, in seinen nachgeborenen Protektionskindern, etabliert-staatsverbunden, Arm in
Arm mit rechter Politik, kapitaler Geldmacht, inferiorer Medienerbärmlichkeit.
Und Ihr "Ich behaupte ..." (joi, joi, joi!) über familiäre "Gene aller Nachkommen", das meinen Sie wohl nicht
wirklich ernst. Sie wollen doch in diesem Forum weiterhin ernstgenommen werden - oder?
Schöne Grüße vom KUS
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Aus der hinteren Reihe,
von den mit Gründen freigebliebenen Plätzen
Hier also wieder - und bei prominenten Todesfällen anscheinend unvermeidlich (ausgenommen natürlich, wenn es sich um Repräsentanten der Linken
handelt)
– ergießt sich das große WoWa-Preisen und In-Memoriam-Sülzen. Mir erscheint es umso abgeschmackter und zukünftige diskutable Wertsetzungen verhinder-licher, als der Verstorbene noch übers Grab hinaus
die heuchlerisch-verspätete und darum ekle Geschichtsnivellierung R.Wagner/Mendelssohn verordnet und, noch ekler, die bei Lebzeiten hinreichend diskriminierten Familienmitglieder außerhalb seiner
Cliquenherrschaft, nämlich den fundamentalkritisch wahrheits-suchenden Sohn Gottfried und die Nachkommen des geistig-künstlerisch in Halbjahrhundertwirkung weit überlegen gewesenen, eben deshalb
(erfolglos) der Auslöschung überantworteten Bruders, noch von der Toten-gedenk feier kleinlichst-niedrigst ausgegrenzt hatte. Den peinlichen Rest, zugleich üble Erwartungen bestätigend, liefert das
Politprotektionskind Katharina im Bunde mit der stets schweigenden, dafür hinter den Kulissen intrigierenden (Nike kann ein Lied dazu singen) Frau Pasquier. Der ganze WoWa-Klüngel auf dem Weg ins
Infinitive - gestützt von der politischen wie medialen wie (und darauf kommt's an) industriekapitalen Rechten so schwarzgelber wie nazibrauner Provenienz. Was einmal geistiger Ausweis der Festspiele
war, blieb fern wie 40 Jahre lang zuvor zugunsten von Geldmacht und Gigi. Da werfe Blumen, wem solches gefällt. Ich bekräftige meinen Eintrag im Spazio "WoWa zum 90." in diesem Forum am 20. Januar
2010.
In Memoriam Wieland Wagner grüßt KUS
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An
Harald, den Platzhirsch – u.a. zu Otto dem Solitär.
Von mir "angefeindet" - da fühle ich mich aber ungerecht beurteilt. Meine Kritik zielt nicht auf die bloße Existenz solcher Anbieter. Um
Himmelswillen, die nutze ich ja nach Kräften selbst. Wohl aber auf die frustauslösende oftmalige Kalt- schnäuzigkeit des Vorgehens , wenn die dadurch erlangten Vorteile unsereinem - wie gelegentlich
auch durch Dich - billig erlangter Preisvorteile wegen monierend vorgehalten werden. Du bist Kenner und Beurteilungsbefähigter genug, um idealistisch geleistete Vorarbeiten, auch
philologisch-diskographische Einordnungs- und Bewertungs-Begleitmaterialien und manches Extra mehr, wie man es anderswo eben nicht zu erwarten hat, gerecht einschätzen zu können (nicht alle
Zielpersonen sind solche Enzyklopädisten und Sammelfexe wir Du & Compagni), musst also Billigst-Auspreisungen aufgrund von Nach-Aneignungen nicht auch noch in Abgrenzung (Abwertung?) ausloben.
Oder?
Und Lortzing? Was bitte fehlt denn von ihm, was OvR noch eingespielt hätte? Was meinst Du im Einzelnen? Ich bin Dir für jeden Hinweis auf Lücken und
Erfordernisse allgemein, auf Deine Bestände und etwaige Zugriffsmöglichkeiten im Besonderen dankbar - aus wahrer Begeisterung für etwaige Schatzfunde. Veramente! Also bitte, lass Dich nicht lange
beknien: Kontaktiere mich, mach mich schlauer. Hast ja Direktzugang. o.k.?
Nun zu Otto von Rohr:
Aus eigener zeit- und nervenraubener Erfahrung muss ich mitteilen, dass der Hessische Rundfunk, wie die anderen "alten" ARD-Rundfunkanstalten
Besitzer eines großen und varianten Schallarchivs, nicht bereit ist, irgendwem irgendeine Archivnummer zugänglich zu machen. Nicht für etwa familiär legitimierte Anfragen (Dr. Alard von Rohr hat es
für das HAfG-Projekt beim Intendanten selbst vergeblich versucht) und nicht für noch so gut begründete journalistische oder kulturaktive oder wissenschaftliche+dokumentarische Zwecke. Ein Skandal
sondergleichen (der bei anderen Rundfunkanstalten wenig gemindert wird, wo man nach langwierigen Verhandlungen nur unter entwürdigenden Selbstver-pflichtungszusagen mit rechtsverbindlichen
Unterschriften etc. gegen saumäßige Gebühren - SWR € 35,-- + MWSt. für 1 Stück oder bis zu 10 min - an Archivtitel herankommt) - denn solche Archive werden ja wie die Anstalten selbst von
Hörer-/Zuschauer-Gebühren und vor allem Steuermitteln unterhalten, sollten also als öffentlich-rechtliche Einrichtungen kulturellen Nutzungen offenstehen. Da sich andererseits Marktpriraten wie Line
ständig solcher Archivschätze bedienen, was unsereinem dann ja auch wieder mal nützt, muss man sich fragen, auf welchen "inoffiziellen" = vermutlich rechtsbrecherischen Kanälen sie derlei
Tondokumente beschaffen/greifen, die einer fachlich motivierten und befähigten Nutzerschaft offiziell verweigert werden.
Dies zum Verständnis von Fällen etwa hier oder dort vermisster Stücke. Aber das Monitum, dass die von Kurt Schröder dirigierten Einzeltitel Otto von
Rohrs vom hr Ffm. nicht in der OvR-Edition seien, das muss ich entschieden bestreiten: Es sind genau diese Titel, auch aus dem italienischen, französischen, slawischen Fach, dort nahezu komplett
präsentiert, die von Schröder dirigierten dabei, bitte nachschauen. Sollten noch welche fehlen, dann hat das die oben genannten Hintergründe. Ansonsten frag mich bloß nicht, wie wir sie dennoch
erlangt haben - ein bisschen Realisatorenstolz sei mir gegönnt.
Und dann, werter Harald:
Ich lasse mich ja gern herausfordern. Natürlich mag ich den Lortzing sehr - allerdings seine gänzlich vernachlässigten Opern aus dem Vormärz und den
1848ern wie z.B. "Regina", die man so gut wie nirgendwo zu hören bekommt (allerdings in der Lortzing-Zeitbiographie von Jürgen Lodemann glänzend-präzise und lustmachend dargestellt finden kann) noch
weit mehr als die Handvoll gängig bekannter und immer wieder neu abgenudelten Standard-stücke, unter diesen aber wiederum "ZuZ" und "Wildschütz" mehr als etwa
den allzu biederen "Waffenschmied".
Ich muss gestehen, dass neben den tollen, immer jung bleibenden van-Bett-Auftritten oder dem Baculus-5000Taler-Rausch u. dergl. (um bei den
Spielbass-Partien zu bleiben) der Stadinger - Basso serioso provinciale tedesco - mit seiner grässlichen Spießermoral im Liedstrophen-Duktus von der "köstlichen Zeit", als die Mädels noch keusch und
gretchendümmlich ("nicht so gescheit") waren, was des deutschen Kleinstädters Jünglingsherz mit Blick auf einen seligen Ehestand
à la Sixtus Beckmesser erfreuen mochte, mir doch reichlich öde erscheint, wes- wegen ich bei der Auswahl von Einzelaufnahmen des (wie gesagt: durchaus geliebten!) Genres für allfällige Bass-Editionen
ebendiese Pièce meist umgangen = gemieden habe. So auch bei der OvR-Edition. Aber sonst ist, dessen sei ver- sichert, alles, was nur irgendwie greifbar war, doch aufgegriffen und vorgestellt worden.
Und weit mehr als dies, mehr als zunächst überhaupt gewusst und geahnt.
1.
Der Falstaff in Nicolais "Lustigen Weibern", eine Glanzrolle des OvR und in der Aufnahme mit Gelly, Hüsch, Feringer wirklich glanzvoll gesungen, ist
- offenbar wegen der auf die Minute ausgezirkelten Zeitdauer der damaligen Radio-Produktion um einige Takte gekürzt, so im Trinklied auf die erste Strophe + Schluss-Tutti beschränkt; die zweite fehlt
gänzlich, die Nummer ist damit sehr kompress, torsohaft. Bedauerlich, aber für die Edition (mangels einer anderen Solo-Einspielung) nicht anders zu haben gewesen. Übrigens fehlte in der GA auch der
gesamte Mondchor; wir haben ihn aus einer anderen Quelle gleicher Zeitphase unter demselben Dirigenten beschafft und eingefügt.
2.
Es ist eine so ärgerliche wie wehrlos hinzunehmende Realität, dass immer dann, wenn man aus den Tiefen der Archive, Privatsammlungen, Reste-Rampen,
Verschollenheits-Rara, meist nach endlosem Suchen, Beantragen, Verhandeln, Dokumentieren, Korrespondieren, Warten, Ärgern, dann logistisch-technisch-philologisch-diskographisch Bearbeiten, Einrichten
und Kommentieren eine Fundsache für die kleine Schar der Interessenten, Rezipienten, Sammler zugriffsfähig gemacht hat (und das zum allenfalls Selbstkostenpreis, eher Aufwandsersatzbeitrag), dann
also der von keinerlei kulturellen Motivation, gar Finderlust und Präsentatorenkompetenz angewandelte Raubprofitler "Line" hergeht, sich ein Exemplar schnappt, es kopiert und - ohne jede
Begleitinforma- tion oder gar Einordnungsarbeit, natürlich auch ohne Quellenangabe, dafür allerwegen fehlerhaft und schlampig - herausbringt, dies aber zum Abverkaufs-Discountpreis.
3.
Die geschäftstüchtigen Lowcost-Liner eignen sich langwierige, mühevolle, aufwendige, idealistische, aus persönlichem Engagement geleistete Arbeit an
und vermarkten sie nach dem Prinzip "kostenlos gegriffen, profitabel verramscht". Und unsereiner muss sich noch anrempeln lassen, wenn er das jeweilige Projekt-Produkt nicht sofort resigniert aus dem
Katalog nimmt, weil
es inzwischen natürlich in Massenfabrikation von Räubern wie "Line" (weniger forsch, aber im Prinzip ähnlich, gelegentlich auch "Walhall") preislich locker unterboten werden kann, obwohl die
vorherige de-facto Schutzgebühr kaum mehr als Kostendeckung ermöglicht hatte, wenn überhaupt.
Sorry, aber das war mal festzustellen und mitzuteilen. Leufgen und ich fragen uns seit längerem, ob wir überhaupt noch Funde dieser Art erarbeiten und zugänglich machen, es nicht lieber bei bloßen
Sänger-Raritäten-Editionen belassen sollen, die (bislang jedenfalls) noch keine vergleichbaren Kopier-Dreistigkeiten ausgelöst haben.
Bei der Gelegenheit und auf Haralds Schmunzelpiek eingehend: Wenn irgendwo irgendwer unter den Nutzern dieses Forums frühe, unbekannte, zu Unrecht
vergessene oder nie vernommene Exempla für deutsche Spieloper in respek-tablen Produktionen (es gibt sie aber wohl nicht?) beibringen könnte – er möge sich an mich wenden. Nichts täte ich und täten
wir lieber, als den so begrenzten Kreis deutscher Humorik-Romantik im Backlisting ordentlich zu erweitern. Schöne Grüße, KUS
P.S.
Soeben ist das Berliner Opernmagazin "orpheus" mit seiner Oster-Doppelnummer erschienen. Darin eine ausführliche freundliche Besprechung der HAfG-Editionen Otto von Rohr und Gustav Neidlinger von
Sebastian Sternberg. Vielleicht bekommt Thomas Pape Lust, sie wieder hier einzustellen.
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Ein nobler Universal-Bass: OTTO VON ROHR
Hallo operus!
Wenn Sie wissen möchten, wieso Otto von Rohr, der ja schließlich in Stuttgart sämtliche Wagner-Basspartien inkl. Raimondo in "Rienzi" mit Wieland Wagner erarbeitet und dargestellt hat, nie nach
Bayreuth engagiert worden ist (und so manches Weitere zu Person, Laufbahn und Künstlerschaft) - dann lesen Sie das Booklet zur CD-Edition Otto von Rohr beim HAfG aus den Tasten des Unterzeichners.
Grüße, KUS
Otto von
Rohr in Swarowsky-Produktionen
Es ist mir - gerade jetzt, beim Erscheinen der HAfG-Edition "Otto von Rohr" - eine Freude, dass der profilierte,
nach seinen vielen so lange nicht mehr erklungen gewesenen Aufnahmen absolut erstrangige und zugleich allein-ständig-unverwechselbare Bassist hier zum Thema wird. Ohne die eigene Arbeit sehr bewerben
zu wollen: Es lohnt sich wirklich, seine Tondokumente wieder oder erstmals zu hören, vor allem im Vergleich mit den heute gängigen Standards. Eigentlich ist derzeit nur oder vor allem René Pape (ein
allerdings völlig anderer Stimm- und Sängertyp, mehr Basso cantante) auf annähernd dem Niveau, das seinerzeit, nämlich in den legendären Nachkriegsjahren bis ca. Beginn der 1960er, Standard war und
von OvR aufs Individuellste bewiesen wird.
Einige OvR-Dokumente belehren uns umgehend über einen Basso-Typus, der an stimmfarblicher Individualität,
sängerischer Souveränität und Universalität, vor allem aber vokaldarstellerischer = personaler Autorität seinesgleichen sucht - und von den Medien mehr bevorzugten Konkurrenten, z.B. Kurt Böhme oder
Arnold van Mill etwa, deutlich überlegen ist. Prüft es nach, es gibt Erfahrungen zu machen, die wiederum einen Diskurs über Zeiten- und damit Maßstäbe-Wandel auslösen können, ja
sollten.
Zur vielstimmigen Frage: Der König Heinrich im Swarowsky-LOHENGRIN ist Otto von Rohr und nicht Kreppel, da
gibt's keinen Zweifel (und ist auch durch die Produktionsprotokolle bewiesen). Allerdings in einer späteren Phase seiner Laufbahn, wie auch als Fasolt, Hunding, Fafner und Hagen im annähernd
zeitgleich aufgenommenen Swarowsky-RING. Die markante kernig-körnige Bass-Stimme, die bei bestimmten Live-Dokumenten geradezu bedrohlich schwarz und großräumig klingt (z.B. in Furtwänglers römischen
Wagner-Aufführungen, noch mehr in der legendären Stuttgarter WALKÜRE unter Leitner mit Mario del Monaco), ist in den späteren 1960er Jahren bei den Swarowsky-Aufnahmen schon um eine Nuance heller und
baritonaler, in der Vollhöhe etwas enger im Klang geworden. Der Vergleich mit dem BR-LOHENGRIN unter Jochum von 1952 München macht es deutlich, noch stärker die ganz frühen, vom damaligen Südfunk
Stuttgart skandalöser und kulturschänderischer Weise
g e l ö s c h t e n (!!) ersten Radioaufnahmen, darunter ein PARSIFAL 3. Aufzug mit Marcel Wittrisch (!) – da war OvR auch mit einer breitschallenden, weit- schwingenden Höhe ausgestattet; die hatte
er bis zu seinem Karriere-Ende, doch später zunehmend heller und schmaler. Dennoch, die außerordentliche, nahezu mit Boris Christoff zu vergleichende Persönlichkeitswirkung bleibt immer
gegenwärtig.
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Bei Orfeo ist in der roten Reihe mit Sänger-Portraits ein Sampler mit Raritäten und Live-Fundsachen der tollen Inge
Borkh erschienen. Darin gibt es eine Live-Trouvaille des großen Begegnungs-Duetts Senta-Holländer aus dem FLIEGENDEN HOLLÄNDER, live von 1955 unter Jean Fournet aus der Opéra de Monte-Carlo, auch
bemerkenswert wegen Otto Wiener als Holländer (von dem checke ich etwa Vorhandenes für ein Recital). Dort ist OvR als Daland angegeben - doch hier ist er's eindeutig und unverwechselbar nicht.
Wer es stattdessen ist, habe ich bisher nicht herausfinden können; die Monegassen antworten bisher nicht auf Anfragen, zumal das exakte Abend-Datum im Orfeo-Booklet nicht genannt ist. Ich verbeiße
mich in sowas, hoffe also, es noch verifizieren zu können - bloß OvR habe ich nach monatelanger Befassung für die HAfG-Edition nun so umfassend und detailliert im Ohr, dass ich sein Erscheinen in
dieser Aufführung klar verneinen kann. Wer ihn endlich doch als Daland hören möchte, sei auf den kürzlich erschienenen HOLLÄNDER-Mitschnitt vom Maggio Musicale Fiorentino verwiesen (für die Edition
ausgewertet). Grüße, KUS
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Na, liebe/r Hart!
Was Sie/Dich da ins Grübeln brachte: Das hat doch nicht mit etwaiger Nichtkenntnis oder Nichtbeachtung der tollen Heldentenorstimme eines im eigenen
Erlebniskreise leider nie präsent gewesenen, deshalb vielleicht doppelt interessanten Sängers Gruber zu tun. Sondern schlicht mit dem (mir besonders eigenen) Dauerproblem, um Himmelswillen nicht zu
lang zu werden, sich aber differenziert und ggf. für Diskurspartner verwertbar zu äußern - und dennoch immer un-diszipliniert in multiplikativen Gedankenflug zu geraten.
Ich habe außer Gruber sicher noch ein halbes Dutzend weiterer positiv vermerk- barer Namen unerwähnt gelassen, trotzdem hoffentlich Taugliches zur zentralen Frage und Problematik ausgesagt. Grubers
Material beeindruckt natürlich sehr, ähnlich wie das von Kozub. Er kam - live wie im Studio - mit den Riesenauf- gaben deutlich besser, professioneller zurecht als Mr.K. Dennoch war auch er mehr
Besitzer einer Säkularstimme als erstklassiger Sänger im Sinne von Legato- und Phrasierungskunst, Farb-/Valeursetzung, Nuancierung, geschweige denn Intonations- und Modulations-Meisterschaft.
Insofern muss man seinen Namen immer dann anführen, wenn man mit der Elegie vom Verschwinden der großen Wagner s t i m m e n anhebt, so wie eben auch u.a. Seider, Treptow, Beirer, zuletzt den Spät-
und Schnelleinsteiger und darum (wie auch mangels Gesangs-kunst) Kurzzeitevent Versalle - scusi, zu all dem müsste man seriöserweise viel mehr und Differenteres sagen. Die wirkliche,
perspektive-orientierte Verlust-trauer aber sollte beim Memorial über Erscheinungen ansetzen, die große Stimme mit großem Sängerkönnen und spezifischer Personality verbinden - wie, um bei dem
zeitlich letzten Zeugen zu bleiben: Ludwig Suthaus. Hat jemand, nach Melchior + neben evtl. Vickers, noch einen so überwältigenden Siegmund vernommen wie diesen, in der Studioaufnahme unter
Furtwängler wie im Scala-Mitschnitt unter Karajan?
Man sieht, mit dem Themenkreis anzufangen, heißt ihm lust- und suchtvoll ins Ozeanische zu folgen. Darum breche ich jetzt einfach ab.
Mit schönen Grüßen: KUS
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Lieber Siegfried!
Zwei Repliken sind durch Deine Entgegnung wohl gefordert. Aber gern:
Ich hab nochmal kurz reingehört. Habe den Eindruck, die von Dir beanstandeten Vokalverfärbungen (die mir nicht aufdringlich erscheinen) sind teilweise der in allen Beispielen etwas verzerrten Klangreproduktion in den schon sehr alten, teilweise vorsintflutlichen US-Radiomitschnitten geschuldet. Zum anderen aber, das muss ich einräumen, sind sie wohl ein typisches Signum der Ausbildungs- weise in Zeiten des Cosima-Bayreuth und bei praktisch allen "schweren" dramatischen Stimmen dieser Ära zu bemerken, sehr ausgeprägt etwa bei (frei aus dem Schädel in die Tasten, also ungeordnet): Schmedes, Burgstaller, Bertram, Knüpfer, Soomer, Braun, Moest uvm., sogar beim jungen Bohnen. Extrem können wir solche Manieren, bei manchem (aber nicht Melchior) fast Unarten, etwa bei einem wirklich großen Vokalisten wie Tauber und manchen seiner Nachahmer vernehmen - weswegen ich diesen wahrscheinlich musikalischsten und raffiniertest phrasierenden Tenor lange gar nicht ausstehen konnte, inzwischen aber durch solche kleinen "Individualitäten" fast erotisch gekitzelt werde. Bei Melchior ist das nicht so, da überwältigt die Souveränität der Meisterung aller Schwierigkeiten bei geichzeitig erfüllter Ausdeutung der Partie, die schier grenzenlose Atem- und Stamina-Souveränität derart, dass ich mein Lob-und-Preis-Statement ansonsten nicht mindern möchte.
Windgassen, das glaube mir bitte, steht mir als Sänger-Gesamterscheinung ganz hoch. Er war eine der großen Prägungsfiguren meiner jungen Jahre (neben Gedda + Bergonzi, FiDi und Cordes, plus Siepi, um mal bei den Mannsbildern zu bleiben). Er war, das habe ich ja betont, ein ganz exzellenter Musiker und einer der wenigen wirklich "wissenden" Sänger seiner Ära bis heute. Auch seine Tannhäuser-Interpretation ist ein Muster an Singdarstellung, in jeder Nuance werkgerecht, erfühlt und erfüllt. Das ist gar keine Frage. Aber WW war dennoch eigentlich kein „echter Heldentenor", gleich ob wir die Drammatico- oder die rare Eroico-Version betrachten. Von der Natur hatte er eine eher lyrische, nach kurzem Reifeprozess dann irgendwie Spinto-Stimme, allerdings mit sehr deutschem = nichtmediterranen Timbre, nicht wirklich metallisch, eher leicht körnig, und er setzte nicht sehr ausgeprägt direkt klassische Gestaltungsmittel ein, wie man sie bei Urlus, Jadlowker, Völker und den südeuropäischen Wagnertenören (etwa Vinas, Palet, Fagoaga, Borgatti) hören kann. Gerade in den Live-Tannhäusers, die mir bekannt sind, verschmäht er keineswegs den Einsatz außermusi kalischer Mittel, wenn auch wesentlich als (unnötige) Ausdrucks-verstärkung und nicht wie bei der Generation Kollo als Schwächekaschierung und Outrage-Schwindel. Er war sogar, mit Intelligenz, Musikalität und einer Art Adaptionsinstinkt auch ein exzellenter Charaktertenor (ich habe einen Mitschnitt als Novagerio in Wien) und sang ja sogar den Pelléas. Alle, die professionell mit ihm tun hatten, berichten - besonders plastisch etwa Kmentt anlässlich seiner Stolzing-Einstudierung für Bayreuth - dass WW ein Großmeister des Raffine- ments bei (ich zitiere Kesting): „vokaler Disposition“ war – was nichts anderes heißt, als dass er stimmliche Überforderungen mit auf die 16tel-Note ausge-klügelten Dynamisierungs-, auf gut Deutsch: Spar-Maßnahmen zu überwinden, mitunter auch zu vertuschen wusste. Das meine ich als Kompliment! Einigen wir uns: Windgassens Tannhäuser ist eine Sache und Klasse für sich – ein großer Musiker überwindet das Unmögliche. Anders gesagt, mit einem persönlichen Bekenntnis zu jenen Künstlern, die bei wenig Naturstimme (von Schipa über Schiötz bis Bergonzi) große S ä n g e r waren, also so etwas wie „Sieg des Geistes über die Materie“ verkörperten: WW gehörte dazu.
Schnell noch ein Nachtrag: Ja, Wenkoff hätte ich aufzählen müssen. Allein sein Material,
seine Timbrefarben und sein sängerisches Können (vor allem in Anbetracht seines späten Erscheinens auf der Welt-Opernszene) weisen ihn in den Kreis der von mir aufgezählten positiven Beispiele in
Zeiten des Verfalls, auch als überzeugender Tristan. Sein Eterna-Recital, unbedingt hörenswert, reiht ihn unter die wenn nicht Großen, so doch Erstrangigen seiner Zeit ein. Ähnliches würde man gern
über Kozub schreiben – die vielleicht letzte (neben Gruber, den ich auch hätte erwähnen müssen) echte hochdramatische Tenorstimme für die Wagner-Heroen. Dass er dennoch – im Gegensatz wieder zu
Windgassen, der viel weniger Naturmaterial mitbrachte - weder zur Weltspitze vorstieß, noch eine offizielle Tondokumente-Hinterlassenschaft in diesem Oevre erstellen konnte /durfte, das hat manch
andere, aber nicht weniger wichtige Gründe. Stimme ist eben nicht alles. Man kann begnadeter Stimmbesitzer sein, ohne als großer
S ä n g e r historisch zu werden. Darüber diskutieren wir vielleicht mal in einem eigenen Spazio. Grüße vom KUS
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Der beste Tannhäuser?
Ich bitte mir nicht böse zu sein, wenn ich wieder mit Grundsätzlichem einsteige und also ausführlich bin. Aber wem
soll es nützlich, gar erkenntnisfördernd sein, wenn die Forum-Freunde reihenweise kaum mehr eintragen als persönliche Impressionen und Vorlieben mit Filterung: "Für mich ist XY derjenige, welcher
..."? Ein wenig Begründung, bezogen auf Werk-/Partie-Anforderungen und sängerisches Vermögen, wären schon erwünscht, oder?
Zur Beurteilung von Gesang im Allgemeinen und Rolleninterpretationen im Besonderen gibt es klare Kriterien. Die
Beherrschung der sängerischen Grammatik sollte im Vordergrund stehen, die Bewältigung einer sängerischen Aufgabe in vokaler und interpretativer Hinsicht dann folgen (wobei, nach Henderson, Steane,
Kesting die Anwendung der klassischen Gesangsprinzipien und -methoden allein schon ein Interpretationsvorgang ist).
Auch sollte man auseinander halten, ob die Bewertung einem Live-Erlebnis
oder einer Tonträger-Wiedergabe folgt. Das Live-Erleben gilt zumeist als authentisches, darum eigentliches-verbindliches Kriterium. Aber die Live- Aufführung, mag sie auch als Prüfanlass für Größe,
Tragfähigkeit, Schallwirkung einer Stimme im Raum und für Ausdrucksfähigkeiten gelten können - sie ist von einer Fülle weiterer Einflüsse oft überlagert: Orchester, Ensemble, Partner, Dirigent,
Hausakustik, Stimmung im Haus ... Die Studioaufnahme hingegen bringt, zumindest seit den Schallkompositions- und Klangretusche-Möglich-keiten der Stereotechnik, Korrekturen, Manipulationen, Optionen
ins Spiel, kann kaum als objektive Vorlage gelten. Am ehesten scheinen mir klangtechnisch gute Live-Mitschnitte zur Urteilsbildung geeignet.
Urteils-Mindestkriterien wären etwa: 1. Gesangskunst und ihre Anwendung. 2. Stimmmaterial, Stimmtypus, Stimmeignung.
3. Charakteristik & Timbre („Face In The Voice“). 4. Sängerische Interpretation, interpretatives Singen.
Im Falle Tannhäuser sollte zuerst beachtet werden: Wird die Partie überhaupt adäquat gesungen Da scheiden alle
die Tannhäuser-Darsteller der letzten Jahrzehnte aus, die der schmächtigen, eher für Mime prädestinierten Ordnung (wie Böhm, Hofmann, Jung, Schmidt, eigentlich auch Kollo, Franz etc.) ange- hören.
Ferner die zwar wenigstens metallisch klingenden, doch zumindest auf der Live-Bühne über ihre Umfang- wie auch Stamina-Grenzen hinaus überfor- derten Schein-Heldentenöre (wie nochmals Kollo und die
meisten seiner Zeitgenossen bis zu Elming und Andersen, von Versuchs-Tristanen, die Tannhäuser live kaum riskiert haben, wie Hoffmann und Jerusalem, ganz zu schweigen). Sodann seltsame Verirrungen
von wenig Dauer, meist ins Charakterfach gehörend (wie Uhl, Krämer, Gambill). Schließlich Einzelfälle, denen es an sängerischer Klasse (Phrasierung, Phantasie, Farben, musikalischen Ausdrucksmitteln)
und stimmlichem Gewicht fehlt, als Hauptbeispiel wieder Kollo. Kurzum – die Gesangsmisere im dramatischen und hochdramatischen Fach, vor allem bei Männerstimmen, manifestiert sich am schmerzlichsten
und schwersterträglichen bei den echten Heroen-Partien Tannhäuser/Tristan, Sachs/Wotan/Holländer usw.
Völlig zutreffend wurde dargestellt: Tannhäuser ist, noch vor Tristan, die Höllenpartie schlechthin. Der Sänger muss enorme Stamina, also Belastbarkeit, Tragfähigkeit, Durchschlagskraft einsetzen,
zugleich flexibel phrasieren, formen, färben können, äußerste Konzentration der Tonplacierung bei gleichzeitig variabler Klangerzeugung, schließlich hochdramatische artikulative Inhaltsver-mittlung
durch Ausdrucksfülle schaffen. Solches ist an sich schon eine Addition von Extremen, somit beinahe unmöglich, weil in sich widersprüchlich. Dass die Partie aber ausgerechnet einer Stimme von
Schwergewicht und einem Sänger
mit den Fähigkeiten nahezu aller Fächer, vom Lirico bis zum Drammatico oder Eroico, abverlangt wird, reduziert die Chancen auf Idelabesetzung vollends.
Man kann sie überhaupt nur ansteuern, wenn man ein perfekter S ä n g e r ist.
Sortiert man das Angebot an geeigneten Darstellern im 20. Jahrhundert, sofern in Tondokumenten nachprüfbar, kommt man, immer mit der Suche nach etwaigem Ideal, auf einen kleinen Kreis. Sofern die
akustischen Aufnahmen, durchwegs aus dem „Golden Age“, Beispiele liefern, wären als Grundinformation zu nennen: Leo Slezak, Jacques Urlus, Heinrich Knote. Neben einem Dutzend anderer, die heute
absolute Weltklasse wären, setzen sie – stimmlich wie sängerisch wie singdarstellerisch – das Maß. Dann folgt jener Sänger, den man ohne Rekkurs auf persönliche Geschmacksvorlieben einfach als den
konkurrenz- los wirklichen „Tannhäuser des Jahrhunderts“ bezeichnen muss: LAURITZ MELCHIOR. Alle fünf Live-Mitschnitte der Geamtpartie beweisen es. Kein anderer Sänger hat derart alle genannten
Kriterien erfüllt – und das mit einer Vollkommenheit, ja Leichtigkeit, die ans Fabulöse grenzt. Melchior hat das voluminös-raumsprengende Heroen-Organ. Die bronzenene Timbrefärbung des Tragöden. Die
meisterliche Souveränität in klassischen Techniken der „Alten Schule“. Sein Material ist unbegrenzt belastbar, seine Atemressourcen, Phrasie-rungs-, Färbungs-, Ausdruckskunst einfach überwältigend.
Er liefert nicht nur stimmlich (was allein die meisten Hörer schon überwältigt), sondern vor allem sängerisch und gestalterisch ein Muster an musikalischer Evokation – und das alles auch noch mit
einer nahezu unglaublichen Souveränität, ohne die gering- sten Probleme, wo Kollo & Zeitgenossen gellen, stemmen, würgen, jaulen, ächzen, japsen, sich mit Aspirationen und Anstöhnern
durchschwindeln, von einer korrupten Kritik ohne Kenntnise und Kriterien für „intensive Darstellung“ belobigen zu lassen.
Melchiors Einmaligkeit erreicht kein Nachfolger. Aber es gibt welche, die sein Niveau streifen, mit Musikalität,
Stimmgewicht, vor allem sängerischem Poetential in seine Nähe kommen. Das sind, in der Melchior entsprechenden Fachkategorie „Tenore eroico“ zuerst der lange vergessen bzw. ignoriert gewesene
großartige Ludwig S u t h a u s , ihm vorausgehend auch August
S e i d e r (als Eroico zu spät auf Tonträger gekommen). Dann Jon V i c k e r s ,
in kleinem Abstand auch Günter T r e p t o w (mit wenig angenehmer Tonbil- dung) und der oft grandiose Singtragöde Ramon V i n a y (leider sängerisch problematisch-unflexibel, stimmlich oft
kehlig-verschattet). In der häufiger anzutreffenden Fachkategorie „Tenore drammatico“, also helleren, metallischen Heldentenorversion, überragt zunächst Max L o r e n z , an guten Tagen ein Ereignis
in schmetterndem Messingklang und vitaler Ausdruckskraft. Ihm fast entgegengesetzt, hochmusikalisch, intelligent, mit unspektakulär wirkender,
aber meisterlicherr Gesangskunst der Schwede Set S v a n h o l m , weiter der höhenstarke, bewegliche, intensive, immer frisch-unbekümmert, also belastbar wirkende Bernd A l d e n h o f f . Sonst in
Betracht zu ziehende Fachkollegen erfüllen das Maß teilweise = aus einem zentralen Aspekt: W i n d g a s s e n , als Erster zu nennen, war ein wunderbarer Musiker und intelligenter Künstler, freilich
ohne wirkliche Tanhäuser-Stimme. B e i r e r hatte das große Heroen-organ, war aber ein vordergründiger Darsteller und problematischer Sänger.
H o p f hatte (mit etwas saurem Timbre) gute Voraussetzungen, bleibt aber immer ein wenig provinziell, grob, ohne Anflüge von Faszination. Unter den Heutigen würde ich allenfalls Heppner und Seiffert
in Betracht ziehen, beide exzellente Sänger, doch beide eigentlich Lyriker.
Danach kommt – leider – nurmehr Mittelmaß bis Katastrophe. Kollo ist der spektakulärste, weil fälschlich
hochgejubelte Irrtum schlechthin. Domingo macht seine Sache, wie immer, attraktiv und professionell, ist aber, seien wir ehrlich, doch ein Studio- und also PR-Produkt.
Danke für Lesegeduld und etwaigen Nachvollzug. Es grüßt KUS
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Cordes-Fans haben Grund zur Freude!
Am 11. März 2010 jährt sich der Geburtstag von Marcel Cordes zum 90. Mal.
Es wäre wirklich eine große Sache, wenn man zu diesem Anlass der MC-Edition ein paar Gesamtaufnahmen/-mitschnitte des formidablen Bühnensängers nach- schicken könnte. Gemeint sind Rollenportraits aus
seinem engeren Fach als Italo-, speziell Verdi-Bariton. Was aber bisher nicht sein kann, bleibt doch Gegenstand ungebrochen wacher Hoffnungen. Und ich darf versichern: Wo immer sich ein Hinweis, ein
Indiz, eine Option entdeckbar machen sollte, werde ich mich daraufstürzen.
Das Hamburger Archiv - die meisten von Euch wissen es schon - bereitet aktuell die Erst- oder Wiederveröffentlichung
einzelner Fundsachen vor. So erstmals Verdis "Falstaff" mit FiDi, Cordes, Lipp, Hoffman, Wilhelm unter Mario Rossi, Janáceks "Aus einem Totenhaus" unter Kubelik, Ravels "Die spanische Stunde" unter
Maag aus der Wiener Volksoper, auch die Soundtracks von "Der Bajazzo" und "Der Mantel". Dazu kommt nun in gleichsam letzter Sekunde noch eine Trouvaille - dringlich weder des Werks noch der
Gesamtbesetzung wegen, aber doch ein kleiner Event: nochmal Humperdincks "Hänsel und Gretel" mit MC als Besenbinder Peter (wie schon beim hr unter Matzerat), diesmal 1962 in Hamburg und mit dem
Knaller einer nahezu unglaublichen Dirigentenbesetzung, dem Alt- und Großmeister der Beethoven/Brahms/Bruckner-Interpretation - Carl Schuricht.
Das alles ist ja wichtig, changierend zwischen "erfreulich" und "begeisternd". Doch dass sich bisher keine
GA-Dokumente von Cordes' legendären Verdi-Partien wie Rigoletto, Luna, Germont, René, Posa, Boccanegra, gar Nabucco, dazu auch Donizettis Enrico Aston oder Offenbachs Hoffmann-Bösewichter etc.
gefunden haben, ist schon traurig. Man mag nicht glauben, dass solche nicht doch irgendwo vergraben existieren ... Aber, freuen wir uns an den nächsten kleinen Schritten! Meint Euer
KUS
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Allora -
welch animierende Diskussion hab ich da ausgelöst. Schööööön!
Sag ich nicht nur der verstärkenden Stimmen wegen. Auch aus reiner Freude
am artikulierten Engagement der Einträger, wenn es sich so vertieft und cordial und dann auch satirisch-ätzend äußert. Complimenti. Doch einen Aspekt, eine Haltung möchte ich noch aufgreifen: Die vor
allem bei Gustav aufscheinende grundsympathische Compassion = Toleranz für WoWa gleichsam aus Mitleid, ein Verständnis für Abwehr-, Eifersuchts- und Kleinlichkeits-Regungen einer
zur Herrschaft gelangten Inferiorität.
Das ist natürlich korrekt beobachtet und analysiert. Und ginge es ums "normale" (normierte, aber eben nicht mit Normierungskraft ausgestattete)
Alltagsleben, dann wäre ich sofort mit im Boot; bin ja ein bekennender Linker, also in der Psycho-Grundstruktur sozial-human-solidarisch geformt. A b e r: Kann Verständnis, gar Mitleid mit
einem Leidenszustand infolge Genialitätsvorsprung und Geistesüberlegenheit eines Vorgängers die Inthronisation & Ermächtigung, somit ein halbes Jahrhundert Autoritätsausübung mit
Multiplikations-, Präge-, Wertsetzungs-, Berufungs-, aber auch Ausgrenzungs-/Erledigungs-Wirkkraft rechtfertigen, sogar außer Kritik stellen? Konkret: Was rechtfertigte und begründete denn die
epochale, geradezu diktatorische, noch dazu faktisch lebenslange Totalbevollmächtigung des Longtime-Nachfolgers? Ausschließlich die Familienzugehörigkeit, das Enkel- & Brudersein und ein
respektables Vorleben im Administratorenamt – sonst garnichts. Also: Kein anderer von WoWas Zuschnitt hätte sich auf diesen Stuhl schwingen, in diese übergroßen Stiefel stellen können, noch dazu -
„vertragen ist’s“ - auf Lebenszeit.
Für die am Ende doch zur Nachfolge intrigierten, erpressten, ermauschelten Töchter gilt das noch mehr – zumindest im Fall Katharina. Die ältere
Halb- schwester Eva hat eine eigenständige Lebensleistung im Metier vorzuweisen, solide, effizient, international, wenn auch auf außerkünstlerischen Feldern, und wäre sicher auch im Team mit einer
Künstlerpersönlichkeit von Graden etwa Nike Wagner oder Gérard Mortier eine sinnvolle Besetzung gewesen. Doch das Protektionskind auf dem Parnass der (dort freilich schon lange-lange verrotteten)
Wagner-Interpretation: Wodurch wäre es denn prädestiniert, außer durchs Tochtersein und den sturen Sippenwillen des Hügel-Endlosherren, der – und
da sind wir wieder bei Gustavs Erwägungen – seine Standards (inkl. Eifersüchte, Rachegelüste, Setzungszwänge ...) übers Grab hinaus zu sichern wusste und zugleich die Tilgung aller Spuren eben jener
Gestalt, an der zu leiden sein Karma gewesen sein mag. Bei aller Bereitschaft zur Betrachtung auch der klinischen Seite des Phänomens: Muss eine ganze Mit- und Nachwelt das en suite
ausbaden?
Fragt sich der KUS
P.S.
Impegnato: Ein (lt. Titan) „ewig Brauner“ – wie kann der (lt. Joseph II) „einer
der größten des 20. Jahrhunderts“ sein? Und: (lt. LOCUS) „den Weg für Neu- Bayreuth bereitet“ hat er auch nicht. Veramente: No!