"Aufklärung ist Ärgernis, wer die Welt erhellt, macht
ihren Dreck deutlicher."
Mit diesem Aphorismus formulierte Karlheinz Deschner das eigene Lebens-motto. Denn Deschner war die Personifikation des
aufklärerischen Ärgernisses, ein Stachel im Fleisch der Zeit, an dem sich die Diskussion immer wieder entzünden musste.
Schon sein erstes Werk, der 1956 veröffentlichte Roman "Die Nacht steht um mein Haus" war eine
literarische Sensation, ein atemberaubend schonungsloses Buch, das den Leser wie eine Lawine überrollt. Helmut Uhlig versuchte die Besonderheit dieses "Romans" (eher ein Stück radikaler
Autobiographie) so zu fassen: "Deschners Aufzeichnungen liegen jenseits des Selbstmords, so wie Gottfried Benns spätere Gedichte jenseits des Nihilismus liegen ... Dieses Buch wird schockieren ...
Genau besehen, ist es nichts anderes als die Kranken-geschichte unserer Zeit.
"Diese "Krankengeschichte unserer Zeit", die von der Brutalität des Krieges, des verächtlichen Umgangs des Menschen mit seinen Artgenossen und der Natur erzählte, war zugleich eine Krankengeschichte des Autors, der, von der steten Gefahr des Nervenzusammenbruchs bedroht, sich schreibend selbst therapierte.
Die Schreibblockaden, die ihn zuvor gequält hatten, waren auf einen Schlag verschwunden. Bereits ein Jahr später erschien Deschners berühmte Streitschrift "Kitsch, Konvention und Kunst", die einer ganzen Generation den Zugang zur Literatur eröffnete und unterschätzte Autoren wie Robert Musil erstmals einer breiten Leserschaft bekannt machte. Noch im selben Jahr gab er das Buch "Was halten Sie vom Christentum?" heraus, das Pro- und Contra Meinungen verschiedener Autoren, aber keine Positionierung des Herausgebers, enthielt. Kritiker missdeuteten dies als Ausdruck fehlender Courage, was ein radikaler Denker wie Karlheinz Deschner natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. Und so zog er sich nach der Veröffentlichung des zweiten Romans "Florenz ohne Sonne" mehrere Monate lang zurück, um ausführliche Studien zur Geschichte des Christentums zu betreiben.
Dies war, wie wir heute wissen, ein wahrer Glücksfall für die säkulare Emanzipationsbewegung, denn 1962 kam "Abermals krähte der Hahn", das Grundlagenwerk der modernen Kirchenkritik, auf den Markt. Auch wenn Deschner in der Folgezeit keineswegs nur religionskritische Bücher veröffent-lichte (beispielsweise erschien mit "Talente, Dichter, Dilettanten" eine weitere literarische Streitschrift, mit "Der Moloch" eine kritische Geschichte der USA und mit "Für einen Bissen Fleisch" ein Plädoyer für den Vegetarismus), so wurde der Autor nach dem sensationellen Erfolg des "Hahns" fortan hauptsächlich als Kirchenkritiker wahrgenommen.
Welch befreiende Wirkung Deschners religions- und kulturkritische Schriften entfalteten, wird deutlich, wenn man einen Blick in die Abertausende von Leserbriefen wirft, die der Autor über die Jahre hinweg erhielt. Deschner hat – wie kaum ein anderer – ausgesprochen, was andere vielleicht ahnten, aber nicht zu formulieren wagten. Wer das mulmige, indifferente Gefühl hatte, dass da irgendetwas Grundlegendes nicht stimmt, an dieser Religion, diesem Staat, dieser Gesellschaft, dieser Kunst, der fand in Karlheinz Deschner einen, der es prägnant auf den Punkt brachte.
Als Deschner 1984 seinen 60. Geburtstag feierte, konnte er auf ein wahrhaft imposantes Werk zurückblicken – und doch sollte das Wesentliche erst noch kommen. 1986 brachte Rowohlt
den ersten Band der "Kriminalgeschichte des Christentums" heraus. In einem Alter, in dem die meisten an den Ruhestand denken, begann Deschner mit der Niederschrift einer der größten
Anklage-schriften, die jemals verfasst wurden. Mehr als ein Vierteljahrhundert später
war es dann tatsächlich vollbracht: In den 10 Bänden der "Kriminalgeschichte" mit ihren nahezu 6000 Seiten und mehr als 100.000 Quellenbelegen hat Deschner eine Generalabrechnung mit der "Religion
der Nächstenliebe" vorgelegt, die in der Weltliteratur ihresgleichen sucht.
Die Arbeit am letzten Band war jedoch eine Tortur, die ihm alles abverlangte. Seine Kraft reichte danach nicht mehr aus, um den inoffiziellen 11. Band, "Die Politik der Päpste", der die Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert auf mehr als 1200 Seiten beschreibt, selbst zu aktualisieren, weshalb ich die Darstellung der zweiten Hälfte des Pontifikats von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. übernahm. Als wir im März 2013 die Vollendung der "Kriminalgeschichte" in Oberwesel und wenige Wochen später am 23. Mai seinen 89. Geburtstag in Haßfurt feierten, war er schon deutlich geschwächt. Sein Zustand verschlechterte sich nochmals dramatisch, als er wegen eines Aneurysmas gleich zweimal operiert werden musste. Letztlich konnte der lebensbedrohliche Riss der Blutgefäße aber nicht verhindert werden. Am Dienstagmorgen um 8.00 Uhr starb Karlheinz Deschner in einer Haßfurter Klinik.
Karlheinz schrieb einmal: "Berühmte sind Leute, die man etwas später vergisst." Wie so häufig traf er auch mit dieser Formulierung ins Schwarze. Unsterblich ist nicht einmal der Ruhm Ludwig van Beethovens. Selbst er – so ungeheuerlich es auch erscheint – wird irgendwann einmal vergessen sein, wie alles, was Homo sapiens je hervorgebracht hat. So sicher es also ist, dass auch das Werk Karlheinz Deschners irgendwann einmal in Vergessenheit geraten wird: Wenn es in der Kultur- und Geistesgeschichte auch nur halbwegs mit rechten Dingen zugeht, dürfte dies in absehbarer Zeit kaum geschehen.
Schon allein aufgrund seiner ungeheuren literarischen Qualität gehört Deschners Werk zu den kostbarsten Juwelen der Aufklärung, ein Juwel, das auch in Zukunft noch funkeln wird, um die Welt zu erhellen und jenen Dreck zu verdeutlichen, der ansonsten liebend gerne wieder unter den Teppich gekehrt würde. Ich bin überzeugt: Der Aufklärer Deschner wird noch lange ein Ärgernis bleiben. Nicht nur, weil die Themen, die er behandelte, aktuell bleiben werden, sondern auch, weil Schriftsteller seines Formats seltene Ausnahmeerscheinungen sind in dem Meer der Mittelmäßigkeit, das uns umgibt.
Mit seiner Sprachgewalt stellte Karlheinz Deschner selbst Nietzsche in den Schatten. Ich wüsste niemanden, der ihm als "Streitschriftsteller" oder Aphoristiker das Wasser reichen könnte. Es war ein unglaubliches Privileg, ihn kennenlernen zu dürfen. Ich habe ihn außerordentlich geschätzt – nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Mensch, als Freund. Umso schmerzlicher ist der Verlust.
Humanistischer Pressedienst – 11.4.2014
BERLIN/WIEN. (hpd) Der Tod von Karlheinz Deschner, am Donnerstag der Öffentlichkeit erstmals bekannt gegeben, ist Gegenstand hunderter Medien-berichte im
deutschsprachigen Raum. Die vielen Berichte zeigen: Deschner
hat bis zuletzt polarisiert. Auch wenn ihm sogar konservative Medien unüberhörbar Respekt zollen.
Kaum ein deutschsprachiges Medium, das sich selbst ernst nimmt, hat nicht über den Tod des bekanntesten und wortgewaltigsten Kritikers des Christentums berichtet. Den Anfang machte der ORF, übrigens unter Berufung auf den Nachruf von Michael Schmidt-Salomon im hpd. Im Laufe des Tages übernahm die Redaktion eine ausführliche Meldung der dpa, in der auch Kritiker Deschners zu Wort kamen.
Auch die rechtsstehende WELT zählte zu den ersten
Berichterstattern und titelte den ausführlichen Nachruf neutral: “Karlheinz Deschner gestorben”: “Er mochte es schon immer radikal und hatte sein eigenes Glaubensbekenntnis: ‘Ich glaube wenig, und
das auch nicht ganz.’ Seit den 1960er Jahren galt er als einer der bekanntesten und für manche auch bedeutendsten Kirchenkritiker in Deutschland. Im Alter von fast 90 Jahren starb Deschner am 8.
April in seiner fränkischen Heimatstadt Haßfurt,
wie die Giordano-Bruno-Stiftung am Donnerstag mitteilte.”
Die FAZ zeigt sich anerkennend und zugleich distanziert kritisch.
"Richter gnadenlos" heißt ihr ausführlicher Feuilletonartikel. “Er hat sich gern immer größere Gegner gesucht”, ordnet Hannes Hintermeier Deschner ein. “An Selbstbewusstsein mangelte es ihm in seiner
Schreibstube im unterfränkischen Haßfurt nie:
Deschner hatte sich aufs Banner geschrieben, im Alleingang eine der größten Anklagen der Menschheitsgeschichte zu verfassen. Das brauchte seine Zeit. Nach mehr als fünfzehn Jahren Vorarbeit
erschienen 1986 die ersten beiden Bände seiner ‘Kriminalgeschichte des Christentums’, die Deschner im vergangen Jahr mit Band zehn altersbedingt einstellen musste, die Neuzeit hat er nicht mehr
erreicht.”
Hier schimmert die Achtung vor Deschner mehr als nur durch. Wenn auch mit deutlicher Distanz: “In seiner Besessenheit hatte Deschner zuletzt durchaus tragische Züge. Glühender Atheist, der er war, hat er den Gedanken an eine Einäscherung stets verworfen: Er wolle wie seine Mutter ‘von Würmern zerfetzt’ werden, hat er in einem Interview verraten. ”
Pascal Beucker in der taz würdigt in seinem Nachruf "die
Stimme der religions-kritischen Vernunft in Deutschland”: “Mit dem Rowohlt-Verlag vereinbarte Deschner 1970 die ‘Kriminalgeschichte des Christentums’. ‘Ich möchte das Werk
zu einer der größten Anklagen machen, die je ein Mensch gegen die Geschichte
des Menschen erhoben hat’, schrieb er in seinem Exposé. Das ist ihm gelungen. Jahrelang an der Armutsgrenze balancierend, tippte er sich unermüdlich auf seiner Olympia-Schreibmaschine seinen Zorn
über die Verlogenheit des Christentums vom Leib. Ursprünglich als einzelnes 350-Seiten Buch geplant, entstand eine 5.820 Seiten starke Generalabrechnung mit der ‘Religion der Nächstenliebe’. Der
letzte der
10 Bände erschien im vergangenen Jahr.”
Auch in der Schweiz stieß die Nachricht vom Ableben Karlheinz
Deschners auf breiten öffentlichen Widerhall. Michael Meier von der Baseler Zeitung titelt seinen Artikel: "Der große Kirchenkritiker ist verstummt" und zieht lesbarerweise den
Hut vor Deschner: “Keiner nahm die Doppelmoral von Helden und Heiligen so gnadenlos aufs Korn wie er, beschrieb die Projektionen und Schattenkämpfe von besonders frommen Menschen so akkurat und
lotete die Fallhöhe zwischen Erhabenem und Niedrigem, zwischen Anspruch und Wirklichkeit so schonungslos aus. Als ästhetisches Stilmittel bediente er sich immer und immer wieder der Ironie: ‘Morden
mit Maria’, ‘Mission und Massaker’, ‘Wehrhafte Heilige’, ‘Kirche, Krieg und Kapital’ hießen die Kapitel seiner kirchenkritischen Werke. Schließlich war er überzeugt: ‘Wer Weltgeschichte nicht als
Kriminalgeschichte schreibt, ist ihr Komplize.’ So grenzte er sich von den ‘staatshörigen Historikern und genebelten Theologen’ ab.” Das ist mehr als nur pietätvolle Würdigung einer bekannten, wenn
auch umstrittenen Persönlichkeit.
Der Bayerische Rundfunk widmete seinem ehemaligen Freien
Mitarbeiter einen ausführlichen, sehr persönlichen Nachruf, gestaltet von Eberhard Schellenberger, der im Player des eher kurzen Online-Artikels zu hören ist. Auch hier überwiegt
der Respekt, bei aller freundschaftlich-kritischen Distanz des Redakteurs.
Auch zahlreiche deutsche Regionalmedien berichteten –
interessanterweise eher die aus dem Westen. Die meisten übernahmen die Meldung der dpa. Allerdings finden sich auch hier ausführliche eigene Nachrufe wie von Ralph Heringlehner in der
Mainpost: “Karlheinz Deschner wirkte eher traurig als bösartig, wenn er über Religion und ihre Folgen sprach. Wie auch anders, wo doch – so meinte er – über Jahrhunderte hinweg unter dem
Deckmantel des Christentums Gräueltaten verübt worden seien: ‘Der Glaube hat die Menschen auf die Schlachtfelder getrieben.’ Deschner war indes nicht so kurzsichtig, Derartiges nur dem Christentum
anzu- lasten, wenn er sich in seiner Kritik auch darauf konzentrierte. Alle großen mono- theistischen Religionen und auch manche politische Ideologie hätten die gleiche Wirkung: Sie gaukeln ein
geschlossenes Weltbild vor. Mit der fatalen Folge, dass sich ihre Anhänger im Besitz der Wahrheit wähnen und sie anderen aufdrängen wollen. Wenn nötig mit Gewalt. Verzicht auf Religion hielt Deschner
folgerichtig
für eine Voraussetzung zum toleranten Miteinander.
Die Publicity um die ‘Kriminalgeschichte’ hat eines immer verdeckt: Deschner war auch ein wortmächtiger literarischer Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Seine plastischen
Schilderungen, etwa von Spaziergängen in der fränkischen Heimat, sind ein Lese- Erlebnis. Auch für jene, die mit seiner Religionskritik nichts anfangen können.”
Nicht in allen Redaktionen scheint Deschner auf so viel
Anerkennung gestoßen
zu sein. Die Berliner Springer-Boulevardzeitung Zeitung BZ titelte ihren Artkel: “Kirchenhasser Karlheinz Deschner ist tot”. Was zeigt, dass Deschners Werk über seinen Tod hinaus
polarisiert. Wenig könnte die Bedeutung seiner jahrzehntelangen Arbeit so unterstreichen wie dieser Umstand.
Karlheinz Deschner 1924- 2014
Allgemeinbildungsgut ist Deschners Wissen um kirchliche Abgründe bis heute noch lange nicht. Karlheinz Deschner starb am
8.April 2014
Im stillen Grabe, unter der Grasnarbe noch, die Kretins, die vergeblichen, verkannten, die anerkannten, hochgejubelt congenialen Stars des Literatrubels, fad sinistre
Prominenz gestohlener Zeit, wie sie ihm, bar allen Erbarmens mit den "Armen", alle Sündenstolz hießen, Hermann Hesse, Max Frisch, Walter Jens, Hans-Magnus Enzensberger, Günther Grass, Uwe Johnson,
Ingeborg Bachmann, Siegfried Lenz, Heinrich Böll zum wiederholten Rapport bestellt, kühn den Stachel wider den Ungeist der Zeit gelöckt -- war das lebenslang Karlheinz Deschner?
Ja, er war es, bis er am 8. April 2014 mit 89 Jahren starb, als weilte er für alle
Zeiten unter uns, den Übriggebliebenen der Schande nicht nur im Namen der Christenheit auf Erden?
In Medias Res der Ermittlungen von Karlheinz Deschner in Auszügen:
Kaiser Konstantin "Magnus", starb im Jahre 337 n. Christus, alle Mitglieder
seiner Familie, die seiner Karriere im Weg standen, soll er, seiner inneren
Stimme folgend, umgebracht haben. Tausende an Mordtaten "zu Felde" hat er auf dem Kerbholz, vom Bewusstsein eines persönlichen Gewissen konnte noch keine Rede sein. Als "leuchtendes Vorbild der
Christenheit" wird Konstantin "heilig" gesprochen: Hat er doch ganz im Sinne jener Zeit neuen Erfindungs-drangs eines bewaffneten Christentums im rechten Glauben gehandelt.
Vor allem hat Konstantin, den "alle als einen gütigen Vater kennengelernt hatten" (Bischof Theodoret), gesiegt. Es kommt auf die Menge des Erfolgs an
und auf die richtige Rechtfertigung desselben. Wer einmal mordet, ist kriminell. Erst der Umfang des Wütens und die Flut des vergossenen Blutes machen Verbrechen straflos. Wer sich seine Taten von
Päpsten sanktionieren läßt, ist historisch am erfolgreichsten
.
Papst Leo I. (440-461) stachelt an: "Wenn der Geist Gottes die Eintracht zwischen den Christenherrschern stärkt, sieht die ganze Welt, wie in doppelter Hinsicht das
Vertrauen wächst: Durch den Fortschritt im Glauben und in der Liebe wird die Macht der Waffen unüberwindlich, so daß Gott, durch unsere Glaubenseinheit gnädig gestimmt, in einem den Irrtum der
falschen Lehre und die Feindseligkeit der Barbaren vernichten wird."
Einer von Leos Nachfolgern, Sergius I., setzt diesem "Löwenpapst" übers Heilige Grab: "Er hat gebrüllt, und die feigen Herzen der Tiere begannen zu zittern." Der
Schreibtischtäter Leo I. hatte geraten, die Nichtchristen "wie tod- bringendes Gift" zu meiden, kein Wort mit ihnen zu sprechen, vielmehr sie in ihre "finsteren Schlupflöcher" zurück zu jagen.
Vernichtung der Menschenwürde der Andersgläubigen, Sprache der gesalbten Totschläger nenne ich so was, entnommen dem uralten Wörterbuch des Unmenschen.
Kirchengeschichte aus der Sicht eines investigativen Ermittlers gelesen,
als Geschichte von Verbrechen mit Billigung, wenn nicht fordernd, fördernd unter dem Beifall der Kirche, von Laien, von Klerikern, von Priestern, Bischöfen, Kardinälen und Päpsten verübt - das ist
der giftig strahlend kontaminiert blut- rote Faden in Karlheinz Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums".
Karlheinz Deschner, geboren 1924, im Jahre 1988 Träger des Arno-Schmidt-Preises (weil er für den Primat der Vernunft, für den Vorrang der Wahrheit vor der historischen Lüge schreibe), ist im
moralischen Sinne Überzeugungstäter,
auf keinen Fall wollte er Fachhistoriker gerufen sein, auch wenn die Mehrzahl seiner Bücher Geschichtswerke reinen Wassers sind.
Seit Jahrzehnten völlig auf sich allein gestellt, im gewollten Kontrast zu seinen zahlreichen Gegnern ohne Assistenz, Zuträger, Geldmittel aus einer Universität, verlangt
Karlheinz Deschner als freier Schriftsteller danach, vor sich und der
Welt mit Belegen offenzulegen, dass das Verbrechen im Gewand willkürlicher Selbstermächtigung mit dem Postulat "Gegen die, denen Gott zürnt", von Beginn im organisierten Christentum systemischen
Charakter hat. Plastisch ausgedrückt, so wie die Atomenergie in jenen Jahrzehnten, in denen Karlheinz Deschner seine voluminöse Kriminalgeschichte des Christentums bis ins Jahr 2013 in 10 Bänden
schrieb. Nicht Teil eines organisierten Verbrechens, sondern ein Verbrechen sui generis an der Menschheit und unserer Erde selber ist.
Des Moralisten verzweifelte Fragen hinter seinen kirchenkritischen Büchern:
Wie viele Ermordete, Gefolterte, Ausgeraubte, Versehrte müssen denn noch her, bis über Ermattung durch die böse Tat Reue einsetzt und gar Abkehr? Wieviel
an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen Andersgläubige, gegen Ketzer muss aufgedeckt sein, bis dem Sinn für Komplizenschaft Lebenssaft und Kraft aus- und verlorengeht? Bis es als Schande gilt,
sich in Andachten, Gesang, Gebeten, Lithurgie, Litaneien als Christ zu bekennen? Bis die identifizierten
Täter sich nicht mehr als Beleidigte, von der uneingestanden eigenen Schuld Gekränkte in herzerbarmende Szene setzen dürfen?, Oder sich mit himmel-schreiend wohlfeil orchestrierten "Mea Culpa"
Chorälen ihren wirklichen Verpflichtungen an der Gesellschaft, den Menschen unserer Einen Welt gegen- über entziehen?
1986 war Deschners erster Band, "Die Frühzeit" (bis 430), erschienen, mit inzwischen 130 000 verkauften Exemplaren. 1989 lag der zweite Band vor,
"Die Spätantike" (bis 565). 1990 ist der dritte (bis zum Jahr 1000). Im Jahr 2000 (nach "christlicher" Zeitrechnung) lag beinahe das Gesamtwerk vor, bis auf den Zehnten und letzten Band im November
2013. Wie viele Bände sein Lebens-
krönungswerk umfassen wird, wusste Deschner 1990 noch nicht zu sagen, meinte aber, neun würden es gewiß. Nun sind es Zehn geworden.
Alle Bände haben gut 580 Jahre der Kriminalgeschichte des Christentums bis
ins Jahr 2010 aufbereitet. Auf gut 40 000 Seiten Exzerpten und Entwürfen - kein Wunder bei dieser Überfülle an Tatbeständen, an kirchlich inspirierten, von Kirchenleuten begangenen Verbrechen, Mord,
Raub, Betrug, Vermögensentzug, Erberschleichung -- reuelos ungesühnt an Juden, Heiden, Andersgläubigen, Aufklärern, Ketzern, Hebammen, Hexen, verübt im Namen ohne Rechnungs-legung gegenüber der
Alleinseligmachenden Kirche in Rom, Konstantinopel, Mailand, Nürnberg, Kiew, Moskau, Wittenberge, Köln, Trier, München, Mainz, Weimar, Jena, Leipzig, Hamburg, Stralsund, Lübeck, Magdeburg, Prag,
Genf, Basel, Paris, Münster, Brüssel, Madrid, Lissabon, Wien, London, Stockholm, Bergen, Kopenhagen..
Der Plan, 2000 Jahre Heilsgeschichte unter dem Zentralaspekt kriminell heilloser Energie, zu ergründen, bietet konfessionell gelenkter Geschichts-schreibung eine nie
dagewesene Chance, im kirchlichen Raum Begriffe von Unrechtsbewusstsein in Fragen des theologisch gesteuerten Umgangs mit der Menschheits- und Erdengeschichte, nährend, zu fördern und expressis
verbis von der Kanzel, in Andachten, Gebeten Gesängen im Kreise der Gemeinde,
urbi et orbi, zu fordern.
Die römische Kirche läßt das Christentum von theologisch- juristisch geschulten Christen aufbereiten. Sie beginnt erst langsam und weiter hinhaltend, scheibchenweise, ihre
Archive im Vatikan und andernorts der staatlichen Praxis in vielen Ländern, auch in Deutschland, England zur unselig leidlichen Nach- ahmung empfohlen der Welt für wissenschaftlich fundierte
Forschung zu öffnen.
Lange ertrugen die sogenannt Eingeweihten, die Experten von dunklen Gnaden Karlheinz Deschners Gegenstimme nicht. Deschner, das streuen sie hier und da noch immer, auch wenn auf dem Heiligen Stuhl nun ein Papst Franziskus Einkehr, Bescheidenheit, Demut, Sinn und Achtsamkeit gegenüber Alltagssorgen der Menschen predigt, Deschner ist ein Volksverhetzer, ein Satansanhänger, ein neuer Julius Streicher, ein Alfred Rosenberg, Houston Stewart Chamberlain, zumindest sei er aber ein unseriöser Marktschreier, ein "Abermals und immer wieder kräht der Hahn" dem die Zunft der Eingeweihten jeden Dialog zu ver- weigern hat und seine Anerkennung in den Medien in Harnisch hintertreibt.
Im Chor derer, die zigtausend Schriften in Archiven, Bibliotheken, Buchhand-lungen einstellen ließen, die die orthodoxe Litanei des Halleluja, Kyrie eleison absingen,
singt nicht etwa einer falsch – der schrille falsche Gesang wider den Geist der Aufklärung ist Programm.
Deschner hat zwei Dutzend lästerlich anstößig erregende Bücher als insge- heim anerkannter "Kotzbrocken" unter den Literatur- und Kulturkritikern hier- zulande zum Broterwerb
hinter sich gebracht, die ihm keine Freunde schufen, doch viele zum Feinde machten. Aber sein unbändiges Gespür für Scharfsinn nach dunkler Zeit der braunen Horden in Europa von 1933- 1945 bei
investi- gativen Ermittlungen zwischen kulturell-klerikalen Zeilen, dahinter und im theologisch-historischen Zusammenhang auf dem Weg zur Vollendung seines Werks zum wichtigsten Werkzeug
macht,:
* Karlheinz Deschner: "Kitsch, Konvention und Kunst"
Paul List Verlag, München: 184 Seiten, 1957
* Karlheinz Deschner: "Talente - Dichter -Dilettanten. Überschätzte und
unterschätzte Werke in der deutschen Literatur der Gegenwart".
Limes Verlag, Wiesbaden; 1964, 388 Seiten
Deschner ist dabei nicht investigativer Reporter mit Sinn für Bestsellerlisten, sondern Moralist, Prediger in Gestalt und Habitus eines Johannes der Täufer,
der immer wieder dasselbe zu sagen wagt, es Zeitgenossen und nächsten Generationen erzählen will und die Hoffnung nicht aufgibt, es einmal historisch
in Lettern geschmettert vortragen zu können, als Reminiszenz an all das Unge- heuerliche in der Kirchengeschichte. Das und viel mehr ist Karlheinz Deschner gelungen. Deschner ist wahrlich nicht der
Begünder der Kirchen-Kritik per se;
er steht in einer langen Reihe der Kirchen Kritik Tradition, der Aufklärer, angefangen mit Giordano Bruno.
Karlheinz Deschner hat den violetten Faden der Kirchenkritik in einer Zeit
nach 1945, mitten im Wirtschaftswunder in Westdeutschland aufgegriffen, in
der vielen Altnazis, Mitläufern die Kirchen als Zufluchtsorte, als Ersatz für ihre "Braune Kirche" galt, sich ihrer Gewissensbefragung, Verantwortung für Ver- sagen in Amt und Würden, Verstrickung in
und NS-Kriegsverbrechen selber
zu entziehen. Erinnert sei hier an Aufklärer des 18. Jahrhunderts, wie die Franzosen Pierre Bayle, Claude Helvetius, Voltaire oder an den deutschen Schriftsteller Heinrich Heine. In Deschners
"Kriminalgeschichte des Christen- tums" hat nun auch das 20. Jahrhundert, bis in den Beginn des 21. geweitet,
sein Buch.
Machen wir uns nichts vor: "Allgemeinbildungsgut ist Karlheinz Deschners Wissen um kirchliche Abgründe aber bis heute bei weitem noch lange nicht."
Im Juni 1993 erhielt er – nach Walter Jens, Dieter Hildebrandt, Gerhard Zwerenz und Robert Jungk – den Alternativen Büchnerpreis und im Juli 1993 - nach Andrej Sacharow und Alexander Dubček - als erster Deutscher den International Humanist Award der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (International Humanist and Ethical Union). Zudem wurde Deschner im September 2001 mit dem Erwin-Fischer-Preis des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und im November mit dem Ludwig-Feuerbach-Preis des Bundes für Geistesfreiheit ausgezeichnet. 2004 wurde Deschner der Wolfram-von-Eschenbach-Preis des Bezirks Mittelfranken für sein Lebenswerk zuerkannt. Die Laudatio hielt der Literaturwissenschaftler Karl Corino. 2006 bekam Deschner den Premio letterario Giordano Bruno, Mailand.
Im Jahre 2006 wurde Deschner zum Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Abteilung für Geschichtswissenschaft) gewählt.
Im Jahr 2004 gab die Giordano Bruno Stiftung die Einrichtung eines nach ihm benannten Karlheinz-Deschner-Preises bekannt, der Personen oder Organisa-tionen verliehen werden soll, „die in besonderem Maße zur Stärkung des säkularen, wissenschaft-lichen und humanistischen Denkens und Handelns beitragen“. Erster Träger des Deschner-Preises (2007) war der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins (Oxford), Verfasser der großen Streitschrift "Der Gotteswahn", der auch in Deutschland zm Bestseller wurde.
Wird Karlheinz Deschners Werk über die Kultusminister in den Bildungskanon der Schulen gelangen? Der Verdacht vieler, die Kirche habe schmutzige Hände, wird durch das Beharrungsvermögen von Deschners
Forschungen zur Gewiss- heit. Die Fakten beginnen endlich die unseligen Ahnungen und Mutmaßungen vieler Menschen zu ersetzen. Und was die Phantasie erdacht hat, gerät durch Hinweise auf die Realität
ins Erblassen. Beispiele, welcher heillos unselige Ungeist Kirchenfürsten prägten und selber machtvoll predigten: "Ich warne euch vor den Tieren in Menschengestalt", sagt der heilige Irenäus. "Sind
sie aber keine Christen, sind sie Teufel"; "Schlachtvieh für die Hölle", sagt der nicht weniger heilige Kirchenvater Hieronymus.
Wenn Heilige so deutlich die Richtung weisen, zeitigt das Folgen: "Der katho-lische Kaiser Valentinian I., gestorben 375, befiehlt schon wahllose Exekutionen; nur sonntags sollen keine
Hinrichtungen von Ungläubigen erfolgen. Der Irrtum, wenn's denn überhaupt einer war, hat kein Recht: Die Irrenden erfahren keine Gnade. Und: "Es ist gerecht, diejenigen auch ihrer weltlichen Güter zu
berauben, die nicht den wahren Gott verehren", dekretiert der Christenkaiser Justinian im Jahre 527, und schon hat das Großreich seine Pogrome. "Auf daß sie im Elend erliegen", verlieren Ketzer die
Bürgerrechte, ihr Besitz wird beschlagnahmt und an rechtgläubige Volksgenossen verteilt, ihre Bethäuser gehen in Flammen auf. Die "Christenverfolgungen" der christlichen Ur- und Frühzeit sind,
verglichen mit den Verfolgungen, die durch Christen geschehen sind, unerheblich gewesen.
Ehrliche Bücher machen den Leser nicht nur sehnsüchtig nach Wahrhaftigkeit,
sie richten ihn auf. Wie hältst du es, nach der Lektüre dieser Fakten, mit so einer Religion, die als genuin abendländisch gilt und auch noch als Frohbotschaft vom lieben Gott unter den Menschen
geladen sein will? Die staatlich gefördert, von der Gesamtgesellschaft finanziert, von den Großmedien verklärt, in den Kanon der Wissenschaften integriert, in den Parnass der Leitungs- und
Repräsentanz-gremien einer demokratisch sich nennenden Rechtsstaats-Gesellschaft gestellt ist?
Verständlich, wenn einer nach einer Deschner-Lesung, nach dem Tod des großen Autors der Lektüre seiner Werke, stehenden Fußes zum Amtsgericht schreitet, seinen Kirchenaustritt zu erklären, da er
in einer so monströs ekelhaft bruchlos hermetisch geschlossenen Tradition ein Stück Gegenwart erkennt, außer er wendet sich im heiligen Zorn voller Empörung der Kirche von unten zu. Die gibt es
inzwischen auch. Doch es gibt keine gute Seite einer üblen Sache. Daneben aber so einfach wie stetig einen bösen allzu menschlichen Verdacht.
Die schlimme Seite ist hier die Wesentliche, verdeutlicht Karlheinz Deschner
mit klarem Blick auf das hierarchische Organisationsmodell Kirche - und, als Parallelbeispel, auf die Menschheitsbedrohung aus einer angeblich friedlichen Nutzung der Atomenergie. Wie mit der
Verfestigung des Irrationalen durch die Vermachtung der Administration des Transzendenten -- so steht es auch mit der Durchsetzung der zivilen Nutzung der Atomernergie nach 1945 im Kalten Krieg, als
sei dieser allein zu dem ungestörten Behufe eröffnet worden, die Finanzie- rung der militärischen Nutzung atomarer Sprengkraft für die Produktion von Atombomben und den Bau von Atommüll-Zwischen-
& -Endlagern, verdeckt über den Strompreis für Privathaushalte subventioniert, Jahrzehnt um Jahrzehnt zu gewährleisten.
Aber Karlheinz Deschner juckte mit Herz, Hirn, Humor, Mutterwitz der
Hafer des begnadeten Kabarettisten bei der Findung der richtigen Pointe, wenn er sich selber u. a. auf die Schippe nehmend, den Satz prägte:
"Je größer der Dachschaden, desto
schöner und ungestörter
die Aufblicke gen Himmel."
Auf Karlheinz Deschners Leben und Wirken lässt sich wahrlich passend der
Satz Friedrich Hölderlins (1770- 1843) münzen: "Der Mensch kann nicht nur
nach unten, er kann auch ins Oben fallen." Jedenfalls ist es Karlheinz Deschner
mit der historischen Perspektive auf Mörderpäpste, Kreuzzugs-Kardinäle,
Lügenpriester und -theologen gelungen wenn nicht ein neu gestimmtes Halleluja und Kyrie eleyson, so doch eine immer weiter eskalierende, expandierende Diskussion anzustoßen.
Wo könnten Christen das Diskutieren in einer basisdemokratisch verfassten Kirche erlernen? Ihre Evangelien kennen keine Duldung eines Gegenüber auf Augenhöhe, das freimütig-offenherzig Zunge zeigt,
Dann wohl nur durch Spiegelneuronen (= Resonanzsysteme) in einer säkular demokratisch dialogisch statt diabolisch entwickelten Zivilgesellschaft. Schon die früheste, heiligste aller
Gründungsurkunden, das Neue Testament, hat einen charakteristisch über- aromatisierten Beigeschmack: Es spielt durchweg in kleingeistig bäuerlichem Milieu. Seine Erwählten baden in praller draller
Selbstgefälligkeit. Seine Jünger hassen alle, die sich nicht bei ihnen weinselig zu Hause fühlen. Dem Philosophen Friedrich Nietzsche ist es noch 1.844 Jahre später im Laufe seines zu kurzen Lebens
von diesem Christen- Mief und -Muff unter den Wendehals-Talaren speiübel gewesen.
Deschners Kritiker müssten beweisen, was der Autor erfunden, erstunken,
erlogen hätte, dass da etwa Zitate gefälscht, falsch angewendet, falsch von ihm bewertet worden seien, dass Deschner nicht immer auf dem neuesten Stand der Forschung gewesen sei. Da sie dazu durch
die Kirchenbank schweigen, ist - im ersten Hindenken - zu vermuten, dass sie ihn nicht widerlegen können.
Und im zweiten Hindenken, dass sie nicht einmal die Energie und Anstren- gung dafür aufbringen, Deschners Werke lesend, der Kirche selber auf deren Historie und per Kenntnisnahme ungeheuerlicher Menschheitsverbrechen auf die frömmelnden Schliche kommen zu wollen. "Kein Anschluss unter dieser Nummer! Nach kritikvermeidendem Diktat verreist!" .
Karlheinz Deschner hat mehr Tages- und Nachtstunden drangegeben, als es
je jemandem einfallen mag, der für seine Arbeit im Weinberg des Herrn nach dem dynamisierten Lebenszeitbeamtentarif ab A 13 bis zum Beginn des Pen- sionsalters, gar Vorruhestandes, für die
vorgezogene Fahrt auf den Golfplatz
von nebenan entlohnt sein will und wird. Respekt vor der Leistung derer, die
als basisgewählte Geistliche, Seelsorger/innen, Diakone/issen auf einem Platz verweilen, von dem sich Hunderte auf der Reise ins Land der Besserdotierten
auf der Karriereleiter der kirchlichen Administration hingestohlen haben.
Kein Wort der Reue war je zu vernehmen - aus berufenem Mund im Namen
der Körperschaft Kirche und keine Geste der Erinnerung an die Opfer dieser
ihrer eigenen Kirche, denn ihnen, den "Gläubigen" und geweihten Funktionären, geht es, wenn überhaupt, um bedauerliche Einzelfälle, irrige Personalentschei-dungen, mit Hinweis auf "Errare
Humanum est". Das ist die heutige Taktik derer, die klerikal keine Scheiterhaufen mehr brennen lassen können. Papst Johannes Paul II (Wojtyla), Papst Benedikt XVI (Ratzinger) reisten immerhin zu den
Tatorten von einst, ließen sich huldigend feiern und posierten in Andacht und Schweigen.
Wegsehen ist auch eine Form der Zustimmung, des unausgeprochenen Ein-
vernehmens mit dem Lauf der Geschichte - so könnte man meinen. Und doch, wenn auch kein Hinschauen, so war da doch eine Art beredtes Hinhören dieser Päpste zu gewärtigen. Das immerhin ist neu.
Der Schriftsteller Heinrich Böll, Katholik, hatte ein besonderes Gespür für
die kirchliche Korruptheit, die sich seiner Meinung nach nicht nur in der Ver-
gangenheit, sondern in subtileren Formen auch in der Gegenwart manifestiere. Weshalb auch er schließlich aus der Körperschaft Katholische Kirche austrat. Böll war über das Infame in der Kirche so
empört, dass er z. B. gegenüber dem "Päpstlich in Acht und Bann Verdammten" Professor Horst Herrmann aus Münster/NRW wiederholt unverhohlen deutsche Bischöfe als "noch nicht entdeckte Ganoven,
womöglich gar Gauner, Halunken" titulierte. Damals, im Jahr 1974 hat Horst Herrmann Heinrich Böll, nach eigenem Bekunden, ungläubig verdutzt angeschaut. Herrmann glaubte:
"Das Schlimme läge hinter uns,
begraben in den Marmor-Sarkophagen der Kathedralen.“
Mitnichten! Die Werke Karlheinz Deschners haben Horst Herrmann zu einem anderen, zu einem weniger verhangenen, vielmehr klaren Blick auf die Werke der Kirchen im Für und Wider unserer Einen Welt
verholfen. An ihren Früchten und Werken sollt ihr sie erkennen, meinte Jesus, der gewiß nicht der Stifter der Religion war, die in den Jahren nach seiner Kreuzigung auf dem
"Galgenberg"
zu Golgatha seinen Namen okkupiert hat.
Dass die Wirkungsgeschichte des Evangeliums von der Liebe eine Rekordzahl gefolterter und getöteter Opfer aufweist, liegt auch an der Unvollkommenheit seiner Anhänger. Aber es liegt auch an den heiligen Schriften selber, deren Autoren die Absichten Jesu bereits im Keim erstickt, abgeschwächt, umgedeutet und mit Vorsatz verfälscht haben.
Danke, Karlheinz Deschner!
Joachim Petrick / red. KUS
“Dass alle die Wahrheit suchen,
heißt nicht, dass es sie gibt“.
Zum Tod des großen Karlheinz Deschner
Es war dem kleinen Karl Heinrich Leopold Deschner nicht in die Wiege gelegt worden, dass aus ihm einmal der berühmteste Kirchenkritiker des Abendlandes werden sollte. Mit 10 Jahren wollte Deschner schließlich noch Pfarrer werden. Letztlich haben sich auch Franziskaner, Karmeliter und englische Fräulein um seine frühe Schulbildung redlich bemüht, deren Einfluss sich letztlich gegen die Kraft der Gedanken von Kant, Nietzsche und Schopenhauer aber nicht halten konnte. Zunächst schrieb er als Literaturwissenschaftler und Historiker „Kitsch, Konvention und Kunst“ und „Talente, Dichter, Dilettanten“, wo er so viel bewunderten Autoren wie u.a. Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll und Hermann Hesse ein respektloses Kitsch-Urteil ausstellte… Endlich einmal einer, möchte man da noch heute rufen. Als Kritiker hat er sich zeitlebens verstanden.
Vermutlich Kant, Nietzsche und Schopenhauer waren letztlich weit eher
für seine berufliche Hinwendung zur Kirchenkritik verantwortlich als die Heirat mit der geschiedenen Elfi Tuch 1951, die ihm die Exkommunikation durch den damaligen Bischof Julius Döpfner einbrachte.
1956 erschien „Die Nacht steht um mein Haus“, danach sein erstes kirchenkritisches Werk „Was halten Sie vom Christentum?“ und 1962 das heutige Standardwerk „Abermals krähte der Hahn“. 1970 schloss er
schließlich mit dem damaligen leitenden Redakteur Sachbuch des Rowohlt-Verlags, Hermann Gieselbusch, einen Vertrag über einen Band zur „Kriminalgeschichte des Christentums“ ab… Es sollten insgesamt
im Laufe der folgenden Jahre 10 Bände werden, und der letzte konnte wegen des Autors schwindender Gesundheit nur noch durch den Einsatz von Dr. Michael Schmidt-Salomon, dem Präsidenten der
Giordano-Bruno-Stiftung, fertiggestellt werden. 1971 stand Deschner in Nürnberg wegen Kirchenbeschimpfung vor Gericht. Seine sarkastische Verteidigungsrede liegt gedruckt vor. Das Verfahren wurde
wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Dr. Karlheinz Deschner war ein warmherziger Melancholiker, Einzelgänger, Schwerstarbeiter,
Agnostiker, Vater von drei Kindern, überzeugter Vegetarier.
Er arbeitete ohne Rücksicht auf Sonn- und Feiertage ohne Unterlass, bis zum Schluss auf der Schreibmaschine und ohne Computer im fränkischen Haßfurt. Er war noch keine 50 Jahre alt, als ihn der erste
Herzinfarkt ereilte. In den letzten Lebensjahren wurde er zunehmend schwach und chronisch krank. Dennoch arbeitete er ohne Unterlass und nahm dazu Jahr um Jahr zahlreiche Reisen und Vortragsauftritte
auf sich. Weit über 50 Schaffensjahre widmete er als „Der Antichrist" (Süddeutsche Zeitung) dem Kampf gegen „Gott und Teufel“ (Springers DIE WELT) und setzte sich ein für einen „götterlosen Himmel“
und eine „priesterfreie Welt“ (AZ). Die inzwischen recht zahlreich existierenden säkularen Verbände unterstützte er viele Jahre nach Kräften. Als sich der bayerische Kabarettist Siegfried
Zimmerschied sich 1975 wegen seines Stückes „Die Himmelskonferenz“ wegen Verstoßes gegen §166 StGB (Gotteslästerung) vor Gericht verantworten musste, suchte auch er beim damals schon berühmten
Deschner EXpertenrat - und wurde vom Vorwurf der "Gotteslästerung" frei- gesprochen.
Trotz seinem unglaublichen Einsatz, seiner Akribie, seinem Fleiß reichte es
für KHD nie zu einem wirklich sorgenfreien Leben für seine fünfköpfige Familie. Glücklicherweise fanden sich Bewunderer, die ihrerWertschätzung Taten folgen ließen - u.a. der Schweizer Journalist und
Philosoph Robert Mächler und der Unternehmer Herbert Steffen, Gründer der Giordano Bruno Stiftung. So war Deschner doch in der Lage, sein atemberaubend umfassendes und tieflotendes, genauestens
recherchiertes und belegtes Werk zu schaffen, als dessen Krönung die "Kriminalgeschichte des Christentums" fertigzustellen. Nach Jahrzehnten des literarischen Kampfes gegen amtskirchliche und ihr
gewogene publizistische (an Zahlen und Mitteln, nicht an geistigen Waffen) christliche Übermacht hätte er gegen Ende seines Lebens seine Kraft gern noch den Tieren gewidmet… "Dass ihnen die Achtung
und Würde entgegengebracht würde, die ihnen zusteht", ein – wie er selber wusste – vermutlich ganz aussichtloser Kampf, vergeblich im Gegensatz zu dem gegen das kirchliche Establishment und seine
Träger: „Wer die Kirche verlässt: ein Lichtblick für mich; wer kein Tier mehr isst: mein Bruder“ (aus Ärgernisse).
Zum Einsatz einer wachsenden Schar von Bürgern für die Trennung von
Staat und Kirche war Karlheinz Deschner unverzichtbar. Die Gespräche mit
ihm, etwa am Rande der Ersten Atheisten-Konferenz in Fulda im Herbst 1991 (https://www.ibka.org/artikel/miz91/fulda.html), bei seinen Vorträgen an
der Technischen Universität München Ende der 1980er, in Stuttgart, in Zürich und 2007 bei der Preisverleihung der Giordano Bruno Stiftung in Frankfurt/M. , auch bei seinen Auftritten als Referent des
Dachauer "Forum Republik", waren den Autoren dieser Zeilen stets eine Ehre und Ermutigung. Der bfg München
hat Deschner seit seinem 80. jährlich mit einem kleinen Geschenk zum Geburts- tag gratuliert, wofür er sich stets persönlich bedankte. Seinem engagierten späten Zuarbeiter KUS erwies er die große
Ehre des Übergangs zum väterlich-freund-schaftlichen "Du'". Am 8.4.2014, wenige Wochen vor seinem 90. Geburtstag, ist Dr. Karlheinz Deschner gestorben. Wir wünschen ihm eine schmerzfreie, frohe
letzte Reise und werden ihn, den großen Aufklärer – nicht nur als "götterlose“ Rationalisten, vor allem als seine Erkenntnis-Schüler – unendlich vermissen.
im April 2014
Assunta Tammelleo & KUS