Einen schlimmeren Rechtsruck
als das rücksichtslose Durchboxen von TTIP,
Agenda 2010 und Kriegseinsätzen gibt es nicht.
Die AfD treibt nur auf die Spitze, was die etablierten Parteien vorgemacht und vorbereitet
haben. Beim Umgang mit TTIP wird sichtbar, dass CDU/CSU, SPD und Grüne auf die Demokratie pfeifen. Die Agenda 2010 war der Abschied vom Konzept der Sozialstaatlichkeit. Die Kriegseinsätze und die
Beteiligung der Bundeswehr bei Kriegseinsätzen außerhalb des NATO-Bereichs, begonnen 1999 mit dem Jugoslawien Krieg, dazu die Forcierung eines neuen West-Ost-Konflikts, weiter die Abkehr vom Konzept
der Entspannungspolitik – das sind massive Bewegungen nach rechts. Der Boden für die wirklich schlimme AfD ist bestens vorbereitet worden. Die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin ist nur das
Tüpfelchen auf dem „I“. Korrekturen sind in allen Bereichen nötig.
(Albrecht Müller /NDS, 4.5.2016)
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TTIP und der Umgang damit ruiniert das Ansehen der Demokratie.
Demokratie gehört zur Kernsubstanz fortschrittlichen Denkens
Das Freihandelsabkommen, das auf Druck der USA mit Macht durchgeboxt werden soll, ist ein
Vertragswerk zugunsten der Wirtschaft und dabei insbe-sondere jener der USA. Es wird unter Umständen betrieben, die mit demokra-tischer Willensbildung gar nichts zu tun haben:
Uneutsche Abgeordnete, die darüber letztlich entscheiden sollen, werden
nicht informiert, sie müssen sich unter unwürdigen Verhältnissen in ausge-lagerten und speziell eingerichteten Räumen unterrichten. Das allein ist schon ein solcher Skandal, dass all den etablierten
Politikern von Merkel bis Gabriel, die solches Verfahren abgesegnet haben, die Schamröte ins Gesicht steigen müsste. Ist das parlamentarisch? Ist das Demokratie? Gegner der Demokratie brauchen nur
auf dieses Verfahren hinzuweisen, um dieses System der Lächerlichkeit preiszugeben.
Dieser Umgang mit einem wichtigen Gesetzesvorhaben liegt auf der Linie dessen, was wir schon von unseren politischen Oberen gehört hatten: Merkels Spruch von
der marktkonformen Demokratie hat verhöhnenden Charakter.
Die berühmte Klage des früheren SPD-Vorsitzenden Minister Müntefering über die Wähler, die nach einer Wahl auch noch verlangen, dass das Versprochene umgesetzt wird, war ähnlich verhöhnend.
Und jetzt soll ein Vertragsungetüm durchgesetzt werden, das nicht nur den Wählerinnen und Wählern nicht zur Abstimmung vorlag, als sie 2013 ihre Abgeordneten wählten; es soll jetzt auch
an den gewählten Abgeordneten vorbeigeschleust werden. Daraus spricht Verachtung für die Demokratie.
Und das ist ausgesprochen rechtsradikal.
Der Rechtsruck und spiegelbildlich der Niedergang fortschrittlicher Parteien
vollziehen sich schon lange. Sie finden im Inneren der Parteien statt.
Zunächst: es ist in diesem Zusammenhang nicht möglich, jedenfalls nicht
erhellend, wenn man von der „Linken“ spricht. Wer ist gemeint? Die SPD?
Die Linkspartei? Die Grünen? Alle fortschrittlichen Menschen und Verbände?
Wenn man etwa die SPD damit meint, muss man ja wohl feststellen, dass der Rechtsruck gleich in mehrerer Hinsicht schon früher stattgefunden hat: Zum einen hatte die SPD schon im Jahre
2009 mit 23 % bei der Bundestagswahl ein miserables Ergebnis erreicht; diese Repräsentantin der politischen „Linke“ war damals schon halbiert, gemessen an ihrem besten Ergebnis von 45,8
%.
Wenn man nun auf die SPD und auf die Grünen schaut, erkennt man ohne Schwierigkeiten, dass diese
den Rechtsruck im Innern schon lange vor dem Flüchtlingsproblem vollzogen hatten. Mit eminenter Wirkung für die Gesell-schaft: 1999 ließen sie zu (und wirkten dabei mit), die Bundeswehr
außerhalb
des NATO-Bereichs zu Militäreinsätzen einzusetzen. Einen gravierenderen Rechtsruck gibt es kaum.
Der entscheidende Rechtsruck fand so in den 1990ger Jahren statt: das Ende
der Bereitschaft, wirklichen Frieden in Europa zu schließen, der Beginn der neuen Konfrontation mit dem Osten, namentlich mit Russland, durch die Regie-rung Clinton, durch Albright und ihre Ableger
in Deutschland, vor allem den umfassend gewendeten Joseph Fischer. Seitdem wird Krieg wieder als Mittel der Politik betrachtet. Gibt es einen eklatanteren Ausdruck für
Rechtsruck?
Und dann die praktischen Kriege der atlantischen Verbündeten und Deutsch-lands offene oder versteckte Beteiligung daran – im Irak, im Jemen, in Afghani-stan, in Libyen, in Mali, der Drohenkrieg
weltweit.
Daran wird auch sichtbar, dass die Bereitschaft zum Einsatz von Gewalt und zum Einsatz von Mord und Totschlag allfälliger Teil der Politik dieses Westens und Maxime der etablierten
deutschen Parteien ist. Ist das, was die AFD vertritt, noch schlimmer? Schlimm ist es. Aber schlimmer?
Die Agenda 2010 – ein massiver Rechtsruck
Die etablierten Parteien haben dann wenige Jahre später, im März 2003, die Agenda 2010 verabschiedet, ein massiver
Rechtsruck. Sie haben schon 2002 unsere Altersvorsorge teilprivatisiert. Und Schröder hat sich des Aufbaus des weltbesten Niedriglohnsektors gerühmt.
Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen oder ohne Arbeit haben das wahrgenommen. Auf diesen Rechtsruck der aktuellen Politik haben manche mit ihrem persönlichen Rechtsruck geantwortet:
Sie sind in eine Art innerer Emigration gegangen, haben sich nicht mehr an Politik beteiligt. Sie haben das übrigens auch deshalb getan, weil ihnen die SPD zum Beispiel keinerlei Alternative
bot.
Übrigens war die Gesellschaft durch die rechten Ideologen um Herrn Otto Graf Lambsdorff und dann um die Regierung Kohl schon 1982 nach rechts verschoben worden. Das wurde nur überlagert
durch die Propaganda der Union und ihrer Helfer, die behaupteten, die Union sei „sozialdemokratisiert“ worden. Tatsächlich wurde Sozialstaatlichkeit abgebaut. Zum Beispiel wurde das gleiche
Kindergeld für alle Kinder wieder abgeschafft und durch Kindersteuerfreibeträge ersetzt, die den Besserverdienenden mehr Entlastung pro Kind bringen. Das hat übrigens der sogenannte
linke Dr. Heiner Geißler als Familienminister zu verantworten.
Und dann wurden öffentliche Einrichtungen und Unternehmen privatisiert. Am laufenden Band. Das war keine linke Programmatik.
Die Konservativen und Liberalen in Europa sind kommunizierend
mit den eigentlichen rechtsextremen Parteien verbunden.
Sie frönen dem Neoliberalismus. Sie attackieren die Sozialstaatlichkeit. Der verstorbene Westerwelle hatte als
FDP-Vorsitzender über die Hartz IV Empfänger gespottet, wie man sich das bei Frau Petry kaum gekonnter vorstellen kann. Erklärt „liberale“ Politiker verkünden, jeder sei seines Glückes Schmied. Sie
haben sich in der Asyldebatte der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts so gegeben und verhalten wie die AfD heute.
So hat sich zum Beispiel die Anti-Asylantenpropaganda der CSU, ihres Ministerpräsidenten Max Streibl und des Bayerischen Rundfunks zu Anfang der 1990er Jahre nicht von dem unterschieden,
was wir heute von der FPÖ oder von manchen in der AfD hören.
Den Rechtsruck in Europa gibt es schon lange: Blair hatte Labour in den 1990er Jahren nach rechts verschoben, bis zur Nicht-mehr-Wiedererkennung: „New Labour“ nannte sich das. Das war
sozusagen der Vorlauf zu Schröder. Damit wurde in Großbritannien erst die Macht gewonnen – und dann krachend verloren.
Und ähnlich ging es in vielen anderen Ländern Europas: in Dänemark, in Schweden, in Norwegen, in Frankreich, in Italien und Portugal. Berlusconi ist das herausragende Symbol für den
Rechtsruck in Europa. Wo haben dann noch Sozialdemokraten regiert? Das waren Rechtsrucke, ganz ohne Flüchtlingsströme.
Darauf haben sich sogenannte linke Parteien, zumeist des sich so nennenden sozialdemokrischen Spektrum, selbst so sehr selbst nach rechts verschoben, dass ihre Politik kaum mehr zu
unterscheiden war von den Konservativen und Neuen Rechten. Das gilt für den erwähnten Gerhard Schröder wie auch für Frankreich unter Hollande.
Übrigens begann in Deutschland diese Verschiebung zugunsten rechter Positionen schon bei der Ablösung von Brandt durch Schmidt. Gegen Ende der Regierung Schmidt wechselte dieser
Bundeskanzler Ausgangs der 1970er Jahre ständig von progressiven Programminhalten zu Positionen, die er (sofern er sie nicht ohnehin selbst formulierte) unter dem Druck von Graf Lambsdorff, seinem
Wirtschaftsminister und dessen Staatssekretär Hans Tietmeyer übernahm. Es sei an die Operation 82 erinnert, eine Sparaktion zulasten des Sozialstaats, gegen die sich die IG Metall unter dem
Vorsitz von Franz Steinkühler damals noch mit großen Demonstrationen aufzulehnen versuchte.
Als entscheidende Beobachtung für die Bilanz des Rechtsrucks muss man festhalten, dass die linken Parteien – erst die SPD allein, und heute die SPD und die Grünen, dazu auch einige
Elemente der Linkspartei nicht mehr versuchen, eine politische Alternative zum Neoliberalismus zu formulieren und es schon gar nicht unternehmen, diese Alternative geistig, weltanschaulich und
mit Wertorientierung zu unterfüttern. Egoismus und „jeder ist seines Glückes Schmied“ – das ist, mit kleinen Variationen, auch ihre Ideologie. Sie hatten schon in den 1990ger Jahren und
nachdrücklich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ihren Willen zur fortschrittlichen Gestaltung unseres Landes aufgegeben. Wenige Ausnahmen, wie etwa die Homo-Ehe und die Rechte der Frau, sind
hochwichtige Fragen, doch sie sind nicht entscheidend für die Prägung einer linken Alternative. Not tut engagierter Wille zu gesamtgesellschaftlichem, also auch sozial- und friedenspolitischem
Fortschritt.
Der Kampf gegen die Beteiligung linker Kräfte
an der Macht ist weltweit angelegt und wird weltweit geführt
Man kann heute einen Text über das Verschwinden und die Strategie der Linken nicht schreiben, ohne wahrzunehmen, was
weltweit abgeht: Alles, was wirklich fortschrittlich ist, wird Gegenstand von Interventionen zum Regime Change: in Brasilien, in Venezuela, in Argentinien, natürlich in Kuba, wenn auch getarnt als
Freundlichkeit. Alles Linke wird bekämpft, so in den USA und in Großbritannien, in Frankreich, in Spanien. Und in Griechenland. Dort hat man die linke Regierung am ausgestreckten Arm verhungern
lassen, damit sie keinen Erfolg hat.
Die entscheidende Beobachtung und Erklärung zum Rechtsruck: Früher oder später
werden alle linken Bewegungen fremdbestimmt.
Die Mächtigen in der Welt versuchen, jede linke Bewegung im Keim zu ersticken oder sie so zu beeinflussen, zu verändern
und zu prägen, dass von links nichts mehr übrigbleibt. Deshalb gilt: Man kann heute nicht über das Versagen der Linken bzw. der Parteien, die man als links betrachten könnte, schreiben und sprechen,
ohne wenigstens wahrzunehmen, dass dieser Versuch der Fremdbestimmung und der Unterwanderung immer wieder von außen verstärkt, wenn nicht ausgelöst wird.
In der SPD gibt es fast keine Führungspersonen mehr, von denen man annehmen kann, sie seien nicht fremdbestimmt. Und die Linkspartei wird immer in der Gefahr stehen, dass man es bei ihr
auch versucht. (s. Die fremdbestimmte Linke – Albrecht Müller, Blätter für deutsche und internationale
Politik, 10/2003)
Die gängig gewordene politische Korruption ist der Katalysator, gleichsam das Öl im Feuer des Rechtsrucks.
Wenn man einen politisch korrupten Politiker aus Luxemburg zum Präsidenten der europäischen Union macht, dann braucht man sich auch darüber nicht mehr zu wundern. Und wenn man die Altersvorsorge so
privatisieren lässt wie bei uns, dann braucht man sich auch nicht darüber zu wundern, dass das Vertrauen in die Demokratie verloren geht.
Das Imperium sorgt für die Fremdbestimmung
und sorgt für den Rechtsruck.
Das US-Imperium kümmert sich um die Innereien anderer Völker. Die Fremdbestimmung läuft über sogenannte meinungsbildende
„Leit“-Medien. Sie sind das Hilfspersonal des Rechtsrucks. Sie hatten sich schon in den 1970er Jahren einer wenigstens etwas anspruchsvolleren inhaltlichen und programmatischen Debatte
entledigt.
Kritische Medien, stets in Minderheitenpositionen, wurden ihres Bisses beraubt. Beste Beispiele sind Der Spiegel, DIE ZEIT
und der stern, auch die meisten Magazine in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern.
In einer großen Gemengelage von Politik, Wirtschaft und Medien haben sich die sogenannten Atlantiker ausgebreitet. Sie bestimmen heute weitgehend die Meinungsbildung bei CDU/CSU, FDP,
SPD und Grünen. Und genauso bei den wichtigsten Medien: von den öffentlich-rechtlichen über die privaten Sender bis zu den großen regionalen Zeitungen und den Presseagenturen.
Die Ohnmacht der Bürgerinnen und Bürger
Angesichts der gewaltigen Macht der bestimmenden Kräfte bleibt den meisten Bürgerinnen und Bürgern gar nichts anderes
übrig, als sich ohnmächtig zu fühlen. Die Zerstörung der sozialen Sicherheit war ein wichtiger Katalysator des Rechtsrucks, genauso wie auch der Aufbau des Niedriglohnsektors, wie Leiharbeit, wie
prekäre Arbeitsverhältnisse.
Die Konsequenz aus der Ohnmacht: Verschwinden politischen Interesses, Entpolitisierung, Wahlenthaltung. Aktivitäts-Effekte aber brechen aus, wenn es eine Alternative zu geben scheint –
und allzu viele Mitmenschen sehen in der AfD eine Alternative. Deshalb ist die Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen gestiegen. Es handelt sich gleichsam um einen Notschrei.
Das Kernproblem: Die Linken haben in den letzten Jahrzehnten keine Alternative mehr geboten. Im Gegenteil, bei ihrem ständigen irrigen Versuch, Mehrheiten
dadurch zu gewinnen, dass sie in die Mitte rückten (was für inhaltlichen Blödsinn das auch immer bedeutet), sind sie immer weiter nach rechts gerückt. CDU/CSU, SPD und Grüne haben den Boden für die
AfD bereitet.
Der Name der AfD ist geschickt gewählt. In der Tat geht es nämlich darum, dass wir eine Alternative zur herrschenden Ideologie und zur herrschenden praktischen Politik brauchen.
Aber:
Wir brauchen eine wirkliche fortschrittliche
Alternative.
Deren Inhalt und Profil ist leicht zu formulieren: Sozialstaatlichkeit, aktive Beschäftigungspolitik, eine Wirtschafts-,
Währungs- und Finanzpolitik, die die Länder Europas wieder zusammenführt Friedenspolitik und keine militärischen Interventionen, gemeinsame Sicherheit in Europa, auch mit Russland. Kampf gegen die
Ursachen der Flüchtlingsbewegung: die Kriege und die Zerstörung der Länder im Nahen und mittleren Osten.
Verabschiedung der USA aus Europa und Stärkung der UNO.
(Albrecht Müller, Jens Berger, KUS / NDS, Mai
2016)