Paul Havermann ist ein Maskenspieler. Er gehört nicht zu den Künstlern, die sich extrovertiert über ihr Werk vermitteln. Wer es nicht bei dessen Rezeption belassen, den Menschen hinter der Kunst
erschließen will, muss Umwege gehen. Das Werk aber fordert dazu nicht heraus. Es scheint sich selbst zu genügen:
Als Huldigung an einen bedrohten, verlorenen Begriff reiner Schönheit. Das
ist die Dialektik, die ihm innewohnt.
Sie ist geeignet, Mißverständnisse zu erzeugen. Eben das mag einen äußeren Erfolg
begründen, den der Künstler weder sucht noch zu genießen weiß.
Die Primärwirkung, mit der er auf- und gefallen mag, weil sie eine Utopie der Reinheit zu verfolgen scheint, ist in Wahrheit Ausdruck einer widerständigen, schmerzhaften, unerfüllten Haltung, die
sich künstlerisch sublimiert — und Harmonie beschwört, wo Schrunde klaffen.
Malerei als Selbsttherapie also? — Eher doch: Bewusster Entwurf einer Gegenwelt zu den Abgründen der Realität. Bekenntnis zur Emotionalität aus intuitiver Farbformsprache. Zugleich intellektuelle Ausformung eines Konzepts von Auflösung durch Reduzierung. Der leise, doch beharrliche Gang der Entwicklung dieser Kunst belegt es.
Paul Havermann trat an die Öffentlichkeit als ein introvertierter Impressionist von Alltagsphänomenen. Als deren künstlerische Umsetzung durch plakative Abbildung in der Pop Art ihren
Wirkungs-Höhepunkt überschritten hatte, schien sich der junge, unerprobte, tastende Künstler mit den Mitteln einer poetischen, impressiven
Sicht erneut auf die Suche nach ihnen zu machen.
Nur war es nicht die Banalität von Warenästhetik und Comic Strip, der Massen-verwertung also, die ihn interessierte — sondern die Faszination der Versatz-stücke eines Traums von Privatheit, Rückzug, Kontemplation: in Gärten, auf Treppen, an Tischen, unter Schirmen. Symbole mehr als Signale einer Harmonie der Distanz, der Stille, auch der Verlassenheit, gegossen in Schönheit ohne Aufdringlichkeit. Ungeachtet der greifbaren Bezüge: beinahe die Suggestion einer Zwischenwelt.
In diesen gleichermaßen vorder- wie hintergründigen Bildern tritt ein melan-cholisches, zögerliches, doch leise bewegendes Moment von Ungeklärtheit zutage. Kalkül? Temperament? Gebärde? — Wenn
Botschaften, dann gekleidet
in Fragen.
Traum und Wirklichkeit
nennt Havermann 1989 eine Auswahl dieser Werke. Und kommentiert sie mit einem knappen Abriss der persönlichen Sicht auf seine Arbeit — bezeichnenderweise ohne
nur einmal das Wort ich
zu verwenden.
Da spürt einer, dass die als exakt
wahrnehmbaren Elemente der vorgelegten Arbeiten Hinweise auf unexakte, also (noch) ungeklärte Materie und ihre Unter‑ /Hinter‑/Beweggründe
bieten könnten. Sein Versuch, Wege zur Erkenntnis der Motivation des Machenden
aufzuweisen, bleibt Hinweis. Insofern äußert sich hier kein Interpret. Sondern eben: ein Künstler.
Es mag für Havermann eines Lebens-Exkurses bedurft haben, um seiner indivi-duellen Ausdrucksmotivation die spezifische Ausdruckssprache zu gewinnen. Von 1989 bis 1992 lebte und arbeitete er in
Italien. Seither teilt sich seine Kunst
in neuer Emotionalität, neuer Freiheit, neuer Suggestivität mit. Verhaltenheit, Skrupel, Fragen sind Vermittlungsformen gewichen, die der Bindung ans Ab-Bilden entraten können. Aus
dem Impressionisten
ist ein Informeller
geworden.
Bestand das eigenständige Profil des Künstlers Paul Havermann bis dato in
einer Art Reduzierung aufs Utopische
, so zeigt sich die Utopie der Harmonie nun als Gegenthese zum Elend des Wirklichen.
Jetzt hat seine Kunst eine Dimension gewonnen, die auf Öffnung, Freiwerdung schließen und ein Stück vom Menschen hinter den Werken ahnen läßt. Sie vermittelt Sinnlichkeit, die, wenn schon nicht
plakativ, so doch suggestiv nach Verbildlichung drängt. Und den Einsatz von Mitteln, die so etwas wie diszipli-nierte Emotion
spürbar werden lassen. Es sind Bilder, die
Havermann-typischer Poesie verpflichtet bleiben, denen sogar ein Zuwachs an Kalkül, Sicherheit des Mitteleinsatzes, gestalterischer Delikatesse eignet — und die dennoch vom Atem eines sanguinischen,
gleichsam mediterranen Vitalismus zeugen.
Paul Havermann, eingangs wurde es gesagt, erschließt sich nicht über seine Arbeit. Doch seine Arbeit läßt sich über ihn erschließen. Sie gründet auf persönliche, ganz subjektive (soziale,
gesellschaftliche) Erfahrung. Und vollzieht sich über ebenso persönliche (emotionale, psychische) Bewegungskräfte. Nennen wir sie: Sinnlichkeit.
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Paul Havermanns Arbeitsprozess ist vorgedacht. Er verändert sich in der Arbeit. Sein Grundstoff ist das persönliche, das private Umfeld. Aus ihm bezieht er seine erfahrungsbesetzten Motive. Ihr
Bestand weitet sich durch Alltagsphänomene, denen das rationale wie emotionale Interesse des Künstlers gilt: Topographie, Architektur, Ereignis-Spuren — vor allem Natur, geprägt vom Eingriff
gesell-schaftlichen (also ordnenden oder ausbeutenden) Handelns. Erlebte Identität.
Zu Kunst wird sie nicht durch Abbildung und Zitat. Sondern durch Umformung.
Diese Umformung im künstlerischen Prozess vollzieht sich bei Havermann vorrangig als Reduzierung, aber auch als Inszenierung. Durch Auffindung des Details des Details des Details — so in seinen farblustvollen Expressionen. Oder durch Wiederentdeckung, Sicherung, Abwandlung vorgedachter Formen und Muster — so in seinen Walzenbildern. Oder durch Schaffung variabler Raum- wirkungen — so in der Komposition eigenständiger Arbeiten zu beziehungs- vollen Bildarchitekturen.
Wir haben es mit Findungsvorgängen zu tun. Ihr Ziel ist der aufs Äußerste reduzierte Status optischer (und zugleich inhaltlicher) Zusammenhänge. Befragte der Künstler zuvor Alltagsphänomene mit Hilfe unterschiedlicher Sichtweisen, so dringt er heute über die Details solcher Phänomene zur Schaffung eigener Welten vor. Dass sich diese durch Havermanns impressive Wahrnehmung zu eigengesetzlichen Bildwelten konstituieren, eine Unzahl von Aspekten bewusst machen können, genaues Sehen zu provozieren vermögen, das lässt sie zum originären Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers werden.
Wer dessen Schaffen als sinnliche Äußerung erlebt, kann es mögen, sich aneignen, auch genießen. Wer die Antithese in ihm entdeckt, hat mehr davon: Erlebnis, Erfahrung, Erkenntnis.
KUS
(Beitrag zum Oevre-Katalog des Künstlers / München 1997 / 2002)