Koalitionen 2013

Dr. Helge Kramberger, Darmstadt
Leiter der Projektforschung beim Dr. Robert-Murjahn-Institut / 28.9.2013
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Lieber KUS!

Ich habe ehrlich gesagt am Wahlabend nach Bekanntwerden der ersten Hochrechnungen die Daumen gedrückt, dass die Union die absolute Mehrheit erreicht. Wenn das gelungen wäre, wären wir die Merkel in spätestens zwei Jahren losgewesen. Ohne Koalitionspartner als gemeinsamen Feind hätten sich CDU/CSU wunderbar zerfleischt, und bei einer Mehrheit von 1 bis 2 Stimmen
im Parlament hätte bei jeder Abstimmung das große Zittern angefangen und die Hinterbänkler hätten die parteieigenen Diktatoren ihre Macht spüren lassen.

Nun muss also wieder ein Sänftenträger gefunden werden. Mir wäre es nur
recht wenn die Grünen sich zu diesem Zweck verspeisen lassen würden,
denn die erachte ich am ehesten für entbehrlich bei der Perspektive für einen Richtungs-wechsel nach der nächsten Wahl. Aber so dumm scheinen sie dann auf Bundesebene doch wieder nicht zu sein.

Ich fürchte eher, die verlotterte Sozialdemokratie wird wieder einmal die Steigbügel halten, sich als Feigenblatt für die schon beschlossenen Steuer-erhöhungen der Union (halb zog er sie, halb sank sie hin…) zur Verfügung stellen und es bei rhetorischem Getöse belassen anstatt die Möglichkeit einer linken Mehrheit zu nutzen. Und dies alles nur, um ihre Regierungsfähigkeit und Zuverlässigkeit zu demonstrieren. Aber was hilft mir zuverlässig schlechte Politik?

Spannender wird es wahrscheinlich in Hessen, denn Schäfer-Gümbel scheint nicht gewillt zu sein, sich als Juniorpartner in die zweite Reihe zu stellen. Wenn ihm seine Partie kein Bein stellt — was bei der Hessen-SPD ja Tradition hat — bleiben Rotrosagrün oder zur Not Schwarzgrün realistische Optionen für die Verhandlungen, die ja in Hessen auch wesentlich mehr Zeit haben als auf Bundesebene weil der neue Landtag erst im nächsten Jahr zusammenkommt.

Liebe Grüße vom Helge


KLAUS ULRICH SPIEGEL
29.9.2013 — Nationalrats-Wahltag in Austria

Zur Koalitionsbildungs-Gemengelage / Dein Text vom 28.9.2013

      Lieber Helge!
  Ich hatte zunächst ganz genau dieselben Überlegungen wie Du. Allerdings: Wenn die C-Parteien sich später angesichts einer absoluten Mehrheit zerfleischt haben würden, dann wäre also die SPD in die Kanzlerstellerposition gerückt — und hätte genau die Politik weitergemacht, die ihre große Fraktionsmehrheit, also der Seeheimer Kreis = die Kanalarbeiter, unter dem Rechtsausleger und Waffen­industrie-Lobbyisten Kahrs gemacht sehen wollen (und genau deshalb
= dem folgend mit den allerfadenscheinigsten Argumenten Gabriel & Cons. eine Zusammenarbeit oder gar Koalition mit der Linken ausschließen): also Agenda, Hartz & Krieg en suite. Es war also aus dieser Sicht auf etwaige Folgen wiederum wichtig, dass ein sog. RotGrün dieser Faktur nicht zustande kommt.

Umgekehrt: Wenn Rosa und Oliv jetzt die objektiv vorhandene  Bundestags-mehrheit mit der Linken nutzen wollten, dann müssten als Vorbedingung die Linken auf ihr Nein zu Agenda, Hartz, Krieg und auf diverse sozialpolitische Forderungen zumindest soweit verzichten, dass es diese Partei zerkleinern würde in eine dann tatsächliche Spaltung, die von der SPD-Rechten & Partei­führung bisher nur behauptet wird — was ja im Falle des Schwadroneurs
Gabriel besonders absurd und lächerlich wirkt, weil gerade die SPD immer
aus zwei Parteiflügeln bestand, bloß nicht regionalen, wie die SPD-Rechte
& Führung derzeit von der Linken behauptet, sondern politisch-inhaltlich,
eben rechter und linker Flügel, der rechte parlamentarisch und parteitäglich immer zwei- bis dreimal so stark wie der linke.

Folgen einer SPD-Kanzlerschaft
Ich bin deshalb derzeit durchaus nicht für eine Situation, in der Gabriel-Steinmeier-Nahles-Oppermann-Kahrs eine Bundesregierungsführung bilden und Schröder-Fischer-Clement-Schilys Neoliberalpolitik richtlinienkompe- tent weiterführen könnten. Vielmehr bin ich dafür, dass eine sog. Große Koalition (was für ein Euphemismus angesichts der Stärkeverhältnisse!) zustande kommt. Dann würden/werden (sagen wir: könnten) die genannten SPD-Verderber auf zentralen Ministerposten die Politik von Merkels Kompe-tenzkabinett fortsetzen, mit  Schönheitskorrekturen wie Light-Mindestlohn, aber weiterhin 67er-Rente, Bankensanierung, Südeuropa-Zurichtung, Zwei-drittel- und Armutsförderung, Militär- und Kriegsaktionen - und eine gesell-schaftliche wie in der Folge auch parla-mentarische Opposition dagegen würde erstarken.

Denn anders kann ich mir eine Regierung von etwa Steinbrück & Göring
nicht vorstellen — und eine zumindest tendenzielle kleine Wende zurück zur Solidargemeinschaft und Weltfriedensstiftung überhaupt nicht. Du doch?
Und anders, nämlich nach Erstarkung der Träger gegenläufiger Politik wird wiederum eine Änderung der Politik-Koordinaten hierzulande nicht möglich.

Alles, was kurzfristig Merkel ins Schleudern bringen könnte (auch das nur Spekulation, denn im kapitalistischen Deutschland herrschen ja ganz andere Kräfte), wäre somit nur mediales Strohfeuer ohne strukturellen Wandel.

Also, soll doch der erprobte Weltpolitiker Steinmeier wieder die westliche Wertegemeinschaft bedienen — gegenüber dem faden Spruchbläser Wester- welle wäre er eher ein Säbelrassler, wenn ich an Syrien und Libyen denke —
und Oppermann den Überwachungsstaat dirigieren wie auch die Grenzen
vor den Ärmsten der Armen abdichten oder Nahles die Perspektive Frauen
an die Macht!
lächerlich machen. Was wäre der Unterschied zum Gestrigen
und Jetzigen?

Die Logik der Olivenen --
über die sich so nennende Öko-Partei auch ein Wort. Gleich in welcher
Kon stellation, regierungsfromm oder mitmach-oppositionell: Die werden weiter allen Kapitalsanierungsprogrammen und Kriegsmandaten zustimmen wie bisher. Im Gegenteil: Sie ziehen soeben die absurde Konsequenz aus ihrem Wahlergebnis, dass jetzt ein genereller Schub nach rechts (zur Mitte) nötig sei — dergestalt, dass sich Trittin, den ich gar nicht mehr kapieren kann, sebastianisch allen Pfeilen aussetzt, sich selbst bezichtigt, eine Million Wähler vertrieben zu haben, obwohl doch der B'90-Programmparteitag einstimmig ohne eine einzige Stimmenthaltung das Wahlprogramm 2013 beschlossen hatte ...

… Trittin sich also ganz zurückzieht, während die glitschig-schmierige Oppor­tunistenerscheinung Özdemir, volle inhaltliche und personelle Erneuerung fordernd, sich wieder als Parteivorsitzender etabliert, der anscheinend mit dem Wahlergebnis gar nichts zu tun hat, zugleich die neben Trittin Spitzenkandidatin G-Eckardt an die Leitung der Bundestagsfraktion rückt und die beiden medial mit Rückzug charmierenden Damen Künast & Roth im selben Atemzug auf das wohlgepolsterte, materiell wie pekuniär deutlich über ihren bisherigen Salärs ausgestaltete Amt der Bundestags-Vizepräsidentin spechten.

Eine tolle Partei, der Gabriel-SPD würdig, die nun in redaktioneller Anleitung von Rechts (Kretschmann) und Hypergesinnungslos (Joseph Fischer aus der Großindustriemilionärsloge) zur Vollübernahme des FDP-Vermächtnisses schreitet.

Ein Dilemma der Linken
Mir ist natürlich klar, dass eine Konstellation wie jene, die als RotRotGrün geführt wird, einzig unter Preisgabe zentraler Programm- und Überzeugungs­positionen einer linken = kern-godesbergerischen Politik seitens der einzigen sozialdemokratischen Sozial- und Antikriegs-Partei in Deutschland, also der Linken, zustande kommen kann. Was also sollte unsereinen — zumindest vorläufig — für eine derartige Alternative erwärmen?

Wir wissen doch, haben es mit dem großen Selbstverrat der Grünen in der Bundesregierung erlebt, dass Die Linke nur dann regierungsfähig werden kann, wenn sie sich in ihren zentralen Werten und Programmkernen aufgibt,
so wie es die Grünen unter Verführungsdruck Fischers getan haben. Regie-rungsfähig sein heißt hierzulande: dem herrschenden System angepasst, dienstbar, folgsam zu sein. Also Systemüberwindung, die etwa im Godes-
berger Programm der SPD noch klar vorgegeben war, fallen zu lassen. Nur
dann wird man nicht mehr diffamiert, nachrichtengefälscht, totgeschwiegen …

Mir aber reicht erstmal, was in den neuen Ländern mit Regierungs­beteili-gungen von SPD & Linke in Berlin, MeckPom, Sachsen-Anhalt und nun Bran-denburg passiert(e). In Berlin, wo allerdings der Flügel der (wie ich sie nennen möchte) Linken-Seeheimer, die Landesmehrheit also, Entscheidungs-macht ausübt, haben acht Jahre Koalition mit dem parteilinken Wowereit zur Halbie-rung der Linkswählerschaft geführt — und im Anschluss daran zu einer Haupt-stadtregierung von Wowi mit der dort beson- ders üblen CDU. Nein, das sollte keine Perspektive sein. Insofern verstehe ich Gysi & Team nicht recht, außer er hielte selbst in Koalitionsverhandlungen eisern an den unver-rückbaren sechs Haltelinien fest, wofür wenig spricht.

In Hessen mag das ein wenig anders zu bewerten sein, obwohl auch dort der Rechtfertigungsdruck ypsilantische Ausmaße annehmen, darum einen Einsatz der faktischen Anti-Bouffier-Mehrheit entweder scheitern lassen oder der dort kleinen Linken extreme, vielleicht tödliche Verleugnung ihrer Substanz abver-langen wird. Das Ergebnis dürfte in NRW vorgezeichnet worden sein. Ich würde mich, wäre ich bei der Linken und dort einflussreich, nach Oskars Vorbild gegen solche Selbstpreisgaben zu solchen Konditionen mit solchen Perspektiven zu jetziger Zeit stemmen.

Die Absehbarkeiten
Merkel hat ihren Höhepunkt erreicht, könnte ab jetzt ganz langsam bröseln

(Dies nur eine ganz vage Spekulation). Eine SPD aber, die wie in den letzten
vier Jahren mit minimalen Abstrichen Merkel-Politik machte und stützte,
hätte dennoch keinerlei Chance, aus ihrer selbst verschuldeten Misere heraus-zukommen — nicht, solange ihr Führungs- und Sage-Personal nicht radikal
vom Kurs der Schröder-Fischer-Clement-Schily-Steinmeier & Cons. Abschied nimmt, vor allem: sich über lange Jahre wieder glaubwürdig macht.

Dafür aber spricht gar nichts, weil eben das Personal und die Funktionärsebene, die die Kandidaten+Listen aufstellt, nicht komplett ausgetauscht sind: Während FDP + Grüne wenigstens eine Art kritische Fragephase einlegen, hatte die SPD- Bundestagsfraktion mit über 30% Erstgewählten, also noch Düpierbaren, nichts Eiligeres zu tun, als exakt den Agenda-Kreator & Hauptschuldigen des Desasters von 2009, Frank-Walter Guantanamo Steinmeier, mit über 90% sofort wieder zum Fraktionsvorsitzenden zu wählen, den Oppermann als Fraktionsgeschäfts-führer gleich dazu. Die aber passen wie sonst niemand bestens zu Merkels Gefolge.

Mir ist in lebhafter Erinnerung jene TV-Talkshow, in der Herr Oppermann, gefragt, mit welchem der beiden neben ihm sitzenden Diskutanten — Oskar Lafontaine oder Drogeriekettenbesitzer = Mindestlohnbekämpfer Rossmann — er lieber in einer Regierung sitzen mögen täte, für Rossmann optierte, mit dem marktwirtschaftliche Politik effizienter möglich sei als mit dem Parteivorsitzenden von ehedem.

Was also erwartest Du Dir davon, wenn gerade solche Figuren wie dieser in
eine Kanzler(macher)rolle gerieten?

Doch das Hantieren mit dem Faktor SPD ist ja sowieso ja nur ein Irrealspiel,
nach Millionen Wähler- und ca. 450.000 Mitglieder-Verlust, angesichts derer
die ewige Leier von der erfolgreichen Agenda-Reformpolitik rational nicht nachvollziehbar, vielmehr offenkundig Defensiv-Verblendung ist.

Auf Gegenerwägungen gefasst, grüßt Dich herzlich der Klaus

 

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© Klaus Ulrich Spiegel