17. März 2022
Heute bin ich aus der Partei Die Linke ausgetreten.
Hier meine Erklärung:
Die Linke wurde gegründet, um den Sozialabbau und die Lohndrückerei der „Agenda 2010“ rückgängig zu machen. Außerdem sollte nach der Beteiligung Deutschlands am
völker-rechtswidrigen Jugoslawienkrieg und am Krieg in Afghanistan eine neue Kraft entstehen,
die sich wieder konsequent für Frieden und Abrüstung und die Beachtung des Völkerrechts einsetzt.
Normal- & Geringverdiener und Rentner
fühlen sich von dieser Partei nicht mehr vertreten
Mit einer an diesen Zielen ausgerichteten Politik erreichten wir bei der Bundestagswahl 2009 11,9 Prozent und zogen in die Bürgerschaften Bremens und Hamburgs sowie in die Landtage
von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland ein. Spätestens 2015 allerdings begann die damalige Parteiführung der Linken,
den politischen Kurs zu verändern. Im Zuge dessen wandelte sich die Linke allmählich zu einer Partei, die ähnliche Ziele verfolgt und sich um dasselbe Wählermilieu bemüht wie die Grünen. In der Folge
wandten sich viele Arbeitnehmer und Rentner ab, gingen zurück zur SPD, wurden Nichtwähler oder stimmten aus Protest für die AfD oder sonstige Parteien.
Bei der letzten Bundestagswahl wählten gerade noch 5 Prozent der Arbeiter die Linke.
Nach dem sozialen Profil sollen auch die
friedenspolitischen Grundsätze abgeräumt werden
Es ist nicht mehr zu übersehen: Normal- und Geringverdiener oder auch Rentner fühlen
sich von der Partei nicht mehr vertreten. Nach dem sozialen Profil sollen jetzt auch noch
die friedenspolitischen Grundsätze der Linken abgeräumt werden. Der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine wird dabei zum Anlass genommen. Am Morgen der Sondersitzung des Bundestags, auf der
Kanzler Scholz sein gigantisches Aufrüstungsprogramm verkündete, plädierten der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Gregor Gysi, die Parteivorsitzende Hennig-Welsow und andere Fraktionsmitglieder
dafür, dem Antrag der Regierung zuzu-stimmen, der sich für steigende Rüstungsausgaben und umfassende Waffenlieferungen an
die Ukraine aussprach. Sie konnten sich damit zum Glück nicht durchsetzen. Unmittelbar danach wurde aus dem Parteivorstand heraus öffentlich angekündigt, dass diejenigen, die für den sozialen und
friedenspolitischen Gründungskonsens der Linken stehen, namentlich auch ich, aus der Partei gedrängt oder ausgeschlossen werden sollen. Passend dazu hat mir die Bundesschiedskommission mitgeteilt,
dass das gegen mich laufende Parteiausschlussver-fahren ausgerechnet an die Berliner Landesschiedskommission abgegeben und von ihr entschieden werden
soll.
Die Bundespartei ließ zu, dass im Saarland ein Betrugssystem
installiert wurde
Die schleichende Änderung des politischen Profils der Linken ist die Ursache der vielen Wahlniederlagen. Im Saarland ließ die Bundespartei seit Jahren zu dass ein Betrugssystem
installiert wurde, bei dem auf der Grundlage manipulierter Mitgliederlisten Bundestags-
und Landtagsmandate vergeben werden. Ein normales Parteimitglied, das nicht in das Betrugssystem eingebunden ist, hat keine Chance, ein Mandat zu erhalten. Ich habe einst
die SPD verlassen, weil sie zu einer Partei geworden war, die - im Gegensatz zur Tradition der Sozialdemokratie Willy Brandts - Niedriglöhne förderte, Renten und soziale Leistungen kürzte und die
Beteiligung der Bundeswehr an völkerrechtswidrigen Kriegen unterstützte.
Ich wollte, dass es im politischen Spektrum eine linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit gibt, deshalb habe ich die Partei Die Linke mitgegründet.
Die heutige Linke hat diesen Anspruch aufgegeben.
Einer Partei, in der die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner und eine auf Völkerrecht und Frieden orientierte Außenpolitik nicht mehr im Mittelpunkt stehen und die zudem
das
im Saarland etablierte Betrugssystem unterstützt, will ich nicht mehr angehören.
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Anspruch aufgegeben
Scharfe Kritik an
»schleichender Änderung des politischen Profils«
und Angriffen auf Friedenspolitik
Von Nico Popp
Den großen Abgang mit Geräusch hat Oskar sich für den Tag nach seiner letzten Rede
im saarländischen Landtag aufgehoben. Am 16. Ärz hatte er in Saarbrücken in einer nach-denklichen Ansprache »Gedanken zum Krieg« vorgetragen und war mit Applaus – auch
aus anderen Fraktionen – verabschiedet worden. Am 17. März 2022 trat Lafontaine, der
im November 2021 das Ende seiner politischen Laufbahn angekündigt hatte, aus der
Partei Die Linke aus.
»Ich wollte, dass es im politischen Spektrum eine linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit gibt, deshalb habe ich die Partei Die Linke
mitgegründet.
Die heutige Linke hat diesen Anspruch aufgegeben«, hieß es in einer Erklärung Lafontaines, die jW vorliegt. Darin beklagt er eine »schleichende Änderung des politischen Profils der
Linken«. Sie sei über die Jahre zu einer Partei geworden, »in der die Interessen der Arbeit-nehmer und Rentner und eine auf Völkerrecht und Frieden orientierte Außenpolitik nicht mehr im Mittelpunkt
stehen«. Zudem nehme die Bundespartei ein im Saarland etabliertes innerparteiliches »Betrugssystem« hin.
Gegründet worden sei die Partei einst, »um den Sozialabbau und die Lohndrückerei
der Agenda 2010 rückgängig zu machen«. Zudem habe »nach der Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg und am Krieg in Afghanistan« eine »neue Kraft« entstehen sollen, »die
sich wieder konsequent für Frieden und Abrüstung und die Beach-tung des Völkerrechts einsetzt«. Mit einer auf diese Ziele ausgerichteten Politik habe die Partei bei der Bundestagswahl 2009 11,9
Prozent der Stimmen geholt und sei in sieben westdeutsche Landtage eingezogen.
»Spätestens 2015« habe die damalige Parteispitze damit begonnen, den politischen Kurs zu ändern. Allmählich habe sich die Linke zu einer Partei entwickelt, »die ähnliche
Ziele verfolgt und sich um dasselbe Wählermilieu bemüht wie die Grünen«. In der Folge gingen Lohnabhängige und Rentner »zurück zur SPD, wurden Nichtwähler oder stimmten aus Protest für die AfD oder
sonstige Parteien«.
Und nun werde »der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine« zum Anlass genom-men, um die friedenspolitischen Grundsätze der Partei »abzuräumen«. Lafontaine verweist
darauf, dass vor der Sondersitzung des Bundestags am 27. Februar einige Linke-Parlamen-tarier, darunter Gregor Gysi und Susanne Hennig-Wellsow, intern dafür geworben hatten, dem Regierungsantrag zuzustimmen, »der sich für steigende Rüstungsausgaben und umfassende Waffenlieferungen an die Ukraine aussprach«.
Anschließend sei aus dem Parteivorstand heraus erklärt worden, dass diejenigen, »die für den sozialen und friedenspolitischen Gründungskonsens der Linken stehen, namentlich
auch ich, aus der Partei gedrängt oder ausgeschlossen werden sollen«. »Passend dazu« habe ihm die Bundesschiedskommission mitgeteilt, »dass das gegen mich laufende Partei-ausschlussverfahren
ausgerechnet an die Berliner Landesschiedskommission abge-geben und von ihr entschieden werden soll«. Dazu erklärte Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler am Donnerstag, dass der Parteivorstand keinen
Einfluss auf dieses Verfahren genommen habe; das sei »alleine Entscheidung der Bundesschiedskommission«.
In einer gemeinsamen Erklärung der Doppelspitzen von Partei und Bundestagsfraktion hieß es nach Bekanntwerden des Austritts, dass man diesen Schritt bedauere und ihn für
»falsch« halte. Auch der von Oskar kritisierte Gysi bekundete via Twitter sein Bedauern. Mit Bezug auf die Vorwürfe schrieb er: »Entgegen seiner Darstellung bin und bleibe ich
ein entschiedener Gegner der Aufrüstung. Meine Erinnerung an ihn und unsere Zusam-menarbeit ist und bleibt überwiegend positiv.«
Lafontaine gehörte nach seinem Austritt aus der SPD, deren Vorsitzender er von 1995 bis 1999 war, zu den Gründern der Partei Die Linke, die 2007 aus der PDS und der WASG
hervorging. Bis 2009 war Lafontaine Kovorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag, von 2007 bis 2010 zusammen mit Lothar Bisky auch Parteichef. 2009 zog er sich in die saarländische
Landespolitik zurück und war seither Fraktionsvorsitzender im Landtag in Saarbrücken. Am 27. März wird dort ein neuer Landtag gewählt. Lafontaine hatte bereits
angekündigt, die Kandidatenliste der Linkspartei nicht unterstützen zu wollen, da sie nicht regulär zustande gekommen sei.
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Klaus Ernst (* 1. November 1954 in München). Deutscher Politiker (DIELINKE). Ehemaliger Gewerkschafts-Bezirksvorsitzender. Seit 2005 Mitglied
des Deutschen Bundestags. Ernst war Mitbegründer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der WASG (Wahlalter-native Soziale Gerechtigkeit) In der Partei Die Linke war er von 2007 bis 2010
stellvertreten-
der Bundesvorsitzender und vom 15. Mai 2010 bis 2. Juni 2012 1. Vorsitzender. Bis 2012 teilte er sich den Bundesvorsitz mit der Berlinerin Gesine Lötzsch.
„Der Parteiaustritt von Oskar ist ein trauriger Tag für die Linke und für mich! Ich habe ihn
damals gebeten, bei uns mitzumachen. Ohne ihn hätte es die Erfolge der Linken nicht gegeben! Jetzt muss sich die Partei entscheiden: Zurück zu den Wurzeln oder ab in die Bedeutungslosigkeit!
Oskars Erklärung: Bei vielen der "bedeutenden" Politiker der Linken, die sich über seinen Austritt freuen, habe ich den Eindruck, dass sie schon bei der Organisation eines Kegel-abends überfordert
wären, geschweige denn eine Partei aufbauen könnten.“
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Albrecht Müller (* 16. Mai 1938 in Heidelberg). Deutscher Volkswirt, Publizist, ehemaliger Politiker (SPD). Er war Planungschef im Bundeskanzleramt unter den Bundes-kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt. Dann von 1987 bis 1994 für die SPD Mitglied
des Deutschen Bundestags . Seit 2003 ist er als Herausgeber und Autor des politik- & kultur-kritischen Blogs NachDenkSeiten tätig.
„Aus der Sicht mancher Beobachter mag es ein Zeichen von
Wetterwendigkeit sein, wenn jemand zunächst aus der einen Partei austritt – deren Vorsitzender er sogar war – und dann aus der anderen Partei austritt – deren Gründungsmitglied und Vorsitzender er
war. Aber dieser Eindruck entspringt einer Täuschung oder dem Mangel an richtiger Einschät-zung. Eigentlich sind die Entscheidungen von Oskar Lafontaine die konsequente Folge einer Veränderung von
Parteien in Deutschland, die von außen bewirkt und gesteuert ist. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern das Ergebnis einer kritischen und offenen Analyse der Machtverhältnisse in unserem Land
und in der Welt:
Machen Sie einfach das bekannte Experiment mit: Versetzen Sie sich in die Lage jener, die in der Welt dank ihrem Reichtum und dank ihrer militärischen Stärke und dank einer
ausgeklügelten PR-Strategie das Sagen haben. Dann würden Sie immer versuchen, in jenen Ländern, auf die es in besonderer Weise ankommt, Einfluss auf Medien und Parteien zu gewinnen, auf Verbände und
NGOs und selbstgegründete NGOs sowieso. Und als Ergebnis findet das staunende Publikum dann Veränderungen bei Medien und Parteien vor…
Nein falsch, das Publikum staunt gar nicht, es merkt gar nicht, wie in Deutschland zum Beispiel die CDU und CSU von ihren sogenannten Sozialflügeln „befreit“ worden ist. Das
Publikum darf gar nicht merken, wie zum Beispiel die SPD und die Grünen im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert worden sind. Bei der SPD fing das schon 1972 an, hatte mit dem Rücktritt Brandts
einen ersten Erfolg und ist dann systematisch so weiter vollzogen worden – bis hin zum Beispiel zu einer Verteidigungsministerin und einer Vorsitzenden,
die keinerlei Probleme mit massiver Aufrüstung haben. Auch die Grünen sind von den Füßen auf den Kopf gestellt worden – kaum mehr wiedererkennbar. Und dann hat es eben auch die Linkspartei
erwischt.
Wenn man genügend Geld und Medienmacht hat, ist es ein Leichtes, Politikerinnen
und Politiker aus der gut überlegten angestammten Programmatik herauszubrechen, umzufummeln und dann die ganze Partei mehrheitlich dieser veränderten Programmatik und Attitüde zu unterwerfen.
In diesem Prozess hat es Oskar Lafontaine eben zweimal getroffen. So ist das Leben in dieser sogenannten Demokratie. Sie ist fremdbestimmt und deshalb keine
Demokratie.“
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Heribert Prantl (* 30. Juli 1953 in Nittenau, Oberpfalz, Bayern). Deutscher Autor, Journalist und Jurist. Er war von 1995 bis 2017 Leiter des
Ressorts Innenpolitik und von 2018 bis 2019 Leiter des Ressorts Meinung der Süddeutschen Zeitung in München; von 2011 bis 2019 war er
Mitglied der Chefredaktion.Er ist Verfasser zahlreicher Bücher, Ehrendoktor und Träger mehrerer Journalistenpreise. Der folgende Text entstammt seinerv persönlichen Zuschrift als „Prantls
Blick“.
Ein vollendet Unvollendeter.
An die 150 Mal habe ich über ihn geschrieben: Kommentare, Analysen, Features, Reportagen. „Lafontaine, warum“, hieß einer meiner frühen
Leitartikel, in dem ich mich mit dem genialischen Saarländer, seinen Strategien und Taktiken befasst habe. Das war am 24. April 1997. Es ging um eine große Steuerreform, die zusammen mit der Union
anzupacken gewesen wäre.
Lafontaine, warum? Warum und zu welchem Ende hat er 1995 Rudolf Scharping gestürzt, nachdem er ein paar Jahre vorher noch den SPD-Vorsitz abgelehnt hatte? Hans-Jochen Vogel
hatte ihm 1990 den Vorsitz doch auf Knien angeboten! Warum hat er Gerhard Schröder und sich nicht selbst zum Kanzler gemacht? Warum hat er nicht nur das Amt des Finanzministers, sondern auch noch das
des SPD-Partei-vorsitzenden hingeworfen, warum die SPD verlassen, warum die Linke gegründet? Warum? Und warum verlässt er jetzt, im März 2022, die Linke wieder?
Retter, Zermalmer, Gründer
Alle Antworten (bis auf die letzte) sind hundertmal gehört, gedreht und gewendet worden: das machtvolle Ego, das missionarische Ego, das beleidigte Ego, das von Schröder brüskierte Ego, das von der
Attentäterin Adelheid Streidel schwer ver-letzte Ego. Der Messerstich in den Hals des Kanzlerkandidaten. Die Lafontaino-logie, die Interpretation der oskarischen Psyche, gehört zu den roten Fäden von
vierzig Jahren deutscher Politik. Wie aus dem Retter der SPD von 1995 ihr Zermal-mer im Jahr 2005 und der Gründer der Linkspartei wurde – das ist der Da-Vinci-Code der deutschen Politik.
Öffentliche Verachtung
Als ich im Januar 2010 in Saarbrücken, es war nach seiner Krebserkrankung und seinem Rückzug aus der Bundespolitik, lange mit ihm redete, fügte Oskar Lafon-taine zu den schon bekannten Versionen über
die Entstehungsgeschichte der Linken noch eine neue, bisher ungehörte hinzu: Der deutsche Journalismus habe seinen Anteil daran gehabt. Es sei nämlich auch die öffentliche Verachtung gewesen, die
Maßlosigkeit der Kritik an ihm in den Jahren 1999 ff., also den Jahren nach dem Rücktritt vom SPD-Parteivorsitz, die ihn getrieben habe, es doch noch einmal allen zu zeigen: nicht nur Schröder, den
Genossen und Konsorten, sondern auch einer „kläglichen Journaille“.
Was ihm den Rückzug aus der Politik erleichtert
Er wurde Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag und dann, quasi im Austrag, noch Fraktionschef der Linken im saarländischen Landtag. Und er freute sich königlich über die Journalisten, die
sich in den Zeiten der Bankenkrise an die kurze Amtszeit des Finanzministers Lafontaine erinnerten - der schon 1998 wollte, was dann später fast alle wollten: Die Finanzmärkte regulieren. Er sei
damit zehn Jahre zu früh dran gewesen.
Lafontaine registrierte, sehr wohl, wer Abbitte geleistet hat. Arno Widmann
zum Beispiel, der frühere Feuilleton-Chef der Frankfurter Rundschau. Der habe schon zu Beginn der Bankenkrise geschrieben, Oskar Lafontaine sei ihm seinerzeit als Finanzminister vorgekommen als der
kleine Mann, der seine Fäuste ballte und sie gegen Leute erhob, die mit dem Bruchteil ihres Jahreseinkommens die ganze SPD hätten kaufen können: „… Doch Lafontaine hatte recht.“ Er hatte recht – das
ist das Gefühl, das Lafontaine nach fünfzig Jahren den Rückzug aus der Politik erleichtert.